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Sonntag, 17. April 2016

Honecker


Die ehemalige Ministerin für Volksbildung in der Deutschen Demokratischen Republik wird heute neunundachtzig. Ja, die einst bestgehasste Person der DDR lebt noch. Ich hatte sie in der Hölle vermutet, aber sie lebt in Chile. Und wir bezahlen ihr auch noch den Lebensunterhalt. Frau Honecker findet die anderthalbtausend Euro im Monat unverschämt wenig. Diese Aussage machte sie vor vier Jahren in einer NDR Dokumentation, woraufhin man in der B.Z. Berlin lesen konnte:

SED-Opfer sind fassungslos, dass ausgerechnet die Frau, die für Zwangsadoptionen, Indoktrinierung in den Schulen und menschenverachtenden Drill in Erziehungsheimen zuständig war, von der Bundesrepublik so gut versorgt wird. Die frühere Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld (59) fordert deshalb: „Die Renten früherer Regimestützen dürfen nicht höher sein als die Durchschnittsrente eines DDR-Normalverdieners!“ So habe es die frei gewählte Volkskammer beschlossen, so sei es im Einigungsvertrag festgehalten. Doch eine entsprechende Kappungsgrenze gebe es nur für frühere Mitarbeiter der Staatssicherheit. Tatsächlich steht Margot Honecker im Vergleich zu normalen Ost-Rentnern gut da: 705 Euro bezieht die durchschnittliche Ost-Rentnerin, Männer bekommen rund 1060 Euro.

Wenn es nach mir gehen würde, hätte die Hexe Margot keinen Pfennig gekriegt. Oder bestenfalls Harz IV. In Ostmark ausgezahlt. Aber Wir wollen dich nicht ins Verderben stürzen du bist schon verdorben genug Nicht Rache, nein, Rente! sang einst Wolf Biermann in der ➱Ballade von den verdorbenen Greisen. Das wäre natürlich ein Gedicht, das hier stehen könnte, aber ich nehme etwas ganz anderes. Hat auch mit Honecker zu tun, denn die beiden Gedichte heute sind von Margots Enkel Roberto Yáñez Betancourt y Honecker (hier sitzt er zwischen Oma und Opa). Bei dem wohnt jetzt die alte Stalinistin, die so unverschämt wenig Rente kriegt. Roberto ist damit nicht so glücklich: Ich spreche manchmal Dinge an, aber es ist schwierig mit ihr. Sie hat ihre Auffassungen. Sie steht zum Kommunismus in einer Weise, die mir nicht gefällt. Sie ist sehr stur (Sie können das Interview mit ihm ➱hier lesen).

Es ist eine seltsame Jugend gewesen: Ich hatte ein ferngesteuertes Auto, Westjeans und noch ein paar andere Dinge, die andere Kinder nicht hatten. Einmal hat mir mein Großvater aus Kuba ein kleines, totes Krokodil mitgebracht. Ein anderes Mal kam er mit einer Lederjacke an, die er von Udo Lindenberg geschenkt bekommen hatte, nach dessen Auftritt in Ost-Berlin. Heute erscheint mir meine Kindheit manchmal wie ein Film. Ich wuchs auf in einer Welt voller Spione, es gab überall Personenschützer. Und es ist seltsam für ein Kind, wenn es den eigenen Großvater dauernd im Fernsehen sieht. Wir wissen jetzt auf jeden Fall, wo die ➱Lederjacke von Udo Lindenberg geblieben ist.

Honey, ich glaub', Du bist doch eigentlich auch ganz locker
Ich weiß, tief in dir drin, bist Du eigentlich auch'n Rocker
Du ziehst dir doch heimlich auch gerne mal die Lederjacke an
Und schließt Dich ein auf'm Klo und hörst West-Radio 

Aber diesen Song Sonderzug nach Pankow hat Honecker verbieten lassen, weil da beleidigende Wörte wie Oberindianer, sturer Schrat und Honni drin vorkommen. Sagt das Rechtsgutachten (Bild) der Staatssicherheit, das den Schlager juristisch bewerteten sollte. Da kann unser Udo ja noch glücklich sein, dass die DDR Juristen den Schah Paragraphen 103 offensichtlich nicht kannten. Was wäre gewesen, wenn Honecker den bemüht hätte? Und da ich gerade bei dem Paragraphen, der zum letzten Mal für Herrn ➱Böhmermann gebraucht wird, sind: fällt Margot Honecker als Gattin des Vorsitzenden des Staatsrats der DDR auch unter den Schutz des § 103? Oder darf ich sie noch schnell beleidigen?

Roberto Yáñez hat den Kommunismus überwunden, er ist heute Surrealist. Surrealismus ist auf jeden Fall besser als Kommunismus, hat nie solchen Schaden angerichtet. Ich habe mir für heute zwei Gedichte des Malers und Dichters Roberto Yáñez Betancourt y Honecker aus dem Band Frühlingsregen heraus gepickt. Ein Buch, das der Verlag so beschreibt: Magische Landschaften aus Pyramiden und Würfeln, übernatürlich leuchtende Bergseen und bizarre Gestalten formen die phantasmagorische Bildwelt des chilenischen Malers und Lyrikers Roberto Yañez. Dieses Buch verbindet die farbkräftigen Gebilde mit Versen, die ihre surreale Herkunft nicht verleugnen. Bald schlägt den Dichter ein Gespenst, bald ein Satan, gelegentlich auch ein merkwürdiger Engel in seinen Bann. Dann regt sich unter dem Bann schwerer Träume etwas wie die Sehnsucht nach Einheit und Erneuerung: „Jetzt ist die Welt wieder zusammengewachsen."


Der Frühlingsregen kommt aus der Wolke
Er zählt die Träume und sucht die Fenster
Er verwandelt in Blüten den Todessinn
Deutet den Uhrzeiger
Zwischen den Bergen
In einer Stunde der Sonne

            ***

Einmal auf der Frühlingsstraße
Stiehlt der Maulwurf unsere Seele
Es sind Angelegenheiten die aus einem Fenster ein
Fenster machen
Ein Lied das der Gärtner singt um nicht zu schlafen
Und die tote Wahrheit küsst die Blumen


Durchs Fenster kann man die Landstreicher sehen
Es ist der Schlaf des Frühlings
In dem die Tiere an uns denken

Ich weiß nicht, was Oma von den Gedichten Robertos hält.

1 Kommentar:

  1. ...unterschreibe ich sofort! Und ergänze: Da sind einige mehr, die unverschämt Rente/ Gelder beziehen, obwohl sie eigentlich keinen Cent VERDIENEN würden!

    Danke auch für den interessanten Post zu Darwin.

    Mit sonnigen Grüßen, Heidrun

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