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Sonntag, 13. Juni 2010

Made in England


Das erinnert Sie jetzt ein wenig an das Bild, das über dem kleinen Artikel ➱Militäruhren am 28. Mai war? Ja, es ist auch eine Armbanduhr für die englischen Streitkräfte, den Pfeil des Königs kann man ganz deutlich sehen. Die Engländer markieren in den Streitkräften ja alles, damit man es nicht klaut. Daher kommt unser Begriff vom roten Faden, der rote Faden war früher in den Tauen der englischen Navy drin, um sie zu markieren. Und ich habe mit dem größten Vergnügen in den Sixties feststellen können, als ich einige Zeit Verbindungsoffizier bei einem englischen Regiment war (übrigens dem gleichen, in dem schon der berühmte Flashman war), dass sogar das Klopapier ihrer Majestät mit einem durchlaufenden roten Strich bedruckt war. Ungelogen.

Aber bei dieser Uhr ist etwas anders als bei allen englischen Militäruhren. Wenn man das Bild vergrößert, kann man es ganz deutlich sehen. Da unten, bei der sechs: Made in England! Nicht Swiss Made, Made in England. Die letzte Uhr, die in England hergestellt wurde. Danach hat es diesen Aufdruck nie wieder auf Armbanduhren gegeben. Und was da innen drin ist, hat durchaus Qualität:

Ein seltsames Uhrwerk. Ein Technischer Direktor, der von Jaeger gekommen war, hat es entworfen (mit der Firma hatte Smiths seit den dreißiger Jahren zusammengearbeitet). Es ist das erste (und das letzte!) englische Qualitätsuhrwerk seit dem Zusammenbruch der englischen Uhrenindustrie 1929. Damals baute man noch kleine Taschenuhrwerke in Armbanduhren ein, die allerdings noch die etwas störanfällige englische Spitzzahnhemmung hatten. Obgleich die Engländer wußten, dass die Schweizer Ankerhemmung besser ist, aber in so etwas sind sie ja stur. Das Uhrwerk ist in traditioneller Weise körnig vergoldet, wobei das Basismetall zuerst versilbert und dann vergoldet wird. So hat man das bei Omega und bei der IWC vor hundert Jahren auch gemacht. Aufzug und Federhaus liegen unter einer Brücke, eine Konstruktion, die früher bei Qualitätswerken selbstverständlich war, dann aber der so genannten à vue Konstruktion gewichen ist. Bei der kann man dann (wie auf dem Photo unten) die beiden Zahnräder von Kronrad und Sperrad sehen. Der Unruhkloben ist mit zwei Schrauben befestigt. Das findet man manchmal bei Werken aus Glashütte, wie zum Beispiel dem seltenen Kurtz Kaliber 25.

Das hat zwar den Aufzug à vue, ist aber sonst sehr ähnlich. Es hat auch wie das Smiths Kaliber ein auf dem Werk aufgesetztes Zahnrad, das die Kraft von der kleinen Sekunde (bei der Sechs) in die Mitte transportiert. Man nennt das eine indirekte Zentralsekunde, das ist technisch etwas rückständig und verrät uns, dass beide Konstruktionen sechzig Jahre alt sind. Das Smiths Uhrwerk hat eine sehr gute Glucydur Unruh und eine Stoßsicherung der Schweizer Firma KIF (diese Stoßsicherung gilt als etwas feiner als die der Firma Incabloc, weshalb sie von Patek Philippe und ähnlichen Firmen verwendet wird, aber beide Fabrikate leisten letztlich das gleiche). Diese Glycydur Unruh ist von dem Schweizer Dr. Reinhard Straumann erfunden worden, der durch Tüfteln herausgefunden hatte, dass man den Unruhreif unabhängig von Temperaturen und Magnetismus machen konnte, wenn man der Metalllegierung eine Portion Beryllium Bronze beimengte.

Das hier ist eine hochqualitative bi-metallische (Messing und Stahl) Kompensationsunruh mit Schrauben. Sie ist an zwei Stellen (bei der Befestigung der Unruhschenkel) aufgeschlitzt, so dass sich der Unruhreif bei Temperaturänderungen verformen kann und so den Fehlgang kompensiert. Diese Unruh hat man im 18. Jahrhundert erfunden. Aber nach Straumanns Erfindung braucht man Schlitze und Schrauben nicht mehr. Die Glucydur Unruh, die heute Industriestandard ist, ist die wichtigste Erfindung in der Welt der mechanischen Uhren seit dem 18. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert, als John Harrison die erste genau gehende Uhr gebaut hatte, hat man auch schon eine Vielzahl von nützlichen Dingen erfunden. Ein in England lebender Schweizer Mathematiker namens Fatio de Duillier hatte 1704 herausgefunden, dass wenn man eine schnelldrehende Welle in einem Edelsteinlager lagerte, es weniger Reibung gab, als wenn die Welle in einem weichen Bronzelager lief. Seitdem haben Uhren Steine; zuerst sind das Rubine und Diamanten gewesen, heute nimmt man künstlich gezüchtete synthetische Rubine. Das Uhrwerk der Smiths hat 17 jewels, und das reicht für ein Handaufzugwerk auch völlig aus.

Die Firma Samuel Smith ist im 19. Jahrhundert gegründet, sie stellt wie viele kleine englische Firmen hochqualitative Taschenuhren her, die so ähnlich aussehen wie die da oben. Man kann englische Uhren aus dem 19. Jahrhundert immer daran erkennen, dass sie eine so genannte Dreiviertelplatine haben, die Federhaus und Zahnräder verdeckt (die Firma Lange in Glashütte wird diese Bauweise übernehmen). Nach dem Tod der Königin Victoria beschließt der Enkel des Firmengründers, dass die Zukunft nicht mehr in englischen Taschenuhren liegt, sondern in Instrumenten für die neue Jahrhunderterfindung Automobil. Sammler von englischen Oldtimern (ein Wort, dass die Engländer so nicht kennen) gucken zuerst immer auf dem Armaturenbrett nach, ob der Name Smiths auch auf den Instrumenten steht. Die Firma Jaeger LeCoultre wird in den dreißiger Jahren in diesem Bereich tätig sein (mein Peugeot hatte in den siebziger Jahren noch alle Instrumente von Jaeger-LeCoultre), Smiths arbeitet mit ihnen zusammen, da man auch die Aktienmehrheit an dem englischen Teil der Firma Jaeger besitzt. Die Abteilung Instrumentenbau der Firma Smiths gibt es noch heute (sie ist der Hauptzulieferer für Boeing), aus dem Uhrenbau hat man sich (dank Maggie Thatcher) längst verabschiedet.

Ansonsten baut man neben Instrumenten preiswerte Wand- und Standuhren, Küchenuhren und billige Taschenuhren, das ganze Programm, das es bei Junghans in Deutschland auch gibt. Keine herausragende Qualität, nothing to write home about, wie man so schön im Englischen sagt. Aber das ändert sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Sir Stafford Cripps, der für den Wiederaufbau Englands zuständig ist (denn England geht es nach dem gewonnenen Krieg schlechter als Deutschland), beschließt, dass England wieder eine Armbanduhrenindustrie braucht. Unter der Federführung von Smiths entsteht ein kleiner Firmentrust, dem auch zeitweise die Firma Vickers zugeordnet wird. Die ist eigentlich für Flugzeuge und Panzer berühmt geworden. Aber die Battle of Britain ist vorbei, sagt Sir Stafford, jetzt brauchen wir gute Armbanduhren. Und in dieser Situation wird bei Smiths dieses Uhrwerk konstruiert, das auch in der W10 Militäruhr ist. Wenn Harold Macmillan in den fünfziger Jahren sagt you've never had it so good, dann stimmt das auch für englische Armbanduhren.

Als erstes kommt das neue Werk mal in die Uhren, mit denen man die britische Mount Everest Expedition ausstattet. Und wenn der von Edmund Hillary und dem Sherpa Tenzing Norgay bestiegen wurde, wandert der Schriftzug Everest auch auf die Zifferblätter.

Das Smiths Uhrwerk gibt es in verschiedenen Versionen, mit kleiner Sekunde und Zentralsekunde, mit und ohne Stoßsicherung. Es hat auch eine kleine Zahl von Luxuswerken mit einer Breguetspirale gegeben. Die ist von dem berühmten Abraham Breguet erfunden, der zur Zeit Napoleons auch schon die Stoßsicherung für Uhren erfunden hatte. Während eine normale Unruhspirale flach in einer Ebene liegt, ist bei der Breguetspirale die letzte Windung aufgebogen und schwebt über der Spiralebene. Dadurch kann die Spirale besser atmen, sagt man. Bei ganz feinen Firmen in der Schweiz werden die heute noch mit der Hand gebogen, das ist Arbeit für Frauenhände. Eine Regleuse schafft aber nur eine Handvoll Breguetspiralen am Tag.

Diese Form der Spirale gilt in Uhren als das non plus ultra. Allerdings muss man sagen, dass seit der Erfindung der sogenannten Nivarox Spirale (nicht variabel oxydfest) die Breguetspirale eigentlich überflüssig ist. Es war wieder einmal der Tüftler Reinhard Straumann, der sie erfunden hat. Und so ganz nebenbei war er der erste, der den Skisprung wissenschaftlich erforscht hat. Die traditionelle Schweizer Uhrenindustrie hat übrigens damals die Erfindungen von Straumann abgelehnt, er war gezwungen, die Legierungen für Glucydur Unruhen und Nivarox Spiralen in Deutschland herstellen zu lassen. Das ist eigentlich sehr komisch, zeigt aber einmal mehr die Wahrheit des Satzes wat de Buur nich kennt, dat fret he nich.

Das Kaliber 89 der Smiths Militäruhr unterscheidet sich etwas von dem Grundkaliber, es hat eine kleine Feder, mit der man die Unruh stoppen kann. So kann man die Uhrzeit sekundengenau einstellen, das Militär legt auf solche Dinge großen Wert.

Wenn Sie dieses Bild vergrößern, können Sie die kleine Feder sehen, die von der Werkmitte nach links oben verläuft. Die Engländer nennen das eine hack watch, man findet diesen Mechanismus schon im 19. Jahrhundert in Taschenuhren, die an die Royal Navy geliefert wurden. Allerdings muss man sagen (und das irritiert Sammler sehr), dass es auch W10 Uhren ohne diesen Sekundenstopp Mechanismus gegeben hat. Die Uhr heißt W10 nach der langen Buchstaben- Zahlenkombination des Regierungsauftrages auf dem Schraubboden des Stahlgehäuses. Man kann in dieser Zahlenreihe auch das Herstellungsjahr (wie zum Beispiel 1968) entdecken, und natürlich ist der broad arrow auch wieder auf dem Boden eingraviert.

Das Aussehen des Zifferblatts der Uhr war von der Regierung vorgegeben, es hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg kaum geändert. Die Uhren von der IWC oder von Omega, die die Royal Air Force damals hatte, sehen genauso aus. Lediglich der Buchstabe T weist jetzt auf die Leuchtmasse Tritium hin, die gab es früher noch nicht. Und die Militäruhren der W10 Serie haben  eine Stoßsicherung, die Uhren der vierziger Jahre verzichteten darauf. Aber ebenso wie die Fliegeruhren der vierziger Jahre gibt es in der Uhr noch einen Weicheisen Innendeckel, der das Werk vor Magnetismus abschirmt.

Die Uhr hat feste Stege, man kann also kein normales Armband, das mit einem Federsteg befestigt wird, daran befestigen. Man kann natürlich ein olivfarbenes Natoband unter den Stegen hindurchziehen (diese Sorte Bänder wird heute nach den Spezifikationen des Ministry of Defence hergestellt). Diese NATO straps aus Nylon oder dichter Baumwolle gibt es auch in den verschiedenen Regimentsfarben. Englische Händler bieten auch einen James Bond NATO strap an, aber den hat Bond bestimmt nie getragen. Heute scheinen die englischen Streitkräfte nur noch Quarzuhren der Firmen CWC und Precista zu haben, die Zifferblätter sehen aber immer noch genau so aus, wie auf einer alten Smiths oder einer IWC von 1949. Militäruhren werden hauptsächlich von Leuten getragen, die niemals beim Militär waren (genauso wie Taucher- und Fliegeruhren von Menschen getragen werden, die niemals Taucher oder Flieger waren), das macht das Ganze etwas lächerlich. Aber weil ich nun mal diese Anglomanie habe, brauchte ich natürlich auch eine Uhr, auf der Made in England steht.

Als die Quarzkrise kam, hat die Firma Smiths um eine Unterstützung durch die Regierung gebeten. Aber Maggie Thatcher hat no! gesagt. Sie hatte kurz zuvor Millionen für den Bau des DeLorean Sportwagens in Irland in den Sand gesetzt und wollte sich jetzt nicht noch einmal die Finger verbrennen. Danach hat Smiths gesagt, O.K., dann bauen wir keine Uhren mehr. Und haben dann nur noch billige Japsenwerke und Schweizer Stiftankerwerke verbaut. Das war das Ende der englischen Uhrenindustrie, die im 18. und im 19. Jahrhundert (als England noch die Welt regierte) die Nummer Eins der Welt gewesen war. Smiths  W10 Militäruhren (oder die noch seltenere Taucheruhr Smiths Astral) sind heute bei Sammlern begehrt, nicht nur weil sie the last of England unsichtbar auf dem Boden tragen. Man kann bei ebay tausende von Rolex finden, aber kaum eine Smiths W10. Sammler, die eine haben, geben sie nicht her und halten es eher mit Henry V und sagen: we few, we happy few. Muss ich noch anfügen, dass ich eine am Arm habe?

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