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Mittwoch, 25. Oktober 2017

Azincourt


Der konservative englische Abgeordnete Jacob Rees-Mogg hat am Rande einer Parteiversammlung über den Brexit gesagt: We need to be reiterating the benefits of Brexit because this is so important in the history of our country ... This is Magna Carta, it’s the Burgesses coming at Parliament, it’s the great reform bill, it's the bill of rights, it’s Waterloo, it’s Agincourt, it’s Crecy. We win all of these things. Und als ihm jemand Trafalgar zurief, sagte er: And Trafalgar, absolutely. Ich weiß nicht, wie ernst er das gemeint hat, er ist für seinen Humor bekannt. In seiner Rede ist keine Rede von Dünkirchen, einem historischen Ereignis, das mir bei dem Brexit als erstes einfallen würde.

Das Beschwören der großen historischen Siege durch einen Politiker klingt ein wenig nach Verzweiflung. Natürlich  darf die Schlacht von Azincourt am 25. Oktober 1415 nicht fehlen, wenn Englands historische Schlachten aufgezählt werden. Denn Azincourt ist längst zu einem nationalen Mythos geworden. Weil schon in der Zeit von Elizabeth I die Dichter den jungen König Henry zu einem Mythos gemacht haben. William Shakespeare läßt ihn sagen:

From this day to the ending of the world,
But we in it shall be rememberèd-
We few, we happy few, we band of brothers;
For he to-day that sheds his blood with me
Shall be my brother; be he ne'er so vile,
This day shall gentle his condition


Und für seinen Dichterkollegen Michael Drayton (der hier schon einen Post hat) ist Henry in einem Gedicht jemand, den England dringend brauchte:

Upon Saint Crispin's Day
Fought was this noble fray,
Which fame did not delay
To England to carry.
O, when shall English men
With such acts fill a pen;
Or England breed again
Such a King Harry? 

Während des Zweiten Weltkriegs wurde Henry V mit großem Aufwand verfilmt, der Film hat schon ein wenig von einem Propagandafilm. ➱Laurence Olivier spricht den Monolog (der den Namen St Crispin's Day Speech bekommen hat) voller Enthusiasmus. Man braucht jetzt jede Hilfe, um von Dünkirchen und einer möglichen Invasion abzulenken. Aber man muss den sang froid der Engländer bewundern. Myra Hess spielt in der Mittagspause in der National Gallery Klavier, egal ob die Deutschen London bombardieren oder nicht.

We few, we happy few, we band of brothers steht auch in dem Glasfenster der Royal Air Force Chapel in der Westminster Cathedral. Die Worte sind sicher passend für die Piloten der Royal Air Force, die die Battle of Britain gewannen. Winston Churchill hat über sie gesagt: Never in the field of human conflict was so much owed by so many to so few. Der am St Crispin's Day siegreiche König Henry wird sich King of France nennen, erst George III wird das aufgeben. Manchmal ist es gut, auf Titel zu verzichten. Königin Margarete von Dänemark führt nicht mehr den Titel einer Gräfin von Delmenhorst, das wäre auch ein bisschen lächerlich.

Die Schlacht von Azincourt ist sehr gut dokumentiert (das steht auch in dem Wikipedia Artikel, der mal sehr gut ist), es ist eine Schlacht, die die Form des Krieges verändern wird. John Keegan (der hier schon einen Post hat) hat gesagt, die Schlacht sei a victory of the weak over the strong, of the common soldier over the mounted knight. Es ist eine Schlacht, in der Konventionen gebrochen werden. Mittelalterliche Schlachten haben strenge Spielregeln, es gibt sogar Schiedsrichter. Einen Videobeweis gibt es noch nicht. Die Regeln sind einfach: der Ritter erschlägt den Ritter, der gemeine Mann den gemeinen Mann. Aber in diesem Gemetzel am St Crispins Tag erschlagen gemeine Männer adlige Ritter. Und dann sind da noch die Bogenschützen, die neue Technologie bedeutet das Ende der mittelalterlichen Ritterherrlichkeit. Das mit den Bogenschützen hätten die Franzosen eigentlich wissen können, denn schon siebzig Jahre zuvor trugen sie in der Schlacht von Crécy zum englischen Erfolg bei.

Die Balladensänger wussten schon, wie es mit den Rittern ausgeht. Sie werden das Frühstück für die Raben:

The one of them said to his mate,
Where shall we our breakfast take?
Downe in yonder greene field,
There lies a Knight slain under his shield

Und die Frauen zu Hause warten vergeblich auf ihren Chevalier:

The ladies crack't their fingers white,
the maidens tore their hair,
a' for the sake o' their true loves,
for them they ne'er saw mair.

Crécy und Azincourt sind die großen Erfolge der Engländer im Hundertjährigen Krieg, der mit Henrys Sieg bei Azincourt noch lange nicht zuende ist. Die Engländer werden diesen Krieg, unter dem Strich gesehen, verlieren. In Frankreich bleibt ihnen so gut wie nichts. Außer dem schönen Titel, dass der englische König auch König von Frankreich sein will. Wenn Sie auch irgendwo König sein wollen, dann wenden Sie sich doch vertrauensvoll an den Titelhändler Konsul Weyer, der sich jetzt Graf von York nennt.

Die Ritter sind zwar untergegangen, aber sie kommen Jahrhunderte später wieder. Ohne die Bogenschützen. Dann reiten die Ritter in Märchen und Sagen durch die Wälder unserer Kindheit. Eigentlich wären sie da harmlos, wenn sie nur gegen Drachen kämpfen und ➱damsels in distress retten würden. Aber sie können gefährlich werden, wenn diese gefälschte chivalry zu einer Ideologie wird. Mark Twain hat gesagt, dass ➱Sir Walter Scott Schuld am amerikanischen Bürgerkrieg ist. Und da ist etwas dran. Für England hat ➱Mark Girouard das Revial der Ritter im 19. Jahrhundert in seinem Buch The Return to Camelot: Chivalry and the English Gentleman sehr schön beschrieben.

In der Schlacht von Azincourt geht es nicht nur um Macht, Ruhm und Ehre, es geht auch um Geld. Lösegeld. Nicht jeder französische Adlige wird erschlagen; wenn er zahlungswillig ist, kann man ja noch einmal verhandeln. Insofern hat die Schlacht von Azincourt doch etwas mit dem Brexit zu tun. Henry V werden am Ende die zahlreichen Gefangenen im Rücken der eigenen Armee zuviel. Es stört ihn auch, dass nicht überall gekämpft, sondern eher um Lösegeld gefeilscht wird. Er gibt den Befehl, die Gefangenen zu töten. Bei Shakespeare klingt das so:

But, hark! what new alarum is this same?
The French have reinforced their scatter'd men:
Then every soldier kill his prisoners:
Give the word through.


Das ist gegen die Spielregeln (obgleich es nicht zum erstenmal passiert), das ist definitively not cricket. Aber der Tod wird nur einen kleinen Teil der Gefangenen treffen, auf keinen Fall den Herzog von Orleans. Der wird 36.000 Pfund Sterling zahlen, in heutiger Währung eine Millionensumme. Manche der Gefangenen müssen nach England, bei vielen hat die Familie schon das Lösegeld aufgebracht, bevor die englische Armee Calais erreicht. Einer, den es nach England verschlägt, ist Ghillebert de Lannoy. Er hat den Tötungsbefehl für die Gefangenen überlebt, weil man ihn für tot hielt: There I was when the English returned, so I was taken prisoner again and sold to Sir John Cornwall, thinking that I was someone of high status since, thank God, I was well accoutred when I was taken the first time according to the standards of the time. So I was taken to Calais and thence to England until they discovered who I was, at which point I was put to ransom for 1,200 golden crowns (écus) along with a horse of 100 francs. When I left my master, Sir John Cornwall, he gave me 20 nobles to purchase a new suit of armour (harnas).

Sir John hat noch einen zweiten Gefangenen, der etwas prominenter ist als Ghillebert de Lannoy. Der heißt Louis de Bourbon, der soll im adligen Menschenhandel 100.000 écus bringen. Sir John verkauft ihn an Henry V, vom Erlös baut er sich ein neues Schloss. Dass er mit Ghillebert de Lannoy (der auch den Orden des Goldenen Vlieses gründete) einen der interessanten Menschen des Jahrhunderts zu Gast hatte, das wird er wohl nie erfahren haben. Wenn Sie einen Klassiker der Miltärgeschichte zu Azincourt lesen wollen, dann lesen Sie John Keegans The Face of Battle: A Study of Agincourt, Waterloo, and the Somme.

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