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Samstag, 25. April 2020

Seekrankheit


Am 25. April 1595 starb der italienische Dichter Torquato Tasso in Rom. Sie können sich sicher noch daran erinnern, dass er hier im letzten Monat in dem Post giftgrün die Hauptrolle spielte. Doch der Dichter wurde auch schon Jahre vorher in dem Post Das Wetter von morgen erwähnt, wo ich eine Dissertation mit dem Titel Der Einfluß der Seekrankheit auf Johann Wolfgang von Goethes Drama 'Torquato Tasso' unter besonderer Berücksichtigung der Umstände - wie Wetter, Schiffstyp und Seegebiet zitierte. Der Verfasser des Werks war ein deutscher Admiral, der sich mit Seekrankheiten auskannte. Er bewarb sich allerdings nicht um den Titel eines Dr phil, sondern um den eines Doktors humoris causa, das Ganze war eine Satire.

Würde aber durchaus einen Sinn machen, denn als Goethe an seinem Tasso schreibt, ist er seekrank: Ich hatte doch dieser herrlichen Aussichten nur Augenblicke genießen können, die Seekrankheit überfiel mich bald. Ich begab mich in meine Kammer, wählte die horizontale Lage, enthielt mich außer weißem Brot und rotem Wein aller Speisen und Getränke und fühlte mich ganz behaglich. Abgeschlossen von der äußern Welt, ließ ich die innere walten, und da eine langsame Fahrt vorauszusehen war, gab ich mir gleich zu bedeutender Unterhaltung ein starkes Pensum auf. Die zwei ersten Akte des 'Tasso', in poetischer Prosa geschrieben, hatte ich von allen Papieren allein mit über See genommen. Diese beiden Akte, in Absicht auf Plan und Gang ungefähr den gegenwärtigen gleich, aber schon vor zehn Jahren geschrieben, hatten etwas Weichliches, Nebelhaftes, welches sich bald verlor, als ich nach neueren Ansichten die Form vorwalten und den Rhythmus eintreten ließ.

Ich könnte nun heute ein Gedicht von Torquato Tasso präsentieren, lasse das aber mal und verweise auf die schöne Seite Europäische Liebeslyrik, wo es eine Vielzahl von Liebesgedichten von ihm gibt. Ich bleibe heute einmal bei dem Thema Seekrankheit, weil ich da ein wunderbares Gedicht von Heinrich Heine gefunden habe. Dass er die Nordsee kennt, das wissen wir, weil es in seinen Reisebildern einen ganzen Band gibt, der Nordsee heißt. Er hat auch einmal gesagt: Ich liebe das Meer wie meine Seele. Oft wird mir sogar zu Mute, als sei das Meer eigentlich meine Seele selbst. Und er dichtet:

Das Meer erstrahlt im Sonnenschein,
Als ob es golden wär.
Ihr Brüder, wenn ich sterbe,
Versenkt mich in das Meer.

Hab immer das Meer so liebgehabt, 
Es hat mit sanfter Flut
So oft mein Herz gekühlet;
Wir waren einander gut.


In einem Brief an seinen Hamburger Verleger Julius Campe, der ihm gerade mit einem Vorschuß einen sechswöchigen Urlaub an der Nordsee ermöglicht hat (wo er sich in Norderney überwindet und schwimmen lernt), schreibt er: Das Meer war so wild, dass ich oft zu versaufen glaubte. Aber dies wahlverwandte Element tut mir nichts Schlimmes. Es weiß recht gut, dass ich noch toller sein kann. Und dann, bin ich nicht der Hofdichter der Nordsee? Der Hofdichter der Nordsee ist allerdings nicht gegen die Seekrankheit gefeit. Er macht das Beste daraus und schreibt das Gedicht Seekrankheit:

Die grauen Nachmittagswolken
Senken sich tiefer hinab auf das Meer,
Das ihnen dunkel entgegensteigt,
Und zwischendurch jagt das Schiff.

Seekrank sitz ich noch immer am Mastbaum'
Und mache Betrachtungen über mich selber,
Uralte, aschgraue Betrachtungen,
Die schon der Vater Lot gemacht,
Als er des Guten zuviel genossen,
Und sich nachher so übel befand.
Mitunter denk ich auch alter Geschichten:
Wie kreuzbezeichnete Pilger der Vorzeit,
Auf stürmischer Meerfahrt, das trostreiche Bildnis
Der Heiligen Jungfrau gläubig küßten;
Wie kranke Ritter, in solcher Seenot,
Den lieben Handschuh ihrer Dame
An die Lippen preßten, gleich getröstet -
Ich aber sitze und kaue verdrießlich
Einen alten Hering, den salzigen Tröster
In Katzenjammer und Hundetrübsal!

Unterdessen kämpft das Schiff
Mit der wilden, wogenden Flut;
Wie'n bäumendes Schlachtroß, stellt es sich jetzt
Auf das Hinterteil, daß das Steuer kracht,
Jetzt stürzt es kopfüber wieder hinab
In den heulenden Wasserschlund,
Dann wieder, wie sorglos liebematt,
Denkt es sich hinzulegen
An den schwarzen Busen der Riesenwelle,
Die mächtig heranbraust,
Und plötzlich, ein wüster Meerwasserfall,
In weißem Gekräusel zusammenstürzt,
Und mich selbst mit Schaum bedeckt.

Dieses Schwanken und Schweben und Schaukeln
Ist unerträglich!
Vergebens späht mein Auge und sucht
Die deutsche Küste. Doch ach! nur Wasser,
Und abermals Wasser, bewegtes Wasser!

Wie der Winterwandrer des Abends sich sehnt
Nach einer warmen, innigen Tasse Tee,
So sehnt sich jetzt mein Herz nach dir,
Mein deutsches Vaterland!
Mag immerhin dein süßer Boden bedeckt sein
Mit Wahnsinn, Husaren, schlechten Versen
Und laulich dünnen Traktätchen;
Mögen immerhin deine Zebras
Mit Rosen sich mästen, statt mit Disteln;
Mögen immerhin deine noblen Affen
In müßigem Putz sich vornehm spreizen
Und sich besser dünken als all das andre
Banausisch schwerhinwandelnde Hornvieh;
Mag immerhin deine Schneckenversammlung
Sich für unsterblich halten,
Weil sie so langsam dahinkriecht,
Und mag sie täglich Stimmen sammeln,
Ob den Maden des Käses der Käse gehört?
Und noch lange Zeit in Beratung ziehn,
Wie man die ägyptischen Schafe veredle,
Damit ihre Wolle sich beßre
Und der Hirt sie scheren könne wie andre,
Ohn' Unterschied -
Immerhin, mag Torheit und Unrecht
Dich ganz bedecken, o Deutschland!
Ich sehne mich dennoch nach dir:
Denn wenigstens bist du doch festes Land.

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