Ich fange mal mit ihm hier an, Angelo Soliman. Unter diesem Namen kennt ihn die Wiener Aristokratie. Wie er wirklich hieß, als er in die Sklaverei verschleppt wurde, weiß niemand. Jetzt ist er Hofmohr, oder sagen wir besser: Kammerdiener beim Erbprinzen Alois von Liechtenstein. Er ist auch Freimaurer, in der selben Loge, in der auch Mozart ist. Er heiratet, obgleich ihm das verboten ist und verliert die Gunst seines Prinzen. Wird fristlos entlassen, aber nach Jahren durch den Nachfolger von Prinz Alois wieder als Erzieher der Prinzen eingestellt. Wenn er stirbt, stopft man ihn aus.
Es sind im 18. Jahrhundert viele Farbige aus allen Teilen der Erde in Europa, sie werden als Kuriosität herumgereicht. Man hat sie gerne an Höfen, schon ein Jahrhundert zuvor, wenn die Indianerprinzessin ➱Pocahontas in London ist. Viele der ➱Farbigen, die in mancher Weise die Vorläufer von Golliwog und Sarotti Mohr sind, sind nicht glücklich in der Fremde, ob das Pocahontas oder Omai sind. Manche bleiben in Europa und werden berühmt. Wie der Sklave Abraham Petrowitsch Hannibal, der dem Zaren Peter dem Großen geschenkt wurde. Er wird Generalmajor und Gouverneur von Reval. Er ist der Urgroßvater von Puschkin. Und auch Thomas-Alexandre Davy de la Pailleterie, den die Österreicher den schwarzen Teufel nennen, wird General. Sein Sohn wird sich ➱Alexandre Dumas nennen.
Viele der Farbigen eignen sich eine erstaunliche Bildung an, ➱Ignatius Sancho (den Gainsborough malte) wäre nur eins von vielen Beispielen. Phillis Wheatley hat das in ihrem berühmten Gedicht On Being Brought From Africa To America in den Zeilen Remember, Christians, Negros, black as Cain, May be refin'd, and join th' angelic train angesprochen. Der gebildete Angelo Soliman wird aus der für farbige Kammerdiener unstandesgemäßen Ehe eine Tochter haben. Die die Mutter von Ernst von Feuchtersleben ist, einem Freiherrn, Dr med und Professor. Der wurde heute vor 210 Jahren in Wien geboren. Und schrieb im Alter von elf Jahren ein Gedicht, das Dichtkunst heißt:
Sie winkt, der Musen holde Schaar,
Und bietet mir die Reize dar,
Die Dichtkunst uns gebar.
Wohlan! ich folge ihr!
Da spricht zu mir: Willkommen hier!
Der Musen-Gott von seinem Thron:
Komm her! empfange deinen Lohn,
Und sei befreit
Von deiner Last
Der Sterblichkeit,
Weil du nach mir getrachtet hast!
Unsterblich sein, das ist der Dichtkunst Lohn.
Und bietet mir die Reize dar,
Die Dichtkunst uns gebar.
Wohlan! ich folge ihr!
Da spricht zu mir: Willkommen hier!
Der Musen-Gott von seinem Thron:
Komm her! empfange deinen Lohn,
Und sei befreit
Von deiner Last
Der Sterblichkeit,
Weil du nach mir getrachtet hast!
Unsterblich sein, das ist der Dichtkunst Lohn.
So etwas berechtigt zu schönsten Hoffnungen. Doch die Lyrik ist nicht so sehr sein Hauptgebiet, er ist ja eigentlich Arzt und Psychologe, der ein Werk mit dem schönen Titel Zur Diätetik der Seele schreibt (hier im Volltext). Ich weiß nicht, ob man das auf die Kurzformel bringen kann: In einem aufgeräumten Zimmer ist auch die Seele aufgeräumt. Das ist auch von ihm. Feuchtersleben, der mit Grillparzer, Schubert, ➱Adalbert Stifter und Friedrich Hebbel bekannt ist, ist auch ein Meister des Aphorismus. Die Sache mit der aufgeräumten Seele ist mir ein wenig unheimlich, das klingt nach diesem schrecklichen Erzieher, dem Freiherrn von Risach, dem Heinrich Drendorf im ➱Nachsommer begegnet.
Ich habe mir von dem Freiherrn Feuchtersleben ein Gedicht genommen, das Liebe heißt. In dem gleich im ersten Vers Petrarca erwähnt wird. Mit dem habe ich den Monat angefangen, da kann ich ihn zum Ende noch einmal erwähnen.
1
Sonette müssen, seit Petrarca sang,
Vom holden Mithrasdienst der Liebe klingen;
Und könnte Jeder wie Petrarca singen,
Nie endete der wonnevollste Klang.
Allein, wie manches Herz, im schönen Drang,
Regt, ach, vergebens allzuzarte Schwingen;
Darf auch das Wort in jene Räume dringen,
In die ein liebendes Gemüth sich schwang?
So weih' ich denn, statt vieler, dieß Gedicht,
Mit frommer Scheu den Liebenden im Stillen,
Daß sich die laute Welt an sie erinnre;
Und doch! ich irre! sie bedürfen's nicht,
Und ich vermag's nicht bei dem reinsten Willen, -
Denn nie zum Aeußern wird das wahrhaft Innre.
2
Mich hat ein schreckenvoller Traum gepeinigt:
Ich sah dich zwischen eines Sarges Wänden,
Mit kreuzweis auf die Brust gelegten Händen,
Den schönen Leib, zu früh! dem Staub vereinigt.
Doch dieß Gesicht hat mein Erblühn beschleunigt;
Was keine Macht der Welt vermag zu wenden,
Ward mir zum Bild, mein Innres zu vollenden;
Ich fühle mich erschüttert und gereinigt.
Im Sturm der Nächte, in des Mittags Scheine, -
Hab' ich's vor mir, das Trauerbild im Schreine, -
Es hat mich eingeweiht zum Sohn der Schmerzen.
Mich dünkt, als ob mich nichts mehr rühren würde,
Denn jenen fürchterlichen Traum im Herzen,
Trag' ich, wie leicht! des Lebens schwerste Bürde.
Passt das zur aufgeräumten Seele? Oder hat man solche Schreckensträume, wenn man Zimmer und Seele zu sehr aufräumt? Ist die Zeit der ➱Gothic Novel nicht längst vorbei? Das Gedicht ist drei Jahre vor Edgar Allan Poes The Fall of the House of Usher veröffentlicht worden. Ich weiß jetzt nicht, warum mir zur zweiten Strophe die nackte, nur mit einem Trauerschleier bekleidete, Catherine Deneuve im Schloss dieses Herzogs mit nekrophiler Neigungen einfällt. Der sich dann mit seiner Katze unter dem Sarg vergnügt. Belle de Jour hat uns alle verdorben. Oder wie Feuchtersleben sagt: Unsere Zeit ist rasch, stürmisch und leichtsinnig. Man erweiset sich selbst und dem lesenden Publikum eine ächte, geistige Wohlthat, wenn man den Blick von dem entmuthigenden Leben einer vulkanischen Gegenwart, von dem noch entmuthigenderen Schwanken einer in tausend nichtige Richtungen zerfallenen Literatur ab-, und den stillen Regionen der Naturforschung des inneren Menschen, der Betrachtung unseres Selbst zuwendet.
Vom holden Mithrasdienst der Liebe klingen;
Und könnte Jeder wie Petrarca singen,
Nie endete der wonnevollste Klang.
Allein, wie manches Herz, im schönen Drang,
Regt, ach, vergebens allzuzarte Schwingen;
Darf auch das Wort in jene Räume dringen,
In die ein liebendes Gemüth sich schwang?
So weih' ich denn, statt vieler, dieß Gedicht,
Mit frommer Scheu den Liebenden im Stillen,
Daß sich die laute Welt an sie erinnre;
Und doch! ich irre! sie bedürfen's nicht,
Und ich vermag's nicht bei dem reinsten Willen, -
Denn nie zum Aeußern wird das wahrhaft Innre.
2
Mich hat ein schreckenvoller Traum gepeinigt:
Ich sah dich zwischen eines Sarges Wänden,
Mit kreuzweis auf die Brust gelegten Händen,
Den schönen Leib, zu früh! dem Staub vereinigt.
Doch dieß Gesicht hat mein Erblühn beschleunigt;
Was keine Macht der Welt vermag zu wenden,
Ward mir zum Bild, mein Innres zu vollenden;
Ich fühle mich erschüttert und gereinigt.
Im Sturm der Nächte, in des Mittags Scheine, -
Hab' ich's vor mir, das Trauerbild im Schreine, -
Es hat mich eingeweiht zum Sohn der Schmerzen.
Mich dünkt, als ob mich nichts mehr rühren würde,
Denn jenen fürchterlichen Traum im Herzen,
Trag' ich, wie leicht! des Lebens schwerste Bürde.
Passt das zur aufgeräumten Seele? Oder hat man solche Schreckensträume, wenn man Zimmer und Seele zu sehr aufräumt? Ist die Zeit der ➱Gothic Novel nicht längst vorbei? Das Gedicht ist drei Jahre vor Edgar Allan Poes The Fall of the House of Usher veröffentlicht worden. Ich weiß jetzt nicht, warum mir zur zweiten Strophe die nackte, nur mit einem Trauerschleier bekleidete, Catherine Deneuve im Schloss dieses Herzogs mit nekrophiler Neigungen einfällt. Der sich dann mit seiner Katze unter dem Sarg vergnügt. Belle de Jour hat uns alle verdorben. Oder wie Feuchtersleben sagt: Unsere Zeit ist rasch, stürmisch und leichtsinnig. Man erweiset sich selbst und dem lesenden Publikum eine ächte, geistige Wohlthat, wenn man den Blick von dem entmuthigenden Leben einer vulkanischen Gegenwart, von dem noch entmuthigenderen Schwanken einer in tausend nichtige Richtungen zerfallenen Literatur ab-, und den stillen Regionen der Naturforschung des inneren Menschen, der Betrachtung unseres Selbst zuwendet.
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