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Montag, 3. Mai 2010

Amazon/Rezensenten


Über den Professor Orlando Figes lacht im Augenblick ganz England. Orlando Figes hat Bücher bei Amazon rezensiert, anonym. Das ist ja an sich noch nichts Böses. Aber der Professor Figes hat seine eigenen Bücher bei Amazon in den Himmel gehoben und die Bücher seiner Kollegen schlecht gemacht. Als das herauskam, hat er gesagt, er sei das nicht gewesen. Angeblich sei es seine Frau gewesen. Aber dann ist er doch weinend vor die Öffentlichkeit getreten und hat alles gestanden. So wie Tiger Woods. Ich nehme an, es gibt dafür inzwischen coaches, die den öffentlichkeitswirksamen Auftritt und das Weinen vor den Kameras vorbereiten. Professor Figes liegt mit seiner Aktion jetzt auf Platz zwei der peinlichsten angloamerikanischen Historiker, der erste Platz gehört immer noch Joseph Ellis, der vor Jahren im Hörsaal seinen Studentinnen erzählt hat, er sei ein Held in Vietnam gewesen. Er war nie in Vietnam. Seine Uni hatte ihn damals für ein Jahr beurlaubt, damit er ein wenig über seine Rolle als Nachfolger des Barons Münchhausen nachdenken könne, und ähnliches wird das Birkbeck College mit Orlando Figes wohl auch tun.

Das Rezensionswesen (oder Unwesen) bei Amazon hatte ja nie den besten Ruf. Skandälchen und Skandale um bezahlte Gefälligkeitsrezensionen und elektronisches Mobbing haben das Diskussionsforum der Firma seit Jahren begleitet. Zumal das, was Orlando Figes gemacht hat, hierzulande schon beinahe Routine ist. Vor allem bei einem Rezensenten, der unter dem Namen Ein Kunde auftritt. Amazon hat jetzt eine neue Rangliste eingeführt, die den Buchrezensenten klassischer Art erheblich benachteiligt. Aber wenn man Druckerpatronen von XYZ lobend bespricht und dreißig Leute das gut finden, dann bekommt man ganz viele Punkte. Ich wundere mich immer noch, dass ich überhaupt in der Region von Platz 1.100 herumkrebse, wo ich doch beinahe ständig Bücher bespreche, die nicht mehr lieferbar sind. Das hat Amazon gar nicht so gerne. Amazon Rezensionen sind leider auch häufig auf einem erschütternd niedrigen Niveau. Ich ärgere mich auch ein wenig, dass ich nicht bei webcritic.de angeheuert habe, die haben ein viel höheres Niveau. Und wahrscheinlich werden da auch nicht so zweifelhafte Produkte besprochen, wie beim amerikanischen Amazon. Der UFO Detector bekam immerhin 21 Besprechungen (seit ich den UFO Detector habe, ist meine Wohnung völlig UFO frei), es ist noch ein Exemplar für 149,95 $ erhältlich.

Nun ist das kritische Besprechen von Büchern anderer von Anfang an eine problematische Sache gewesen. Da brauchte es gar nicht des Goethe-Worts Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Rezensent. Dichter sind die ersten, die ihre Kollegen beschimpfen, und das mit Formulierungen, die gegen alle Grundsätze des Seid-nett-zueinander von Amazon verstoßen. Katastrophal! Weichlich, eingebildet, wichtigtuerisch und stillos. Sprachlich unsicher und charakterlich unbedeutend...urteilte Gottfried Benn über Ernst Jünger. Und solche Aussagen lassen sich ad infinitum vermehren. Der vor einem Jahr verstorbene verdienstvolle Literaturkritiker Jörg Drews hat die schönsten Blüten dieser Schelte in einem Band bei Reclam Leipzig unter dem Titel Dichter beschimpfen Dichter versammelt. Eine wunderbare Lektüre!

Wer aber nun nach Art des Hasen
auf dem Feld der Dichtung
Hochsprünge machen und Haken schlagen will
mit zusammengewürfelten Worten
und sich auf den Lorbeerkranz Hoffnung macht,
ohne daß ihm jemand dabei folgen kann,
der lasse uns in der Hoffnung,
bei dieser Wahl auch noch ein Wörtchen mitzureden.

Sagt Gottfried von Straßburg über Wolfram von Eschenbach im Tristan, ohne seinen Kollegen beim Namen zu nennen. Aber jeder der Zeitgenossen wußte, wer des hasen geselle ûf der wortheide, jener Verkäufer einer wilden maere war. Damit geht es los, nun wird nichts mehr geschrieben, ohne dass ein Kritiker und ein Rezensent bereitsteht. Die Häme wird ja erst schön, wenn man gegen die Nettiquette verstößt. Welche schönen Sätze der Kollegenschelte verdanken wir in der bleiernen Zeit der Adenauerjahre nicht Gottfried Benn oder Arno Schmidt! Dichter geben erst Ruhe, wenn sie im Poets Corner der Westminster Abbey oder auf dem Père Lachaise nebeneinanderliegen. Leider haben wir in Deutschland kein Äquivalent zu den großen Rezensionszeitschriften wie dem Edinburgh Review im 19. Jahrhundert, dem Times Literary Supplement oder, etwas jünger, dem New York Review of Books. Bei uns werden die Gefechte ûf der wortheide im Feuilleton ausgetragen. Oder aber auf der virtuellen wortheide bei Amazon.

Die Heldin von Linda Grants schönem Roman The Clothes on their Backs versucht sich in dem Roman einmal erfolglos als Buchrezensentin bei der Times. Sie bekommt ihre erste genialische Rezension umgehend zurück. Und bekommt noch mehrere gute Ratschläge mit auf den Weg. Wie next time, try writing in the English language oder and if you could make the review interesting to read, obviously that would be a help. Oder if you want to review, you need to know what a book review is. Just go and read a few. Solche Ratschläge brauchte ich nicht, als ich vor einem halben Jahr bei Amazon anfing, da hatte ich schon einige Jahrzehnte in wissenschaftlichen Zeitschriften Fachliteratur rezensiert. Jetzt darf ich das besprechen, was ich gut finde, das sind schöne Aussichten. Ich brauche nur zehn Seiten von Der Turm zu lesen, um zu erkennen, dass ich das nie lesen oder rezensieren werde. Nach 765 Seiten von Albert Vigoleis Thelens Der schwarze Herr Bahßetup könnte ich, wie die Maler der Forth Bridge, wieder von vorne anfangen. Aber wenn auch bei Amazon vieles im Argen liegt (man lese nur die aktuellen Diskussionen unter der Liste der Top Rezensenten, wo davon die Rede ist, dass die Motivation total am Boden ist), ich bin dem Rezensionsforum dankbar. Weil mich ein Amazon Top Rezensent, der jetzt ein Ex-Rezensent ist, zum Schreiben dieses Blogs gebracht hat. Wo ich schreiben kann, was ich will und die Gedanken frei sind.

Teuer, lieb ist mir der Mann,
der unterscheidet, gut und schlecht,
der mich und jeden andren Mann
beurteilt nach dem wahren Wert

sagt Gottfried von Straßburg am Anfang von Tristan und Isolde (in der Übersetzung von Dieter Kühns schönem, großen Gottfried Buch), wer wollte ihm widersprechen?

1 Kommentar:

  1. Guter Beitrag...ja, ich erinnere mich- die Titel 'Philosophen beschimpfen Phil.s' & 'Dichter b. D.s' unter den Neuerscheinungen gelesen zu haben, bilde mir aber ein, dass das schon länger als vor nur einem Jahr war...ach, nein, ich glaube, dass das dann doch 'Künstler besch. K.s' war und dass jenes Werk über die Dichter nur einen rezenteren Beitrag in dieser Reihe darstellte (welch' wichtige Fragen!).

    Wie auch immer, bis jetzt verband mich eher eine Hass-Liebe zu diesem BLOG, da er manchmal sehr interessante Inhalte (z.B. die Beiträge über Young Fogeys & Sloane Rangers oder Byron) mit einigen, meinen Ansichten völlig konträren Wertungen verband, aber dieser Beitrag hier ist sehr gut; ich denke, deshalb, weil Du hier über etwas schreibst, von dem Du wirklich Ahnung hast- also, weiter so!

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