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Mittwoch, 4. Februar 2015

die lieben, nie zahlenden Griechen


Vor vielen Jahrzehnten fiel mir unter den Büchern meines Großvaters eine kleine graue Broschüre in die Hand, deren Titel die Frage behandelte, ob man seine Schulden bezahlen müsse. Ich glaube der Verfasser war Heinrich Brüning. Oder war es Stresemann? Ich versuchte den Text zu verstehen, aber ich war damals zehn Jahre alt und wusste nichts von den Finanzproblemen Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg. Heute haben andere diese Probleme. Der neue griechische Finanzminister hat Deutschland an den Zwangskredit von rund 480 Millionen Reichsmark erinnert. Nach Meinung der heutigen deutschen Regierung sind jedoch alle Reparationsforderungen obsolet. Man hält sich da sehr bedeckt.

Ich kann dazu nichts sagen, ich hatte noch nie Schulden. Ich zahle immer gleich. Ich war auch noch nie in Griechenland. Wenn ich es mir recht überlege, war ich auch noch nie beim Griechen. Ich kenne zwar nicht so viele Käsesorten wie Ulrich Wickert, aber ich liebe Käse. Außer griechischem Schafskäse. Ich habe auch noch nie Ouzo getrunken. Ein schottischer Single Malt reicht mir aus. Aber ich hatte gestern sozusagen meinen griechischen Tag. Am frühen Morgen las ich in der Zeitung die Sache mit den griechischen Entschädigungsforderungen. Und da stand der schöne Satz 'Die Reparationsfrage hat ihre Berechtigung verloren', hieß es in einer Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums. Und mit dem Satz war der Artikel leider zu Ende. Wir können uns aber noch gut daran erinnern, dass Herr Pofalla die ➱NSA Affäre mit den Worten Die Vorwürfe sind vom Tisch für beendet erklärte. War sie nicht. Ich glaube, die ganze Sache mit den Reparationsforderungen ist auch noch nicht zu Ende.

Am Nachmittag war ich mit einer hübschen blonden jungen Dame in der Kunsthalle. Wir haben uns die Ausstellung Sterne fallen: Von Boccioni bis Schiele. Der Erste Weltkrieg als Ende europäischer Künstlerwege angeschaut (dieses Bild ist von Albert Weisgerber, der ➱hier einen Post hat, ein Selbstbildnis in Uniform). Meine Begleiterin hat mit ihrem Handy photographiert, wurde aber irgendwann von einer Aufsichtsperson dahingehend belehrt, dass man das nicht dürfe. Ich fragte, ob man mit einer Leica photographieren dürfe. Durfte man auch nicht. Darf man in vielen Museen der Welt, weil die ➱Leica so leise ist. Ich habe vor vielen Jahren mal ➱Günter Grass in der Kunsthalle mit meiner alten Leica photographiert. Der Direktor ➱Jens Christian Jensen hatte nichts dagegen.

Aber heute ist alles anders. Das sei wegen des Copyrights an den Bildern, sagte die Dame von der Aufsicht. Über diese Damen kann ich nichts sagen, sie entsprechen in den meisten Fällen nicht jener Frau, die Joseph von Westphalen im Kapitel Die Museumswärterin seines Buches Zur Phänomenologie des arbeitenden Weibes beschreibt. Das Copyright an Bildern, ja. Das ist das, wofür vor hunderten von Jahren William Hogarth gekämpft hat. Da war der Kampf ja berechtigt. Aber heute? Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerkes? Wo wir in der Bilderflut des Internets ersaufen? Wahrscheinlich ist es deshalb verboten, weil es von diesen Bildern noch keine Bilder gibt.

So als ob es noch keine einzige Aufnahme von einer Opernsängerin gäbe, und man die heimlich aufnimmt. Wie der junge Mann im Film Diva, der verbotenerweise Wilhelmenia Wiggins Fernandez mit einem Tonbandgerät aufnimmt, wenn sie die Arie Ebben? Ne andrò lontana aus Catalanis La Wally singt (klicken Sie ➱hier, und lesen Sie den Post ➱Geier-Wally). Also das Photo von dem Gemälde da oben ist heimlich und verbotenerweise gemacht worden. Ich weiß nicht einmal, wer der Maler und wer der Abgebildete ist.

Die Ausstellung war nicht so großartig. Viele Namen, die die gleiche Zeit verbindet, aber nichts von der Wirklichkeit des Krieges. Leider war die ständige Sammlung für diese Ausstellung so gut wie weggeräumt worden. Durch die Neo Rauchs, Baselitze und Richters komme ich immer schnell durch.

Aber ➱Johan Christian Dahls Hafen von Kopenhagen war glücklicherweise da, und meine Begleiterin entdeckte zu ihrer Begeisterung die Frau, die man einmal für ➱Anna Karenina hielt. Nach der Ausstellung schleifte ich sie in die Antikensammlung. Über die schwarzgrundigen attischen Tonvasen will ich jetzt nichts sagen, das steht schon in dem Post ➱Kurt Denzer. Aber die Abgüsse vom ➱Parthenon mussten unbedingt sein: So do these wonders a most dizzy pain, That mingles Grecian grandeur with the rude Wasting of all time – with a billowy main, A sun, a shadow of a magnitude. Und ich musste natürlich erwähnen, dass ➱Lord Byron, der die bösen Verse gegen ➱Lord Elgin schrieb, mit dem gleichen Schiff nach England zurückkehrte, in dem der griechische Marmor transportiert wurde.

Als ich nach Hause kam, entdeckte ich in den E-Mails noch etwas Griechisches. Mein Freund Ekke Dahle (den Sie noch aus dem ➱Post Pudete, cuniculi kennen) hatte mir eine Mail geschickt, die ein Zitat aus Fontanes Stechlin (der ➱hier einen Post hat) enthielt: Das Beste vom Parthenon sieht man in London und das Beste von Pergamum in Berlin und wäre man nicht so nachsichtig mit den lieben, nie zahlenden Griechen verfahren, so könnte man sich (am Kupfergraben) im Lauf des Vormittags in Mykenä und nachmittags in Olympia ergehen. So steht es im 35. Kapitel von Der Stechlin. Der Herausgeber der Nymphenburger Ausgabe kommentierte das 1954 so: Anspielung auf die Tatsache, daß die griechische Regierung wiederholt die Zinsauszahlung für ihre Auslandsanleihen einstellte. Ich holte meine Ausgabe des Aufbau Verlags aus dem Regal. Wo der immer zuverlässige Gotthard Erler etwas ganz anderes sagte: Anspielung auf den Staatsbankrott des Königsreichs Griechenland (1893).

Übrigens haben die lieben, nie zahlenden Griechen bis zum deutschen Einmarsch 1941 alle vereinbarten Zins- und Tilgungsraten des Staatsbankrotts von 1893 gezahlt. Darüber sollte die deutsche Regierung mal nachdenken.

1 Kommentar:

  1. Das bedeutet ja, liest man den Schluss, dass möglicherweise mit Rückzahlung zu rechnen ist. Von knapp 50 Jahren ist ja gerade auch die Rede. Vielleicht kann man auf einen anschließenden Einmarsch verzichten.

    Ouzo macht Kopfweh und statt griechisch gehe ich lieber asiatisch essen. Oder deutsch. Auch war ich noch nicht in attischen Landen oder rund drum rum. Aber in Zypern. Da hat es mir ausgesprochen gut gefallen.

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