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Freitag, 21. Februar 2020

Bremer Schlüssel


Am 21. Februar 1946 erschien die erste Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit mit einer Auflage von 25.000 Exemplaren, acht Seiten stark (Papier war knapp), 40 Pfennig. Man hatte sich bei der Gestaltung der Titelzeile an der englischen Tageszeitung The Times orientiert, die das englische Staatswappen mit Löwe und Einhorn zeigt. Und der Herausgeber Gerd Bucerius sprach  in seinem Editorial die Nähe zu der englischen Zeitung an, die im 19. Jahrhundert den Beinamen The Thunderer bekommen hatte: Wir hoffen, daß 'Die Zeit‘ ihrer Namensschwester in England würdig sein wird... Wir sind nicht so vermessen, mit unseren bescheidenen Mitteln die überragende Stellung anzustreben, die die Londoner 'Times' in der ganzen Welt genießen, aber wir haben den Sinn dieses Vergleichs als Mahnung verstanden. Mit diesem Vorsatz beginnen wir unsere Wochenzeitung.

Aber das schöne Layout der Zeitung, für das die Professoren Carl Otto Czeschka und Alfred Mahlau verantwortlich zeichneten, gefiel dem Hamburger Senat nun ganz und gar nicht, die Rede war von einem Missbrauch eines Hoheitszeichens für kommerzielle Zwecke. Die haben da echte Sorgen im Senat, sind noch nicht einmal gewählt, nur von der Miliärregierung eingesetzt, jetzt muss das Hoheitszeichen verteidigt werden. Das ist irgendwie sehr deutsch. Ich glaube, unter Max Brauer wäre das nicht passiert, aber der wird erst im November 1946 gewählt.

Am 27. Juni schreibt Bucerius in der Zeit unter dem Titel Unser Wappen: Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, daß sich im Kopf unserer Zeitung eine kleine Veränderung vollzogen hat: an Stelle des Hamburger Staatswappens findet er den Schlüssel der Stadt Bremen. Schon vorher entsprach das Wappen nicht mehr ganz seiner ursprünglichen Form, die der hamburgische Senat uns nicht glaubte gestatten zu können. Mit der Öffnung des Tores meinten wir, den Stein des Anstoßes beseitigt zu haben, wurden jedoch darüber belehrt, daß die immer noch vorhandene Ähnlichkeit mit dem Großen Hamburger Staatswappen vom Senat nicht gebilligt werden könne. Um keinen unfruchtbaren Streit aufkommen zu lassen, haben wir uns an den Bremer Senat gewandt, der uns mit nachstehendem Schreiben die Führung des Bremer Schlüssels gestattet. 

Die Antwort vom Bremer Bürgermeister Wilhelm Kaisen, einem gebürtigen Hamburger, am 12. Juni ist kurz und klar: Ich komme erst jetzt zurück auf Ihr Schreiben vom 31. Mai dieses Jahres, in dem Sie den Antrag stellen, das Bremer Wappen im Kopf Ihrer Zeitung führen zu dürfen. Nach Rücksprache mit meinen Kollegen im Senat sind wir gern bereit, Ihnen die Erlaubnis zu geben. Ihre Zeitung ist nach unserer Meinung ausgezeichnet redigiert, sie ist gut, riskiert etwas, und wir freuen uns, wenn wir Ihnen helfen können, im Kopf Ihres Blattes zu betonen, daß sich auch das Gebiet an der Weser mit Ihnen und Ihrer Arbeit verbunden fühlt.

Die Bremer sind stolz auf ihr Wappen mit dem Schlüssel, der für sie ein Schlüssel zur Welt ist. Die Hamburger haben nur eine weiße Burg auf rotem Grund (und in der Staatsflagge auch zwei Löwen), aber die Tür der Burg ist zu. Alfred Mahlau hatte nach den ersten Protesten der Bürokratie das Tor der Burg auf dem Wappen geöffnet, aber das genügte dem Senat nicht. Weltoffenheit ist 1946 offenbar kein Thema in Hamburg. Ich glaube, Wilhelm Kaisen hat den Brief an die Redaktion der Zeit mit einem gewissen Genuß geschrieben. Als er aus dem Ersten Weltkrieg zurück nach Hause kam, ist er nach Bremen gezogen. Ich habe diesen Ortswechsel niemals zu bereuen gehabt, hat er gesagt.

Die Bremer haben nicht nur den Schlüssel zur Welt, sie haben auch seit 1870 ein Lied dazu:

Seht ihr die Löwen an dem Schilde,
Der einen mächt’gen Schlüssel trägt?
Mir wird bei diesem Wappenbilde
Der Stolz erhöht, das Herz bewegt.
Dies’ Wappen ist das stolze Zeichen
Der alten treuen Hansastadt, 
Die über’s Meer zu allen Reichen
Ihr Rot und Weiß getragen hat. 
Hell glänzte in dem Hansabunde
Der Brema Schlüssel alle Zeit.
Auch heut’ strahl’ er in uns’rer Runde
In alter Macht und Herrlichkeit!
Der brave Schlüssel will bezeugen,
Daß gern er öffnet gastlich’ Tor;
Doch nimmer soll den Bart er beugen
Der Willkür! Da sei Gott davor!
Gib gern dem Kaiser, was dem Kaiser,
Du treue Stadt im deutschen Land,
Und pflück’ dir neue Ehrenreiser
Durch schlichter Bürger tät’ge Hand!
Wir aber singen dir zu Ehren:
„Hell glänz’ dein Schild! Und gutes Recht
Mög’ sich in Bremas Schoß bewähren
Bis zu dem fernesten Geschlecht!“ 

Wenn die Bremer ihr Wappen gerne als Schlüssel zur Welt sehen, kommt er doch ganz woanders her. Es ist, wenn man so will, der Himmelsschlüssel. Der Schlüssel ist in der Kunstgeschichte das Attribut des Apostels Petrus, des Schutzpatrons des Erzbistums Bremen (das gleich zwei Schlüssel in seinem Wappen führte) und des Petri Doms. 1366  taucht der Schlüssel zum erstenmal auf einem Bremer Siegel auf.

Für die endgültige Gestaltung der Kopfzeile der Zeit mit der eleganten Schrift 'mit Seele' (der weißen Innenlinie) zeichnet Carl Otto Czeschka verantwortlich, den Wiener Maler hatte Alfred Lichtwark 1907 nach Hamburg gelockt. Eines der Kunstwerke von Czeschka ist das riesige fünfteilige Fenster in der Hochschule für Bildende Künste Lerchenfeld aus dem Jahre 1913, das den Titel Die Schönheit als Botschaft hat. Das Kunstwerk ist das Thema dieses Buches, und daran hängt eine kleine traurige Geschichte, die schon in dem ausführlichen Post Carl Otto Czeschka steht. Die Betty hatte gerade ihre Examensarbeit über Die Schönheit als Botschaft fertig, da ist sie plötzlich gestorben. Gerade mal dreißig Jahre alt. Aber ihr Professor, der Kunsthistoriker Adrian von Buttlar, hat Geld für den Druck aufgetrieben und einen Verlag gefunden, er wollte, dass die Arbeit seiner Studentin als Andenken an sie als Buch erscheint. Das hat mich damals sehr gerührt, so setzt sich nicht jeder Professor für seine Studenten ein.

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