Seiten

Freitag, 17. Juni 2016

Oswald Baer


Dies Bild hier hat nichts mit dem 17. Juni 1953 in Berlin zu tun. Es ist hier, weil der Maler der Neuen Sachlichkeit Oswald Baer heute vor 110 Jahren geboren wurde. An den 17. Juni 1953 kann ich mich noch gut erinnern. Der Tag, der einmal ein Nationalfeiertag war, hat ➱hier schon einen Post (und er kommt auch in dem Post ➱Plebejer vor). Damals schrieb ich: Der 17. Juni 1953 war ein schöner Frühsommertag. Ich spielte auf der Straße, bis der Malermeister Wenzel vorbeikam und sagte 'Und jetzt kommen die Panzer'. Ich wußte nicht, was er meinte und ging ins Haus. Opa saß am Radio. Ich setzte mich zu ihm, und Opa erklärte mir die Welt.

Es ist schön, wenn man klein ist, einen Opa zu haben, der einem die Welt erklärt. Heute muss ich sie mir selbst erklären. Gelingt mir manchmal, nicht immer. Auch ich habe Wissenslücken. What a lot you know! sagt Philippa Garwood in The Lions of Nemea zu Inspector James Hathaway, und er antwortet: Not about the important stuff. Ich wollte damit mal eben en passant sagen, dass es von der beliebten Serie ➱Lewis auch schon die Folgen acht und neun gibt. Dieses Not about the important stuff gefällt mir. Und ich muss gestehen: ich hatte noch nie etwas von Oswald Baer gehört.

Was auch daran liegen mag, dass der österreichische Maler in dem ansonsten so schönen Realismus Katalog, den ich in dem Post ➱Magischer Realismus angepriesen habe, gar nicht erwähnt wird. Die Ereignisse vom 17. Juni hat Oswald Baer gar nicht mehr kennengelernt, denn der Maler ist schon 1941 gestorben. Er war sein ganzes Leben lang schwer herzkrank. Er schob seinem Vater die Schuld zu, der seine Familie als überzeugter Anhänger der Freikörperkultur nur nackt herumlaufen ließ. Und sie solange in den Bodensee warf, bis sie schwimmen konnten. Das sind so die Augenblicke, in denen mir unweigerlich ➱Philip Larkins Gedicht This Be the Verse einfällt:

They fuck you up, your mum and dad.
They may not mean to, but they do.
They fill you with the faults they had
And add some extra, just for you.


Die Freikörperkultur war ja am Anfang des 20. Jahrhunderts (und in den zwanziger Jahren) eine große Mode (Sie könnte dazu etwas in dem Post ➱Lichtgebet lesen), vielleicht hat sie Oswald Baer zur Aktmalerei gebracht. Frauenakte kommen immer wieder in seinem Werk vor. Hätte ich die Werke von Baer schon früher gekannt, dann hätte ich ihn in den Post ➱Aktmalerei hinein geschrieben (das ist im Übrigen ein Post, der auf die 10.000 Klicks zusteuert - so wie dieser Blogger auf die zweieinhalb Millionen zusteuert). Nicht alle seine Aktbilder stießen auf die Akzeptanz des Publikums, so wurde in den zwanziger Jahren im Vorarlberger Kunstmuseum sein Bild von Josephine Baker zerschnitten.

Viel zu selten wird dieser große Maler gezeigt. Es wird höchste Zeit, dass die bedeutenden Werke nicht in irgendwelchen Depots verstauben, sondern regelmäßig der Öffentlichkeit gezeigt werden, hat der Kunsthistoriker Rudolf Sagmeister im letzten Jahr bei der Eröffnung einer Ausstellung im ➱Rohnerhaus gesagt. Und da hat er sicher recht. Alwin Rohner, der mit vierzig Bildern die größte Sammlung von Oswwald Baers Bildern besitzt, wird ihm da sicher zustimmen. Dieses Bild hier heißt Hierarchie. Wir sehen es und fangen im Kopf an, einen Roman zu schreiben. Was ist hier passiert? Was wird noch passieren?

Das Rohnerhaus hat im letzten Jahr auch eine Ausstellung zu dem Maler ➱Georg Ligges gemacht, der die Schwester von Oswald Baer (hier im Selbstportrait) heiratet. Er wird ein Nazi werden. Oswald Baer nicht, sein Selbstbildnis mit Krankenschwester wird 1937 in Weimar beschlagnahmt und 1939 in Berlin verbrannt. Der todkranke Maler zieht sich in die Innere Emigration zurück. Er bekommt noch öffentliche Aufträge vom Direktor der Kunsthalle Jena, Werner Meinhof. Der ist zwar ein strammer Nazi, aber er fördert auch diesen Maler der Neuen Sachlichkeit. Werner Meinhof ist übrigens auch der Vater von Ulrike Meinhof. Auch darüber könnte man einen Roman schreiben.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen