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Dienstag, 11. Mai 2010
May 11
In the clough through the light they [the bluebells] come in falls of sky-colour washing the brows and slacks of the ground with vein blue, notiert der Tagebuchschreiber in Lancashire am 11. Mai 1871. Offensichtlich ein gebildeter Mann, ein Bauer würde sich nicht so ausdrücken. Dichter schreiben so, und ein Dichter ist er ja eigentlich. Aber jetzt ist er gerade in der Nachfolge von Kardinal Newman zum Katholizismus übergetreten und Jesuit geworden, jetzt dichtet er erstmal nicht mehr. Er dichtet sowieso nur für sich selbst, erst nach seinem Tode werden seine Gedichte veröffentlicht. Aber das Tagebuchschreiben, das hat er sich nicht verboten.
Tagebücher von englischen Geistlichen, die sorgfältig alles in der Natur beschreiben, als wollten sie ➱Wilhelm Lehmanns Bukolisches Tagebuch vorwegnehmen, scheinen eine Spezialität des viktorianischen Zeitalters zu sein. Je mehr man sich von Fortschritt und Technik umgeben sieht, desto mehr entdeckt man die Natur. Das berühmteste Tagebuch aus dieser Zeit ist das von Francis Kilvert. Der anglikanische Landpfarrer hat es in der Zeit von 1870 bis zu seinem Tode 1879 geführt, es wird heute immer noch gelesen. Man hat dieses Tagebuch in eine Reihe mit den berühmten Tagebücher von Samuel Pepys gestellt. Kilverts Eintragung für den 11. Mai 1872 lautet: This is the bitterest bleakest May I ever saw... A black bitter wind violent and piercing drove from the east with showers of snow. The mountains and Clyro Hill and Cusop Hill were quite white with snow. The hawthorn bushes are white with may and snow at the same time. Kilvert ist kein Stadtmensch wie der Jesuit in Lancashire, er kennt das Land und seine Menschen, er ist ein großer Wanderer. Und ein genauer Beobachter.
Aber er ist kein wirklicher Dichter, wie unser Geistlicher in dem Jesuitenkolleg in Lancashire, der, nebenbei gesagt, Gerard Manley Hopkins heißt. Und der, wiederum an einem 11. Mai, diesmal des Jahres 1873 über einen Spaziergang in den bluebell woods (die es ja heute noch in England gibt) schreibt: Bluebells in Hodder wood, all hanging their heads one way. I caught as well as I could while my companions talked the greek rightness of their beauty, the lovely-what people call-"gracious" bidding one to another or all one way, the level or stage or shire of colour they make hanging in the air a foot above the grass, and a notable glare the eye may abstract and sever from the blue colour-of light beating up from the so many glassy heads, which like water is good to float their deeper instress in upon the mind. Unser Tagebuchschreiber/Dichter kann Augenblicke beschreiben, einen Moment verdichten. Während seine Gefährten über griechische Schönheitsideale diskutieren, kommt es ihm auf das Einfangen des Augenblicks an: I caught as well as I could. Das caught erinnert an die erste Zeile seines berühmtesten Gedichtes The Windhover, To Christ our Lord, in der es heißt: I caught this morning morning's minion.... Dieses Gedicht, eines der schönsten (und schwerverständlichen) der englischen Literatur, gab es ja vor kurzem (wie noch anderes von Hopkins) im Blog von Morgenländer. Es ist auch überall im Netz. Zu seinem Verständnis mag eine Paraphrase helfen, die sich auf einer Seite des Victorian Web ➯Victorian Web findet.
Hopkins und Kilvert sind viktorianische Gentlemen, die das Naturerlebnis sublimieren, ihre Tagebücher sehen anders aus als das von Humphrey O'Sullivan (das sich im Januar ➯hier in diesem Blog fand). Der ist nicht in Oxford gewesen, wie Hopkins und Kilvert, der kann sich einfacher ausdrücken. Kilvert ist immer, wie Hopkins und Proust, auf der Suche nach dem detailliert beschriebenen Augenblick, dem mot juste. So schreibt er im Jahre 1874 For some time I have been trying to find the right word for the skimming, glancing, tumbling movement of the poplar trees in the sun and wind. It was "dazzle". The dazzle of the poplars. Kilvert liebt die Dichtung. Und er liebt auch, wie sein Studienkollege in Oxford Charles Lutwidge Dodgson (den wir als Lewis Carroll kennen), kleine Mädchen. Wenn er seine Tagebücher nicht hätte, und wenn Lewis Carroll seine Alice im Wunderland der Worte nicht hätte, wären sie beide gewöhnliche viktorianische Pädophile. Gerard Manley Hopkins hat es nicht mit den kleinen hübschen Mädchen, der bekämpft in seinen subtilen Naturbeobachtungen eher seine Homosexualität. Den amerikanischen Dichter Walt Whitman, auf den ihn sein Freund Robert Bridges (der auch dafür sorgen wird, dass Hopkins Gedichte nach seinem Tod gedruckt wurden) hingewiesen hat, hat Hopkins durchaus zur Kenntnis genommen: I always knew in my heart Walt Whitman's mind to be more like my own than any other man's living. As he is a great scoundrel this is not a pleasant confession. And this also makes me the more desirous to read him and the more determined that I will not.
Kilvert, dessen Tagebücher nach seinem Tod von seiner Frau zensiert wurden, macht sich das Leben nicht so schwer wie Hopkins auf seiner Suche nach dem männlichen Gott. Wenn er am 10. Dezember 1871 nachts nach Hause zurückkehrt, beschreibt er die Schönheit der Natur und seine ständig wiederkehrenden Kopfschmerzen, die er mit Portwein kuriert: The blue mountains were silver ribbed with snow and looked like a dead giant lying in state-a Titan... home by the upper road crazy with face ache, weak and wretched, and the road never seemed to be so long. As I passed Whittys's Mill in the dusk the mill seemed to be at work. After dinner and four glasses of port I felt better. Das kriegt Hopkins nicht hin, der redet eher in The Habit of Perfection von Palate, the hutch of tasty lust/desire not to be be rinsed with wine. Vielleicht wäre das Glas Rotwein, mit dem man den englischen Landgeistlichen ja eh identifiziert, doch besser gewesen.
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