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Donnerstag, 13. August 2015

Bauarbeiten


Am 13. August 1961 begann der Bau der Berliner Mauer, obgleich ja niemand die Absicht hatte, eine Mauer zu errichten. Jetzt wird die Teilung der Stadt zementiert. Irgendjemand muss den Satz Good fences make good neighbors aus Robert Frosts Gedicht Mending Wall falsch verstanden haben, denn in dem Gedicht steht auch Something there is that doesn't love a wall. Ich war damals in dieser Augustwoche in Berlin. Allerdings ohne ➱Photoapparat. Doch was man gesehen hat, vergisst man nicht, diese Bilder sind gespeichert. Mein Gedächtnis lebt von Bildern.

Und außerdem war ich mit meiner neuen Freundin in Berlin und musste ihr die Stadt zeigen, da kommt man nicht zum photographieren. Wenn man achtzehn ist und mit einer schönen jungen Frau in einer Großstadt ist, dann interessiert einen die Weltpolitik um einen herum nicht so sehr. Die wunderbare kleine (vielleicht nicht ganz unpolitische) Geschichte aus dem August 1961, wie ich Traute die Alte Nationalgalerie zeige, habe ich schon in dem Post ➱Franz Krüger hinein geschrieben. Während wir uns Berlin (Ost und West erobern), wird überall die Mauer gebaut, an manchen Stellen wechseln in den ersten Tagen Menschen noch durch die Bauarbeiten von Ost nach West und West nach Ost. Auch das gibt es, die Mauer wird nicht an einem Tag fertig, und Berlin ist groß. In der Berichterstattung ist dann eines Tages alles reduziert auf den Tod von Peter Fechter, die Bernauer Straße und die Panzer am Checkpoint Charlie.

Im Oktober war ich wieder in Berlin, da war die Mauer schon fast fertig. Diesmal war ich mit unserer ➱Malgruppe aus dem Jugendheim Alt-Aumund unterwegs. Alle von der Gruppe haben später Kunst studiert und sind Kunstprofessoren wie der ➱Uwe oder Kunsterzieher geworden, nur ich nicht. Aber immerhin habe ich Kunstgeschichte studiert. Ich nutzte damals jede Möglichkeit, um in die geteilte Stadt zu kommen. Diese einwöchigen Berlinreisen in den fünfziger und sechziger Jahren waren staatlich gefördert, man zahlte für eine Woche Berlin fünfzig Mark. Man wollte die Jugend an die Stadt binden, die nur noch durch Subventionen am Leben erhalten wurde. Es gab Klassenfahrten der Schulen, und Jugendgruppen jeder Couleur machten Fahrten nach Berlin. Man bekam für eine Berlinfahrt immer eine Woche schulfrei. Als ich begriffen hatte, wie das System funktionierte, meldete ich mich bei den unterschiedlichsten Gruppen an. Sogar einmal bei den Roten Falken. Die Lehrer haben mich damals schon etwas scheel angeguckt. Durften aber nichts sagen, war ja alles zu einem staatsbürgerlichen Zweck.

Ein staatsbürgerlicher Vortrag im Schöneberger Rathaus gehört zum Pflichtprogramm. Der wird immer von dem demselben gelangweilten Referenten gehalten. Er raucht während er redet, aber die Asche fällt nie von seiner Zigarette. Niemand hört auf seinen Vortrag (nach dem ersten Berlin Besuch kennt den jeder), alle beobachten das Anwachsen der Asche. Die Stadt Berlin hat aber auch an die Zuhörer gedacht, auf den kleinen Tischen liegen Zigarettenschachteln zur Selbstbedienung aus. Kristallaschenbecher gibt es auch.

Und dann gibt es noch die obligatorische Stadtrundfahrt, die muss sein, den Rest der Woche können die Klassenlehrer, Diakone (ich bin mehrfach mit der Evangelischen Jugend in Berlin) oder Gruppenleiter ausfüllen, wie sie wollen. Die Busfahrer erzählen gerne Berliner Witze, auch gerne Witze über Walter Ulbricht. In diesem August ist plötzlich etwas anders. Der Busfahrer sagt über sein Mikrophon, dass wir hier nicht weiterfahren könnten, weil hier alles abgesperrt sei. Billy Wilder drehe hier einen Film. Es war aber nichts von Billy Wilder zu sehen, und von einem Film aus Berlin habe ich damals auch nichts gehört. Ich hielt es für eine dieser Geschichten, die Berliner Busfahrer den Jugendlichen aus der Provinz erzählen, weil die alles glauben, was man ihnen in der Großstadt erzählt. Aber ich muss dem Mann Abbitte tun. Billy Wilder drehte da wirklich einen Film. Der hieß Eins, Zwei, Drei, war aber damals an den Kinokassen ein Flop.

Als meine Freundin und ich im Oktober mit der S-Bahn in den Bahnhof Friedrichstraße rollen, sehen wir überall auf den Gleisen schon weit vor dem Bahnhof Volksarmisten in ihren schäbigen Mänteln. Manche haben sich zwischen den Gleisen kleine Feuer angemacht, reiben sich die Hände über dem Feuer. Es ist früh kalt geworden in diesem Herbst. Meteorologisch wie politisch. Die Soldaten sollen wohl verhindern, dass jemand auf den Zug springt und in den Westen fährt. Der Zug hält im Osten nur noch in der Friedrichstraße, die anderen Bahnhöfe sind zu ➱Geisterbahnhöfen geworden. Die Züge sind verlassen, sie werden jetzt von den Westberlinern boykottiert, alle Abteile sind leer. Man fühlt sich wie ein russischer Großfürst, ein ganzer Zug für zwei Personen. Deutschland im Herbst.

Ich hatte schon mehrfach am 13. August einen Post zu den Thema hier stehen, das soll auch heute nicht anders sein. Mit einem kleinen Gedicht von Peter Hacks, das Mein Dörfchen heißt:

Mein Dörfchen, das heißt DDR,
Hier kennt jeder jeden.
Wenn Sie in Rostock flüstern,
Hört Leipzig, was Sie reden.

Das Mädchen, das zu lieben lohnt,
Kennt auch mein Freund genauer.
Es gibt nichts Neues unterm Mond,
Nicht dieserseits der Mauer.

Egon Linde, der Udo Lindenberg der DDR, hat Mein Dörfchen mit seiner Gruppe Transit gesungen. Wenn Sie ihn hören wollen, klicken Sie ➱hier. Und einige Zeilen aus Frosts Mending Wall möchte ich doch noch zum Schluss zitieren:

Before I built a wall I’d ask to know
What I was walling in or walling out,
And to whom I was like to give offense.
Something there is that doesn’t love a wall,
That wants it down.


Die Berliner Mauer wird auch den folgenden Posts erwähnt: ➱Mauer, ➱Brandenburger Tor, ➱Karl Lemke, ➱3. Oktober, ➱Mauern, ➱Bachs Cellosuiten, ➱Günter de Bruyn, ➱Chris Barber, ➱Berliner Mauer, ➱Farbsymbolik. Und viele englischsprachige Gedichte zur Berliner Mauer finden Sie ➱hier.

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