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Samstag, 18. Juli 2015

Harry Crews


Ich setze heute einmal das in die Tat um, was ich in dem Post ➱Harper Lee avisiert habe: eine kleine Zahl von Autoren des amerikanischen Südens vorzustellen. Ich fange mit Harry Crews an, weil er wohl der Unbekannteste der vor Tagen hier genannten Autoren ist. Der Kultstatus, den er in Amerika genoss, hat sich noch nicht bis hier herumgesprochen. Als er vor drei Jahren starb, schien Margalit Fox von der New York Times (die berühmt für ihre Nachrufe von Schriftstellerm ist) sehr von Crews' Stil beeinflusst: Harry Crews, whose novels out-Gothic Southern Gothic by conjuring a world of hard-drinking, punch-throwing, snake-oil-selling characters whose physical, mental, social and sexual deviations render them somehow entirely normal and eminently sympathetic, died on Wednesday at his home in Gainesville, Fla. He was 76.

Während ➱Cormac McCarthy weltweit gelesen wird, kennt Crews hierzulande kaum jemand. Und das ist schade, denn A Feast of Snakes ist wahrscheinlich einer der besten Romane der amerikanischen Nachkriegsliteratur. Es ist ein Roman, der alles enthält, was die Südstaatenliteratur ausmacht, zum Beispiel die schon von Margalit Fox angesprochene Southern Gothic, ein Thema, das Flannery O'Connor (die auf diesem Photo definitiv nicht nach Southern Gothic aussieht) in ihren Romanen immer wieder behandelte. Wenn Sie einen Eindruck von der Welt von O'Connor haben wollen, dann schauen Sie doch ➱hier einmal in John Hustons Verfilmung von Wise Blood.

Harry Crews ist im Gegensatz zu Flannery O'Connor kein gläubiger Katholik gewesen. Und doch kann man Ähnlichkeiten zwischen ihm und Flannery O'Connor (die er übrigens sehr schätzte) finden. Auch seine Romanfiguren suchen auf ihre Art nach Gott. Selbst wenn das manchmal so aussieht wie das dem Roman The Gospel Singer vorangestellte Zitat: Men to whom God is dead worship one another. Für Crews, den ein Kritiker einmal als Flannery O'Connor on steroids bezeichnete, erscheint die Welt eher so: Hell came right along with God, hand in hand. The stink of sulfur swirled in the air of the church, fire burned in the aisles, and brimstone rained out of the rafters. From the evangelist’s oven mouth spewed images of a place with pitchforks, and devils, and lakes of fire that burned forever. God had fixed a place like that because he loved us so much. 

Das steht in A Childhood: The Biography of a Place, in einem Interview hat er 1972 gesagt: I fear my world view is a terribly black, awful one. I have only one thing to say to people. As soon as something pleasant and cheerful and confectionery occurs to me, I’ll write about it; but I can only write about whatever comes. And what has come so far has been a kind of blackness.

Dies Buch über die Literatur des Südens hat den Titel To Live in the South One Has To Be a Scar Lover. Es passt sehr schön zu Crews, der in seiner Autobiographie schrieb: I first became fascinated with the Sears catalogue because all the people in its pages were perfect. Nearly everybody I knew had something missing, a finger cut off, a toe split, an ear half-chewed away, an eye clouded with blindness from a glancing fence staple. And if they didn't have something missing, they were carrying scars from barbed wire, or knives, or fishhooks. But the people in the catalogue had no such hurts. They were not only whole, had all their arms and legs and eyes on their unscarred bodies, but they were also beautiful. Und er hat auch einen Roman geschrieben, der Scar Lover heißt. Das bringt mich zum nächsten Punkt der Elemente, die der Literatur des Südens eigentümlich sind.

Verbunden mit dem Thema der Southern Gothic enthalten Romane aus dem Süden häufig Gewaltdarstellungen. Die auch symbolische Aktionen sein können: wie Lancelot Lamar in Walker Percys Lancelot, der seine Plantage abbrennt. Flannery O'Connors Erzählungen könnten wiederum als Beispiele dienen, wo Hazel Motes seine Augen mit ungelöschtem Kalk verätzt. Oder James Dickeys Roman Deliverance (die Duelling Banjos aus der Verfilmung kennen Sie bestimmt). Viele Autoren bemühen sich - und das ist ein weiterer Punkt, der die Southeners verbindet - um eine präzise Wiedergabe der gesprochenen Sprache, sozusagen eine Art von linguistischer local color. Und dann - und damit bin ich bei dem letzten Punkt - enthalten beinahe alle Romane eine poetische Beschreibung des Ortes und der Atmosphäre, sense of place ist das Wort, das Literaturwissenschaftler gerne hierfür verwenden. All diese Elemente können in den Romanen mehr oder weniger stark ausgeprägt sein, das Element des sense of place findet sich bei Crews immer.

Es ist wohl kein Zufall, dass das Wort place auch im Titel der Beschreibung der Kindheit von Crews, A Childhood: The Biography of a Place, vorkommt. Und sein erster Roman The Gospel Singer beginnt mit: Enigma, Georgia was a dead end. The courthouse had been built square in the middle of highway 229 where it stopped abruptly on the edge of Big Harrikan Swamp like a cut ribbon. Mehr geht in einem Satz nicht.

The Gospel Singer, Harry Crews' first novel, appeared in 1968, and began ominously, "Enigma, Georgia was a dead end." It is a drumbeat which characterizes place, atmosphere, and character in each of his seven novels. But Crews does not write gothic melodramas and he is no puppeteer of magnolia trappings or drivelling sentiment. What he writes seems hopeless, seems vile, seems unrelentingly terrifying. It is important to keep "seems" in mind. Und der Harrikan Swamp kommt natürlich auch in der Autobiographie vor: The Forks of the Hurricane was where two wide creeks rose in Big Hurricane Swamp and flowed out across the county, one creek called Little Hurricane and the other Big Hurricane. I was a grown man before I realized that the word we were saying was hurricane because it was universally pronounced harrikin.

A Feast of Snakes enthält alles, was die Südstaatenliteratur kennzeichnet: Southern Gothic, violence und sense of place. Und das in einem Stil, der lakonisch und tough ist. Joseph Heller, der Autor von Catch 22 hat über den Roman another fine, extraordinary novel, and it is weird, funnny and starkly powerful gesagt. Man kann kaum mehr sagen. Gewalttätig, von einem Ton der Verzweiflung getragen und doch hochpoetisch. Wenn man glaubt, dass Hemingway tough schreibt, dann sollte man dieses Portrait der gesellschaftlichen Unterschicht in Georgia lesen. Gegen den Ex-Marine Harry Crews, der im Korea Krieg kämpfte, ist Hemingway ein Weichei. Dieser Roman gehört unbedingt zu den Top Ten der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts.

Ich nehme das mal für die Dauer der Klausur an michSie wollen doch ihren Nachbarn nicht von der Arbeit abhalten, sagte ich zu dem Studenten, der einen Playboy auf seinem Tisch liegen hatte. Normalerweise bringen die Teddybären mit, er hatte einen Playboy. Den ich erst einmal konfiszierte. Ein Playboy im Englischen Seminar war nicht unbedingt etwas Außergewöhnliches, das Tennessee Williams Interview, das der Dramatiker diesem Magazin 1973 gegeben hatte, stand auf der Leseliste des Tennessee Williams Hauptseminars.

Damals hatte ein jüngerer Wissenschaftler den Vorschlag gemacht, dass die Universitätsbibliothek den Playboy abonnieren sollte. Weil der nicht nur diese silikongefüllten Marzipanschweinchen enthielt, sondern weil das Magazin für die amerikanische Kultur und Literatur wichtig war. Gut, das sagte damals jeder, der den Playboy kaufte, aber es stimmt schon. Ich habe diese Geschichte schon in den Post ➱Playboy hinein geschrieben. Aber wir können an dieser Stelle natürlich auch einen kleinen kunsthistorischen Exkurs machen. Und dafür beginnen wir mit diesem Schnuckelchen, das Cindy Woods heißt und 1974 Playmate of the Month war.

Für die obige Ausgabe des Playboy hatte sie sich ein wenig verwandelt, sie wird von einem leichten luftigen Kleid umhüllt. Das muss natürlich weiß sein, die Farbe der Unschuld. Was hier ikonographisch fehlt - und das muss man wirklich bemängeln - ist das Fehlen des roten Gürtels oder einer roten Schärpe, wie sie diese mit einem Schwert bewaffnete Lady Liberty trägt, die ein wenig älter ist. Solche Lady Liberty Postkarten waren um 1900 die ganz große Mode (und wir finden dort auch ➱Beispiele, an denen sich das Kleid von Cindy Woods orientiert). Und ich brauche wohl nicht zu sagen, dass kunsthistorisch häufig die Vorlage für all diese Damen das ➱Bild La liberté guidant le peuple von Delacroix ist. Obgleich die Dame schon ein wenig älter ist, wie das Bild von ➱Abijah Canfield aus dem Jahre 1800 zeigt (ich glaube ich schreibe demnächst einmal über die Liberty Girls).

Dass der Playboy für die amerikanische Literatur wichtig war, wurde mir während der Klausur erneut vor Augen geführt. Denn dies Heft enthielt einen Vorabdruck von Harry Crews’ A Feast of Snakes. Ich habe den Teil, der da abgedruckt war, während der Klausur mit wachsender Faszination gelesen. Auf die Studis achtete ich nicht mehr, sollten sie doch schummeln. Tun sie sowieso, sonst sind sie nicht glücklich. Ich notierte mir Autor und Titel und gab dem Studenten am Ende der Klausur natürlich seinen Playboy zurück. Das Titelblatt des Playboy mit Cindy Woods als moderne Variante der Miss Liberty in der Juli Ausgabe 1976 feierte die Revolution von 1776. Harry Crews’ A Feast of Snakes war allerdings eine sehr, sehr seltsame Festgabe.

Ich bestellte mir umgehend das Buch. Das dauerte vor Jahrzehnten etwas länger, die Segnungen mit dem einen Klick bei Amazon etc gab es noch nicht. Ich schrieb Nolan E. Smith in Amerika einen Brief. Mir erzählte ein Professor aus Österreich bei der ➱Elmer Kelton Konferenz, dass er einen Geheimtip für mich hätte, einen Buchhändler in Amerika, der beinahe jedes Buch finden würde. Ich fragte nur: Nolan E. Smith? Und das war die richtige Antwort. Nolan war seit Jahren schon unser amerikanischer Buchhändler. Er war einzigartig. Ein gebildeter Mann, der einen BA von der Wesleyan University Ohio, einen MA von Toronto und post-gradute studies von Yale vorweisen konnte. Ich glaube, er hatte sogar einen PhD, aber er verwendete seine Titel in der Korrespondenz nie. Er spielte in einer Dixieland Band, aber das Wort ➱Zickenjazz habe ich in unserer Korrespondenz nie gebraucht. Obgleich er darüber gelacht hätte, er besaß viel Humor.

Die Yale University war nicht weit von seinem Buchladen in Hamden entfernt, und deren Bibliothek und Kataloge nutzte er immer. Bei ihm jobbten auch Studenten von Yale, die er damit beschäftigte, dass sie Paperbacks durch aufgekleben steifen Karton in Hardcover verwandelten. Bibliotheken waren für diesen Service dankbar; die belieferte er weltweit, sein Hauptkunde war aber seine Heimatuniversität Ohio. Nolan E Smith, der schon in dem Post ➱Antiquariat erwähnt wird, ist 2009 im Alter von 76 Jahren gestorben (so alt wurde auch Harry Crews). Ich finde es schön, dass sich auf ➱diesen Seiten würdige Nachrufe für diesen außergewöhnlichen scholar bookseller finden. Es ist schade, dass Menschen wie er so wenige Spuren im Internet hinterlassen, es erinnert uns daran, dass es ein wirkliches Leben mit wirklichen Menschen außerhalb des Internets gibt. Sein Haus in der Bishop Street in New Haven steht zum Verkauf, dies ist ein Blick aus seinem Wohnzimmer.

Ich habe im American Scholar vom April des Jahres eine schöne Besprechung von Harry Crews’ A Feast of Snakes gefunden. Sie hat den Titel A book of radical sadness, geschrieben von einer jungen Frau aus Georgia, dem Staat, aus dem auch Crews kam. Sie heißt Hannah Pittard und ist eine vielversprechende Romanautorin. Das merkt man dem Text an: Harry Crews’s A Feast of Snakes has been a pivotal book for me as both reader and writer. I grew up in the South and I grew up on southern literature, and before encountering Crews, I’d been unable to see past the charms of Faulkner. I’d been unable, in fact, to see past the charms of just about anything written after the 1950s and ’60s. Late 20th-century fiction didn’t resonate. Not until Feast of Snakes—and then every Crews book I could get my hands on (most are, or were, out of print)—was I able to appreciate stories that addressed the world I was living in. (The irony is not lost on me that it took a book written in the ’70s for me to begin to understand and be open to writing that was taking place in the ’90s.)

I don’t think about Crews every day, or even every week, but I think of him and this particular novel often. From Crews I learned the difference between pornography for pornography’s sake (the bad kind, as John Gardner would have it) and sex and grit for the sake of art and honesty. As I write this, it occurs to me that it’s because of Crews that I am not a total prig.
     Last summer, after years of trying, I finally convinced my husband to read Snakes. He’d been resistant in the way that anyone might be to someone who is overly enthusiastic. He acquiesced, I suspect, in part because of a discovery we made when he took the book down from our shelves: in 1976, along with Joseph Heller and Norman Mailer, Douglas Day (my husband’s grandfather) blurbed the novel, referring to Crews’s work as “a kind of radical sadness.” This strikes me as profoundly correct.
     Here’s how good the book is: for three days I watched my husband read it, and for three days I watched him agonize over its story—a thrilling experience that reminded me of my own introduction to the book and that filled me with no small amount of envy. There were times when he’d put it down, walk away, say, “I can’t. It’s too much,” only to return to it five minutes later. “I have to,” he’d say. “I have to.”
     And that’s just it. To anyone who hasn’t, you have to; you have to read this book. Utterly devastating in its honesty and intensity, it’s about as good as fiction gets.

Besser kann man es eigentlich nicht sagen. Wenn Sie eine Stilprobe aus dem Roman haben wollen, bitte sehr. Ich zitiere einmal den Anfang des Romans:

She felt the snake between her breasts, felt him there, and loved him there, coiled, the deep tumescent S held rigid, ready to strike. She loved the way the snake looked sewn onto her V-neck letter sweater, his hard diamondback pattern shining in the sun. It was unseasonably hot, almost sixty degrees, for early November in Mystic, Georgia, and she could smell the light musk of her own sweat. She liked the sweat, liked the way it felt, slick as oil, in all the joints of her body, her bones, in the firm sliding muscles, tensed and locked now, ready to spring--to strike--when the band behind her fired up the school song: "Fight On Deadly Rattlers of Old Mystic High."

Auf seinem Arm kann man lesen: How do you like your blueeyed boy Mister Death? Crew wusste am nächsten Morgen nicht, wie das in der Nacht dahin gekommen war. Es ist ein Zitat von e.e.cummings, das Gedicht steht hier schon in dem Post ➱Buffalo Bill. Harry Crews ist ein Marine, ein Boxer, ein Rausschmeißer und ein Säufer gewesen. Er hat aber auch einen BA und einen MA und war Professor für Creative Writing an der University of Florida. Dreißig Jahre lang, die Studenten waren von ihm begeistert. Wahrscheinlich durften die auch alle einen Playboy zu Klausuren mitbringen, Crews hat ja häufig für das Magazin geschrieben. Seine eigenen Romane las er nicht: If you’re crazy enough to read yourself, and almost no writer reads his own novel once he finishes it. He never looks at it again. I’ve never read a novel of mine, a whole novel that I did, after it’s published. Never. Why would you?

Er hat das, was ihm beim Schreiben wichtig war, ganz klar formuliert: The writer's job is to get naked, to hide nothing, to look away from nothing, to look at it, to not blink, to not be embarrassed by it or ashamed by it. Just strip it down, and let's get down to where the blood is, the bone is, instead of hiding it with clothes and all kinds of other stuff. Luxury. About two weeks ago, three weeks ago, I threw away half a novel. Threw it away. Because I'd made a wrong turn, and man, you make a wrong turn and you just keep on that wrong turn and pretty soon you've got that much stuff that won't work. 

The amateur, or the coward, or the non-writer, will try to keep it and make it work 'cause he doesn't want to have to throw it away and do all of that over again, another way. The real artist, with no tear in his eye and no sadness in his heart, puts the pages in the fire, and does it again. Oder ähnlich an anderer Stelle (es ist erstaunlich, wie viele Interviews er gegeben hat): Being a fiction writer is a good way to go crazy, it’s a good way to be a nervous wreck, it’s a good way to become a drunk. You continually pick at yourself, the little sores that you have. They scab over and you pick them open again. Other people not only let them scab over, they let them scar over. They leave it alone. Writers don’t do that. They can’t keep their fingers out of the sore. They’ve got to keep it bleeding. And it’s off that blood that they make their stuff.

Crews, to my knowledge, is absolutely unique among Southern writers in that he writes about life from the perspective of the poor white. He writes from within the class, not by observing it from without, the traditional perspective of white Southern writers, sagte Frank W. Shelton im Jahre 1988. Faulkner schrieb auch über die poor white, aber er gehörte nicht zu ihnen. Crewe hat William Faulkner geschätzt, ihn aber auch kritisch genug gesehen, um seine eigene Position zu finden: Faulkner’s rhetoric is the sea around us whose depth more than one of us has drowned. He is such an overwhelming talent that he has damaged a whole generation of writers, because they all come along and try to be Faulkner and to write about the stuff that to him was a blood-and-bone issue and to them only a kind of romantic nonsense. You see, you can’t fake any of this in art.


Empfohlene Bücher: A Feast of Snakes, A Childhood: The Biography of a Place, Getting Naked with Harry Crews: Interviews. Und ➱hier habe ich noch ein langes Interview.

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