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Freitag, 20. März 2015

SoFi


Der nette Mann mit der Baskenmütze zwei Stockwerke über mir ist selten zu Hause. Das liegt daran, dass er in Frankreich arbeitet. Er ist Astronom am Observatoire de Strasbourg. Aber als ich ihn letztens sah, da fragte ich ihn, wie das denn mit der Sonnenfinsternis im März sei. Nichts Besonderes sagte er, aber es ist die letzte für lange Zeit, die man in Norddeutschland sehen kann. Und fügte noch an, dass man das Ganze am besten in Spitzbergen sehen könnte. Er hat mir auch eine Internetadresse zum Thema Sonnenfinsternis gegeben, die ich aber leider gleich vergessen habe. Sonne, Mond und Sterne und alle himmlischen Bewegungen sind nicht so mein Ding, aber ich glaube, es war diese ➱Seite, die er meinte.

Mein schöner alter Movado Celestograf (der schon in dem Post ➱Vollmond erwähnt wurde) sieht so aus wie dieser. Hat aber rote Zeiger und hat dann natürlich auch ein rotes Armband, was hervoragend zum dem Rotgold Gehäuse passt. Er zeigt mir den Mond an, nicht die Sonne. Eine Sonnenfinsternis schon gar nicht. Es gibt allerdings Uhren, die die Sonne anzeigen, aber für die ist die Sonnenfinsternis sehr schlecht. Ich meine damit die Sonnenuhren. Immer vor einer Sonnenfinsternis melden sich Panikmacher zu Wort. Da wird dann wieder die Apostelgeschichte zitiert: die Sonne soll sich verkehren in Finsternis und der Mond in Blut, ehe denn der große und offenbare Tag des Herrn kommt.

Wie ich unser Wetter kenne, wird der Himmel voller Wolken sein, und es wird regnen. Hoffentlich keine Frösche. Hier oben an der Ostsee ist gerade Nebelsuppe. In Mark Twains Roman A Connecticut Yankee in King Arthur's Court sagt unser Yankee auf dem Scheiterhaufen, dass er die Sonne verdunkeln wird. Damit beeindruckt er den Hof von Camelot und ist ein größerer Zauberer als Merlin. Mark Twain hat diese Szene übrigens bei Sir Rider Haggard geklaut (lesen Sie ➱hier mehr). Heute braucht man kein Zauberer zu sein, um eine Sonnenfinsternis vorauszusagen. Spätestens, seit Christian Ludwig Gerling seine ➱Doktorarbeit Methodi projectionis orthographicae usum ad calculos parallacticos facilitandos. Explicavit simulque eclipsin solarem in Göttingen eingereicht hat, kann das die Wissenschaft.

Aber wie wäre es, wenn es ganz dunkel bliebe? Im Jahre 1617 ließ der Universalgelehrte Robert Fludd in sein Buch Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris metaphysica, physica atque technica historia diese Seite drucken. Et sic in infinitum steht dabei. Ist das der Beginn der modernen ➱Kunst? Zitiert Laurence Sterne das in seinem ➱Roman Tristram Shandy, wenn er (beim Tod von Yorick) eine schwarze ➱Seite in den Roman druckt? So sieht also die Unendlichkeit aus. Wir wissen nicht so viel über die Unendlichkeit. Albert Einstein hat uns versichert: Two things are infinite: the universe and human stupidity; and I'm not sure about the the universe.

Wir staunen immer wieder über die Erscheinungen am Himmel, so wie Burt Lancaster in Local Hero (wir staunen natürlich auch darüber, wie ➱Chris Menges diese Telephonzelle photographiert hat). Vorgestern brauchte man nicht nach Schottland, um das Polarlicht zu sehen, das gab es überall zu sehen.

Mir gefällt der Sternenregen im August (der Höhepunkt der Tätigkeit der Perseiden wird in diesem Jahr voraussichtlich in der Nacht des 12. August liegen, merken Sie sich das schon einmal vor), aber ich käme nicht auf die Idee, wie ➱Immanuel Kant zu sagen: Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt, oder im überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreise, suchen und bloß vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz.

Mir gefällt da der Kunsthistoriker Erwin Panofsky besser, der in Princeton nach einem Abend voller hitziger Diskussion mit Ernst Kantorowicz über des Menschen eingeborenen Sinn für das Erhabene nicht so recht begeistert war. Kantorowicz hatte ihm zum Abschied gesagt: Wenn ich zu den Sternen aufblicke, empfinde ich meine eigene Sinnlosigkeit. Worauf Panofsky antwortete: Alles was ich empfinde, ist die Sinnlosigkeit der Sterne.

Am 23. Juni 1797 schreibt Friedrich Schiller aus Jena an Goethe: Ihr Entschluß an den Faust zu gehen ist mir in der That überraschend, besonders jetzt, da Sie sich zu einer Reise nach Italien gürten. Aber ich hab’ es einmal für immer aufgegeben, Sie mit der gewöhnlichen Logik zu messen, und bin also im Voraus überzeugt, daß Ihr Genius sich vollkommen gut aus der Sache ziehen wird. Einen Tag später (die Post ist schnell in jenen Tagen) antwortet ihm Goethe aus Weimar: Dank für Ihre ersten Worte über den wieder auflebenden Faust. Wir werden wohl in der Ansicht dieses Werkes nicht variiren, doch giebt’s gleich einen ganz andern Muth zur Arbeit, wenn man seine Gedanken und Vorsätze auch von außen bezeichnet sieht, und Ihre Theilnahme ist in mehr als Einem Sinne fruchtbar.

Der 24. Juni ist in Weimar ein Tag mit trübem, bedecktem Himmel. Da ist unser Goethe also wieder dabei, an seinem Faust zu schreiben. Und er schreibt an einem Tag diese autobiographische Zueignung:

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?
Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,
Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.

Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,
Und manche liebe Schatten steigen auf;
Gleich einer alten, halbverklungnen Sage
Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf;
Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,
Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden
Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.

Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
Die Seelen, denen ich die ersten sang;
Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
Verklungen, ach! der erste Widerklang.
Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,
Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,
Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.

Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
Es schwebet nun in unbestimmten Tönen
Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,
Ein Schauer faßt mich, Träne folgt den Tränen,
Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich;
Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,
Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.


Warum erzähle ich das? Weil der 24. Juni des Jahres 1797 ein ganz besonderer Tag war, da war nämlich Sonnenfinsternis. Da nahen sich dann auch schon einmal wieder diese schwankende Gestalten... aus Dunst und Nebel der Vergangenheit. Er vergisst es aber nicht, die Sonnenfinsternis (über die er leider kein weiteres Wort verliert) in sein Tagebuch einzutragen: Zueignung an Faust. Mit Geh. Rath Schmidt im Schlosse. Nachmittag weiter an Faust. Sonnenfinsterniß.


Lesen Sie auch: ➱Vollmond, ➱Himmel, ➱Adam Elsheimer, ➱Observatorium, ➱Abschiedsgeschenk, ➱Die Harmonie der Welt, ➱Vulkane,  ➱Zeiss.

1 Kommentar:

  1. Welch großartiger Zusammenhang. Die Zueignung an einem 20. März, nur weil da eine "Sonnenfinsterniß" stattfand. Es gibt doch immer was, für das der alte G. herhalten muss. Aber, mir gefällt das außerordentlich. Mit leider seltener gewordenen Grüßen und dem Vorsatz, diesen Blog wieder öfter zu besuchen.

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