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Sonntag, 26. Mai 2019

die Zukunft: nackt und blind


Sir Hubert von Herkomer wurde am 26. Mai 1849 geboren, bei seiner Geburt war er noch ein schlichter Hubert Herkomer. Die Ernennung zum bayrischen Ritter von Herkomer und der englische Adelstitel kamen später. Herkomer war Maler, Filmpionier und Komponist. Dieses etwas exzentrische Aquarell ist eine seiner Schöpfungen. Es zeigt eine kaum bekleidete junge Dame, die an ein Automobil gefesselt ist. Die Augen sind ihr verbunden, sie kann nicht sehen, was kommen wird. Um ihren Leib windet sich ein weißes Band, auf dem Die Zukunft steht. Wer diesen Wagen mit der nackten Kühlerfigur lenkt, wissen wir nicht. Das Bild von Herkomer wanderte als Photogravur auf die Speisekarte der ersten Herkomer Konkurrenz (die erste Tourenwagen Rallye der Welt) im August 1905. Für die The Motor Union of Great Britain and Northern Ireland wurde 1908 auch noch eine Silbermedaille mit der nackten und blinden Zukunft geprägt.

Sir Hubert war auch der Wegbereiter des Automobilsports in Deutschland. Die künstlerisch wertvolle Speisekarte des aus Bayern stammenden Engländers ist prophetisch, dem Automobil wird die Zukunft gehören. Und das Automobil wird im 20. Jahrhundert immer wieder mit Darstellungen von Frauen beworben werden. Die auf diesem Poster etwas bekleideter daherkommen als bei Herkomer, aber ihre Posen sind nicht die des netten Mädchens von nebenan, das man seiner Mutter vorstellt. Das 20. Jahrhundert wird uns lehren, dass man beinahe alle Produkte der Warenwelt mit Frauen bewerben kann, die zu einer obligaten Garnierung des Produkts werden.

Das hier ist ein Sportwagen der englischen Firma TVR, die 1971 bei der Earls Court Motor Show nur nackte Mädel am Verkaufsstand, oder auf ihren Sportwagen sitzend, präsentierte. Das war lange bevor sie halbbekleidet bei Ferrari herumlungerten und Boxenluder hießen. Mein Bruder hatte mal einen TVR, der wurde allerdings ohne nackte Beigaben geliefert. Ich bringe dies Beispiel, das sich am Rande des guten Geschmacks bewegt, um zu zeigen, dass sich England in den siebziger Jahren gegenüber der Welt Herkomers sehr verändert hat.

Photos vom TVR Sportwagen bei der Earls Court Motor Show finden sich auch in der zweiten Auflage von Jörg Nimmerguts Buch Werben mit Sex. Das Buch hat eine seltsame Geschichte. Als es 1966 erschien, wurde es von der Staatsanwaltschaft wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften nach § 184 StGB verboten. Dabei war das ein durchaus seriöses Buch. 1982 ist das Buch dann in der zweiten Auflage beim Wilhelm Heyne Verlag erschienen, man kann es heute noch bei Amazon Marketplace preisgünstig finden.

Die ersten drei Automobile, die bei der Herkomer Konkurrenz 1905 nach beinahe tausend Kilometern durch Herkomers bayrische Heimat das Ziel erreichten, trugen alle einen Frauennamen: Mercédès. So hatte der Autohändler Emil Jellinek seine Tochter genannt, später nannte er mehrere Rennwagen der Firma Daimler so. Wir wissen, was daraus geworden ist. Dies hier ist nicht Mercedes Jellinek, das ist Mercedes Stermitz, eine ehemalige Miss Austria, die Rennfahrerin geworden war. Fuhr aber trotz des Vornamens nicht für Mercedes, sondern für BMW.

Unbekleidete Frauen hat es bei der Firma Mercedes nicht gegeben, aber die Frau wurde von Mercedes-Benz seit den Anfängen der Firma umworben, schließlich war Berta Benz eine der ersten Autofahrerinnen gewesen. Und Carl Benz erinnert sich in seiner Autobiographie mit Freude daran, dass eines seiner ersten Autos an eine ungarische Lehrerin verkauft wurde. Diese rotgekleidete Autosportlerin aus dem Jahre 1926 stammt von Edward Alfred Cucuel, der seine Plakate mit Offelsmeyer oder Cucuel Offelsmeyer zu signieren pflegte. Die Frau in dem roten Rennanzug hat es wirklich gegeben, es war Ernes Merck, die erste Deutsche, die in den zwanziger Jahren Autorennen fuhr.

Die Dame, die hier neben einem Rolls Royce steht, ist sozusagen doppelt auf dem Bild. Denn Eleanor Thornton war das Modell für die Figur des Spirit of Ecstasy (auch Emily genannt), der Kühlerfigur, die der Fahrer eines Rolls Royce nie aus dem Blickfeld verliert. Heute gibt es immer noch die Emily auf dem Palladio Kühler des Rolls, aber kaum noch Bilder von Frauen in der Automobilwerbung, irgendwie ist das schade.

Eine Lithographie wie diese von Akseli Gallen-Kallela für die finnische Firma Bul-Bol aus dem Jahre 1907 wäre heute unmöglich. Was wie eine total bescheuerte erotische Phantasie anmutet, hat aber für Finnland eine tiefere kulturelle Bedeutung. Das sagt uns Ghislaine Wood, die Kuratorin des Victoria & Albert Museums: The Kalevala folk story of the Snatching of Kyllikki has been transformed: the sledge becomes a red car and Lemminkainen, the hero, is a besuited motor-car fanatic. Bil-Bol is perhaps one of the earliest advertisements overtly to endow a product with a value that is symbolic, here the promise of sexual fulfillment; a value that has been a mainstay of advertising in the twentieth century.

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