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Freitag, 15. September 2017
Kühe
Vor neun Jahren gab es in der Hamburger Kunsthalle eine große Ausstellung für Jakob Philipp Hackert. Mein Freund Götz klagte darüber, als er aus Hamburg zurückkam, wie da versucht wurde, einen zweitklassigen Maler zu einem bedeutenden Künstler zu stilisieren. Der Ausstellungstitel Europas Landschaftsmaler der Goethezeit war schon ein wenig zu hoch gegriffen. Mein Freund Götz besitzt einen ➱Atkinson Grimshaw und einen Gainsborough, der nicht ganz echt ist. Und er ist in den letzten Jahrzehnten bestimmt in allen wichtigen Ausstellungen gewesen. Sein Urteil wird sicher stimmen. Ich habe mir Hamburg geschenkt, ich mag Hackert nicht. Der Maler wurde heute vor 280 Jahren geboren, deshalb soll er einen kleinen Post bekommen. Aber wirklich nur einen kleinen.
➱Goethe mochte ihn: In Tivoli war ich mit Herrn Hackert draußen, der eine unglaubliche Meisterschaft hat, die Natur abzuschreiben und der Zeichnung gleich eine Gestalt zu geben. Ich habe in diesen wenigen Tagen viel von ihm gelernt [...]. Herr Hackert hat mich gelobt und getadelt und mir weitergeholfen. Er tat mir halb im Scherz, halb im Ernst den Vorschlag, achtzehn Monate in Italien zu bleiben und mich nach guten Grundsätzen zu üben; nach dieser Zeit, versprach er mir, sollte ich Freude an meinem Arbeiten haben.
Diese Darstellung der Wasserfälle von Tivoli ist von Hackert, nicht von Goethe.
Goethe hat auch den Nachruf für seinen Zeichenlehrer geschrieben, Teile davon habe ich in dem Post ➱Johann Adam Ackermann zitiert (es ist ein Post, den die Leser lieben). Der Mainzer Maler Ackermann war genau wie Hackert in Paris, aber er hatte mit ➱Jacques-Louis David einen berühmten Lehrer. Wirklich berühmte Lehrer hat Hackert nie gehabt. Dafür konnte er ganz gut Kühe malen. Nicht so gut wie ➱Thomas Herbst, aber immerhin. Hackert kaum aus einer Künstlerfamilie, Vater und Onkel waren Maler, vier seiner Brüder auch. In Berlin war Hackert Schüler bei Blaise Nicolas Le Sueur, der ein Akademiedirektor, aber kein bedeutender Maler war.
Goethe ist mit seinen Aussagen über die Bildende Kunst immer mit Vorsicht zu genießen. Über Caspar David Friedrich hat er gesagt: Die Bilder von Maler Friedrich können ebensogut auf den Kopf gesehen werden. Wir lassen das mal so stehen. Es ist Goethe (oder dem Hofrath Heinrich Meyer, die Autorenschaft ist nie wirklich geklärt) wohl klar, dass er sich bei seinem Nachruf auf Hackert auf gefährlichem Terrain bewegt, wenn er schreibt:
Hackerts Verdienst als Landschaftsmaler und das Eigentümliche seiner Werke klar auseinanderzusetzen, ist keine leichte Aufgabe, teils weil er die Prospektmalerei hauptsächlich emporgebracht und noch bis jetzt von niemand darin übertroffen worden, teils weil zwar wohl das Publikum, aber nicht immer die Kunstrichter seinen Talenten und seiner großen, höchst achtbaren Kunstfertigkeit Ehre und Recht haben widerfahren lassen. Damit aber der vorgesetzte Zweck möge erreicht werden, so wird sich der Leser einige Rückblicke auf den Zustand oder vielmehr auf den Gang der Landschaftsmalerei seit dem 17. Jahrhundert gefallen lassen.
Und dann erwähnt er den Namen Claude Lorrain, an dieser Stelle könnte er eigentlich aufhören. Denn was gibt es bei Hackert, was es bei Lorrain (der ➱hier natürlich einen Post hat) nicht gibt? ➱Poussin könnte man auch noch erwähnen. Gut, die Kühe, wir lassen sie mal beiseite. Dies ist eine gefällige konventionelle Malerei, aber man mag nicht an die englische Landschaftsmalerei des ➱18. Jahrhunderts denken, an Namen wie ➱Richard Wilson oder ➱Thomas Gainsborough.
Sollten Ihnen etwas von J. Ph. Hackerts Umrissen oder ausgeführten Zeichnungen in die Hände kommen, so legen Sie mir solche bey Seite; um leidlichen Preis werde ich sie immer gern behalten, da sie mich an die Zeiten erinnern, wo ich mit diesem trefflichen Manne glückliche Tage verlebte und ihn nicht ohne Belehrung nach der Natur arbeiten sah, hat Goethe an einen Leipziger Kunsthändler geschrieben. Er schätzte Hackert immer noch.
Und das tun in Europa damals viele: Hackert ist als Landschaftsmaler beachtenswerth, da er in der Zeit thätig ist, in welcher die Kunst sich aus dem Manierismus zu erheben anfing; er hat das Verdienst, sich der Natur zugewendet zu haben. Wenn ihn die Zeitgenossen den größten Landschaftsmaler nannten, so ist das Urtheil der Nachwelt nüchterner geworden, heißt es in 1872 in der Deutschen Biographie.
Hackert hat zu Lebzeiten gut verdient, er hat für die russische Zarin und viele europäische Herrscher gearbeitet. Der König von Neapel machte ihn zum Hofmaler. Die Hunde der Lady Hamilton hat er auch gemalt, für ihren Gatten war er ebenso tätig. Und da ich die Geliebte von ➱Lord Nelson erwähne, sollte ich auch sagen, dass viele englische Touristen auf ihrer ➱Grand Tour bei ihm ein Bild kaufen. Sie mögen ihn, diesen Mann, der auch noch im katholischen Neapel ein protestantischer Preuße bleibt. Und der stilvoll residiert. In einer Wohnung in einem Palazzo, die er mit Künstlergeschmack möblieren ließ und mit Zufriedenheit bewohnt.
Das schreibt wieder Goethe: Heute besuchten wir Philipp Hackert, den berühmten Landschaftsmaler, der eines besondern Vertrauens, einer vorzüglichen Gnade des Königs und der Königin genießt. Man hat ihm einen Flügel des Palasts Francavilla eingeräumt, den er mit Künstlergeschmack möblieren ließ und mit Zufriedenheit bewohnt. Es ist ein sehr bestimmter, kluger Mann, der, bei unausgesetztem Fleiß, das Leben zu genießen versteht. Dann gingen wir ans Meer und sahen allerlei Fische und wunderliche Gestalten aus den Wellen ziehen. Der Tag war herrlich, die Tramontane leidlich. Das Bild hier ist von Tischbein gemalt, Hackert hat Goethe nicht gemalt.
Er konnte keine Menschen malen. Nur Kühe. Und so malt sich unser Hackert durch die Campagna und stellt beinahe fabrikmäßig italienische Landschaften her. Aber eine Landschaft hat er nie gemalt. Nämlich die Uckermark, die Landschaft aus der er kommt. Stimmt nicht ganz. Er hat die ➱Stubbenkammer (im Bild links) gemalt, wandfüllend für seinen Mäzen Adolf Friedrich von Olthoff im ➱Gut Boldevitz auf Rügen. Die Rettung der von der Zerstörung bedrohten Bilder hat beinahe eine halbe Million Euro gekostet, dafür kann man jetzt in dem restaurierten Festsaal stilvoll heiraten.
Dies sollte ein kleiner Post werden. War wieder nix.
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