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Freitag, 9. Januar 2015

Invasion


Im Jahre 1801 schreibt ein gewisser John Jervis an das Board of Admiralty: I do not say, my Lords, that the French will not come. I say only they will not come by sea. Das ist nun sicher sehr witzig. Wie sollten die Franzosen denn sonst nach England kommen? Er wird recht behalten. Vom Jahr 1066 mal abgesehen, haben es die Franzosen nie geschafft, England zu erobern. Der Sitzungssaal des Board of Admiralty sieht heute übrigens immer noch so aus wie auf dem kolorierten Stich vom Anfang des 19. Jahrhunderts.

Der Satz I do not say, my Lords, that the French will not come. I say only they will not come by sea war nicht so einfach dahingesagt. Es gab in England durchaus eine berechtigte Furcht vor der Invasion. Auch wenn James Gillray das im Jahr 1796 auf die leichte Schulter nimmt, die Gefahr war da. 1798 hatte Napoleon zum ersten Mal eine Armee an der Kanalküste zusammengezogen.

Er wird Jahre später, wenn die Engländer ihn nach St Helena gebracht haben, sagen: Si au lieu de l’expédition d’Egypte, j’eusse fait celle d’Irlande; si de légers dérangements n’avaient mis obstacle à mon entreprise de Boulogne, que pourrait être l’Angleterre aujourd’hui? Que serait le continent, le monde politique? Dabei wäre es doch so leicht gewesen, Que nous soyons maitres du detroit six heures, et nous serons maitres du monde, hatte er 1804 an Admiral Latouche geschrieben. Damals hatte er eine ganze Armee mit dem schönen Namen Armée des côtes de l'Océan in Boulogne versammelt.

Aber die englische Channel Fleet, die John Jervis kommandiert, hat irgendwie etwas gegen diese Idee. Es ist noch nicht Wellington, es sind englische Admiräle, die Napoleon die empfindlichsten Niederlagen bereiten. Admiral Nelson, der ihm bei Abukir die Flotte zerstört hat, den bewundert er. Er besitzt sogar eine Büste von ihm. Nach Trafalgar hält sich die Bewunderung in Grenzen. Dass dieser Admiral Sidney Smith (hier auf dem Bild von John Eckstein) seinen Siegeszug bei Akkon aufgehalten hat, das wird er ihm nie vergeben. Der Weg nach Indien schien doch schon so nahe.

James Gillray hat das mit der Leistung der englischen Admirale in seinem Cartoon aus dem Jahre 1803 schon richtig erkannt. Hier hält der englische König den korsischen Fuchs Napoleon in der Hand (im Hintergrund galoppiert William Pitt herbei) und wirft ihn seinen Hunden zum Fraß vor. Die Hunde haben Namen am Halsband: sie heißen ➱Horatio Nelson, Marquess Cornwallis, Sir Sidney Smith, Lord Alan Gardner und Lord St Vincent. Cornwallis ist dabei, weil er als Lord Lieutenant von Irland gerade die tausend Franzosen unter General Jean Humbert aus Irland verjagt hat.

Es sind diese schönen Fragen, die mit dem Wort wenn beginnen, und in denen das Wort hätte häufig vorkommt, die die Weltgeschichte interessant machen. Napoleon wird nach ➱Waterloo Zeit genug haben, um über diese Fragen nachzudenken. Die Sache mit der Invasion scheint immer noch nicht ganz aus den Köpfen der Engländer zu sein. Auf der Insel macht gerade ein Buch von Jenny Uglow von sich reden, das die Reaktion der Engländer auf die französische Bedrohung untersucht. Es hat den Titel In These Times: Living in Britain Through Napoleon's Wars, 1793-1815. Alle Rezensenten haben es (wie die meisten Bücher der Autorin) lobend besprochen.

Peter Stotdard, der Herausgeber des Times Literary Supplement, zitierte in seiner ➱Besprechung das lange vergessene Theaterstück A Penny for your Song von John Whiting, das Peter Brook 1951 für das Festival of Britain auf die Bühne gebracht hatte. Die Times schrieb damals: He may have fallen into go-as-you-please charade while trying for fantasy, but he has escaped pretentiousness. Mir fällt bei dieser exzentrischen upper class Familie und dem elegisch-poetischen Ton des Stücks aus irgendeinem Grund immer Tom Stoppards Arcadia (das ➱hier einen Post hat) ein.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass ich das Stück (aus dem später noch eine ➱Oper wurde) 1960 gelesen habe. Es war in dem Buch Englische und irische Dramen enthalten, das in der Reihe Theatrum Mundi bei Fischer erschienen war. Da hatte es, die Bibel zitierend, den deutschen Titel Wo wir fröhlich gewesen sind. Ich war von dieser Komödie begeistert. So etwas hätte wir im Schultheater spielen sollen. Aber wir spielten Henry von Heiselers Der junge Parzival, da stand ich mit Bernd Neumann, der später Politiker wurde, auf der Bühne. Das habe ich schon in dem Post ➱Gemäldegalerie erwähnt. Das Stück war definitiv nicht so witzig und so poetisch wie A Penny for your Song, von dem ich einmal eine Inhaltsangabe gebe:

An invasion by Napoleon is expected at any time and Timothy and his brother Lamprett have made preparations for that eventuality. Lady Bellboys has joined the local women’s Amazons and appears in armour. A primitive fire-engine is at the ready. Posters proclaiming ‘Invasion!' are prepared. The members of a local defence organisation are deployed to resist the enemy. Timothy dresses as Napoleon to confuse his troops and is mistaken for Nelson. Lamprett descends into a well in search of a secret tunnel and later appears in a balloon which descends into the garden. A blind wounded soldier accompanied by his guide, a small boy, arrives on his way to see George III to ask him to stop the war. Dorcas, Lamprett’s daughter, falls briefly in love with him. The servant, Humpage, spends the entire play in a tree with a telescope looking for the enemy. 

There is much talk of love. But Napoleon doesn’t arrive and the play ends beautifully as evening falls and the characters discuss cricket. This is a lovely play. Very funny and witty, and very, very gently reminds us of the nonsense and sadness of war and life too, and is wonderfully positive about basic Goodness and things that really matter like Cricket and What Shall We Have For Lunch? Die Franzosen sind nicht gekommen, weder durch einen Tunnel noch mit dem Luftballon. Da redet man am Ende des Tages erst einmal über ➱Cricket. Das ist doch typisch englisch.

Das Theaterstück A Penny for your Song wird leider nicht so häufig gespielt. In der Spielzeit 1954-1955 brachte es Boleslaw Barlog auf die Bühne des Schloßpark Theaters in Berlin. Mit Chariklia Baxevanos; ach, war die damals niedlich. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass sie mal zehn Jahre mit Harald Juhnke zusammengelebt hat. Die Rolle von Dorcas Bellboys, der Tochter von Sir Timothy, wurde bei der Premiere von Virginia McKenna gespielt. Ein von ihr signiertes Programmheft kostet heute bei Amazon 999 Dollar.

Judi Dench, die heute ➱M ist, hat die schöne kleine Rolle der Dorcas Bellboys auch einmal mit der Royal Shakespeare Company gespielt, sie liebte das Stück. Die Illustrated London News schrieb damals über diese Aufführung: Whether you like 'A Penny For A Song' or not must depend entirely upon your reaction to its special spirit of gentle madness, or what Mr. Whiting has called 'the finer lunacies of the English at war'. Für den Herausgeber der Heinemann Ausgabe war die Aldwych production of 1962 a memorable theatrical experience, with all the sparkling fun and stimulating argument closing in unspoken poetry.

John Whiting hat über sein Stück gesagt: 'A Penny for a Song', the second play to be written, the first to be produced, was finished in the summer of 1950. It was written at a time of great personal happiness, and by then it seemed natural that such a feeling should be expressed in a play. I was entirely uncritical of life as I was living it then, and the whole world seemed to be in love. War appeared the greatest absurdity. This is a small play, no more. Es ist, wenn man so will, ein Theaterstück über die Heimatfront. Das war den Zuschauern im Jahre 1951 bewusst, dass das Stück auf den Krieg anspielte. Der Krieg lag erst wenige Jahre zurück. Diesmal waren die Franzosen nicht die Bedrohung Englands gewesen, diesmal waren es die Deutschen.

Englands ➱Home Front ist immer wieder thematisiert worden, die BBC hat eine riesige Materialsammlung angelegt (klicken Sie einmal diese ➱Seite an), und wir finden das Thema natürlich auch in Romanen und Filmen. Die Invasion bleibt den Engländern erspart, Romane wie SS-GB und Fatherland bleiben Utopie. Aber auch das Fernsehen schaute begierig nach diesem Stoff, und so konnte es nicht ausbleiben, dass es eines Tages Dad's Army geben würde. Vielleicht war es der überwältigende Erfolg dieser Serie, der die BBC Jahrzehnte später bewog, eine Krimiserie mit dem Thema der Heimatfront zu verknüpfen.

Als ich den Post ➱Inspector Gently geschrieben hatte, nörgelte ein Freund, dass ich wieder einmal den Detective Chief Superintendent Foyle nicht erwähnt hätte. Das ist richtig, right würde Foyle sagen. Zwar haben hier die Inspektoren ➱Barnaby, ➱Lewis und ➱Poole schon einen Post, zwar gibt es schon einen Post namens ➱Englische Krimiserien, aber DCS Foyle kommt hier noch nicht vor. Der ermittelt nämlich während des Krieges an der Heimatfront, mit Hilfe seiner Fahrerin Sam (gespielt von Honeysuckle Weeds) und seines Sergeanten Paul Milner.

In der vierten Serie gibt es auch eine Folge, die Invasion heißt. Aber damit sind nicht die Deutschen, sondern die Amerikaner gemeint. Die mochte man damals in England nicht so sehr, overpaid, overfed, oversexed and over here, hieß es über sie. Diese Krimiserie (➱hier eine Übersicht über die Folgen) ist gleichzeitig eine Lehrstunde in englischer Geschichte. Es gibt nichts Besseres! Und irgendwann wird es hier auch einen Post zu der Serie Foyle's War. Es gibt die Serie auf DVD, allerdings nur im Originalton (keine Untertitel). Man fragt sich, weshalb die BBC das nicht zustande bringt, so etwas Gutes zu synchronisieren. Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, aus dem sie The Marriage of Figaro (lesen und sehen Sie ➱hier mehr) nicht wieder auf den Markt bringen.

Nein, die Franzosen kommen nicht über den Kanal nach England. Andersherum funktioniert das schon. Wenn den Engländern danach war, die Franzosen kennenzulernen, dann schickten sie Henry V oder den Major Marmaduke Thompson. Und war der König von England nicht auch der König von Frankreich? Erst 1801 hat man diesen Anspruch aufgegeben. Calais war Jahrhunderte lang in englischer Hand. Selbst, als die Franzosen es erobert hatten, war es immer noch ein wenig englisch. Hier wird man Hogarth festnehmen, der dann sein Bild The Gate of Calais or O, the Roast Beef of Old England malt. Hierher wird Beau Brummell vor seinen Gläubigern fliehen. Nein, Frankreich gehört eigentlich den Engländern. Hat nicht Rolls-Royce ein Modell namens Corniche im Programm? Ältere englische Damen sollen schon mal ihre Chauffeure angewiesen haben, mit dem Rolls in Südfrankreich stilecht auf der linken Straßenseite zu fahren.

John Jervis, der den wunderbaren Satz they will not come by sea geprägt hat, hat natürlich etwas mit der See und der Admiralität zu tun. Er ist der First Lord of the Admiralty. Für diese Position braucht man kein Admiral zu sein. Man könnte auch Buchhändler sein wie William Henry Smith. Dann wird man vom Punch karikiert und landet bei Gilbert und Sullivan in der komischen Oper H.M.S. Pinafore. Und darf die schöne ➱Arie I am the monarch of the sea, The ruler of the Queen's Navee, Whose praise Great Britain loudly chants singen. Falls Sie noch nie etwas von den Herren Gilbert und Sullivan gehört haben, dann sollten Sie ➱dies jetzt unbedingt anklicken. Nicht alle Amtsträger, ob sie Admiral waren oder nicht, haben etwas von diesem Amt verstanden.

Dieser Herr schon. Der war zwar nicht bei der Royal Navy, aber eine militärische Karriere hat er durchaus. Und er wird als First Lord die englische Marine modernisieren, wobei er auf den Sachverstand von Admiral John Fisher vertraut. ➱Winston Churchill (dessen Mutter heute Geburtstag hat) ist ein Beweis dafür, dass auch ein Zivilist das Amt sachkundig ausfüllen kann. Was ein Jahrhundert vor ihm der Admiral John Jervis tut. Den hatte man gerade zum Viscount Saint Vincent ernannt, nach der Seeschlacht von St Vincent vier Jahre zuvor. Da war der John Jervis der Sieger gewesen. Und einer seiner Captains hatte in der Schlacht gegen alle Befehle verstoßen. John Jervis sah wohlwollend darüber hinweg. Der junge Captain wurde umgehend Ritter des Bath Ordens und Rear Admiral. Sein Name: ➱Horatio Nelson.

John Jervis ist wahrscheinlich einer der bedeutendsten Admirale der Royal Navy gewesen. Nicht wegen seiner Erfolge zu See. Die waren eher gering: St Vincent was not a great tactician. The battle of St Vincent, the only major battle in which he commanded, though temporarily deflecting a projected Franco-Spanish invasion, was not decisive and gained its fame largely through the nation's relief at the news of a victory during a gloomy period of the war. His importance lies in his being the organizer of victories; the creator of well-equipped, highly efficient fleets; and in training a school of officers as professional, energetic, and devoted to the service as himself. His mind was firm, clear, and decisive. Sagt P. K. Crimmin in seinem ➱Artikel im Oxford Dictionary of National Biography. John Jervis wurde heute vor 280 Jahren geboren, und das wäre sicher einen kleinen Post wert. Aber: es ist, wie es. Dieser ➱Post ist schon heute vor zwei Jahren geschrieben worden (und in dem Post ➱Admiral John Byng kommt Jervis auch schon vor).

Falls Sie noch mehr Admiräle brauchen: am  9. Januar 1860 ist Karl Rudolf Brommy in St. Magnus bei Bremen gestorben. Er war der erste deutsche Admiral der 1848 neu gegründeten Reichsflotte. Für den Marschendichter Hermann Allmers, der auch ein alter 48er Revolutionär war, ist Brommy ein zu Unrecht vergessener Held. Und so sorgt er nach Brommys Tod für ein Ehrenmal, auf dem seine Verse stehen:

Karl Rudolf Brommy ruht in diesem Grabe
Der ersten deutschen Flotte Admiral
Gedenkt des Wackren und gedenkt der Tage,
An schöner Hoffnung reich und bittrer Täuschung.


Er hat nicht nur ein kleines Ehrenmal an einem Weserdeich, er hat natürlich auch einen ➱Post in diesem Blog.

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