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Donnerstag, 17. August 2017

Jean-Jacques Sempé


Der französische Zeichner Sempé, der denselben Vornamen wie Rousseau hat, wird heute 85. Aber eigentlich kennt niemand seinen Vornamen, er ist einfach Sempé. So wie Rousseau einfach Rousseau ist. Sempé ist nicht nur Zeichner, er ist genau wie Rousseau auch Philosoph. Das ist jedem klar, der seine Zeichnungen kennt. Rousseau hat seine Kinder im Findelhaus abgegeben und mit Émile ou De l'éducation einen Roman über die Erziehung geschrieben. Aber wir erfahren vielleicht mehr über die Erziehung, wenn wir die Geschichten vom kleinen Nick lesen. Die erste hieß Rien n'est simple, und das ist sehr philosophisch.

Sempé ist sein Leben lang geradelt, heute radelt er nicht mehr, es geht ihm gesundheitlich nicht so gut. Aber passend zu seinem Geburtstag wird gerade Das Geheimnis des Fahrradhändlers verfilmt. Das hat ihn gefreut. Der französische Zeichner, der uns allen vielleicht mehr Freude bereitet hat als sein Namensvetter Rousseau, war schon am 17. August 2011 in diesem Blog. Ich stelle das heute noch einmal ein. Nicht ohne zu sagen: Je vous souhaite un chaleureux anniversaire.

Wenn ich auf das blicke, was Wikipedia am 229. Tag des Jahres als denkwürdig erscheint, dann gibt es für mich nur zwei Ereignisse, die man herausheben sollte: die Veröffentlichung von Miles Davis Kind of Blue Album 1959 und der Geburtstag von Jean-Jacques Sempé. Und so werde ich den Tag damit verbringen, Kind of Blue zu hören und Bücher mit den wunderbaren Zeichnungen von Sempé durchzublättern.

Eigentlich wollte ich nach diesem Satz aufhören. Aber dann wären Sie wahrscheinlich enttäuscht, weil Sie von diesem Blogger mehr gewöhnt sind. Also gut. Zuerst muss ich bekennen, dass ich kein großer Miles Davis Fan bin. Weil ich vor vierzig Jahren den Fehler gemacht habe, und mir Bitches Brew gekauft hatte. Habe ich mich nie dran gewöhnt. Ich finde auch die Filmmusik von Fahrstuhl zum Schafott (Ascenseur pour l’échafaud) viel besser als Kind of Blue. Denn es war diese Platte, die Miles Davis dazu gebracht hat, Kind of Blue aufzunehmen. Und da wir gerade bei musikalischen Bekenntnissen sind, möchte ich noch At Last! Miles Davis and the Lighthouse All-Stars von 1953 empfehlen. Konnte man jahrzehntelang nicht bekommen, aber ich war immer stolz, die Platte zu haben. Jetzt habe ich bestimmt alle Miles Davis Fans vergrellt.

Ascenseur pour l’échafaud ist 1957 in Paris aufgenommen worden, mit der Band von René Urtreger, der auch in der schönen Jazz in Paris Reihe von Gitanes mit einer CD (No. 67) vertreten ist. Und Paris bringt mich natürlich zu unserem Geburtstagskind Jean-Jacques Sempé. Der im gleichen Jahr seinen großen Durchbruch hatte und von dem Jahr an regelmäßig mit seinen Zeichnungen in Paris-MatchPunchL'Express, der New York Times und dem New Yorker zu sehen war. Ein Jahr später hatte er schon einen Vertrag von Diogenes. Wenn man als Karikaturist vor einem halben Jahrhundert einen Vertrag mit Daniel Keel hatte, war man in den Olymp aufgenommen worden. Denn da waren sie alle: Edward Gorey, Gerard Hoffnung, Norman Thelwell, Shel Silverstein, Sam Cobain, Chas Addams, Saul Steinberg, Ronald Searle. Und die Franzosen wie Chaval, Bosc, Siné und Topor. Loriot (dessen Tochter der Diogenes Lektor Gerd Haffmanns geheiratet hat) und Paul Flora waren da seit ihren Anfängen, Tomi Ungerer nicht zu vergessen. Später kamen aus Deutschland noch Waechter, Traxler, Deix und Franziska Becker dazu.

Sehr gehrter Herr Sempé, Bosc hat uns freundlicherweise Ihre Adresse gegeben. Zur Zeit bereiten wir unseren vierten Sammelband Cartoons 1959 vor. Wenn Sie Lust haben, schicken Sie uns doch etwa zwanzig Ihrer besten Zeichnungen, hatte Daniel Keel 1958 nach Paris geschrieben. Das war der Beginn einer jahrzehntelangen Freundschaft. Die nicht immer ungetrübt war, irgendwann hatten sich Sempé und Keel gründlich verkracht.  So dass der Schöpfer des kleinen Nick ihm schrieb: Entweder entscheiden wir, daß ich nicht mehr für Diogenes arbeite. Oder ich arbeite weiter für Diogenes, aber wir, Du und ich, haben keinen Kontakt mehr. So ist es auch gekommen, die nächsten Jahre lief alles über Keels Freund und Teilhaber Rudolf C. Bettschart. Der schickte immer seine Assistentin nach Paris, damit sie die Cartoons abholte und Sempé sein Geld brachte. Aber irgendwann haben sich die beiden Streithähne in einer Pariser Brasserie wieder versöhnt. Als Verleger von Leuten, die witzig Geschichten zeichnen, hat man es nicht immer leicht.

Denn auch die Welt von Sempé ist nicht lustig, wie vor Jahren Patrick Süskind in einem kleinen Essay über unser Geburtstagskind schrieb: Darum genügt es nicht, ein Album von Sempé rasch im Stehen in der Buchhandlung wie ein Daumenkino durchzublättern - ach wie nett, schau wie lustig! -, nein, man muss es mit nach Hause nehmen, den günstigen Moment abwarten, wo man für eine gute Weile ungestört ist, sich in eine Ecke damit setzen, am besten auf den Boden, und es Seite für Seite anschauen, darin lesen (auch wenn es keinen Text hat) und es langsam dechiffrieren. Was für ein Gewinn, was für ein Vergnügen!

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