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Dienstag, 21. Mai 2019

Friedenspfeife


Mein Opa war in der Schlaraffia. Ich habe noch ein altes Photo von einer Festtagssitzung, da sitzt er mit einem seltsamen Papierhütchen neben dem Bürgermeister Dr Wittgenstein. Das war der Mann, der dem Architekten Ernst Becker-Sassenhof in unserem Ort eine carte blanche für sein neues Bauen gab. Und der 1933 von den Nazis aus dem Amt geworfen wurde. Die Ankunft der Nazis bedeutete auch das Ende ders Männerbundes Schlaraffia in unserem Ort. Es war nicht nur die Schlaraffia, die damals geschlossen wurde. Auch die Freimaurerloge Anker der Eintracht verlor ihr Haus in der Weserstraße. Sie wurde 1935 gezwungen, das Haus an den Heimatverein zu verkaufen, der dort das Heimatmuseum einrichtete. Heute steht wieder Logenhaus draußen dran. Als mein Vater mir voller Stolz das neubezogene Haus zeigte, war ich überrascht, wie sich die Museumsräume verwandelt hatten, in denen ich als Kind gespielt hatte, wenn Opa sonntags an der Kasse des Museums saß. Im obersten Stockwerk gab es eine Himmelskuppel, die aussah, als hätte Schinkel sie für die Zauberflöte entworfen. Ich verdanke den Freimaurern ein schönes Erlebnis, eine Aufführung von Mozarts Zauberflöte im Theater am Goetheplatz. Von der Oper weiß ich nichts mehr, aber dass alle Anwesenden in Abendkleid und Frack waren, das habe ich nicht vergessen.

Die Nationalsozialisten haben nicht alle Bruderschaften, Logen und Wohltätigkeitsclub verboten, ein Beispiel wäre der Rotary Club. Der von sich aus zuerst einmal jüdische Mitglieder, Kommunisten und prominente Nicht-Nazis ausschließt. So erhält der Rotarier Thomas Mann zwei Monate nach der Machtergreifung einen Brief seines Clubpräsidenten: Sehr geehrter Herr Professor, Ihre längere Abwesenheit von München hindert uns, mit Ihnen über Ihre Zugehörigkeit zum hiesigen Klub zu sprechen. Sie dürften aber die Entwicklung in Deutschland genügend verfolgt haben, um zu verstehen, dass wir es für unvermeidlich halten, Sie aus unserer Mitgliederliste zu streichen. Mit vorzüglicher Hochachtung, Rotary Club München, Der Präsident. 

Der Nobelpreisträger Thomas Mann war tief getroffen: Wie sieht es aus in diesen Menschen? notiert er am 8. April 1933 in seinem Tagebuch. Es bleibt ihm nur ein Staunen über den Seelenzustand dieser Menschen, die mich, eben noch die ,Zierde' ihrer Vereinigung, ausstoßen ohne ein Wort des Bedauerns, des Dankes, als sei es ganz selbstverständlich. Wenige Jahre zuvor hatte Mann bei einem Festvortrag im Münchener Rotary Club gesagt: Welches ist denn seine innerste Verfassung? Welches ist das geistige Fundament, auf dem sein Bau ruht? Ist es nicht eben dieser Ideenkomplex bürgerlicher Humanität, in dessen Zeichen er sich konstituiert hat und der ihn beseelt, diese Ideeneinheit von Freiheit, Bildung, Menschlichkeit, Duldsamkeit, Hilfsbereitschaft und Sympathie, die das Wesen der Humanität, der höheren Bürgerlichkeit ausmacht? In diesem Lichte sehe ich unsere Gemeinschaft. Die deutschen Rotary Clubs werden sich Ende der dreißiger Jahre auflösen.

Aber es gibt bei den Rotariern auch eine ganz andere Haltung. Wir müssen einmal einen Blick auf die amerikanische Kleinstadt Keokuk werfen. Da gibt es noch die Ideeneinheit von Freiheit, Bildung, Menschlichkeit, Duldsamkeit, Hilfsbereitschaft und Sympathie. Die Stadt Keokuk hat ihren Namen nach einem berühmten Indianerhäuptling, der hier begraben liegt. Er ist in diesem Blog schon in den Posts Edle Wilde und Tecumseh in Dresden vorgekommen. Der letzte Post handelt von der Ausstellung, die die Astrid 2013 über den Dresdner Bildhauer Ferdinand Pettrich für die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gemacht hat. Keokuk war ein Mann des Friedens und des Ausgleichs. Ein Jahr, nachdem sein Widersacher Black Hawk den Black Hawk War angezettelt hatte, warnt er seinen Stamm in einer Rede vor einem neuen Krieg. Die Weißen seien einfach zu mächtig: Their cabins are as plenty as the trees in the forest, and their soldiers are springing up like grass on the prairies. They have the talking thunder, which carries death a long way off, with long guns and short ones, long knives and short ones.

Im Oktober 1837 wird Keokuk mit einer Delegation von Indianern die Regierung in Washington aufsuchen, er wird dort einen Vertrag über einen Tausch von Ländereien unterzeichnen. Und er wird dort die Friedenspfeife rauchen. Oder genauer: er wird dem Kriegsminister Joel Roberts Poinsett eine Friedenspfeife überreichen. Ob sie geraucht wurde, weiß man nicht genau. Zuvor hatte Keokuk von dem Minister eine silberne peace medal bekommen. Er wird sie voller Stolz tragen, sie ist auf zahlreichen Photographien und Gemälden zu sehen. Zum Beispiel auf dem Bild von Charles Bird King, das nach der Zeremonie gemalt wurde.

Der symbolische Akt von 1837 wird im 20. Jahrhundert in Keokuk Folgen haben. Der Rotary Club von Keokuk entschließt sich zu einer ähnlichen Zeremonie: eine Friedenspfeife soll an alle Rotary Clubs der Welt geschickt werden. Aber der neue Präsident W.J. Fulton, der gerade von einer Europareise zurückgekommen ist, entscheidet sich 1931 gegen die postalische Versendung der Pfeife. Er verschickt im Dezember 496 Briefe an sämtliche Rotary Clubs der Welt. Das Rauchen der Friedenspfeife sollte mangels Masse von Pfeifen symbolisch erfolgen, was sich viele Clubs nicht nehmen ließen, auch wenn kein indianische Friedenspfeife der Post aus Keokuk beilag. Der Rotary Club München, der ein Jahr später Thomas Mann ausstoßen wird, findet die Idee köstlich und schreibt: Wir hatten beim letzten Lunch, als Ihr Brief vorgelesen wurde, leider keine geeignete Pfeife zur Hand und mussten uns daher mit Zigarren begnügen.

Jacques Marquette war 1673 der erste, der die indianische Friedenspfeife (auch Kalumet genannt) und die mit ihr verbundenen Zeremonien beschrieben hat. In May, 1673, Marquette, Joliet and five boatmen in two large canoes moved up Lake Michigan and to the headwaters of the Fox River and crossed by portage to the Wisconsin River, and on June 17 first saw the Mississippi River opposite the present town of McGregor, Iowa. On June 25, they landed near the present town of Toolesboro, the first known whites to set foot there. They entered the Indian village and smoked the pipe of peace near the present Iowa River. They passed on down the Mississippi to the mouth of the Arkansas River before returning to Canada, heißt es in der History of  Keokuk.

Historiker und Journalisten haben die 196 Antwortbriefe - von Berlin bis Jerusalem, von Buenos Aires Kapstadt - auf die Peace Pipe Aktion aus Keokuk wieder ausgegraben und präsentieren den Sensationsfund auf 330 Seiten. Faksimiles der Briefe werden in einer zweisprachigen Ausgabe (deutsch-englisch) dargeboten. Und für das Vorwort hat Dr Joachim Reppmann keinen Geringeren als Henry Kissinger gewonnen. Jedes Zeichen zählt, hat Carol Kahn Strauss, die langjährige Vorsitzende des Leo Baeck Instituts ihr Nachwort in dem Buch genannt. Sie können hier einen Blick in das Buch Die Peace-Pipe-Briefe werfen. Und ein Video zur Einführung in das Thema habe ich hier auch für Sie.

Das Jahr, in dem der Rotary Club von Keokuk seine postalische Friedenspfeife kreisen lässt, erscheint wie ein gutes Jahr für den Frieden. Oder für symbolische Demonstrationen, dass man es mit dem Frieden in der Welt ernst meint. Aristide Briand und Pierre Laval (die erste offizielle französische Delegation seit 1878) werden in Berlin mit Vive la Paix und Vive la France Rufen begrüßt. Und mit Jane Addams, der Präsidentin der Women’s International League for Peace and Freedom und Nicholas Murray Butler bekommen zwei Persönlichkeiten den Friedensnobelpreis, die ihn wirklich verdient haben. Aus heutiger Perspektive klingt das leider alles eher nach einem Schwanengesang.

Ich möchte zum Schluss noch ein anderes Buch erwähnen, das die Friedenspfeife im Titel hat. Es heißt The Sacred Pipe und stammt von Black Elk, der als Kind bei der Schlacht von Little Bighorn dabei war und bei dem Massaker von Wounded Knee verletzt wurde. Auch er hat etwas zum Frieden zu sagen: The first peace, which is the most important, is that which comes from within the souls of men when they realize their relationship, their oneness, with the universe and all its powers, and when they realize that at the center of the universe dwells Wakan-Tanka, and that this center is really everywhere, it is within each of us. This is the real peace, and the others are but reflections of this. The second peace is that which is made between two individuals, and the third is that which is made between two nations. But above all you should understand that there can never be peace between nations until there is first known that true peace which is within the souls of men. Darüber könnte man einmal nachdenken.

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