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Samstag, 21. Februar 2015

Keep Calm and Carry On


Im Jahre 1939 druckte das Ministry of Information in England (dessen Aufgabe es war To promote the national case to the public at home and abroad in time of war’ by issuing ‘National Propaganda’ and controlling news and information) Millionen von Plakaten mit dem Spruch Keep Calm and Carry On. Die interessante Schrifttype des Plakats war den Engländern nicht unbekannt, man konnte sie schon seit dem Ersten Weltkrieg in der Londoner U-Bahn sehen. Keep Calm and Carry On ist, wenn man so will, die englische Version von Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.

Aber das Plakat des Grafen von der Schulenburg (das schon den Post ➱Wahlplakate zierte) sah 1806 natürlich etwas anders aus. Die Plakate mit dem Slogan Keep Calm and Carry On wurden nie verteilt. Niemand weiß weshalb. Erst im Jahre 2000 entdeckte man das Plakat wieder, das sich seitdem unglaublich verbreitet hat. Ich beschäftige mich gerade ein wenig mit dieser Zeit, da ich angefangen habe, einen Post über die schöne englische Krimiserie Foyle's War zu schreiben, deren Handlung in der Zeit von 1940 bis 1947 liegt.

Ich hatte das mit DCS Foyle in dem Post ➱Invasion ja schon angedeutet. Wenn man bedenkt, dass die Inspektoren ➱Lewis, ➱Barnaby, ➱Poole und ➱Gently hier längst einen Post haben, ist es wohl angebracht, dass der Detective Chief Superintendent Christopher Foyle endlich auch einen bekommt. Und irgendwann wird es wohl auch noch einen Post für ➱Inspector Morse geben. Für die Liebhaber von roten Jaguars und ➱Richard Wagners Musik. Glücklicherweise hört Morse manchmal auch ➱Mozart.

Keep Calm and Carry On sollte das dritte Plakat in einer Reihe sein, von der schon Freedom Is In Peril. Defend It With All Your Might und Your Courage, Your Cheerfulness, Your Resolution Will Bring Us Victory publiziert worden waren (allerdings in grün und grau und nicht in diesem leuchtenden Rot). Die Regierungspropaganda appelliert jetzt an englische Nationaltugenden, an Ruhe und Gelassenheit. Man konnte ja schlecht Nelsons Aufforderung England expects that every man will do his duty auf die Plakate drucken.

Aber es ist schon dieser Geist der englischen Admiräle, der bei dem Engländer Bewunderung erregt. Wie der Admiral ➱John Jervis, der in der Schlacht von St Vincent feststellt, dass ihm die Spanier haushoch überlegen sind. Und während sein Flaggoffizier noch die Schiffe zählt, sagt er: Enough, sir, no more of that; the die is cast, and if there are fifty sail I will go through them. Es ist diese stiff upper lip, die der Engländer bewundert.

Eine andere berühmte Kampagne, die allerdings nicht vom Ministry of Information sondern vom Kriegsministerium kam, hatte den Titel Your Britain: Fight for it Now. Aus ihr stammen die Bilder in diesen drei Absätzen. Ich habe dies Plakat von ➱Frank Newbould (von dem auch die Bilder oben sind) schon einmal in dem schönen kleinen Post ➱Wolle (in dem der woolsack im englischen Parlament, John Keats, Peter Zadek und die Schafe der ➱Baronin von Stoltzenberg vorkommen) abgebildet.

Frank Newbould brauchte seinen Stil als Illustrator nicht zu ändern, wie man an diesem Werbeplakat für Camping Coaches (so etwas bietet die Deutsche Bahn nicht an) sehen kann. Er war spezialisiert auf sogenannte Travel Posters. Das ist eine Sonderform des Plakats, die in England zwischen den Kriegen eine erstaunliche Form und Vielfalt erreicht. Wenn Sie ➱dies hier anklicken, bekommen Sie davon einen Eindruck davon. Der Stil bleibt bei Newbould (und anderen Graphikern) der gleiche, nur Sujet und Text wechseln.

Aus dem Travel Poster wird das Propagandaplakat. An example of how an inter-war travel poster style was used unchanged during the war to arouse patriotic feelings for an idealised pastoral Britain, defined by the landscape of southern England, heißt es auf der Seite des Imperial War Museums. Und bei dieser Werbung für das Wye Valley hätte man nur The Wye Valley durch eine patriotische Botschaft ersetzen müssen, schon hätte man ein Propagandaplakat gehabt. Es ist ein ländliches, pastorales England, das hier heraufbeschworen wird. Das erste Bild von Newbould oben erinnerte damals natürlich jeden Betrachter an John Constables ➱Salisbury Cathedral, das zweite zeigt ein idealisiertes englisches Dorf im Süden Englands.

Englische Dörfer verbinden wir ja heute dank vieler englischer Krimis eher mit Namen wie Namen wie ➱Mayhem Parva oder ➱Midsomer. Und da wird gemordet. Mit einer murder rate that would shame the Bronx, wie eine Bloggerin im Guardian schrieb. Das dritte Plakat von Newbould zeigt eine idyllische Landschaft in den South Downs. Die Schafe dürfen natürlich nicht fehlen, die Wolle hat einst England reich gemacht. Dieses Plakat von Charles H. Baker für die London Midland & Scottish Railway könnte ebenso von Frank Newbould sein. Es zeigt, dass die ➱Moderne jetzt nach England gekommen ist.

Nicht alle Poster der ➱Kampagnen der verschiedenen Ministerien präsentieren ein friedliches England, in manche - wie hier bei diesem von Norman Wilkinson (der schon im Ersten Weltkrieg die dazzle camouflage für die Royal Navy erfand) dringt die Wirklichkeit des Krieges in den Alltag ein. Wenn Sie sich einmal die Schrifttype auf dem Plakat genauer ansehen, werden Sie sehen, dass es auf diesen Plakaten beinahe immer die gleiche Schrifttype (wie auch bei Keep Calm and Carry On) ist. Sie wird Edward Johnston und Eric Gill zugeschrieben. Zu Eric Gill sage ich nichts. Weshalb nicht, können Sie in dem Post ➱Alfred Wallis lesen.

Zu den Plakaten und der neuen englischen Moderne zwischen den Kriegen findet man viel in dem informativen Katalog Thirties: British art and design before the war aus dem Jahre 1979. Und ja, Eric Gill ist da auch drin. Es gibt in der Kampagne Your Britain: Fight for it Now auch Plakate, die Hoffnung machen sollen. Auf diesem Plakat von Abram Games (der official war artist war und über hundert Poster kreierte) für das Army Bureau of Current Affairs aus dem Jahre 1942 kann man hinter den vom Bomben zerstören Mauern schon schemenhaft den neuen Wohlfahrtsstaat wachsen sehen.

England gewinnt zwar den Krieg, aber es wird lange dauern, bis der Premierminister Harold Macmillan den berühmten Satz you've never had it so good sagen kann. Wenn man sich die Travel Posters (hier noch einmal Frank Newbould) der dreißiger Jahre anschaut und die Bilder in dem Buch von ➱Timothy Wilcox Day in the Sun: Outdoor Pursuits in the Art of the 1930s betrachtet, gewinnt man den Eindruck, dass diese Zeit für die Engländer ein einziges Freizeitvergnügen gewesen ist.

Doch die meisten Engländer werden die Welt wohl nicht in den schönen bunten Farben gesehen haben, wie sie auf dem Travel Poster erscheinen. Für viele bedeutet ein Urlaub nur einen Aufenthalt in einem ➱Butlins Camp oder einen Trip an die Südküste Englands. Oder eine Erfrischung am Strand von Blackpool. Beachten Sie bitte die Form der Teekanne bei diesem Verkaufswagen aus den dreißiger Jahren. Da sieht der Strand von Clacton-on-Sea auf Newboulds Plakat sehr viel eindrucksvoller aus.

Allerdings ist an dem Gedanken einer gewissen Vergnügungssucht der Engländer in den dreißiger Jahren etwas Wahres daran. Man will die Schrecken (und die Toten) des Ersten Weltkriegs vergessen, das Edwardianische Zeitalter, das für Engländer eine Art golden age gewesen ist - und es in Filmen und Romanen häufig noch ist, man denke an Filme wie A Room with a View und ➱The Go-Between - ist zu Ende. Never such innocence again, heißt die letzte Zeile in ➱Philip Larkins ➱Gedicht, das den Titel MCMXIV trägt.

In ihrem 1940 erschienenen Buch The Long Week-End haben Robert Graves und Alan Hodge die Zeit genauer untersucht, allerdings ohne 1940 schon einen historischen Abstand haben zu können. Dennoch bleibt diese Social History of Great Britain 1918-1939 eins der besten Bücher über diese Zeit. Robert Graves hat ➱hier schon einen Post, und zu Alan Hodge sollte man noch sagen, dass er der Ghostwriter für ➱Churchills History of the English Speaking Peoples war. Ohne Hodge hätte Churchill seinen Literaturnobelpreis wohl nicht bekommen.

Wir haben glücklicherweise keinen Krieg mehr, aber die Ruhe und die Gelassenheit, die kann man immer gebrauchen. Von Keep Calm and Carry On gibt es mittlerweile tausenderlei Produkte (man kann es auch als Äpp kaufen). Einen Teebecher mit der Aufschrift Keep Calm and Carry On besitze ich schon lange. Der wird aber nie gebraucht, er steht dekorativ neben einer signierten Autogrammkarte von ➱Jean-Louis Trintignant auf dem Kasten mit Bachs ➱Cellosuiten. Von dem Spruch Keep Calm and Carry On hat es inzwischen auch schon eine Vielzahl von Varianten gegeben. Eine ganz besondere bekam ich vorgestern zugeschickt, die musste natürlich sofort veröffentlicht werden. Damit Sie immer wissen, wenn Sie in eine Krise oder eine leichte Verzweiflung geraten, was Sie tun sollen: Keep Calm and Read Silvae. Teebecher und T-Shirts sind leider noch nicht lieferbar. Ich melde mich, wenn das soweit ist.

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