Hier hat er gewohnt, als er aus seinem freiwilligen Exil in Bornholm wieder nach Hamburg zurückkehrte. Es ist das um 1800 gebaute Kavalierhaus, das zu dem Landhaus gehört, das sich Jean Cesar Godeffroy von ➱Christian Frederik Hansen (der auch die Palmaille gebaut hat) hat bauen lassen. Heute ist das eine Schickeria Gaststätte namens Witthüs, wo man auch ein candlelight dinner (Hamburger haben es ja gerne englisch) buchen kann. An der Hauswand gibt es eine Relieftafel von Heinrich Hegemann, rechts vom Eingang. Links hängt die Speisekarte. Ein Findling im Park erinnert daran, dass Hans Henny Jahnn (der heute vor 120 Jahren geboren wurde) von 1950 bis zu seinem Tode hier gewohnt hat. Und dort von neugierigen Hamburgern bestaunt wurde, wie man bei Ute Harbusch und Gregor Wittkop in Kurzer Aufenthalt: Streifzüge durch literarische Orte lesen kann: Für die Hamburger war Jahnn ein Thema - das bedeutete aber nicht, daß man seine Bücher kaufte und las. Attraktiver war da schon ein neugieriger Blick durch die Fenster seiner Wohnung. Mitunter muß sich Jahnn im Hirschpark gefühlt haben wie ein lebendiges Ausstellungsstück, ein Fossil aus der großen Zeit des Expressionismus.
Irgendwie scheint das mit dem Erinnerungsvermögen der Hamburger nicht so weit her zu sein. Jahnn wohnte da nicht erst seit 1950, er hatte da schon vorher gewohnt. Er hatte von der Gemeinde Altona (wo Max Brauer, den er gut kannte, Oberbürgermeister war) 1931 eine kleine Wohnung in dem reetgedeckten Kavalierhaus bekommen. Mir selbst geht es nun schlechter und schlechter. Noch wohne ich im Hirschpark. Auf wie lange, das steht in der Zeitung. Diesmal wörtlich zu nehmen, denn sobald eine Parteizeitung richtiger Prägung gegen mich hetzen wird, ist es mit meiner Ruhe hier zuende, schreibt er im März 1933. Als er Deutschland verließ und nach Bornholm zog (Ich weiß nicht, welche Sehnsucht es ist. Vielleicht die, hier ungestört verharren zu dürfen), hatte er seine Schwiegermutter dort wohnen lassen. 1937 wurde ihm gekündigt (und seine Schwiegermutter musste aus der Wohnung), das war erst einmal das Ende seiner Hamburger Zeit.
In seinem dänischen Exil kam für ihn nur etwa Abgelegenes in Frage: Die Kunst ist verschwunden. Die Menschheit ist von einer Flut überspült. Und Dänemark ist ein toter Eierkuchen. Man kann in diesem Land auf dem Lande leben, nicht in der Stadt. Sein Bauernhof ➱Bondegaard sieht beinahe aus wie der von ➱Oluf Høst. Deshalb stelle ich noch einmal ein Bild von dem dänischen Maler hierher. Die beiden haben in der gleichen Ecke Bornholms gewohnt, aber ich glaube nicht, dass sie sich gekannt haben.
Auf Bornholm hat er auch den größten Teil seines Hauptwerkes Fluß ohne Ufer geschrieben: In diesen bewegten und angstvollen Jahren habe ich mein mehrere tausend Seiten umfassendes Werk 'Fluß ohne Ufer' schreiben können (...) Wenn ich auch keine besondere Form des Dankes dafür gefunden habe, daß ich in Dänemark zu den Überlebenden der Katastrophe zählen kann, die ich mit soviel Nachdruck vorausgesagt habe, so wird die ausgebreitete Landschaftsschilderung in meinem Werk davon zeugen, wie sehr ich meine engere Wahlheimat Bornholm geliebt habe.
Es ist ein seltsames Buch, aber die Sprache zieht einen in den Bann: Das Schiff fuhr mit dunklen bauchigen Segeln über den Abgründen, die mit Wasser ausgefüllt sind. Die Luft war ungewöhnlich lange nur voll leichter Wirbel gewesen. Der neue Tag, wie um den Triumph des weißen Lichtes zu überhöhen, war klar und kalt, ganz ausgeleuchtet mit dem Schimmer der silbrigen Helligkeit. Die Gegenstände an Deck erschienen allesamt hart, unförmig, gar nicht der geringen Bewegung von Wasser und Wind angemessen. Noch vor Abend strichen warme Schwaden um das Schiff. Unbegreiflich schnell mischte sich die fahle Kälte mit dem lauen Dunst. Nebelmauern rückten heran. Wolken, kaum wahrgenommen, fielen schon aus der Höhe herab und umdampften das Schiff. Masten und Segel wuchsen riesenhaft. Vor kurzem noch war der Horizont das Maß aller Dinge gewesen. Jetzt war das Sichtbare verengt. Das Gebilde aus Menschenhand schwebte im Nebelmeer, war von der Erde abgestürzt.
Jahnn hatte nach dem Krieg die Wohnung im Kavalierhaus wieder bekommen, dafür hat Max Brauer gesorgt. Einen Wunsch konnte ihm Brauer nicht erfüllen, Jahnn hätte auch gerne die Godeffroysche Villa bekommen. Seine Einkünfte als Schriftsteller waren gering (Fluß ohne Ufer war erst kurz nach dem Krieg veröffentlicht), sodass er immer wieder zu seiner Tätigkeit als Orgelbauer zurückkehrte. 1947 schreibt er an den Archivrat des Altonaer Stadtarchivs Paul Theodor Hoffmann: Dies Haus nun ist für meine Zwecke als Orgelbetreuer und Orgelbauer geradezu wie geschaffen. Es enthält neben anderen Räumlichkeiten 2 saalartige Räume, die in der jetzigen Form für reine Wohnzwecke kaum verwendet werden können, weil sie sowohl zu hoch als auch zu groß sind. Aber die Stadt kann über die Villa nicht verfügen, die Engländer hatten sie sich nach dem Kriege als Offizierskasino gesichert. Sie nutzen sie zwar nicht mehr, doch die Verhandlungen ziehen sich hin. Am Ende wird Dr Erich Thienhaus die Villa für sein Tonstudio bekommen. Heute ist da eine Ballettschule in dem Haus des Südseekönigs Godeffroy, sic transit gloria mundi.
Auch der Hamburger Kultursenator Hans-Harder Biermann-Ratjen kann für Jahnn nichts erreichen. Die Bremer sind dem Hamburger Biermann-Ratjen immer zu Dank verpflichtet, denn ohne ihn wäre der schöne Briefroman Sommer in Lesmona nie erschienen (lesen Sie ➱hier mehr dazu). Biermann-Ratjen hat auch dafür gesorgt, dass Jahnn 1956 den Hamburger Lessing Preis bekam, für den er sich bei dem Kultussenator mit den Worten bedankte: Mit diesem Preis, der den Namen des Mannes trägt, dessen Lauterkeit ganz ohne Makel ist, fühle ich mich in meine Vaterstadt wieder ganz eingeordnet, zugehörig. Und was hin und wieder an Bitterkeit war, verdünnt sich zum Belanglosen. Die Bitterkeit war da, was man in Sätzen wie erkennt: Ehrfurcht vor dem Gewesenen, vor den Denkmalen der eigenen Geschichte besitzt diese Stadt kaum. Das ist ein Grundfehler. Sie ist, im Gegensatz zu Lübeck, arm an erschaubarer Vergangenheit. Was alles an hundertjähriger Erinnerung vor dem Dammtor der Sucht nach einem »Ausstellungsgelände« zum Opfer gefallen ist, ermißt nur der, der Jahr nach Jahr, ein paar Jahrzehnte lang, durch die Gräberreihen schlendern konnte. Das Verhältnis Jahnns zu seiner Vaterstadt ist immer schwierig gewesen, wie Uwe Schweikert in seinem lesenswerten ➱Vortrag ausgeführt hat.
Gräberreihen, Särge. Schon das todgeweihte Holzschiff trägt eine geheimnisvolle Fracht von Särgen. Seine Grabanlage auf dem Nienstedtener Friedhof hatte Jahnn sorgfältig geplant. Der wachsversiegelte, mit Metall ausgekleidete Sarg aus überdickem Holz, war von ihm nach der Satzung der von ihm gegründeten Künstler- und Glaubensgemeinschaft Ugrino konstruiert und zu seinen Lebzeiten gebaut worden. Ein klein wenig pervers ist das schon. Das letzte Wort zu toten Dichtern wird immer Gottfried Benn haben, der in Kann keine Trauer sein dichtete:
In jenem kleinen Bett, fast Kinderbett, starb die Droste
(zu sehn in ihrem Museum in Meersburg),
auf diesem Sofa Hölderlin im Turm bei einem Schreiner,
Rilke, George wohl in Schweizer Hospitalbetten,
in Weimar lagen die großen schwarzen Augen
Nietzsches auf einem weißen Kissen
bis zum letzten Blick—
alles Gerümpel jetzt oder gar nicht mehr vorhanden,
unbestimmbar, wesenlos
im schmerzlos-ewigen Zerfall.
Im vorletzten Jahr hatte ➱Harald Eschenburg mich an einem schönen Sommerabend zum Abendessen eingeladen. Hans Fander (der hier eine ➱Seite mit wunderbaren Geschichten hat) und der Literaturwissenschaftler Jörg W. Joost waren auch dabei. Ich weiß nicht, wie es kam, aber nach dem Essen wurde über Pariser Friedhöfe geredet. Herr Joost war ein großer Frankreichliebhaber, Hans Fander sowieso, der hatte einen französischen Pass, seit er als junger Mann in der Fremdenlegion gewesen war. War in ➱Dien Bien Phu gewesen und hatte mit seinen Kameraden den Rückzug der Armee von Tschiang Kai Schek gedeckt. Irgendwann brachte Hans Fander den wunderbaren Satz heraus: In meinem Alter googelt man schon schon mal Friedhöfe. Joost war davon so begeistert, dass er sich den Satz sofort aufschrieb. Hans Fander, der sich schon einen Platz auf dem Père Lachaise gesichert hat, ist heute in den Achtzigern und glücklicherweise noch quicklebendig. Jörg Joost war leider wenige Monate nach dem schönen Sommerabend tot. In seiner Todesanzeige las ich das Gedicht Der Rauch von Bert Brecht:
Das kleine Haus unter Bäumen am See.
Vom Dach steigt Rauch.
Fehlte er
Wie trostlos dann wären
Haus, Bäume und See.
Für jemanden, der ein Buch über Brecht geschrieben hatte, passte das. Eine Geschichte hatte Jörg Joost an dem Abend nicht zum Besten gegeben: er war bei der Beerdigung von Hans Henny Jahnn dabei. Mein Freund ➱Friedhard Radam, der einmal einen Tag lang bei Jahnn zu Gast sein durfte, hatte mir mal erzählt, dass Joost zum engeren Kreis von Jahnn gehört habe. Und da habe ich Jörg Joost einfach danach gefragt, als ich ihn das nächste Mal traf. Als Literaturwissenschaftler ist man ja immer neugierig.
Von der Beerdigung Jahnns haben wir eine Beschreibung von seinem Freund Erich Nossack: Vom 1.-5.12. mit M. in Hamburg wegen der Beisetzung von Jahnn. Hielt die Grabrede, wie wir es uns vor Jahren versprochen hatten. Anstrengende Tage, viele Menschen. Meistens mit Italiaander zusammen. Er ist der einzige sachliche Kopf in Hamburg unter den Literaten. Bewundernswert sein Einsatz um der Sache willen, ohne daß er etwas davon hat.
Sah Jahnn aufgebahrt in seinem Musikzimmer, in dem wir oft zusammen gegessen haben. Wie klein er mir vorkam, und sehr kindlich. Sein dicker Kopf lag auf einem alten Samtkissen, das M. den Jahnns vor vielen Jahren für den Hund gestiftet hatte. Wie das alles ins Bild paßt.
Ich war ganz kalt, ganz nüchtern, höchstens ein wenig geniert, aber das war schon zu seinen Lebzeiten so. Bin ich ausgebrannt? Gespräch mit Ellinor, sie leicht alkoholisiert. In der Kapelle spielte sein Pflegesohn Sweelinck. Der kastenartige Sarg, wie in "Fluß ohne Ufer". Die jungen Leute, die ihn trugen, mußten dreimal absetzen, so schwer war [er], wohl wegen der Zinkeinlagen. Wer war es noch, der mir sagte, Bleisarg bedeute Angst vor dem Tode? War es Huchel oder Weisenborn?
Las 1924 in meiner Hungerzeit zuerst etwas von Jahnn, "Richard III.", den Justus Ritter mir geliehen hatte. Lernte Jahnn zuerst 1927 auf einem Atelierfest kennen, auch Ringelnatz war da.
..... Ging zwei Stunden ganz allein und langsam durch die Innenstadt, eine Wohltat. Auf der Mönckebergstraße memorierte ich die Grabrede...... Italiaander und ich hatten bis zuletzt, bis der Sarg in die Gruft hinabgelassen war, Angst, daß irgendein ganz unvorhersehbarer, lächerlicher Zwischenfall eintreten könnte, wie das bei Jahnn immer passierte.
Jörg Joost hat mir gesagt, dass es noch eine Schilderung der Beerdigung gäbe, die viel treffender sei. Die fände man bei Peter Rühmkorf, allerdings würde er dort leider nicht erwähnt. Habe ich auch gleich bei Rühmkorff gefunden: Wir nachgeborenen Leidtragenden mußten alle drei Schritt lang ins Knie gehen, Huchel im unfreiwilligen Gleichtakt mit Nossack und ich neben Yngve Trede, und die Berufsträger kommandierten im Chor ,Uuunnnd allzamrn aaaabl — Uuuund aufl', und der ganze Friedhof mit seinen ernsthaften Lebensbäumen und Ligusterhecken schudderte vom unterdrückten Lachen.
P.S. Dieser Post erfordert ein Postscriptum, es ist eine Mail von dem oben im Text erwähnten Friedhard Radam, die ich im Original wiedergeben möchte: Lieber Jay! Genau genommen war ich nicht bei Jahnn zu Gast, jedenfalls nicht in seinem Hause. Dort trafen wir uns nur kurz, um dann eine Tour - wohin zu beginnen? Durch Hamburgs Transvestitenlokale. Bevor er ihn dann am Abend in die Straßenbahn setzte, meinte Jahnn zu dem offensichtlich etwas irritierten F.R.: "Sie werden sich sicherlich wundern, warum ich Ihnen das alles gezeigt habe. Ich habe es getan, damit Sie dort nie wieder hingehen." Das waren ungefähr dieselben Worte, mit denen mir einst mein Vater die Herbertstraße gezeigt hatte...
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