Seiten

Freitag, 22. Januar 2016

Hinterhältiges Pack


Die Woche begann nicht so gut. Zahnarzt. Den Termin hatte ich schon seit Weihnachten. Es würde auch nur eine halbe Stunde dauern, hatte mein Zahnarzt gesagt. Und bis zu dem Termin haben Sie schon 2.250.000 Leser, hatte er hinzugefügt. Ich hatte 2.650.000. Ich habe auch keine Angst vor dem Zahnarzt, mein Vater war Zahnarzt. Mir ist nichts fremd. Aber dennoch bin ich an Tagen mit einem Zahnarzttermin immer ein wenig von der Rolle. Obgleich die Zahnärzte ja heute alle so nett sind, nicht mehr die Götter in weiß. Für meinen Vater war der gestärkte weiße Eppendorf Kittel Pflicht, mein Bruder läuft im Lacoste Polohemd durch seine Praxis. Für meinen Vater war der Kieler Ordinarius Spreter von Kreudenstein (ein Name, den ich seit den fünfziger Jahren nie vergessen habe) eine Art Halbgott in der Welt der Zahnmedizin, mein jetziger Zahnarzt hatte den Namen noch nie gehört. Sic transit gloria mundi.

Mein Zahnarzt trägt auch eine Art Polohemd. Er hat viel Humor. Wenn er einen Eppendorf Kittel tragen würde, hätte er vielleicht keinen Humor. Er hat die Praxis von der Zahnärztin übernommen, deren Patient ich Jahrzehnte lang war. Die interessierte sich sehr für Uhren, wir hatten wunderbare Gesprächsthemen. Sie war auch in einem Ruderclub und war eine handfeste Praktikerin. Ihr Nachfolger ist eine Art Computerfetischist, die ganze Praxis ist voll von Computern. Aber wer will schon gerne seine Zahnzwischenräume auf dem Bildschirm sehen? Es gibt schönere Filme. Neben all dem Computerkram ist mein Doc jedoch auch ein hervorragender Techniker, er kann wirklich alles. Ich kenne mich da aus, ich durfte als Kind im Labor meines Vaters neben ihm und dem Techniker sitzen und Blechkronen auf Gipsmodelle schlagen. Ich kann auch alle Zähne mit lateinischen Namen aufzählen, von den Molaren bis zu den Prämolaren.

Um meinen Zahnarzt bei guter Laune zu halten, hatte ich diesen etwas perversen ➱Zegna Couture Limited Edition Schuh angezogen. Kostet 1.500 Dollar in New York und 28,50 € bei ebay. Fand er sehr witzig. Er hat aber trotzdem gebohrt. Er fällt selbstverständlich nicht unter das Hinterhältige Pack des Titels dieses Posts, obgleich manche Menschen Zahnärzte ja für so etwas halten. Nein, diese abfällige Bezeichnung des heutigen Posts gilt Google. Denn am frühen Morgen hatte ich feststellen müssen, dass meine Bloggerseite völlig tot war. Mi-ma-mausetot. Habe ich meinem Zahnarzt auch erzählt. In der Mitte der Behandlung brach sein Computersystem einmal kurz zusammen. Ich sagte nur: Google. Er hat sehr gelacht.

Die Sache mit dem Computer beunruhigte mich noch nicht wirklich. Die Seite wird schon wiederkommen, dachte ich mir. Ich wollte sowieso mal ein paar Tage Pause machen. Aber die Seite kam nicht wieder. Ich schaute mir an, was das riesige Unternehmen an Hilfe für den Blogger bereithielt. Die Antwort ist: wenig. Ich ging zur Blogger Hilfe Seite. Da hilft einem aber nicht Blogger (=Google), da hilft einem höchstens ein anderer Blogger. Das mächtige Unternehmen kann man natürlich nicht erreichen. Ich arbeitete die Fehlerseite ab: Neustart des Computers, alle Cookies löschen, Cache leeren, Safari auf Privates Surfen stellen, ➱AdBlock entfernen, Browser wechseln. Nichts half, die Seite blieb tot. Ich richtete mir bei Wordpress einen neuen Blog ein, der ➱Silvae2: culture and all that heißt. Wenn ich bloggen wollte, dann konnte ich auch da bloggen. Am Abend hatte ich da drei Leser gefunden. Dass mich auf SILVAE am Montag über 2.300 und am Dienstag über 1.900 Leser angeklickt hatten, konnte ich nicht wissen, weil meine Administratoren Seite bei blogspot.de ja tot war.

Ich war noch nicht in Panik, ich hatte noch keine Entzugserscheinungen. Vielleicht sollte ich überhaupt mit dem Bloggen aufhören? Der frisch behandelte Zahn schmerzte. Es ist sicher kein Zufall, dass ich diesen Cartoon von ➱Jean-Pierre Desclozeaux als Bild für den Blog Silvae2 gewählt hatte. Der kleine gelbe Typ auf der Rattennase, das bin ich. Steht auf jeden Fall auf der Karte von Heidi: Mein Freund Jay. Die hatte sie mir mal vor Jahrzehnten gesteckt, als ich in einer Krise steckte. Ich bin nie von der Rattennase gefallen. Ich war auch jetzt in keiner Krise.

In der Dienstagnacht, ich wollte gerade ins Bett gehen, hatte ich plötzlich eine ganz böse Ahnung. Könnte es sein, dass Google, das die ganze Welt von seinen Produkten abhängig machen will, mit einem Monopolmißbrauch den Bloggern den Zugang nur noch erlaubt, wenn sie den Browser von Google verwenden? Ich lud mir Google Chrome herunter. Und siehe da, ich kam sofort auf meine Seite, und alles funktionierte. Und das war der Augenblick, in dem ich Hinterhältiges Pack sagte.

In seinem Startleitfaden für Blogger sagt Google: Um Blogger verwenden zu können, benötigen Sie einen kompatiblen Browser und ein kompatibles Betriebssystem: Google Chrome, Safari 4 und höher, Firefox 3.6 und höher, Microsoft Edge, Internet Explorer 10 oder 11. Steht da etwa: das Ganze funktioniert nur noch mit Google Chrome? Was kommt als nächstes? Der Zwang, Googles E-Mail System zu verwenden? Im Google Store einzukaufen? Wie sagte der Google Chef Eric Schmidt so schön: Wir können Menschen Anregungen machen, denn wir wissen, was ihnen wichtig ist.

Das ist derselbe Mann, der zu der Frage, warum Google in Europa kaum ➱Steuern zahle, gesagt hat: Man nennt dies Kapitalismus. Dem gegenüber stehen die Sätze von Karl Marx: Die Steuern sind das Dasein des Staats, ökonomisch ausgedrückt. Beamten und Pastoren, Soldaten und Balletttänzerinnen, Lehrer und Polizeibüttel, griechische Museen und gotische Türme, ... – der gemeinschaftliche Samen, worin alle diese fabelhaften Existenzen als Embryo schlummern, sind die – Steuern. Jetzt weiß ich auch, warum die griechischen Museen und die gotischen Türme so selten geworden sind: weil der Steuerflüchtling und Datenkrake Google (ein kleiner Bruder der ➱NSA) nicht zum Gemeinwohl beiträgt. Die Graphik verdeutlicht übrigens, in welchen Ländern der Welt Google Chrome (grün) die Suchmaschine No 1 ist.

Eric Schmidt hat schöne Sätze gesagt. Wie zum Beispiel We know where you are. We know where you've been. We can more or less know what you're thinking... Oder: Just remember when you post something, the computers remember forever. Er hat auch You can trust us with your data gesagt, aber ich glaube, das war ein wenig zynisch. It's a beautiful thing, the destruction of words ist nicht von ihm, das ist von George Orwell. Ich habe das ➱hier schon einmal zitiert. Wenig später war die Person, um die es da ging, ihren Job los. Vielleicht funktioniert das ja auch bei Eric Schmidt, ich hätte nichts dagegen.

Und da ich mit schönen Zitaten heute nur so um mich werfe, hätte ich noch eins: Nach meiner Theorie wird jede Täuschung, der keinerlei höhere Wahrheit zugrunde liegt und die nichts ist als bare Lüge, plump, unvollkommen und für den erstbesten durchschaubar sein. Nur der Betrug hat Aussicht auf Erfolg und lebensvolle Wirkung unter den Menschen, der den Namen des Betrugs nicht durchaus verdient, sondern nichts ist als die Ausstattung einer lebendigen, aber nicht völlig ins Reich des Wirklichen eingetretenen Wahrheit mit denjenigen materiellen Merkmalen, deren sie bedarf, um von der Welt erkannt und gewürdigt zu werden. Aber nein, mein lieber Herr Krull, mit dem Wort Betrug darf Google in keiner Weise in Beziehung gebracht werden. Geben Sie ruhig einmal Google und Betrug bei Google ein.

Google bietet tausenderlei nützliche und unnütze Dienste an, die man allerdings an anderer Stelle viel besser findet. Ich nehme einmal als ein Beispiel Google Scholar. Ich gab meinen Namen ein, und Google Scholar fand drei Bücher von mir. Wenn ich meinen Namen bei WorldCatIdentities eingebe, bekomme ich beinahe alle meine Publikationen aufgelistet. Als ich loomings-jay bei Google Scholar eingab, fand ich, dass der Artikel Auch ich in Rom das schöne Bild von Constantin Hansen aus dem Post ➱Bertel Thorvaldsen verwendet hatte. Ich stelle es hier mal hin, das Ganze wird sonst mit Google Chrome zu trist.

Ich bin noch mit Suchmaschinen vertraut, die WebCrawler und Lycos hießen. Sie waren langsam. Aber ich glaube nicht, dass sie Pläne für die Weltherrschaft im Kopf hatten. Safari benutze ich, seit mir unsere Sekretärin ein Jahr vor meiner Pensionierung einen Mac spendierte. Ich war der einzige im Institut, der keinen Computer hatte, ich konnte gut damit leben. Der Kollege, der den Mac in Gang setzte, installierte mir Safari und versicherte mir, dass dies das Neueste und Beste sei. Ich hatte keinen Grund, das nicht zu glauben. Ich habe verschiedene Systeme ausprobiert, bin aber immer zu dem eleganten Safari zurückgekehrt. Nun muss ich jeden Morgen Google Chrome aus dem Keller des Computers holen. Es wird Google wehtun, wenn ich jetzt sage, dass die Mehrzahl meiner Leser Chrome nicht benutzt. Kommt erst nach Firefox, Safari und Internet Explorer auf Platz vier. Und wir alle wissen natürlich, wo Chrom hingehört. An die Straßenkreuzer der fünfziger Jahre. Aber nicht ins Internet.

Google Chrome is a browser that combines a minimal design with sophisticated technology to make the web faster, safer, and easier. Sagt Google. Das mit der sophisticated technology gefällt mir besonders. Die ist so sophisticated, dass sie nicht in der Lage ist, diese Seite mit Bildern zu kopieren, damit ich sie zum Beispiel in einen anderen Blog kopieren könnte. Firefox kann das. Und deshalb ist Google Chrome jetzt nach knapp einer Woche Ärger aus meinem Computer verschwunden. Der Artikel Wie ich Google zu hassen begann von Stefan Dörner hat für mich keine Bedeutung mehr. Hasta la vista, Mr Schmidt.

1 Kommentar:

  1. Bitte, bitte nicht als Kritik verstehen: Wo sind bei rund 2000 Klicks pro Tag die Kommentare zu diesem herrlichen Post?
    Ich benutze Google Chrom auch nicht oder nur ganz selten. Safari schon eher und ansonsten Firefox.
    Übrigens hab ich was Politisches erwartet, ob des Titels. Aber so hab ich mich wohl viel mehr amüsiert.
    Seien Sie gegrüßt und bleiben Sie blogger treu wenn es geht, auch wenn wordpress wohl professionellere Arbeit zulässt. (Rein auf die Technik bezogen) Brauchen Sie aber nicht, Sie haben die Form schon gefunden.

    AntwortenLöschen