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Donnerstag, 26. April 2018

Kay Hoff


Stand das hier in der Zeitung? Habe ich das übersehen? Der Schriftsteller Kay Hoff ist am 26. März im Alter von 93 Jahren verstorben. Er war ein Autor, den ich immer geschätzt habe. Vor vielen Jahren hatte mich mein Studienkollege Willy Diercks überredet, für eine Zeitung, deren Chefredakteur er war, über Kay Hoff zu schreiben. Gab kein Honorar - those were the times - aber ich durfte zwei ganze Seiten vollschreiben. Ich glaube, der Autor hat das damals sogar gelesen. Ich würde das ja abtippen, aber ich finde das Heft aus dem Jahre 1990 leider nicht wieder. 

Es ist ein großes Verdienst des 1996 gegründeten Carl Böschen Verlags, dass er in den Jahren 2002 bis 2005 das Gesamtwerk des ein wenig in Vergessenheit geratenen Autors Kay Hoff in einer Studienausgabe wieder aufgelegt hat. Der erste Band dieser Ausgabe war der Roman ↝Bödelstedt oder Würstchen bürgerlich (↜Volltext), sein wohl bekanntestes Werk. Der Roman erschien zuerst 1966 bei Hoffmann und Campe, und obwohl er wohlwollend von der Kritik besprochen wurde, ist er heute so gut wie vergessen. Völlig zu Unrecht, wie jede erneute Lektüre beweisen wird, denn dieser Roman kann sogar leicht und locker neben Günter Grass' Blechtrommel bestehen. Bödelstedt oder Würstchen bürgerlich gehört ebenso wie ↝Rudolf Lorenzens Roman Alles andere als ein Held zu den wichtigsten Romanen der Nachkriegszeit. Auch wenn das Publikum die Romane nicht liebte. ↝Grass sowieso nicht.

In dem Roman, der mit dem Kriegsende beginnt (etwas, was Kay Hoff, der mit 18 Soldat wurde, nur zu vertraut war), greift der Autor auf die Konventionen des Romans des 18. Jahrhunderts (wie Herausgeberfiktion und Motto für jedes Kapitel) zurück, um die Geschichte des fiktiven Ortes Bödelstedt in Schleswig-Holstein und seiner Bewohner im Dritten Reich, im Krieg und bei Kriegsende, zu erzählen. Es hätte nicht Schleswig-Holstein sein müssen, Bödelstedt ist wahrscheinlich überall. Hoffs Roman ist damals von Hilde Domin in ihrer wunderbaren ↝Rezension in der Zeit in die Nähe zu Jean Paul und Thomas Mann gerückt worden. Satire und Ironie gehören zum selbstverständlichen Handwerkszeug des Autors, und vielleicht lässt sich die Zeit auch nicht anders schildern. Am Anfang des Romans steht die Geschichte vom Schäferhund Botho, den man darauf abgerichtet hat, nur zu fressen, wenn ihm Ist vom Arier! gesagt wird. Man muss den Hund leider töten, als die englischen Panzer ins Dorf rollen. Das satirische Panorama des Ortes Bödelstedt wird uns erzählt aus der Perspektive eines ewig Gestrigen, und die Unzuverlässigkeit seines Erzählens macht sicherlich auch den Reiz dieses deutschen Sittenbildes aus.

Natürlich glaube ich immer noch, ein bisschen immer noch, dass Sprache die Welt verändert, und ich glaube, dass man diese Veränderung als Schriftsteller versuchen muss, trotz aller Skepsis, trotz aller offensichtlichen Misserfolge, hat Kay Hoff einmal gesagt.  Es ist ein schöner Gedanke. Heute wird die Welt durch einen twitternden Analphabeten verändert, die Errungenschaften der Aufklärung scheinen vergessen zu sein. Tweets und sapere aude, wie geht das? Kay Hoff ist immer ein unbequemer Schrifststeller gewesen, nicht nur in Bödelstedt oder Würstchen bürgerlich.

Als Kay Hoff (zweiter von rechts) 1965 den Ernst Reuter Preis erhielt, sagte er: Mißtrauen ist notwendig. Mißtrauen und Skepsis gerade auch jenen Menschen gegenüber, die in bester Absicht bemüht sind, das allgemeine Unbehagen mit Worten zuzudecken. Wenn wir nicht aufpassen, werden die Worte sich rächen, so wie sie sich schon einmal gerächt haben. Wenn vor kurzem der Bundespräsident meinte, es sei zu bedauern, daß das Singen vaterländischer Lieder bei der jungen Generation vielfach als veraltet und überholt angesehen werde, dann erscheint mir das einfach töricht zu sein: Die längst entleerten Worte vom Vaterland – vom heiligen Vaterland! –, mit denen unsere Väter und Großväter in den ersten Weltkrieg zogen, und die gleichen Worte, die unsere Väter nach dem ersten Weltkrieg bis zum zweiten Weltkrieg hin nach altem Maß und Klang zusammenreimten, sie sagen uns heute nichts mehr, und es ist deshalb nur zu begrüßen, daß sich bei uns kaum jemand in der jungen Generation bereitfindet, die großen gestrigen Worte vom Vaterland zu sagen und zu singen – Worte, die junge Menschen nur noch als Phrasen verstehen können (hier im ↝Volltext). Das erschien damals in Berlin als Skandal, und für die AfD wäre das sicher heute noch ein Skandal.

1949 wird Kay Hoff an der Universität Kiel mit einer Dissertation über Die Wandlung des dichterischen Selbstverständnisses in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Doktor der Philosophie promoviert, danach ist er erst einmal ein halbes Jahr als Hausmeister tätig. Es wird einige Zeit dauern, bis er von seinen Schriften leben und seine wachsende Familie ernähren kann. Von 1969 bis zum April 1973 ist er der Leiter des Kulturzentrums der Deutschen Botschaft in Tel Aviv, eine wichtige Zeit in seinem Leben. Und eine wichtige Zeit für die deutsch-israelischen Beziehungen. Kay Hoff hat seine literarische Karriere als Dichter begonnen. Der Band Band 9 der zehnbändigen Gesamtausgabe enthält dreihundert Gedichte aus den Jahren 1952 bis 2002, eine Auswahl, die Kay Hoff selbst vornahm. Ich kann Ihnen diese Gedichte alle ↝hier anbieten, manchmal ist das Internet wirklich für etwas gut. Und ich möchte aus der Sammlung drei Gedichte zitieren.

Das erste heißt Heinrich Immel zum Gedächtnis, Hoff hat es einem seiner Lehrer gewidmet: Mich haben meine Lehrer lange begleitet, einige haben mich verfolgt. Einer erschien als Alptraum in einer Erzählung, ein anderer wurde zur negativen Erzählerfigur eines Romans. Für einen aber habe ich ein Gedicht geschrieben, 1969, bei der Nachricht von seinem Tode, und sein Name steht über diesem Gedicht, das so etwas wie einen Dank abstatten wollte: Heinrich Immel zum Gedächtnis.

Streng, sachlich, autoritär,
ein bißchen wunderlich manchmal,
gelegentlich unfreundlich,
dazu ein Scheißliberaler,
von altem Korn: ein Lehrer, 
Geschichte, Latein. Wer
rechnet Güte dagegen auf? 
Unbelehrbar: Er paßte nicht
in die blühenden sechziger Jahre 
unseres großartigen Jahrhunderts, 
auch in die goldenen Fünfziger nicht, 
er traute dem Adenauer-Frieden 
nicht über den krummen Weg,
schon in den tausender Jahren
schien er uns alt: unbelehrbar.
Ohne ihn heulten die Wölfe.
Sein Typ war wenig gefragt.
Aber er fragte uns, immer wieder
in diesen unfreundlichen Zeiten, 
fragte streng, sachlich, wunderlich 
manchmal, unerbittlich:
Wir mußten die Antworten suchen. 
Einige fand ich erst spät,
im fünften, sechsten Jahrzehnt 
unseres unbelehrbaren Jahrhunderts. 
Die Fragen vergesse ich nicht.

Für das nächste Gedicht muss ich Sie ein wenig zurückversetzen in die Zeit als die Filme schwarz-weiß und die Frauen schöner waren. Das Gedicht heißt Film aus den frühen 50ern. Sie wissen, dass ich Ihnen  aus den 50er und 60er Jahren immer wieder Erinnerungshäppchen serviert habe, ich kann nicht anders. Falls Sie das aus irgendeinem Grund verpasst haben sollten: unten in dem Post ↝Claude Lelouch finden Sie alle wichtigen Posts zum französischen Film. Und das Gedicht von Kay Hoff ist hier:

Wieder die Limousinen, Chrom,
schleichend und unerreichbar,
die lockenden Augen wieder
in Wimpernkränzen, und die Väter
mächtig und ehrbar wie je,
strenges Schwarzweiß: Wir kamen
müde aus Kellern herauf,
tauschten uns ein gegen Maisbrot
und harschen Pflaumentabak,
der Tacho kroch mühsam auf 100,
die Kavalierstaschentücher
predigten schuldloses Weiß.
So einfach war Liebe damals.
So lachten wir niemals wieder.
Das Spiel wird nicht wiederholt.

An die Kavalierstaschentücher, die in dem Post ↝Ingeburg Thomsen auch eine Rolle spielen, kann ich mich noch erinnern. Ich trage auf diesem Photo vom ↝Abtanzball (oberste Reihe, zweiter von links) auch so ein Tüchlein. Ob die Liebe damals einfach war, das weiß ich nicht, aber wir glaubten es. Ich habe zum Schluss ein Liebesgedicht, in dem das Wort Liebe nicht vorkommt, wie der Autor gesagt. Es heißt Bescheidene Gabe:

Diesen Himmel schenke ich dir.
Er ist nicht mehr neu.
Ich hab ihn öfters gebraucht,
besonders das Blaue:
Du siehst die Spuren am Einband.
Vom Abendrot sind die Ränder
zurückgeblieben, und der Regen,
du weißt, hat einige Seiten
ganz ausgeblichen. Manchmal
war auch die Sonne zu grell,
da sind mir Blätter vergilbt,
und der Nachtsturm riß eine Seite ein,
damals, da war ich nicht bei dir.
Die Sterne haben Löcher gesengt,
ich habe nicht aufgepaßt, der Mond
hat die Wolken unachtsam verschoben,
das sind die Flecken im Dunkel.
Er ist nicht mehr neu, mein Himmel,
es ist nicht leicht, ihn zu lesen.
Aber die Ränder, die Risse, die Spuren
gehören mir, das verblichene Blau,
und ich schenke ihn dir, diesen Himmel.


Der Berliner Professor Hans Dieter Zimmermann hat am 80. Geburtstag von Kay Hoff eine schöne ↝Rede gehalten, die das Leben und das Werk des Autors würdigt. Inzwischen gibt es auch eine ↝Dissertation über Kay Hoff. Seiner Heimatstadt Neustadt hatte Hoff schon zu Lebzeiten seinen literarischen ↝Nachlass vermacht. Nachdem er so lange kaum beachtet wurde, hat er das Glück, dass beinahe alles von ihm im Internet steht. Man kann sich natürlich auch seine Bücher kaufen.

3 Kommentare:

  1. Sehr gerne lese ich den Silvae Blog, aber sind billige Seitenhiebe wie- "Heute wird die Welt durch einen twitternden Analphabeten verändert" - noetig?

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  2. Immerhin eine redundanzfreie Antwort...

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