Jürgen Flimm hat Mozarts Oper Le nozze di Figaro (nach Beaumarchais' Stück Der tolle Tag oder Die Hochzeit des Figaro) das allerbeste je für das Theater erdachte Stück genannt. Da hat er sicher recht. Mit seiner Inszenierung an der Berliner Staatsoper (es ist seine fünfte Inszenierung des Stückes), die gestern von Arte gesendet wurde, liegt er ein wenig daneben. Für die neue musikzeitung war es eine Turbulente Show, die Kritikerin von rbb Maria Ossowski war begeistert. Jay nicht.
Ich muss an dieser Stelle zu zwei englischen Wörtern greifen, die underwhelmed und ham acting heißen. Das erste Wort bezieht sich auf meinen Zustand der Begeisterung, der sich von dem von Frau Ossowski doch erheblich unterscheidet, das zweite bezieht sich auf die Inszenierung und die Schauspielkunst. Besser als die Besprechung von Maria Ossowski gefällt mir da schon der Blog von ➱Anton Schlatz, wo man lesen kann: Aber ich werde den Eindruck nicht los, dass Flimm an Mozart herumpinselt, ohne dass es um Tieferes, Existenzielles geht.
Bei Shakespeare liegt Böhmen am Meer, bei Flimm findet der tolle Tag am Strand statt. Seit Peter Zadek das Regietheater erfand, bei dem sich jeder Regisseur nach Belieben über den Text des Stückes hinwegsetzen kann, sind die Grenzen des guten Geschmacks nach oben und unten offen. Es kommt darauf an, in der Diskussion zu bleiben. In der Diskussion bleibt man mit Remmidemmie. Viele Operninszenierungen von Flimm sind Flops gewesen. Ein Strand ist natürlich immer gut. Wie sagt Melina Mercouri so schön in Sonntags nie? Yes. She gets him back, and everybody go away and everybody is happy and they go to the seashore. And that's all! Das ist übrigens ihre Zusammenfassung von Medea.
Es gibt in dem Chaos auf der Bühne, das aussieht wie ein völlig durchgeknalltes Stück vom Ohnsorg Theater, rührende Momente. Wenn zum Beispiel die Gräfin Almaviva (➱Dorothea Röschmann) ihr Dove Sono singt. In dem Augenblick werden auf der Bühne dankenswerterweise mal keine Faxen gemacht wie auf diesem Photo hier. Dorothea Röschmann singt sehr gut, sie ist bei dieser Inszenierung stimmlich immer ein Highlight, obgleich alle Rollen stimmlich gut besetzt waren. Dorothea Röschmann kommt aus Flensburg, ich erwähne das nur, weil die Stadt in dem Post morgen eine Rolle spielt.
Stimmlich auch interessant ist Marianne Crebassa als Cherubino (man kann sie ➱hier mit Mozarts Il tenero momento hören). Irritierend war nur, dass ihr Flimm offensichtlich aufgetragen hatte, tausenderlei unmotivierte Bewegungen zu machen. Und so kommt die Gräfin gar nicht richtig dazu ihr E Susanna non vien zu singen, weil dieser androgyne französische Mezzosopran im Pagenlook immer an ihr herumfummelt. Hier zieht sich Cherubino gerade um, Susanna hilft ihr dabei, was die junge Dame, die im Hintergrund die Lampe hält, auf der Bühne soll, das weiß ich nicht.
Katharina Kammerloher als Marcellina war sicher glücklich, dass sie im vierten Akt Il capro e la capretta singen darf, eine ➱Arie, die ja leider häufig gestrichen wird. Sie machte etwas daraus. Man kann sich die opera buffa, die glücklicherweise in italienischer Sprache gesungen wurde, noch drei Monate auf ➱Arte Concert ansehen. Man kann das aber auch lassen. Vielleicht reicht es, sich ➱hier die Bilder von Holger Jacobs anzuschauen. Und da Bilder mehr als Worte sagen, gibt es hier noch eins. Ich weiß nicht, wie ➱Roland Barthes das interpretiert haben würde, aber hier handelt es sich nicht um eine italienische Hafennutte und ihren Strizzi, dies sind Susanna und der Graf Almaviva. Auf jeden Fall, wie sich Jürgen Flimm das vorstellt.
Flimm wäre besser beraten gewesen, wenn er hier den Post ➱The marriage of Figaro gelesen und sich die Inszenierung des Music Theatre London angeschaut hätte. So kann man eine opera buffa intelligent und zeitgemäß inszenieren. Wenn am Ende der Graf sein Contessa, perdono singt (was Ildebrando D’Arcangelo mit viel zu viel Stimme singt), dann geht das Spektakel zu Ende: Tout finit par des chansons. Aber hier wurde gestern nicht alles gut, wenn man an den Strand fährt. Obgleich La nozze di Figaro keine Tragödie ist, drang die Tragödie in die Handlung ein: am oberen Bildrand des Fernsehers erschienen die Schreckensmeldungen aus Paris.
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Noch kann man es nicht bei arte concert sehen,aber wenn einem so nachdrücklich das Ansehen vermiest wird,ist das ja auch nicht schlimm.
AntwortenLöschenVielleicht ist das Regietheater Ausdruck der Hilflosigkeit, mit dem Paradox Oper umzugehen? Die war damals, gerade der Figaro, ein hochaktuelles Medium,nicht nur Ansammlung herrlichster Musik,sondern Zeit-Kritik. Damals. Heute ist es ein Museumsstück, wie ein altes Bild oder Buch. Nicht einmal die Musik kann Allgemeingültigkeit für sich behaupten. Auch wenn man nie auf die Idee käme, ein altes Bild zu modernisieren,ist dies bei der Oper anscheinend Pflicht: das Regie-Theater.Und die Herren Regisseure ( das schreibe ich bewußt) müssen sich immer was Neues einfallen lassen .Das Stück müssen sie kaum kennen ( wie seinerzeit Kresnik in Bremen den Fidelio,bekam aber mehr als vieleTausende für diese Nicht-Kenntnis).Ponelle mit seinem Ausstattungstheater ( er kam ja von dort) hat gezeigt, dass man eine alte Geschichte präzise zeigen kann,ohne sie zu verändern.