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Samstag, 21. April 2018

Alltagslyrik: Hans-Ulrich Treichel


Meinen ersten Gedichtband von Hans-Urich Treichel (Der einzige Gast) fand ich bei Eschi im ↝Antiquariat. Ein schmaler grüner Suhrkamp Band, der aus der Bibliothek von Hans-Jürgen Heise stammte. Eschi hat einen großen Teil der Bibliothek gekauft. Das steht schon in dem Post zu ↝Sabine Techel, der vor einem Jahr hier ein richtiger Renner war. Hans-Jürgen Heise hat in den Gedichtbänden, die ihm meistens von den Autoren oder ihren Verlagen zugeschickt wurden, Gedichte, die er bemerkenswert fand, mit kleinen Kreuzen versehen. Die Gedichte mit den Kreuzchen lese ich immer zuerst, stimme aber nicht immer mit Heise überein.

Wenn die Dichter über Nord- und Ostsee, Meer und Strand schreiben, kriegen sie bei dem Kieler Hans-Jürgen Heise immer schon mal einen Sympathiepunkt. Zlatko Krasni hat in einem hübschen Gedicht Heise und die Ostsee miteinander verbunden. Das Gedicht finden Sie ↝hier, wenn Sie sich durch die Uhrenarmbänder gescrollt haben. Heise gefiel Treichels Gedicht Inselmuseum:

Schiffsuntergänge, prächtig
umwölkt, blaue Wale im Abendlicht, 
Eisschollen, darauf zwei träumende 
Bären, und im salzharten Bordbuch 
die zerflossenen Worte: Wetter 
gut. Sicht gut. Aus

Ist nett mit den blauen Walen im Abendlicht, ein klein wenig bemüht und konstruiert. Ich stelle dem Inselmuseum mal eben ein Gedicht mit dem Titel Bootsschuppen gegenüber:

Blechteller mit Pastetenkrümeln sauberster
Gegenstand an diesem Ort, 
Fliegen überall, Hundehaare im Fett, 
rosa schimmert die Haut durch die kahlen Stellen im Fell. 
Über ausgenommenen Makrelen grinst der Bootsverleiher - 
unverändert nach zehn Jahren. 
Wenn du die Küche übernimmst, 
kannst du bleiben

Das bleibt kleben. Wir können nicht anders, wir behalten es im Gedächtnis. Das Gedicht (auch mit dem Heiseschen Kreuzchen versehen) findet sich in Ralf Theniors Gedichtband (der auch Kurzprosa enthält) ↝Traurige Hurras. 1974 hatte die Zeitschrift Literarische Hefte ↝F. C. Delius und Ralf Thenior ihren Jahrespreis verliehen: Seine Stärke — und wir kennen zur Zeit niemand, der das so perfekt kann — sind kleine Prosa-Miniaturen, in denen sich eine ganz eigene, originelle Wahrnehmung von Vorgängen und Situationen ausdrückt, sie überraschen den Leser mit einem lautlosen Knall. So wäre einem das selbst nie aufgefallen, was Thenior da wie selbstverständlich vorführt. — Aber seine Darstellung macht auch unvermutete Vorfälle, Vorstellungen, Wendungen plausibel und reizvoll. Wenn hier von Prosa-Miniaturen die Rede ist, so sind das eigentlich Gedichte. Sagt auf jeden Fall Helmut Heißenbüttel im Nachwort zu Traurige Hurras. Und aus dem Band zitiere ich noch ein Gedicht, das Die Fastfrau heißt. Bekommt bei Heise mehrere Kreuze:

Wenn sie
um die Ecke kommt
mit ihren 14 Jahren
und dem rosa Pullover
etwas schmuddelig
an den Brüsten
hat schon ne Handvoll
sagen die Jungs
wenn sie
um die Ecke kommt
mit der Kaugummiblase
vor dem Mund
PLOPP

Doch zurück zu Hans-Urich Treichel. Bei Suhrkamp schreiben sie für seine Bücher tolle ↝Klappentexte und Waschzettel: Geschult an Heine, Brecht und Benn, spielt Treichel, wie ein Kritiker bemerkte, »virtuos mit Assoziationen und Binnenreim und erreicht ein Höchstmaß an pointierter Schlichtheit, Kunstfertigkeit und Musikalität«, heißt es da. Und seine Gedichte sind lesbar, verwendbar und nachprüfbar. Das prüfen wir doch mal an dem Gedicht Benn nach:

In so vielen Formen zu Hause 
In so vielen Lagen vakant 
Meist Bier und gelegentlich Brause 
Und immer bei klarem Verstand 

Mit allen Wassern gewaschen 
Von mancher Säure geätzt 
Und für die Damen Rosen 
Ein Dutzend grob geschätzt 

Äonische Zeiten beschworen 
Der Rest war Serologie 
Selten die Fassung verloren 
Grundsatz: Einsamer nie

Nett. So etwas konnte man vor Jahrzehnten in Pardon lesen. Ist das große Dichtung? Wir stellen dem mal eben etwas Alltagslyrik von Gottfried Benn (mit herzlichem Dank an JB) gegenüber:

Hör zu, so wird der letzte Abend sein,
wo du noch ausgehen kannst:du rauchst die “Juno“,
“Würzburger Hofbräu“ drei, und liest die UNO,
wie sie der 'Spiegel' sieht, du sitzt allein

an kleinem Tisch, an abgeschlossenem Rund
dicht an der Heizung, denn du liebst das Warme.
Um dich das Menschentum und sein Gebarme,
das Ehepaar und der verhasste Hund.

Mehr bist Du nicht, kein Haus, kein Hügel dein,
zu träumen dich in sonniges Gelände,
dich schlossen immer ziemlich enge Wände
von der Geburt bis diesen Abend ein.

Mehr warst du nicht, doch Zeus und alle Macht,
das All, die großen Geister, alle Sonnen
sind auch für dich geschehn, durch dich geronnen,
mehr warst du nicht, beendet wie begonnen -
der letzte Abend - gute Nacht.


Ich komme ganz schnell durch Treichels ↝Gedichtbände, ich klebe selten fest. Er ist kein ↝Uli Becker, auch wenn er manchmal so klingt. Ein ↝Rolf-Dieter Brinkmann ist er auch nicht. Aber es gibt auch gute Sachen wie dieses kleine Liebesgedicht:

Noch ist alles möglich.
Wir haben uns flüchtig gestreift.
Der Rest: wahrscheinlich tödlich.
Die Kunst: Das man es begreift.

Wir sollten es dabei belassen.
Ein Hauch ist fast wie ein Kuss.
Sich lieben heißt auch sich verpassen.
Auf andere Art. Und Schluß.

Das letzte Gedicht in Treichels Gedichtband ↝Südraum Leipzig (für den er in der Süddeutschen und hier harsche Kritik einstecken musste) hat den Titel Schreiben Sie eigentlich noch Gedichte? Ich zitiere es einmal hier zum Schluss:

Wenn mir was einfällt
Wenn mir was hinfällt
Im Dunkeln
Wenn ich allein bin
Wenn ich sehr allein bin
Für die Katze
Auf Reisen wenn ich Heimweh habe
Zu Hause wenn ich Heimweh habe
Aus Spaß an der Freud
Nur für meine Mutter
Nur gegen meine Mutter
Um Himmels willen
Nur wenn ich will
Nur wenn es sein muß
Sonst nie

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