Diese ältere Dame hält ein Buch in einer Hand und ein Streichholz in der anderen. Das Buch ist ein Paperback des Penguin Verlags. Es heißt Lady Chatterley's Lover und war eigentlich schon viel früher als 1960 erschienen, nämlich am 14. Dezember 1928. Gedruckt in Italien, in England durfte so etwas nicht gedruckt oder verkauft werden. James Joyces Dubliners (lesen Sie dazu doch diesen schönen ➱Post), das keine Wildhüter oder liebeskranke Aristokratinnen enthielt, durfte in Irland nicht verkauft werden. Die ältere Dame wirkt auf den ersten Blick harmlos, und doch: dieses Streichholz. Wir haben in Deutschland unsere eigene Tradition mit dem Thema ➱Bücherverbrennung, und ich zitiere mal eben Heinrich Heines Satz Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.
Der Penguin Verlag wagt den Aufstand gegen den Obscene Publications Act von 1959 und druckt 1960 zum ersten Mal den unverstümmelten Text von Lady Chatterley's Lover. Und erstattet gleich Selbstanzeige. Der Chefankläger Mervyn Griffith-Jones macht sich zu Anfang des Prozesses zum Gespött der Presse (und der Jury), wenn er die Jury fragt: Is it a book that you would have lying around in your own house? Is it a book that you would even wish your wife or your servants to read? Nein, so etwas läßt man die Diener natürlich nicht lesen, die könnten ja auf den Gedanken kommen, es dem Wildhüter Oliver Mellors gleichzutun. Wie wir dem Cartoon von Giles (mit dem schönen Text All of a sudden we've become a literary-minded, puritanical, culture-seeking nation) entnehmen können, hat der Penguin Verlag den Prozess gewonnen.
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: die Bastion der viktorianischen Werte wird angegriffen. Und was folgt? Nutten und Kriminelle. Nicht nur der Name Lady Chatterley's Lover steht auf dem Rammbock, auch der Name Lolita. 1959 bei Weidenfeld & Nicolson veröffentlicht und sofort ein Skandal. Der Herausgeber des Sunday Express fand es the filthiest book I have ever read und sprach von sheer unrestrained pornography. Graham Greene dagegen setzte es auf die Liste der besten Bücher des Jahres 1955 (da war Lolita in einer fehlerhaften Ausgabe in Paris erschienen) in der Sunday Times.
In Lady Chatterley's Lover wird fuck gesagt. Und cunt. Das darf nicht sein. Das Englische hat ja eine Vielzahl von Möglichkeiten, böse, ungehörige Wörter zu umgehen. Nehmen wir einmal das Wort bloody, das der Durchschnittsengländer gerne als Verstärkung gebraucht - wie in not bloody likely. Das lässt Shaw in Pygmalion seine Eliza Doolittle sagen, die kommt aus der Unterschicht, die redet so. Die Schauspielerin Beatrice Stella Tanner riskierte ihre Karriere, als sie wirklich auf der Bühne am Ende des dritten Aktes Walk! Not bloody likely. I am going in a taxi sagte. Man ging damals ins Theater, um das verbotene Wort zu hören. Und die englische middle class prägte umgehend den wunderbaren Euphemismus Not Pygmalion likely!
Ich mag D.H. Lawrence nicht besonders. Ich finde, dass seine Essays Studies in Classic American Literature das Beste sind, das er geschrieben hat (Sie können die ➱hier im Volltext lesen). Ich habe mir damals die Pariser Ausgabe von 1955 gekauft, als die Penguin Ausgabe (an der Allen Lane Millionen verdient hat) noch nicht erschienen war. Ich war noch keine achtzehn, ich wollte sehen, was an diesem geheimnisvollen Buch dran war. Nix. Da ist mehr Sex im Hohelied Salomonis. Wenn Sie die atemberaubende Sexszene des Romans lesen wollen (übrigens ohne die Wörter cunt und fuck, die kommen da gar nicht vor), dann klicken Sie ➱hier.
Das hier kommt vielleicht wie eine kleine Überraschung. Ein Szenenphoto aus dem französischen ➱Film L'amant de lady Chatterley aus dem Jahre 1955! Die Regie hatte Marc Allégret, das Liebespaar spielten Danielle Darrieux und Erno Crisa. War das in Frankreich ein Skandal? Regte sich da im Jahre 1955 die ganze französische Nation auf? Not Pygmalion likely! Das sind Franzosen, die sagen bestenfalls c'est l'amour.
Ja, natürlich ist das Chief ➱Inspector Barnaby. Den möchte ich mal eben zitieren, weil es in der Folge Pikante Geheimnisse (Country Matters) ein Lady Chatterley Zitat gibt. In dem kleinen Dorf, in dem Barnaby ermittelt, gehen verschiedene Damen verschiedenen sexuellen Betätigungen nach. Eine arbeitet als Freizeitnutte und tarnt ihre Tätigkeit als Kochkurse. Die wird gespielt von Clare Holman, die eigentlich die Gerichtsmedizinerin in ➱Lewis ist (wir wollen mal hoffen, dass Robbie Lewis das nicht erfährt). Eine andere Dame versohlt masochistische ➱Gentlemen, und die dritte inszeniert sich als Lady Chatterley im Wald. Leider habe ich davon keine Bilder, deshalb nehme ich dieses aus einer anderen Barnaby Folge. Denn nacktes Fleisch erwartet man in einem Post der Lady Chatterley's Lover heißt.
Der Penguin Verlag druckte 1961 in die zweite Auflage von Lady Chatterley's Lover die Widmung: For having published this book, Penguin Books were prosecuted under the Obscene Publications Act, 1959 at the Old Bailey in London from 20 October to 2 November 1960. This edition is therefore dedicated to the twelve jurors, three women and nine men, who returned a verdict of 'not guilty' and thus made D. H. Lawrence's last novel available for the first time to the public in the United Kingdom. Die BBC verfilmte den spektakulären Prozess im Jahre 2006 als The Chatterley Affair (klicken Sie ➱hier). Und der Chefankläger Mervyn Griffith-Jones, der sich damals so blamiert hatte, verschwand nicht etwa in der Versenkung. Nein, der wurde der Chefankläger in der ➱Christine Keeler Affäre.
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