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Sonntag, 1. April 2018

Poetry Month


Der pensionierte Kieler Professor ↝Reimer Bull hat mir vor Tagen eine wunderbare kleine Geschichte erzählt, die wirklich sehr komisch war. Als ich ihn fragte, ob ich die in meinen Blog schreiben dürfte, hat er mir das sofort erlaubt. Reimer Bull hat in Kiel bei Karl Otto Conrady promoviert. Über ↝Arno Schmidt, das war 1969 geradezu revolutionär. Mit Conrady war die neue Zeit nach Kiel gekommen, sein Buch Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft (1966 bei Rowohlt) läutete eine neue Phase der deutschen Germanistik ein. Conrady war auch in der SPD und sogar kurze Zeit im schleswig-holsteinischen Landtag. Ich war ehrlich gesagt damals von ihm ein wenig enttäuscht, denn er trug spitze Schuhe und silbrigblau glänzende Anzüge, die bestimmt aus Trevira waren. Da ging ich lieber zu Erich Trunz in die Vorlesungen, der zwar ein wenig betulich war, aber gute Schneideranzüge und gute Schuhe trug. Vielleicht ist das eine etwas oberflächliche Kategorie, um sich seinen Professor auszusuchen, aber die äußere Erscheinung von Conrady und Trunz symbolisierte zwei grundverschiedene Generationen der deutschen Germanistik.

Das steht so in dem Post ↝Germanisten aus dem Jahre 2010. Reimer Bull lebt leider nicht mehr, aber ↝ Karl Otto Conrady lebt noch. Ich hoffe, es geht ihm gut. Er ist in meinem Blog immer wieder erwähnt worden. Er hat damals viel bewegt, dass Reimer Bull über Arno Schmidt und ↝Kurt Denzer (Bild) über die Filmdramaturgie des Dritten Reichs promovieren konnten, das war in der deutschen Germanistik nicht selbstverständlich.

Karl Otto Conradys Sammlung deutscher Gedichte, die in der neuestem Version Der neue Conrady heißt, ist zu einem kleinen Klassiker geworden. Von dem ehemaligen Nazi Benno von Wiese und seiner Gedichtanthologie redet heute niemand mehr. Ist auch gut so. Den guten alten Echtermeyer, an dessen neuester Version Benno von Wiese auch mitgearbeitet hat, kann man auch immer noch kaufen, aber da ist man wohl mit dem neuen Conrady besser beraten. Unter dem Titel Lauter Lyrik gibt es auch einen Hör-Conrady (21 CDs). Conrady (Bild) verließ die Uni Kiel 1969, um in Köln Professor zu werden. Erich Trunz, den man auch den Goethe Trunz nannte, wurde 1970 emeritiert. Damals brachte man Conrady noch nicht mit Goethe in Verbindung, aber das sollte sich nach seiner zweibändigen Goethe Biographie ändern.

Ich bleibe mal eben bei Goethe, die ↝Biographie von Conrady steht bei mir immer noch ungelesen im Regal, aber die beiden Bände von Nicholas Boyle, die kenne ich genau. Ich warte noch wie viele Leser auf den nächsten Band. Es ist April, Zeit für Gedichte. Amerika feiert den Poetry Month. Dieser Blogger auch, das kennen Sie schon aus den Vorjahren. Ich picke mir für den heutigen Tag einmal ein Gedicht aus einer Anthologie heraus, die Conrady 2005 herausgegeben hat. Sie hat den Titel In höchsten Höhen, und es gibt dazu ↝hier eine sehr informative Seite. Der Herausgeber hat das Buch auch um eines seiner eigenen Gedichte bereichert. Das lasse ich mal weg, ich fange den Poetry Month mit Goethe an:

Gedichte sind gemalte Fensterscheiben!
Sieht man vom Markt in die Kirche hinein,
Da ist alles dunkel und düster;
Und so siehts auch der Herr Philister.
Der mag denn wohl verdrießlich sein
Und lebenslang verdrießlich bleiben.

Kommt aber nur einmal herein!
Begrüßt die heilige Kapelle;
Da ists auf einmal farbig helle,
Geschicht und Zierat glänzt in Schnelle,
Bedeutend wirkt ein edler Schein,
Dies wird euch Kindern Gottes taugen,
Erbaut euch und ergetzt die Augen!

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