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Freitag, 16. Oktober 2015

Nico


Wenn man in den Sixties cool sein wollte, dann sah man so aus. Vor allem wie die Frau da rechts. Blond, kalt wie Eis. Sie sah aus, als wäre sie am Bug eines Wikingerschiffs über den Atlantik gekommen, hat Andy Warhol über sie gesagt. Den Herrn mit der Sonnenbrille (it's never too dark to be cool) kennen Sie bestimmt. Das ist der, der die Zeilen And the colored girls go Doo do doo, doo do doo, doo do doo unsterblich gemacht hat. Der hat hier natürlich schon einen Post. Die Frau neben ihm war angeblich das erste Supermodel der Welt, obwohl der Titel wohl eher an Lisa Fonssagrives gehen sollte. Aber es musste damals das Wort super sein, weil der Andy Warhol sie als chanteuse der Band Velvet Underground vermarktete. Die coole Blondine kam aus Köln und hieß Christa Päffgen.

Wir wissen, dass man in der Welt der Reichen und Schönen (und der schönen Illusionen) nicht Christa Päffgen heißen kann. Auf jeden Fall nicht, wenn man neben Marcello Maistroianni in einer kleinen Nebenrolle in La Dolce Vita zu sehen sein will. Der bei der Begrüßung Nicuuu flötet. Sie taucht in der Besetzungsliste des Films in der IMDb natürlich nicht als Christa Päffgen, sondern als Nico auf, weil sie sich selbst spielt (im Abspann des Films kann man den Namen Nico Otzak lesen, niemand weiß warum).

So berühmt ist sie damals schon, dass sie sich selbst spielen darf. Angeblich soll ihr Fellini eine zweite Rolle angeboten haben, aber sie hat abgelehnt: Ich bin zu schüchtern um Schauspielerin zu sein. Ich kann nicht so tun als sei ich eine andere, denn ich bin bereits eine andere. Für einen Film wie The Chelsea Girls und eine Vielzahl kleiner schrottiger Produktionen hat es aber dennoch gereicht.

Während der Dreharbeiten zu La Dolce Vita sagt Anouk Aimée zu Nico: Es ist eigenartig, daß Sie den Namen Nico tragen. Mein Ehemann hieß so. Wir sind jetzt geschieden. Er war Grieche und unterhielt in Paris einen Nachtclub. Das ist der Augenblick, in dem die Nico mucksmäuschenstill ist. Denn sie kennt diesen Nico. Der war der Lover von dem Photographen, der sie entdeckte und der ihr den Namen seines Ex-Lovers gab. Und eine Affäre hatte sie auch mit dem griechischen Nico. Das klingt jetzt wie eine Szene aus einer schlimmen Schmonzette à la Rosamunde Pilcher, aber solche Drehbücher schreibt das Leben manchmal. Anouk Aimées Name ist auch nicht ihr wirklicher Name, aber der Name ist nicht mit irgendwelchen Affären und Liebhabern verbunden. Den hat sich Jacques Prévert ausgedacht.

Warhol hat Christa Päffgen berühmt gemacht, aber nicht alles, was er machte, war genial, auf diesem Photo beruht ihre Karriere bestimmt nicht. Nico als Batman (Batwoman?) und Warhol als Robin, das ist geschmacklich ungefähr so wie Kelly Trump als Supergirl. Man kann die Popular Culture offensichtlich für alles ausbeuten. Das Photo ist bei den Dreharbeiten zu Andy Warhols Batman Dracula entstanden, aber in dem Film waren beide nicht zu sehen. Der Film war auch nicht zu sehen, weil er nie öffentlich gezeigt wurde. Wie man kommerziell erfolgreich die Comics ausplündert, zeigte Roger Vadim vier Jahre später mit Barbarella (was der Beginn der Karriere von Jane Fonda war). Die irritierende Frage bleibt, warum zieht Nico diese Klamotten an? Im Kölner Karveval wäre das ja OK. Die Antwort findet sich wahrscheinlich in jeder beliebigen Strophe von Erich Kästners Gedicht Sogenannte Klassefrauen:

Wenn es Mode wird, sich schwarzzuschmieren . . .
Wenn verrückte Gänse in Paris
sich die Haut wie Chinakrepp plissieren . . .
Wenn es Mode wird, auf allen Vieren
durch die Stadt zu kriechen, machen sie's.

Nico kam im Wintersemester 1967/1968 in mein Leben (und natürlich ein Jahr später, als Zadek seinen Film Ich bin ein Elefant, Madam herausbrachte). Weil Klaus Wellershaus vom NDR im Tagungszentrum Koppelsberg einen beinahe ganztägigen Vortrag (mit vielen Musikbeispielen) über die Pop Music aus den USA hielt (die Geschichte steht schon in dem Post Marshall McLuhan). Einen wie Klaus Wellershaus hat der NDR nie wieder gehabt, aber dafür bekommt der Intendant des NDR heute das x-fache von dem, was der Intendant Gerhard Schröder damals verdient hat. Falls Sie zufälligerweise nicht wissen sollten, wer Klaus Wellershaus ist, dann sollten Sie unbedingt den schönen Artikel von ➱Heinz Rudolf Kunze aus dem Jahre 2002 lesen.

Vielleicht war Christa Päffgen gar keine echte Blondine, aber in den sechziger Jahren musste man Blondine sein. Der junge Mann in diesem Filmphoto weiß überhaupt nicht, wo er hinschauen sollte. Der Film hieß The Knack ... and How to Get It, Richard Lester hatte ihn zwischen zwei Beatles Filmen gedreht (klicken Sie doch einmal hier). Mit vielen Blondinen (Jacqueline Bisset, Charlotte Rampling und Jane Birkin waren auch in dem Film). Wasserstoffsuperoxyd, Khol und Kajal, die chemische Industrie und die Stylisten bewirken jetzt Wunder. Glücklicherweise war aber auch Rita Tushingham in dem Film, die keine Blondine, sondern eine gute Schauspielerin war.

Natürlich gab es in den Sixties auch echte Blondinen, aber die kamen entweder aus Schweden oder aus Dänemark. Wie Nina van Pallandt. Die konnte auch wirklich singen, was Nico nicht konnte (Carla Bruni kann auch nicht wirklich singen, macht das aber besser als Nico). Und sah immer gut aus. Sowohl in der ➱Schnulze Mandolinen und Mondschein wie im Alter in Robert Altmans Verfilmung von Raymond Chandlers The Long Goodbye. Aber Nina Möller, die einen dänischen Baron geheiratet hatte, war natürlich niemals die Muse von Andy Warhol. Und Leonard Cohen hat keine Songs für sie geschrieben. Und ➱Iggy Pop hat Nazi Girlfriend natürlich nur für Nico geschrieben.

Als Christa Päffgen sechzehn war, war sie auch schon einmal blond. Da wurde sie von dem Photographen Herbert Tobias entdeckt und gefördert, wäre es nicht dieser Photograph gewesen, hätte es bei Nico wohl nur für die Seiten von der Brigitte oder Constanze gelangt. Aber Tobias weiß, was der Zeitgeist haben will. Wenn es Will McBride gewesen wäre, wäre ihre Karriere vielleicht genau so gelaufen wie bei Herbert Tobias. Es ist die Zeit der coolen Ästhetik, die Zeit von Dieter Rams Schneewittchensarg und dem Design für das Magazin Twen von Willy Fleckhaus und Heinz Edelmann (es ist ja kein Zufall, dass Edelmann der Art Director des Films Yellow Submarine war).

Aber so herzig wie auf dem Farbphoto oben war sie natürlich nichts für die Zeitschrift Twen. Da musste man schon so aussehen wie das Modell Gill von Sam Haskins. Die Konkurrenz im Blondinengeschäft war in den Sixties sehr groß. England mit seinem Swinging London hatte Julie Christie und Jean Shrimpton aufzubieten (und Charlotte Rampling war auch mal blond), und die waren allemal schöner als Christa Päffgen. Die französischen Blondinen Brigitte Bardot, Catherine Deneuve und Mireille Darc sowieso.

Christa hatte ja einen sicheren Job in der deutschen Modewelt. Heinz Oestergaard (der hier einen Post hat - ja, es gibt auch Damenmode in diesem Blog) nahm sie mit nach Paris. Wo sie als Nico und nicht als Christa Päffgen auftrat. Das Mädchen, das im zerbombten Berlin aufwuchs, lernt jetzt die große Welt kennen. Dank der Berliner Damenmode, die nach der Vernichtung durch die Nazis in den fünfziger Jahren wieder einen guten Ruf hat. Gut angezogen sein, ist in der Nachkriegszeit und der Zeit des Wirtschaftswunders wichtig. Wahrscheinlich ist das, was sie mit Velvet Underground singt, auch ein klein wenig autobiographisch:

And what costume shall the poor girl wear?
To all tomorrow's parties
A hand-me-down dress from, who knows, where
To all tomorrow's parties

And where shall she go and what will she do?
When midnight comes around
She'll turn once more to Sunday's clown
And cry behind the door

And what costume shall the poor girl wear?
To all tomorrow's parties


Sie hat auch außerhalb Deutschlands Erfolg, sie bekommt schon in jungen Jahren einen Vertrag bei Chanel (und einen bei Lanvin). Sie hat allerdings ein Problem, sie kann kaum Englisch und kaum Französisch. Es ist auch noch nicht die Zeit der Supermodels, diese Hysterie kommt erst in den achtziger Jahren. Mit den Models vom Typ von Carmen Dell’Orefice oder Barbara Goalen (Bild), die so etwas Ladyisches an sich haben (wie Jil Sander das nennen würde), kann sie nicht mithalten, nicht vornehm und damenhaft genug.

Aber es gibt jetzt Bedarf an jüngeren Models. Die nicht in einem Rolls-Royce sondern auf einem Moped sitzen (oder auf einem Motorroller wie in dem Film The Knack). Christine Keeler war auch mal Model. Hier ist Nico in England, photographiert von dem berühmten Philip Townsend, in dessen Bilderarchiv man ➱hier hineinschauen kann. Townsend und Roger Mayne sind die Photographen der Stunde. Während Mayne die Londoner Straßen photographiert, lichtet Townsend alle ab, die jetzt nach oben wollen. Das ist er seinem Arbeitgeber Tatler schuldig. Dieses Bild ist wohl ein Versuch, einem Photomodell ein wenig street credibility zu geben. Aber reicht da ein englisches BSA Motorrad?

Der Welterfolg kommt für sie in Amerika mit diesem androgynen (Ich bereue nichts – außer kein Mann zu sein) teutonischen Eisköniginnen Look. Der Erfolg kommt, wenn der hohle Andy sie vermarktet: Ich kannte wirklich niemanden in Amerika außer Andy. Ich stand ihm ein​fach nahe. Was immer er auch tat, ich folgte ihm. Eine Zeitlang war ich vermutlich in ihn verliebt, obwohl wir unsere Freundschaft nie dreingaben. Das hat sie 1969 dem Twen gesagt.

In den fünfziger Jahren war sie nach Paris gezogen, das war ein Einschnitt in ihrem Leben. Auch deshalb, weil sie dort anfing, Drogen zu konsumieren. Das muss man in Paris offensichtlich tun. Dem Pariser reichen Pernod (oder Ricard) und Gauloises, aber wenn man Künstler ist, müssen es Drogen sein. Darüber könnte man eine kleine Kulturgeschichte schreiben. Die würde sicher mit Jim Morrison beginnen. Oder mit den amerikanischen Jazzern, die nach dem Krieg nach Paris kommen. Die leben ja scheinbar davon. Der Pianist Richard Twardzik ist wie Jim Morrison in Paris an einer Überdosis gestorben. In P.J. Kavanaghs wunderschönem Buch The Perfect Stranger: A Memoir findet sich eine Szene, wo der junge Kavanagh nachts mit Charlie Parker durch Paris wandert, der Saxophonist ist völlig high. Erinnert ein bisschen an Taverniers Film Round Midnight mit Dexter Gordon.

Zuerst waren das bei Nico ja nur Hasch und Amphetamine, die sie (wie viele Models) nahm, um ein Übergewicht zu verhindern. Die Modeindustrie scheint der Meinung zu sein, dass jedermann diese mageren Hühner sexy findet. Das war bei Twiggy nicht anders. Dieses Photo stammt aus einer Ausstellung in Köln zum siebzigsten Geburtstag der Kölnerin Christa Päffgen. Man wollte in Köln sogar einen Platz nach ihr benennen, aber der Antrag der Grünen scheiterte. Es schien der CDU fragwürdig, ob Frau Päffgen so ein tolles Vorbild für die Jugend ist. Vielleicht hatte auch die Brauerei Päffgen etwas dagegen. Aus der Brauereifamilie kam nämlich Christas Vater. Er soll das schwarze Schaf der Familie gewesen sein. Da kannten sie Christa noch nicht.

Und da ich bei schwarz bin, springen wir mal eben zum Ende der sechziger Jahre. Da gibt es eine völlig neue Nico. Da ist sie nicht mehr die kalte blonde arische Walküre, jetzt ist sie ganz, ganz dunkel. Wie hier auf dem Cover ihres Albums The Marble Index (➱hier ganz zu hören, wenn Sie wollen). Das Album gilt heute als Meilenstein der Musikgeschichte, der Musikrichtungen wie Dark Wave, Gothic und Punk, aber auch Ambient vorgriff und einläutete. Sagt Wikipedia. Kann ich nichts zu sagen, so etwas kommt mir nicht ins Haus. Ich fand schon Ingeburg Thomsens Weisse Sklavin etwas seltsam.

Es wäre ja schön, wenn die Mottenkiste der Gothic Novel des 18. und 19. Jahrhundert ein großes Vorhängeschloss hätte. Und man den Schlüssel weggeworfen hätte. Aber leider ist das nicht so, jedermann kann sich jederzeit aus dem literarischen Gruselkabinett bedienen (Sie können ➱hier alles dazu lesen). Hätte Professor Mario Praz Nico gekannt, er hätte sie sicherlich in Liebe, Tod und Teufel hineingeschrieben. Und wenn nur als Fußnote. Angeblich war es Jim Morrison, der sie mit der englischen Romantik bekanntmachte:

I think he was the first man I met who was not afraid of me in some way. We were very similar, like brother and sister. Our spirits are similar. We were the same height and the same age, almost … He was well read and he introduced me to William Blake and also the English Romantic poets who came after him. Jim liked Shelley. I preferred Coleridge. In fact, he is my favoured poet of all time. Did you know they were all drug addicts? Coleridge was addicted to opium. It is better to be addicted to opium than to be addicted to money. Vielleicht hätte sie noch dazu sagen müssen, dass Coleridge das letzte Drittel seines Lebens unter der Obhut seines Arztes lebte.

Nico hatte in Paris den Regisseur Philippe Garrel kennengelernt und lebt mit ihm zusammen. Er bringt sie auf das Heroin (falls das Jim Morrison nicht schon besorgt hat). Und sie singt in seinem Film Le Lit de la vierge das ➱Lied The Falconer. Es kommen bei ihrem highway to hell noch immer Leute zu ihren Konzerten, die jetzt an seltsamen Orten, dem Untersten des Untergrunds, stattfinden. ➱Amanda Lear hat mehr Zuhörer. Bei einem Auftritt in den siebziger Jahren singt sie die erste Strophe der deutschen Nationalhymne und widmet das Ganze Andreas Baader. Man hat sie mit Müll beworfen.

Heute vor sieben Jahren wäre sie siebzig geworden, da wurde sie überall abgefeiert. Im Underground und in Vanity Fair. Das hier ist natürlich nicht Christa Päffgen, so gut hat Nico nie ausgesehen. Das ist Birgit Doll, eine seriöse österreichische Schauspielerin. Die spielte 2008 in dem monologischen Theaterstück Nico: Sphinx aus Eis von Werner Fritsch die ältere Nico (es waren mehrere Nicos auf der Bühne, klicken Sie mal ➱hier). Hat auch nichts genützt, die Collage wurde von den Kritikern verrissen.

Immerhin nicht mit Müll beworfen. Den kurzen Text kann man immer noch kaufen, das Buch ist bei Suhrkamp erschienen. Einer der Amazon Rezensenten schrieb: Ich wollte dieses Buch wegschmeißen, aber das wäre gefährlich. Jemand könnte es wiederfinden. Da habe ich es verbrannt. Ich habe meine Pflicht zu Menschenskind erledigt. Das ist denn noch ein bisschen wie die Sache mit dem Müll. Man kann Nico: Sphinx aus Eis antiquarisch preiswert finden, das Stück ist gar nicht so schlecht. Und das auf dem Photo ist noch einmal Birgit Doll als Nico.

Das hier ist die echte Nico, aber das ist nicht das Kreuz ihres Grabes. Christa Päffgen liegt neben ihrer Mutter auf dem Selbstmörderfriedhof im Berliner Grunewald. Als sie 1988 auf Ibiza stirbt, war sie neunundvierzig Jahre alt. Niemand hätte die Nico von damals erkannt, als man sie zum Popgirl '66 wählte, mit verfilzten schwarzen Haaren, das Gesicht aufgedunsen von Alkohol und Methadon. Sie war mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, um sich Hasch zu besorgen. Manche gehen unter, weil die Gesellschaft gegen sie ist. Christine Keeler wäre ein Beispiel. Nico geht unter, weil sie geglaubt hat, man könne wirklich mit dem Tod flirten.

Denn schon 1970 (nach dem Tod ihrer Mutter) hatte sie auf ihrem Album Desertshore gesungen:

Liebes kleines Mütterlein
Nun darf ich endlich bei Dir Sein
Die Sehnsucht und die Einsamkeit
Erlösen sich in Seligkeit


Der Dokumentarfilm Nico / Icon von Susanne Ofteringer war in sieben Teilen bei YouTube zu sehen. Gibt es nicht mehr, aber ich habe hier einen Ersatz.

1 Kommentar:

  1. ...war wieder einmal ein Erlebnis dieser Post. Und ich bin in Gedanken zurück gereist in diese Zeit. Überlegend, ob ich Nico kannte?! Nein, eher nicht. Eher Twiggy...

    Mit sonnigen Grüßen, Heidrun

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