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Sonntag, 9. April 2017
Baudelaire
Das Les Fleurs du Mal ist eine Cocktailbar wie ich sie mir immer gewünscht habe, oben, im ersten Stock der Schumann's Bar am Hofgarten. Mit einem Tisch, dessen neun Meter lange Platte aus einem einzigen Baum gefertigt wurde. Man nimmt Platz und bespricht die Drinks persönlich mit dem Barmann – wie bei einem guten Schneider den Anzug. Dieser lobhudelnde Text findet sich im Internet, dahin ist es gekommen. Früher bedeutete Les Fleurs du Mal mal etwas anderes, da war das ein Gedichtzyklus von Charles Baudelaire. Der hat heute Geburtstag. Er war immer wieder in diesem Blog. Weil er ➱Poe übersetzte, weil er über den ➱Dandy und die ➱Kunst schrieb. Und weil ich diese wunderbar komische Geschichte, die in ➱Textil/Text steht, unbedingt erzählen musste. Und für die Schickeria Säufer der Münchener Cocktailbar gibt es hier heute die Nummer 84 (Horreur sympathique) aus den Fleurs du Mal:
De ce ciel bizarre et livide,
Tourmenté comme ton destin,
Quels pensers dans ton âme vide
Descendent ? Réponds, libertin.
- Insatiablement avide
De l'obscur et de l'incertain,
Je ne geindrai pas comme Ovide
Chassé du paradis latin.
Cieux déchirés comme des grèves,
En vous se mire mon orgueil,
Vos vastes nuages en deuil
Sont les corbillards de mes rêves,
Et vos lueurs sont le reflet
De l'Enfer où mon coeur se plaît.
Ich habe natürlich für das Gedicht eine Übersetzung, sogar zwei. Die erste kommt von Therese Robinson, einer Frau mit einer erstaunlichen Sprachbegabung. Sie wird schon in dem Post ➱Albatros erwähnt. Bei ihr heißt das Gedicht Anziehender Schauder:
Schau dieses Himmels fahle Seltsamkeiten,
Wie dein Geschick zerrissen, wunderlich,
Was mag durch deine leere Seele gleiten,
Was fühlst du bei dem Anblick? Wüstling, sprich.
Ich fühle Gier nach wirren Dunkelheiten,
Nach Qual und Ungewissheit lechze ich,
Doch nicht voll Jammer starr ich in die Weiten,
Wie einst Ovid, da Rom für ihn erblich.
Ihr wild zerrissnen, grauen Himmelsräume,
Ihr seid, wie ich, von Trotz und Stolz erfüllt!
Und eure Wolken trauerflorumhüllt,
Es sind die Leichenwagen meiner Träume,
Von eurem Schein geht fremdes Leuchten aus,
Ein Glanz der Hölle, wo mein Herz zu Haus.
Und dann gibt es noch den Baudelaire Übersetzer Stefan George. Den kann ich nicht ausstehen. Und das fängt bei ihm schon mit dem Vorwort zu seiner Umdichtung an:
Diese verdeutschung der FLEURS DU MAL verdankt ihre entstehung nicht dem wunsche einen fremdländischen Verfasser einzuführen sondern der ursprünglichen reinen freude am formen. so konnte sie auch nicht willkürlich fortgesezt und vollendet werden und der umdichter betrachtete seine mehrjährige arbeit als abgeschlossen nachdem er seine möglichkeiten erschöpft sah. erschwerend war dass von Baudelaire noch keine gute ausgabe besteht – man bald zur ersten bald zur zweiten greifen muss und die dritte sogenannte endgiltige an unordnung fehlern und lücken leidet. es bedarf heute wol kaum noch eines hinweises dass nicht die abschreckenden und widrigen bilder die den Meister eine zeit lang verlockten ihm die grosse verehrung des ganzen jüngeren geschlechtes eingetragen haben sondern der eifer mit dem er der dichtung neue gebiete eroberte und die glühende geistigkeit mit der er auch die sprödesten Stoffe durchdrang. so ist dem sinne nach »Segen« das einleitungsgedicht der Blumen des Bösen und nicht das fälschlich »Vorrede« genannte. mit diesem verehrungsbeweis möge weniger eine getreue nachbildung als ein deutsches denkmal geschaffen sein.
Auch bei Stefan George heißt das Gedicht Anziehender Schauder, klingt dort aber ganz anders als bei Therese Robinson:
Der himmel dort seltsam und bleich ·
Zerquält deinem schicksale gleich ·
Woran gemahnt er dich inne?
Sprich · sünder mit leerem sinne!
Unermüdlich beflissen
Des finstern und ungewissen
Wein ich nicht wie Ovid
Der aus römischem eden schied.
Himmel wie klippen zerfahren!
Zu euch schau ich stolz empor.
Ihr wolken im trauerflor
Seid meiner träume bahren ·
In eurem leuchten tagt
Die hölle die mir behagt.
Charles Baudelaire
Was würde sich Baudelaire heute an seinem Geburtstag bestellen, wenn er in der Münchener Bar Les Fleurs du Mal säße? Natürlich nichts von den Spezialitäten, die das ehemalige ➱Baldessarini Model Charles Schumann dort serviert. Sondern einen Absinth, über den er schon das Gedicht ➱Le vin des chiffonniers schrieb. Man hat den Absinth auch La fée verte (die grüne Fee) genannt, aber ich lasse meine Finger von dem grünen Zeug. Ich trinke lieber einen kleinen Whisky auf Baudelaire. Die Nina, mit der ich gestern telephonierte, hat mir versprochen, mir einen ➱bayrischen Whisky zu schicken. Wenn der ankommt, schreibe ich drüber.
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