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Montag, 15. September 2014

Manfred Hausmann


Die Weser taugt offensichtlich nicht für ein nationales Epos. Wellgunde, Woglinde und Floßhilde schwimmen nicht in der Weser. Bestenfalls taugt der Fluss für kleine Geschichten wie die vom Riesen Hüklüt (der auch für den ➱Weyerberg verantwortlich ist) und der Bremer Düne. Wir haben natürlich Franz Dingelstedts Weserlied (Hier hab' ich so manches liebe Mal mit meiner Laute gesessen, hinunterblickend ins weite Tal mein selbst und der Welt vergessen), was eigentlich ziemlicher Kitsch ist. Aber mein Vater mochte es gerne, und so habe ich es sogar auf dem ➱Klavier gespielt. Na ja, ich habe es als einen Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, dass da immer die Noten zum ➱Weserlied auf dem Klavier lagen.

Ein anderes Weserlied ist schon älter, es stammt aus dem frühen 14. Jahrhundert, es ist ein lateinisches Loblieb:

Dort sind Bäche, dort sind Bronnen,
Wasser kommt vom Berg geronnen
Zu der Herden reicher Zahl
In den waldumkränzten Auen.
Dort sind züchtig holde Frauen,
Und die Weser strömt ins Tal

Aber dieses Loblieb eines Mönches auf die Stadt Minden* ist doch eher ein locus amoenus als eine realistische topographische Beschreibung. Und auch in die große Literatur ist die Weser selten gewandert, mit Ausnahme von Anton Reiser von ➱Karl Philipp Moritz. Wir haben in Bremen Georg Drostes Ottjen Alldag, wir haben ➱Hermann Allmers, der bei jeder Nennung das Epitheton der Marschendichter bekommt. Aber wir haben keinen Mark Twain der Weser, nichts Vergleichbares mit Huckleberry Finn und Life on the Mississippi. Wir hätten da ja einige Schriftsteller, die unterbewertet sind wie Tami Oelfken, ➱Konrad Weichberger (der auch eine Textsammlung mit dem Titel Das Bremer Gastbett zusammengestellt hat), ➱Friedo Lampe und Rudolf Lorenzen, aber wir halten uns in Bremen lieber an ➱Marga Berck, Rudolf Alexander Schröder und Manfred Hausmann. 

Wenn wir keine Literatur haben, so haben wir doch einen Bremer Literaturpreis, der zum 75. Geburtstag des Bremer Geistesriesen Rudolf Alexander Schröder ins Leben gerufen wurde. Der brachte damals 5.000 Mark. Heute lobt das ärmste Land der Bundesrepublik mit 20.000 Euro die höchste Summe von allen deutschen Literaturpreisen aus. Bis auf den ersten Preisträger, Heinrich Schmidt-Barrien, haben die alle nichts mit Bremen zu tun. Bremen prämiert den jungen Thomas Bernhard, der am Anfang seiner Karriere vor dem existentiellen Aus steht. Fünf Minuten vor Beginn seiner Dankesrede weiß er noch nicht, was er sagen soll. Dann wird er um den Satz Mit der Kälte nimmt die Klarheit zu herum die kürzeste aller Dankesreden halten. Und ewig schlecht über Bremen reden. Dankbarkeit? Nicht bei Thomas Bernhard. Von dem Geld hat er sich als erstes in Wien bei Don Gil einen sauteuren Anzug gekauft.

Da hätte man lieber rückwirkend Heinrich Albert Oppermann den Preis verleihen sollen, für die schöne und dramatische Schilderung des Eisgangs auf der Weser bei ➱Hoya in seinem Roman Hundert Jahre. Meine Empfehlung an die Bremer Kommission wäre, den Preis in Otto Gildemeister Preis umzubenennen. Und nur zu verleihen, wenn der Preisträger das intellektuelle Niveau von ➱Otto Gildemeister erreicht. Damit könnte Bremen viel Geld sparen. Man macht sich heute in Bremen Gedanken, ob der ➱Preis wirklich noch den Namen von Rudolf Alexander Schröder (hier Schröder mit Ingeborg Bachmann, Preisträgerin 1957) tragen muss. Gut, das Kampflied der Nazis, in dem sich Zeilen wie Die Zeit ist reif und reif die Saat. Ihr deutschen Schnitter, auf zur Mahd: Der Führer hat gerufen finden, hat er schon 1914 geschrieben, aber der Mann, der auch den inneren Widerstand erfand, stand den ➱Nazis doch näher, als man damals glauben wollte.

Manfred Hausmann, der Vorzeigedichter aus Bremen, Berufschrist und Laienprediger wie Schröder (und auch ein Erfinder der inneren Emigration), sitzt auch in der Jury des Bremer Literaturpreises. Er war nicht in der Sitzung, als die Jury beschließt, Günter Grass den Preis für Die Blechtrommel zu verleihen, wendet sich dann aber umgehend an die Öffentlichkeit und kündigte seine Mitgliedschaft in der Jury auf. Der Bremer Senat nimmt das zum Anlass, ➱Günter Grass als Preisträger abzulehnen: Immer wieder tritt die Erzählung in jene verbotene Sphäre ein, wo sich Ekel und Sexualität, Tod und Blasphemie begegnen, hieß es in der Begründung der Ablehnung von Die Blechtrommel. Mit dem Argument kann man viele Bücher verbieten, Ekel und Sexualität, Tod und Blasphemie finden sich auch in der Bibel.

Ich habe Hausmann, den ich zweimal aus der Nähe erlebt habe (abgesehen von den Weihnachtspredigten in Farge, zu denen das Bremer Bürgertum gerne pilgerte), instinktiv nie gemocht. Ich bin auch nie damit glücklich gewesen, dass das Bürgertum der Adenauerzeit ihn und Rudolf Alexander Schröder zu den Lordsiegelbewahrern der Bremer Kultur erhoben hat. Und immer, wenn ich Zweifel habe, dass ich ungerecht gegenüber diesem Mann bin, greife ich zu einem unscheinbaren Pappbändchen. Es heißt Museum-Heute und ist 1948 bei Trüjen in Bremen erschienen (dem Verlag von Trude Wehe, die diese Schmonzette Vryheit do ik ju openbar: Roman aus dem alten Bremen schrieb, die ich mit Begeisterung gelesen habe - als ich sieben war), es war die erste Publikation der Kunsthalle nach dem Krieg. 

Darin ist eine Interpretation des Rembrandtbildes vom Apostel Paulus von Manfred Hausmann. Und wenn man die gelesen hat, dann ist einem richtig schlecht. Egal, ob man Kunstgeschichte studiert hat oder nicht. Das Bild ist ein Geschenk vom Pariser Bankier John Harjes aus dem Jahre 1911. Es ist kein Rembrandt, es ist von Jan Lievens. Aber zu der Zeit, als Günter Busch Direktor war, blieb diese falsche Zuschreibung unter dem Bild. Irgendwie hat Busch kein glückliches Händchen mit seinen ➱Rembrandts (lesen Sie ➱hier alles zu Günter Busch und der Kunsthalle Bremen).

So wie Hausmann verhindert, dass Günter Grass den Preis bekommt, so verhindert Rudolf Alexander Schröder, dass Paul Celan den Preis bekommt. Statt seiner wird Ernst Jünger geehrt. Wenn Sie mehr über diese Preisverleihung lesen wollen, dann klicken Sie ➱hier. Ein Roman über Bremen allerdings, noch dazu von einem Bremer geschrieben, läuft in den fünfziger Jahren völlig an den Bremern vorbei. Besonders natürlich an der Jury des Bremer Literaturpreises. Wahrscheinlich, weil sie den Roman als eine Art Netzbeschmutzung empfunden haben.

Es ist Rudolf Lorenzens Alles andere als ein Held, 1959 bei Ullstein erschienen. Sebastian Haffner war sich 1965 nicht sicher, ob 'Alles andere als ein Held' nicht der beste Roman irgendeines heute lebenden deutschschreibenden Autors ist, Petra Kipphoff fühlt sich in der Zeit an Thomas Mann erinnert, die internationale Presse feiert den Autor. 1961 erscheint in London eine englische Ausgabe, kurz darauf eine in den USA. Und in Bremen verkündet die Bremer Nachrichten ihren Ekel gegen die miserable, undiskutierbare Lebensschilderung eines Jammerkerls, der um sich die Namen bremischer Tradition versammelt, ohne dass je von hanseatischer Würde die Rede ist.

Allenthalben Ekel, die Sprache der Rezensenten klingt ein wenig wie aus einer anderen Zeit. Was in Bremen leider nicht so sehr verwundert. Wenn ein Drehbuchautor von Nazipropagandafilmen Chefredakteur des Weser Kurier wird und der leitende Kulturbeamte Bremens Dr. Eberhard Lutze heißt. Die größte Leistung dieses Kunsthistorikers war es, den Veit Stoß Altar in Krakau (da wo er überall die Verpolung und Verjudung zu beklagen hat) abzubauen und in den geplanten Staatsdom der Stadt der Reichsparteitage zu überführen. Der Spiegel holt 1968, als Lutze den Vertrag von Kurt Hübner nicht verlängern will, noch einmal die ganze Nazivergangenheit von Lutze heraus, aber das interessiert in Bremen nicht. Dieser Mann, der in seiner Entnazifizierungsakte als an sich schwacher Charakter, der sich der Macht anschließt, um Geltung zu bekommen beschrieben wurde, bestimmt zwanzig Jahre lang die offizielle Bremer Kultur. Alle Parteien mögen diesen Opportunisten. Ich möchte nicht wissen, was Manfred Hausmann über Alles andere als ein Held gedacht hat. Rudolf Lorenzen, der im letzten Jahr gestorben ist, hat ➱hier natürlich einen Post. Den hat er übrigens noch lesen können, es hat ihm gefallen.

Wilhelm Lehmann hat ein stilles Leben in Eckernförde (der Stadt seines Schlüsselromans Der Provinzlärm) gelebt. Wenn es überhaupt einen Vertreter der inneren Emigration in Deutschland gab, dann war er das. Auf keinen Fall Manfred Hausmann, der das immer von sich behauptete. Es ist erstaunlich, dass jemand, der sich immer wieder den Nazis angedient hat und während des Zweiten Weltkriegs für eine Vielzahl von Naziorganen geschrieben hat, sich plötzlich 1945 zum Zentrum der inneren Emigration erklärt. In der Olympia-Zeitung von 1936 hatte er noch über den schwarzen amerikanischen Olympiasieger im Hochsprung, den Neger Cornelius Cooper Johnson (der für Hausmann eine tierhafte, pantherhafte Vollkommenheit hatte) geschrieben:

Wissen und Ahnen, Leben aus dem Kopf und Leben aus dem Blut; es sind die rätselhaften Pole der Welt, über die die Menschheit schon so viel nachgegrübelt hat. Die Vollendung des Wissenden, der Allwissende, ist der Gott. Und die Vollendung des Ahnenden, das Instinktwesen, ist das Tier... Darum sind die Möglichkeiten der weißen Rasse, die hauptsächlich die Trägerin des Wissens ist, gar nicht abzusehen. Und darum haben die coloured men, entgegen gewisser pessimistischer Prophezeiungen, keine Chance auf dieser Welt. Klingt ein wenig wie Ernst Jünger. Gott gibt es nur für Weiße, nicht für schwarze Tiere. Nach dem Krieg wird Hausmann als erstes den Emigranten Thomas Mann mit einem offenen Brief im Bremer Weser-Kurier attackieren und Lügen über ihn verbreiten.

Dieser Absatz stand übrigens schon in dem Post ➱Signale, den ich zum 130. Geburtstag von Wilhelm Lehmann schrieb. Meine Aversion gegen Hausmann ist nicht ganz neu. Ich bin mit Manfred Hausmann aufgewachsen. Abel mit der Mundharmonika und Lampioon küßt Mädchen und kleine Birken (was ja ein hübscher Titel ist) gehörten zu meiner Jugendlektüre. Wahrscheinlich damals für alle in Bremen. Der Besitzer des besten Kieler Antiquariats, ➱Harald Eschenburg, hält offensichtlich nicht so viel von Hausmann, er zeichnet die Erstausgaben von Abel mit der Mundharmonika immer mit einem Euro aus. Kaufe ich immer, verschenke ich an Bremer mit dem Zusatz Erstausgabe. Vielleicht sollte ich das mal lassen.

Denn eigentlich kann ich den Mann ja nicht ausstehen, das ist wohl schon klar geworden. Meine Abneigung gegen ihn fing früh an. Wenn man mit den Eltern auf dem Sonntagsspaziergang in ➱Rönnebeck spazieren ging, musste man immer ganze leise sein, wenn man an seinem Haus vorbeikam, da wohnten zwei Dichter nebeneinander, Alma Rogge und Manfred Hausmann. Und die dichteten und dichteten, die darf man als Kind nicht durch Lärm stören.

Manfred Hausmann ist Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen. Hunger, Gas, Trommelfeuer, Regen, Vegetieren im Stollen, Schlaf, Schlaf, Schlaf, unglaubliche Roheit, einzigartige Kameradschaft, Waldlager, Tod, Wahnsinn. Er begriff vom Wesen und Sinn des Krieges so gut wie nichts. Ein lebensgieriger Junge von achtzehn Jahren. Aber im Gegensatz zu dem Worpsweder Maler Hans am Ende ist er aus dem Krieg zurückgekehrt. Danach hat er studiert und wurde mit einer Dissertation zur Kunstdichtung und Volksdichtung im deutschen Soldatenlied von 1914-18 promoviert. Danach wusste der Fabrikantensohn (sein Vater war Mitinhaber der Mikroskopfabrik Zeiss-Winkel in Göttingen) nicht so recht etwas mit sich anzufangen. Er heiratete, zog nach Worpswede und wurde ein gesellschaftlicher Aussteiger: Er legte die Arbeit bei der Zeitung nieder und landstreicherte im Überschwang der neuen Freiheit so lange durch Deutschland auf und nieder, bis er das Buch "Lampioon" fertig hatte. Seine Romane Lampioon küßt Mädchen und kleine BirkenSalut gen Himmel und Abel mit der Mundharmonika wurden riesige Erfolge.

Am Anfang der dreißiger Jahre ist er in einer Sinnkrise: Wenn ich sage, daß ich an nichts glaube, so bringe ich das nicht prahlerisch und selbstsicher vor, sondern eher verzweifelt und sehr leise. Ich bin nicht imstande, an irgend etwas zu glauben. […] Vielleicht glaube ich an meinen Unglauben, obgleich nicht einmal das sicher ist. Wenn ich einen Bleistift in der Hand habe und ein Blatt Papier vor mir, dann merke ich, daß ich doch nicht so recht an diesen meinen Unglauben glaube. Ich glaube an nichts, aber nicht an das Nichts. Danach wurde er Christ. Durch Karl Barth kam ich zu Kierkegaard, zu Dostojewski, zur Bibel und noch einmal und immer wieder zur Bibel. Sie hat nicht ihresgleichen auf Erden, weder als Dichtung – dem größten Teil der Menschheit wird diese atemraubende Dichtung freilich vorenthalten -, weder als Dichtung noch als Kunde vom Wesen des Menschen, noch als Offenbarmachung des dreieinigen Gottes. Und dabei bin ich geblieben, denn hier ist gut sein. Das zur Schau getragene, geradezu zelebrierte, Christentum von Hausmann hat etwas von billiger Bigotterie an sich.

Wenn ich nach etwas suche, das meinem Leben im Getriebe der Welt einen Sinn geben soll, dann muß es eine Macht sein, die über dieser Welt steht. Was kann dem Leben einen Sinn geben? Woran glaube ich also? Ich glaube an die Freiheit. Frei, im eigentlichen Sinne des Wortes, ist nur Gott.
Aber wunderbarerweise kann der Mensch an der Freiheit Gottes teilnehmen, weil Gott sich in seiner freien Gnade dem Menschen zugewandt hat. Das Teilhaben geschieht durch den Glauben und durch den Gehorsam. Wenn der Mensch nicht mehr seine eigene Freiheit begehrt, sondern im gläubigen Gehorsam ein Knecht Gottes wird, gewinnt er die Freiheit. ➱Günther Schwarberg, der zusammen mit Hausmanns Sohn Volontär beim Bremer Weser-Kurier war (wo Hausmann Feuilletonchef war), überschrieb einen Artikel in der Zeit, in dem er Hausmann als Renommiergaul messianischer Laienverkündigung bezeichnet hatte, mit Donnernde Platitüden. Und ➱Henner Reitmeier kommentiert die erhabenen Sätze von Hausmann mit: Dem fügte er nun in neuer Eigenschaft als ordinierter Ältestenprediger der Evangelischen Kirche und treuer Knecht Gottes noch Unmengen an erbaulichen Schriften hinzu, in denen wohl vor allem die Kunst der Scheinheiligkeit studiert werden kann. 

An theologischen Spinnern haben wir in Bremen ja keinen Mangel. Der Bischoff von Hitlers Gnaden ➱Heinz Weidemann (Gauleiter der Deutschen Christen), der in den dreißiger Jahren den Dom so hübsch dekorieren ließ und eine Bremer Kirche in Horst Wessel Kirche umtaufen wollte, war zweifellos ein Fall für die Psychiatrie. Und auch der Pastor ➱Georg Huntemann, der sich nach dem Gottesdienst an der Kirchentür den Ring an der Hand küssen ließ, war nicht so ganz schußecht. Ich möchte jetzt nicht den Eindruck erwecken, dass die Hirten der Bremer Kirchengemeinden nur aus Spinnern bestanden. Wir hatten in Bremen auch einmal einen Emil Felden oder einen Domprediger wie ➱Günter Abramzik.

Nach Hausmanns Tod schrieb der SpiegelDas Jahr 1933 brachte die Wende, nicht nur politisch, für den Mann, der bis dahin die SPD im Worpsweder Gemeinderat vertreten hatte: Unter dem prägenden Einfluß der Schriften Karl Barths und Soren Kierkegaards wurde Manfred Hausmann zum bekennenden Protestanten. Was immer er fortan schrieb - während des Dritten Reiches zurückhaltend, aber bestimmt, nach dem Krieg in einer blühenden Vielfalt von Werken -, war auch Verkündigung: Durch Romane, Novellen, Gedichte, Fest-Spiele ist er ein weithin geschätzter norddeutsch-evangelischer Gemeinde-Dichter geworden. Schließlich, als fast Siebzigjähriger, wurde er in seinem Wohnort Bremen-Rönnebeck 'Ältestenprediger' mit allen Befugnissen eines Pastors, ein Kanzelredner und Hausvater, der Aufrichtigkeit und Liebe verbreitete, eine bremische Institution. Am vergangenen Mittwoch ist Manfred Hausmann in Bremen gestorben. 

Zweifel sind angebracht an dieser Darstellung, in der sich kein Wort über seine Schmutzattacke auf ➱Thomas Mann findet, nichts über seine Verbundenheit zu den Nazis. Wer sich so ausdrückte, wie Thomas Mann, der bewies damit, daß er nichts mehr von den eigentlichen, von den neuen noch nie dagewesenen Bedrängnissen wußte, unter denen der aufrechte Deutsche lebte, schreibt er 1947 über Thomas Mann. Mit dem aufrechten Deutschen meint er sich selbst. Im Nachruf des Spiegel steht auch nichts darüber, dass der aufrechte Deutsche 1939 sofort wieder freiwillig beim Heer ist (obwohl er eigentlich viel zu alt dafür ist). Auf einen Angriff von Wolfdietrich Schnurre (der ihn als Reservefriedensleutnant, der sich im Krieg reklamieren ließ bezeichnete) hat Hausmann behauptet, er sei niemals Leutnant in der Wehrmacht gewesen. Dies hier auf dem Photo ist also nicht der Leutnant Manfred Hausmann, das ist Dr Manfred Hausmann, Zahlmeister bei der 22. Infanterie Division in Bremen. Zahlmeister und Leutnant haben in der Wehrmacht ja unglücklicherweise den gleichen Rang und die gleiche Uniform. Ja: Die Füße gehn im gleichen Schritt, es strafft sich jede Sehne. Der Leutnant pfeift, wir pfeifen mit, wir pfeifen durch die Zähne. Der promovierte Zahlmeister ist nebenbei noch schriftstellerisch tätig: Wenn der deutsche Soldat heute der erste Soldat der Welt ist, so nicht zuletzt dank dem Schrifttum. (…) Im Deutschland von 1940 gehört das Buch zum Schwert, das Schwert zum Buch, gehört der Dichter zum Soldaten und der Soldat zum Dichter. Und an anderer Stelle schreibt der begeisterte Segelflieger: So gesehen kann der Krieg sich geradezu als die Vollendung dessen darstellen, was das tiefste Geheimnis des Sports ausmacht […] Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Sport und Krieg – beide als menschliche Haltung betrachtet – besteht jedenfalls nicht. Der Krieg ist lediglich eine Steigerung des sportlichen, des kämpferischen Lebens ins Äußerste.

Voller Bewunderung berichtet der Leutnant (Entschuldigung: Zahlmeister) Hausmann 1940 in Goebbels' Zeitung Das Reich über den Auftritt des Worpsweder Schriftstellers Otto Tügel bei einem Großdeutschen Dichtertreffen. Der dort (in der Uniform eines Hauptmanns, was Hausmann besonders gefiel) sagte: Denn alle Ordnungen, von denen wir heute sprechen können, liegen beschlossen in der Wirklichkeit „Reich", dessen gehorsame Kinder und gestaltende Künder wir sein wollen. Zur gleichen Zeit waren die Bilder seines Bruders, des Moor-Poeten und Malers Tetjus Tügel als entartete Kunst aus den Museen entfernt worden.

Für meinen Opa war ➱Worpswede ein Ort, wo die Roten wohnten. Er wusste es wohl besser, genügend viele seiner Stahlhelmkameraden wohnten da auch. Und die Geschichte mit dem Feldwebel ➱Fahlbusch, die kannte er natürlich auch. Worpswede war einmal eine Insel der Illusion für Sozialrevolutionäre wie ➱Heinrich Vogeler, aber Worpswede war auch ein Ort, in dem viele ➱Nazis wohnten. Spuren davon kann man noch in Moritz Rinkes Roman Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel finden. Die Ausstellung Mythos und Moderne. 125 Jahre Künstlerkolonie Worpswede, die gerade zu Ende gegangen ist, konnte diesen Aspekt natürlich nicht auslassen. Dass der überzeugte Nazi Fritz Mackensen (Major der Propaganda-Ersatzabteilung) noch im Mai 1945 Worpswede mit dem Maschinengewehr verteidigen wollte und die einrückenden Engländer mit dem Hitlergruß willkommen hieß (woraufhin die Limeys ihm als erstes die Bilder in seiner Villa von der Wand geschossen haben), habe ich schon in dem Post über ➱Richard Oelze erwähnt.

1970 hat Manfred Hausmann den Konrad Adenauer Preis der Deutschland Stiftung angenommen, erst nach einigem Bedenken, weil der berüchtigte Ex-Nazi Kurt Ziesel im Vorstand der Deutschland Stiftung saß (wenn Sie wissen wollen, was Heinrich Böll von Ziesel hielt, dann klicken Sie ➱hier). Ziesel hatte 1935 in Wille und Macht: Führerorgan der nationalsozialistischen Jugend über das Buch Hausmanns, Lampioon küßt Mädchen und kleine Birken, gesagt: Dieser Roman gehört wohl mit zum schmutzigsten und gemeinsten, was an erotisch-pornographischer Literatur erschienen ist und von der gesamten Judenpresse einem armen deutschen Volk als große deutsche Dichtung aufgeschwätzt wurde. Ja, und nun kloppen sich Ziesel und Hausmann. Ziesel wird später noch dazu sagen: Mein Angriff gegen Manfred Hausmann ... erfolgte deshalb, weil Herr Hausmann 1935 die größten Anstrengungen unternahm, durch Lesungen beim Arbeitsdienst und bei der Hitlerjugend den Anschluß an das Dritte Reich zu finden. Gegen mich mobilisierte Herr Hausmann damals deswegen sogar die Reichsschrifttumskammer. Das ist jetzt die Illustration des englischen Idioms the pot calling the kettle black. Manfred Hausmann hat den Preis natürlich nicht zurückgegeben.

Nach dem Zusammenbruch Hitler-Deutschlands 1945 vollzieht Manfred Hausmann erstaunlich schnell und unangefochten einen Wandel vom Nazi-Mitläufer zum Demokratie-Apostel, heißt es auf einer Seite von Radio Bremen. Sie können ➱dort auch den Dichter in einem Interview hören. Er ist eine wandlungsfähige Person. Das Wort Person kommt von personare, es bezeichnet die Maske durch die der Schauspieler spricht. Manfred Hausmann kann Toyotama Tsuno sein, deren japanische ➱Gedichte dann von Manfred Hausmann ins Deutsche übersetzt werden. Der Mann, der sich vor 1945 gerne als Dichter unter dem Stahlhelm bezeichnete und Wandervogellieder wie Es tropft von Helm und Säbel, die Erde ruht so bang. Wir traben durch den Nebel mit Pauken und Gesang verzapfte, schreibt nach 1945 Gedichte über eine Bambus Bar in Bremen:

Nirgends ist es so gemütlich wie
in der Bambus Bar zu Bremen.
Alle Damen haben nackte Knie
und ein zärtliches Benehmen.
Mit den sanften Sachen fängt es an,
weil man erst in Stimmung kommen muß.
Eine scharfe Mischung folgt sodann
und das große Feuerwerk zum Schluß.


Das ist die dritte Strophe, ich erspare uns die anderen. Das ist nun meilenweit entfernt von seinen ersten Gedicht nach 1945, wo es heißt:

Soll das Geheimnis in den Worten singen,
muss dein Gedicht den Widersinn vollbringen,
das Urbeständige im Wandel gestalten,
das tief Inwendige
im Außen zu entfalten,
das hold Lebendige im Toten zu erhalten.

Wo bleibt das Positive? Die Frage an Dr Kästner ist immer wieder aktuell. Erstaunlicherweise habe ich da einen Moment im Leben von Manfred Hausmann, wo er meinen ungeteilten Respekt genießt. Er ist nämlich am 18. Oktober 1934 bei der Beerdigung von seinem Verleger Samuel Fischer auf dem jüdischen Friedhof in ➱Weißensee gekommen. Die Reichskulturkammer schickte damals keinen Vertreter, der Börsenverein auch nicht. Der Schriftsteller Otto Flake (der ➱hier einen Post hat), der sicherlich ein größerer Schriftsteller ist als Hausmann, war auch da. Den blonden Hünen hätten die Nazis gerne auf ihrer Seite gehabt, aber er hat sich ihnen konsequent verweigert. Er hatte zwar 1933 wie 87 andere deutsche Schriftsteller eine Ergebenheitsadresse an Adolf Hitler unterschrieben, aber er glaubte, dass das er damit seine Ehefrau, die als Halbjüdin galt, schützen könnte. Und außerdem hatte ihn Samuel Fischer darum gebeten. Deshalb ist sein Name wie auch der von Oskar Loerke (der auch bei Fischers Beerdigung war) und ➱Hermann Kasack auf dieser Liste zu finden.

Für Manfred Hausmann Freunde habe ich noch etwas zum Schluss: eine Strophe von Weg in die Dämmerung aus dem Jahre 1938:

Wer des Lichts begehrt,
muss ins Dunkel gehn.
was das Grauen mehrt,
lässt das Heil ersteh´n!
Wo kein Sinn mehr misst,
waltet erst der Sinn!
wo kein Weg mehr ist,
ist des Wegs Beginn!

Und hier wird es von Heinz Rühmann gelesen. Mehr geht nicht.

Da Leser nach dem Original des eingangs zitierten lateinischen Gedichts gefragt haben, gebe ich gerne das Original:

 Ibi rivi, ibi fontes, 
 Ibi aquae nec non montes, 
 Et brutorum pascuae; 
 Inibi videntur frontes 
 Dominarum et insontes, 
 Ibi torrens Wiserae.


1 Kommentar:

  1. Danke als Bremer für diesen Beitrag.
    Greiffenhagen würde mir eher einfallen als Abramzik.
    Dieser hatte weniger erfreuliche Seiten,Details widersprechen de mortus nihil nisi bene.

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