Diesen Herrn werden Sie vielleicht nicht kennen. Er sieht ein wenig aus wie ein weißhaariger Herman Melville, aber er ist es nicht. Dies ist Melvilles Zeitgenosse Philip James Bailey, der heute vor zweihundert Jahren geboren wurde. Mit dreiundzwanzig Jahren hatte er ein Langgedicht von 40.000 Versen namens Festus fertig, eine Bearbeitung der Sage von Doktor Faustus. Herman Melville hat auch ein langes episches Gedicht namens Clarel geschrieben, das war aber nur 18.000 Verse lang. Aber immerhin länger als Ilias, Aeneis oder Paradise Lost. Ich habe vor Jahrzehnten mal einen Versuch gemacht, Festus zu lesen. Ist nicht gelungen. Durch Clarel bin ich auch noch nicht durch, aber das schaffe ich noch, einen ➱Post dazu habe ich schon geschrieben.
Das epische Gedicht Festus war nicht immer so lang. Ähnlich wie ➱Walt Whitman an seinen Leaves of Grass bis zur Deathbed Edition schreibt, dichtet Bailey immer weiter, bis er die sagenhafte Zahl von 40.000 Versen erreicht hat. Er schreibt nicht wegen des Zeilenhonorars, seit 1840 bekommt er eine Pension von hundert Pfund für literarische Verdienste. Melville (Bild) muss für einen Bruchteil dieses Geldes als Zollinspektor im New Yorker Hafen arbeiten. Das viktorianische Publikum, das ➱Melville nicht las, war von Bailey begeistert. Nur die Zeitschrift Athenæum hielt das Werk für a mere plagiarism from the "Faust" of Goethe, with all its impiety and scarcely any of its poetry. Wenn Sie wollen, können Sie Festus ➱hier lesen. Aber vielleicht lesen Sie dann doch lieber Melvilles Clarel (➱hier im Volltext). Um einen Eindruck von Baileys Gedicht zu geben, zitiere ich einmal zehn Zeilen daraus, die auch als einzelnes Gedicht in eine Vielzahl von Anthologien gewandert sind:
We live in deeds, not years; in thoughts, not breaths;
In feelings, not in figures on a dial.
We should count time by heart-throbs. He most lives
Who thinks most, feels the noblest, acts the best.
And he whose heart beats quickest lives the longest:
Lives in one hour more than in years do some
Whose fat blood sleeps as it slips along their veins.
Life’s but a means unto an end; that end,
Beginning, mean, and end to all things—God.
The dead have all the glory of the world.Kann man immer zitieren, nie widersprechen, ist immer wahr. Diese Bilder sind auch aus Festus. Allerdings nicht aus dem Werk von Philip James Bailey, sondern aus Le Docteur Festus von Rodolphe Töpffer. Goethe fand diesen frühen Literatur Comic sehr witzig, wenn Sie wollen, können Sie das Werk ➱hier im Volltext lesen. Ist bestimmt amüsanter als Baileys Festus zu lesen. Und ist auch keine 40.000 Verse lang.
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