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Sonntag, 2. Mai 2010

Cantate


Nordelbien klingt. Darüber sollten Sie mal in Ihrem Blog schreiben, bekomme ich gesagt. Mache ich doch gerne, solange ich nicht singen muss. Das kann ich nämlich nicht. Früher hieß es ja beim ollen Tacitus Frisia non cantat, aber heute am Sonntag Cantate, da wird von Hamburg bis Flensburg und von Helgoland bis Fehmarn nur gesungen und musiziert. Sagt die schleswig-holsteinische Landeskirche, die hat sogar eine Website. Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder, wird dem deutschen Dichter ➱Johann Gottfried Seume zugeschrieben. So wie es jeder zitiert, hat er es nicht geschrieben, aber so ähnlich schon. Seume ist bekannt geworden durch seinen Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802.

Aber er war auch bekannt durch das Gedicht Der Wilde, in dem ein kanadischer Indianer edler und vornehmer ist als das ganze weiße Erobererpack. War damals das meistgelesene Gedicht in Deutschland. Kanadische Indianer hat Seume 1782 kennengelernt, als man ihn in die hessischen Truppen gepresst hatte. Diese Landeskinder, die der Landgraf von Hessen an die Engländer verkaufte. Dafür kriegt der Landgraf viel Geld und kann sich von Tischbein malen lassen. Als Seume nach Kanada kommt, ist der amerikanische Unabhängigkeitskrieg schon zu Ende, aber frei ist er immer noch nicht. Zurück in Deutschland versucht er, in Bremen zu fliehen, die Bremer helfen ihm dabei. Da gibt es heute noch ein Seume Denkmal, das der Dichter Hermann Allmers finanziert hat. Seume wird wieder von Soldatenwerbern gefangen, diesmal sind es die Preußen. Er wäre in der Kerkerhaft in Emden umgekommen, wenn ihn nicht der großmütige hugenottische Edelmann Wilhelm René de l'Homme de Courbière zum Hauslehrer seiner Kinder gemacht hätte. Als Seume 1810 stirbt, da lebt sein Wohltäter noch. Ist inzwischen preußischer Feldmarschall, der einzige, der sich nie den Franzosen ergeben hat.

Cantate domino cantum novum quia mirabilia fecit, heißt es im Psalm. Und deshalb heißt der heutige Sonntag Cantate. An dem alle außer mir singen dürfen. Ich darf nie mitsingen, weil ich zwar sehr textsicher bin, aber grauenhaft singe. Ich mag aber schöne Stimmen, solange es keine Chöre sind. Nein, schöne Solostimmen, die a cappella oder nur mit einem Instrument für sich bestehen können. Oder die weit oben über dem Musikteppich schweben können wie ➱Emmylou Harris. Vor einem halben Jahrhundert schwärmte ich für ➱Nina van Pallandt, diese blonde Dänin, die den dänischen Baron Frederik van Pallandt geheiratet hatte. Die traten dann als Duo Nina & Frederick auf. Auch im deutschen Film, wie dem Höhepunkt des fünfziger Jahre Kitsches Mandolinen und Mondschein. Kann man alles noch bei YouTube sehen. Später ist sie nach Hollywood gegangen, war die Geliebte des Betrügers Clifford Irving. Robert Altman hat sie in den Film geholt. In ➱The Long Goodbye spielt sie neben Elliot Gould. Aber sie singt da leider nicht mehr. Aus Skandinavien kommen ja viele Sängerinnen. Hans Christian Andersen war unsterblich in die schwedische Nachtigall ➱Jenny Lind verliebt. Ein Jahrhundert später schwärmte halb Deutschland für Gitte. Die ja nicht nur Ich will 'nen Cowboy als Mann gesungen hat, sondern auch eine gute Jazzsängerin gewesen ist. Gute Jazzsängerinnen gibt es in Skandinavien zuhauf, von ➱Monica Zetterlund bis Viktoria Tolstoy, und es scheinen immer mehr zu werden.

Am schwersten ist es offensichtlich, eine einfache Volksweise zu singen. Wenn Opernsängerinnen Bachs Willst Du Dein Herz mir schenken singen, ist das meistens grauenhaft. Überall Verzierungen und Koloraturen, nichts Schlichtes, Ergreifendes, aus dem Herzen. Vielleicht noch besser als Florence Foster Jenkins, aber irgendwie unpassend. Immer wieder singen Wagnersängerinnen Schubert, und immer wieder geht das schief. Hannes Wader, der kein ausgebildeter klassischer Sänger ist, hat auf An Dich hab ich gedacht einen anrührenden Schubert gesungen. Und in dem kleinen Booklet viel darüber gesagt, wie schwierig es ist, so einfach und schlicht zu singen. Und da muss ich doch noch einmal auf das kleine ➱Loblied hinweisen, das ich hier im Blog im Januar auf Maggie angestimmt habe, die auf YouTube I skovens dybe stille ro mit ihrer Gitarre so schlicht, einfach und so magisch singt. Ohne Schnörkel und Verzierungen, ohne Emphase, wie ein Kirchenlied oder ein Wiegenlied. So sollte ein Lied nach meiner Meinung gesungen werden, Elisabeth Schwarzkopf hätte das nicht gekonnt.

Wenn es schon ein komponiertes Kunstlied sein muss, dann kann ich nur Hildegard Behrens' Interpretation von Berlioz' Nuites d'été empfehlen, am besten in einer warmen Sommernacht zu hören. Und wenn es nicht so berauschend sensuell plüschig sein soll, dann kann ich nur auf John Dowland hinweisen. An den traut sich glücklicherweise, ob Sopran oder Kontratenor, nur derjenige heran, der das wirklich singen kann. Also Paul Potts schon mal gar nicht, und Sting kriegt das auch nicht richtig hin. Andreas Scholl schon, Emma Kirkby auch. Und so ist meine Musikempfehlung am heutigen Cantate Sonntag Emma Kirkby auf YouTube, wie sie Dowlands Time stands still singt.

Time stands still with gazing on her face,
stand still and gaze for minutes, hours, and years to her give place.
All other things shall change, but she remains the same,
till heavens changed have their course and time hath lost his name.

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