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Sonntag, 4. Dezember 2022

Julie Récamier (encore une fois)

Damit Sie an diesem Adventssontag etwas zu lesen haben, und es den nächsten neuen Post erst übermorgen gibt, stelle ich hier etwas ein, das vor zehn Jahren schon hier stand. Und viele tausend Leser gefunden hat, sehr viele.

Die Franzosen sind dem weiblichen Genius wenigstens minder abhold als die Deutschen. Diese Eigenschaft beweist, daß ihre Bildung harmonischer ist als die unsers Volks, und daß sie größern Nationalstolz besitzen als unsere werthen Landsleute; denn der Franzose liebt alles, was den französischen Namen verherrlicht. Ich glaube nicht, daß jemals eine Juliette Récamier in Deutschland aufblühen werde, sowenig wie es in jetziger Zeit in Frankreich geschehen könnte; denn der Sinn für eine Größe, wie die ihrige, ist verschwunden, wenn er sich auch noch bei Einzelnen findet. Schreibt Helmina von Chézy in ihren Erinnerungen.

Und sie hat natürlich Recht, wir haben keine Salonière, die sich mit Jeanne Françoise Julie Adélaïde Bernard, besser bekannt als Madame Récamier (die heute vor 245 Jahren geboren wurde) vergleichen könnte. Obgleich sich die Damen im Spree-Athen natürlich darum bemühen, auch eine merveilleuse zu sein. Und nicht nur die französische Empire Mode nachzuahmen, sondern möglichst auch einen Salon zu haben. Kriegen sie auch, wie uns zum Beispiel Günther de Bruyn in Als Poesie gut: Schicksale aus Berlins Kunstepoche 1786 bis 1807 zeigt, halbwegs hin. Allerdings werden keine Möbelstücke nach den Berliner Salonièren benannt. Doch Rahel Levin-Varnhagen hat hier schon lange einen Post.

Bei uns sieht in Deutschland das alles etwas anders aus als in Paris oder bei den Blaustrümpfen in England. Ich zitiere noch einmal Helmina von Chézy: Ich glaube nicht, daß jemals eine Juliette Récamier in Deutschland aufblühen werde, sowenig wie es in jetziger Zeit in Frankreich geschehen könnte; denn der Sinn für eine Größe, wie die ihrige, ist verschwunden, wenn er sich auch noch bei Einzelnen findet. Hier ist eine Einzelne. Die ihren Musenhof allerdings nicht in Berlin, sondern in Tübingen unterhält. Das hier ist Wilhelmine Cotta, die Gattin von Johann Friedrich Cotta, der der Verleger von Schiller und Goethe war. Wenn Tübingen auch nicht Paris ist, der Maler des Bildes ist gerade aus Paris gekommen. Er heißt Gottlieb Schick, er hatte in Paris bei Jacques-Louis David studiert. Bevor Schick Paris verließ, konnte er im Studio sehen, wie David die Madame Récamier portraitierte. Und er selbst hat die Julie Récamier in Paris in sein Skizzenbuch gezeichnet.

Wenn ich mal eben für einen Augenblick abschweifen darf: ein Freund von mir versuchte vor Jahrzehnten zusammen mit seiner Gattin diese schöne Tradition eines Salons in einer großen Altbauwohnung durch einen jour fixe wieder zu beleben. Aber das Ganze schlief nach ein, zwei Jahren wieder ein. An den Möbeln lag es nicht, es gab zwar keine Récamière, aber genügend stilvolle alte Möbel. Leider fehlte irgendwie der gewünschte intellektuelle Austausch. Die Professoren von der Kunsthochschule diskutierten nicht über Kunst, sie zogen sich in eine Wohnzimmerecke zurück und spielten bis in die Nacht Skat.

Die Lehrer klagten über die Dummheit der Schüler, die Hochschullehrer klagten über die Dummheit der Kollegen. Gott erschuf den Professor, der Teufel erschuf den Kollegen. Nur bei den Mettbrötchen und dem Bier in der Küche kam manchmal so etwas wie ein niveauvolles Gespräch auf. Dabei war die ganze Idee ja gut, nur war der Zeitpunkt offensichtlich nicht geeignet. Die 68er waren müde. Alle Gäste des Salons schienen in der midlife crisis zu sein, viele waren wegen einer Ehekrise in Therapie. Es war statt eines schöngeistigen Salons die trivialisierte Form eines John Updike Romans geworden. Dennoch denke ich mit einer gewissen Nostalgie daran zurück. Wenn man bedenkt, dass dies damals vielleicht die Crème de la Crème des Ortes war: was hätte werden können - und warum wurde es nur so wenig? Gut, manche Diskussionen waren oberhalb des Niveaus der Universität, aber dazu gehörte nicht viel. Es kann natürlich sein, dass es in Berlin kein Äquivalent für eine Madame Récamier oder eine Madame Tallien (Bild) gab. Aber vielleicht gab es in den berühmten Salons in Paris und Berlin ja damals auch nur Klatsch und Tratsch.

Vielleicht ist das, was uns Eduard Gans aus dem Salon der Mme Récamier zu berichten wusste, auch nur eine schöne home story gewesen? Irgendwie klingt mir da die Berlinerin Elise von Hohenhausen ehrlicher: Eine geistige Gemeinschaft fand in Berlin statt, wie sie wohl in wenigen Städten gefunden wird. Geistreiche Familien, auch wohl einzelne Damen, hielten an bestimmten Wochentagen Versammlungen, die auf's Lebhafteste an die Salons der Du Deffant, L'Espinasse, Recamiér u. A. m. erinnerten. Man achtete nicht darauf, ob man eine oder drei Treppen steigen mußte, ob es hell oder dämmernd im Zimmer war; Alles was man verlangte, war ein warmer Ofen und eine Tasse Thee; die Tasse selbst mochte von chinesischem Porzellan oder von Töpferwaare seyn. Dieses Detail mit der Töpferware hat etwas Authentisches.

Es gibt noch eine andere Verbindung zwischen Paris und Berlin als die der Nachahmung französischer Mode und der Pariser Salons. Gertrude Aretz erzählt in Berühmte Frauen der WeltgeschichteAls das Kaiserreich errichtet wurde, versuchte der Polizeiminister Fouché, die Récamiers für den neuen Hof zu gewinnen. Er bot Juliette an, Ehrendame am Hofe Napoleons zu werden. Juliette Récamier lehnte jedoch ab und geriet nach und nach in den Kreis der Opposition, die sich um Frau von Staël geschart hatte. Als ihr Gatte grosse finanzielle Verluste erlitt, zog sie sich eine Zeitlang auf das Schloss ihrer Freundin nach Coppet zurück. Dort lernte sie den Prinzen August von Preussen kennen, der sich sterblich in sie verliebte. Eine Zeitlang trug sie sich mit der Absicht, diesen Neffen des Grossen Friedrich zu heiraten. Ob sie wirklich diese Absicht hatte, wissen wir nicht. Aber der August, der hätte sie schon gerne geheiratet. Sie hat ihm das Bild geschenkt (oder geliehen, das ist nie so ganz klar geworden), das wir hier sehen: Ich bin nun endlich wieder im Besitz Ihrers Porträts, das ich mit brennender Ungeduld so lange erwartet habe: Wieviele süße Erinnerungen und wieviel Bedauern, so weit vom Original entfernt zu sein, fanden sich in meinem Herzen, als ich es wiedersah! schreibt ihr der Prinz August aus Berlin. Und da steht er nun - von Franz Krüger gemalt - breit und bräsig im Salon vor dem Portrait der schönsten Frau Frankreichs, gemalt vom Baron Gérard. 

Als Franz Krüger den Preußenprinzen mit der fernen Geliebten an der Wand malt, konnte Mme Récamier das Bild eh nicht mehr gebrauchen. Sie war gerade ins Kloster gezogen. Sie ist nicht aus Liebeskummer eine Nonne geworden, nein, die L'Abbaye-aux-Bois in der Rue de Sèvres bot verarmten Damen der feinen Gesellschaft preiswerten Wohnraum. Madame war pleite. Da hatte es ihre Konkurrentin um den ersten Platz in der Gesellschaft, Madame Tallien (die Notre-Dame de Thermidor), bedeutend besser getroffen. Arsène Houssaye hat bösartig von Mme Récamier als eine jener Neugriechinnen, die sich halb nackt, aber von ihrer Schamhaftigkeit bekleidet, aus den Ruinen eines blutigen Pompeji erhoben gesprochen. Man kann das anders formulieren, die Kostümhistorikerin Aileen Ribeiro erwähnt sie im Zusammenhang mit der raffish demi-mondaine society thrown up by the Directory. Man ist schnell nach oben gekommen, jetzt fällt man wieder. Das Rad der Fortuna dreht sich zu Lebzeiten Napoleons (der Julie Récamier nicht ausstehen konnte) etwas schneller als sonst.

Ganz so schlimm kann es im übrigen in den Räumen der Abtei in der Rue de Sèvres nicht gewesen sein, wie das Gemälde von Gérard (oben) zeigt. Das beinahe zeitgleich mit Franz Krügers Bild vom Prinzen August gemalt wurde. Madame hat ihre geliebte Harfe, ihr Piano und ein Regal voller Bücher retten können (hier ein Bild ihres Bettes). Und da sitzt sie wieder, wie auch schon auf dem Bild von David, stereotyp in ihrem weißen Hemdblusenkleid, dieser Mode à la Grecque. Die angeblich die neue Volkstracht sein soll, aber natürlich Haute Couture und unbezahlbar teuer ist.

Und sie empfängt auch hier ihren Kreis von Bewunderern, hat auch hier noch ihre Hofberichterstatter. Wie zum Beispiel Chateaubriand (hier auf einem Bild von Girodet), der angeblich ihr Geliebter ist. Der über die neue Wohnung schreibt:  La chambre à coucher était ornée d’une bibliothèque, d’une harpe, d’un piano, du portrait de Madame de Staël et d’une vue de Coppet au clair de lune. Sur les fenêtres étaient des pots de fleurs. […] La plongée des fenêtres était sur le jardin de l’abbaye, dans la corbeille verdoyante duquel tournoyaient des religieuses et couraient des pensionnaires. La cime d’un acacia arrivait à la hauteur de l’œil. Des clochers pointus coupaient le ciel et l’on apercevait à l’horizon les collines de Sèvres. Le soleil couchant dorait le tableau et entrait par les fenêtres ouvertes. Madame Récamier était à son piano; l’Angelus tintait; les sons de la cloche, qui semblait pleurer le jour qui se mourrait: « il giorno pianger che si muore », se mêlaient aux derniers accents de l’invocation à la nuit, du Roméo et Juliette de Steibelt. Quelques oiseaux se venaient coucher dans les jalousies relevées de la fenêtre. Je rejoignais au loin le silence et la solitude, par-dessus le tumulte et le bruit d’une grande cité. Texte wie diese werden heute immer noch geschrieben, solches Gesülze stirbt nicht aus. Vor allem nicht in der demi-monde.

Nach dem Tod von August hat Julie Récamier das Bild übrigens zurück bekommen. Aber sie konnte sich nicht mehr darauf erkennen. Sie war inzwischen erblindet. Hätte etwas aus dieser amourösen Verbindung von Paris und Berlin werden können? Die Récamier hatte ja eine Vielzahl von Liebschaften, aber das war alles wohl eher: nur gucken, nicht anfassen! Sie war eine Salonière, keine demi-mondaine. Diese Damen kommen etwas später, sie haben mit Demimonde und les grandes horizontales und hier schon zwei schöne kulturhistorische Posts.

Man muss sich abgrenzen von der Bohème, also stürzt man sich auf die Kultur. Freilich treten hier an Madame Recamier auch andre als rein geistige Interessen heran; unter den Gästen der Frau von Stael befand sich der Prinz August von Preußen, der eine heftige Leidenschaft für sie faßte und ihr den Antrag machte, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen und ihm ihre Hand zu reichen. Sie erwiderte seine Gefühle nicht, wie denn ihre gleichmäßige Schönheit nie von einer Neigung bewegt zu sein scheint, aber sie war durch seine Ergebenheit gerührt. Das konnte man 1859 in der Zeitschrift Die Grenzboten lesen. Ach ja, die Französinnen - es ist immer das gleiche:

L'amour est enfant de Bohême
Il n'a jamais, jamais connu de loi
Si tu ne m'aimes pas, je t'aime
Si je t'aime, prends garde à toi !
Si tu ne m’aimes pas
Si tu ne m’aimes pas, je t’aime !
Mais, si je t’aime
Si je t’aime, prends garde à toi !

Die Lettres du prince Auguste de Prusse 1807 à 1843 sind 1976 in der Zeitschrift Francia: Forschungen zur Westeuropäischen Geschichte (hier im Volltext) mit einer Einleitung von Alfred W. Hein herausgegeben worden.

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