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Mittwoch, 14. Juli 2010

Afrika


Am 14. Juli des Jahres 1884 hat der Arzt Dr. Gustav Nachtigal in Kamerun die deutsche Flagge gehisst. Wochen zuvor hatte er schon Protektoratsverträge mit den Herrschern von Togo unterschrieben. Deutschland ist jetzt eine Kolonialmacht. Der Dr. med. Nachtigal passt wenig in das Klischee vom Kolonialherren, auch wenn die DDR-Historiker ihn in die gleiche Schublade gepackt hatten, in der schon Carl Peters war.

Der Dr. Peters ist kein Mediziner, er hat bei Heinrich von Treitschke promoviert und dann Schopenhauer (den er nicht so ganz verstanden haben kann) in seiner SchriftWillenswelt und Weltwille weitergedacht. Und mit ein wenig Darwinismus garniert. Das kommt jetzt alles aus der gleichen deutschen Küche, aus der auch Teile von Nietzsche kommen und der Bestseller Rembrandt als Erzieher und die ganze nationalistische, rassistische und antisemitische Sülze, die auf das deutsche Butterbrot kommt. Weil die Fachwelt sein Buch kritisch gesehen hat, ist der Dr. Peters erstmal zu seinem Onkel nach London gegangen, der war im Im- und Exportgeschäft, und da hat Peters von Albion, dem Lehrmeister in Dingen Kolonialismus, alles gelernt, was er lernen musste. 

Von nun an wollte er nur noch deutsche Kolonien in Afrika gründen, er gilt als der Begründer von Deutsch Ostafrika. Er hatte auch den Beinamen Hänge-Peters und blutige Hand und die sozialdemokratische Zentralorgan Vorwärts schrieb über ihn als den grimmigen Arier, der alle Juden vertilgen will und in Ermangelung von Juden drüben in Afrika Neger totschießt wie Spatzen und zum Vergnügen Negermädchen aufhängt, nachdem sie seinen Lüsten gedient. Dies letzte ist keine Erfindung, es ist die Wahrheit, irgendwie muss man sich den Namen Hänge-Peters ja verdienen. 1897 ist er unehrenhaft entlassen worden, da ist er wieder nach England gegangen. Wilhelm II hat ihm aus seiner Privatschatulle eine Pension ausgesetzt, weil er den Mörder bewunderte. Und ein anderer Mörder namens Adolf Hitler hat die unehrenhafte Entlassung post festum rückgängig gemacht. Damals war Carl Peters schwer in, und der blonde Hans hat ihn in einem Film gespielt. Furchtbar. Ich gewinne beim Schreiben das Gefühl, dass ich mich heute auf etwas Schreckliches eingelassen habe.

Die Karl Peters Straße in Bremen-Walle soll erhalten werden, soll jetzt aber nach einem anderen Karl Peters benannt sein, dann braucht man die Ausweise und Führerscheine nicht zu ändern. Ich merke das mit meiner Heimatstadt Bremen nur so nebenbei an, es gibt auch noch eine Leutweinstraße, eine Gerhard Rohlfs Straße, eine Lüderitzstraße, eine Vogelsangstraße und natürlich eine Nachtigalstraße. Gerhard Rohlfs, Heinrich Vogelsang und Adolf Lüderitz kamen aus Bremen. Und wir haben ein Kolonialdenkmal, das jetzt Antikolonialdenkmal heißt. Sein einziger Sinn war früher, dass man nach einem Besuch dem Bremer Freimarktes darauf kletterte, aber das fällt heute wohl nicht mehr unter political correctness. Die Polizei sah das damals schon nicht so gerne.

In diesem postkolonialen Diskurs, um mal eine modische Phrase zu gebrauchen, ist jetzt alles problematisch. Aber selbst die Hammehütten Kiautschau und Neu-Helgoland auf dem Weg nach Worpswede haben ihre kolonialen Namen nie abgelegt. Die haben in Bremen ein Kolonialdenkmal (und früher hieß der Tante Emma Laden um die Ecke auch noch Kolonialladen), weil sie in Bremen gute Geschäfte mit Afrika machen. In Hamburg auch.

Denn in dem neuen Kamerun, da sitzt seit 1868 die Hamburger Firma Woermann (die sitzt auch noch in vielen anderen Gebieten an der Westküste Afrikas), die möchte jetzt ein wenig beschützt werden vom Deutschen Reich, wo überall in Afrika Kolonien entstehen und ringsherum Engländer, Franzosen oder Belgier sind. Ohne Adolph Woermann hätte wir keine Kolonien bekommen. Es ist erstaunlich, dass sich das Deutsche Reich zuerst die Besitzungen des Bremers Adolf Lüderitz schützt (obgleich der bei Bismarck im Gegensatz zu Woermann überhaupt keinen Einfluss hat), da weht die deutsche Flagge schon ein paar Wochen früher in der Lüderitzbucht als in Togo oder Kamerun.

Dr. Gustav Nachtigal ist jetzt kein Privatmann mehr wie in den Jahren zuvor, in denen er in Afrika gelebt hat. Er ist jetzt Reichskommissar und er kommt an Bord von Kriegsschiffen, ein wenig Symbolik muss ja sein, auch wenn man nicht mit der Royal Navy konkurrieren kann. Es erinnert sich natürlich niemand mehr daran, dass vor ziemlich genau 200 Jahren schon mal eine deutsche Flotte hier war.

Adolph Woermann, der jetzt in Kamerun durch die deutsche Flagge geschützt wird (also, zu der Flagge da links ist es nie gekommen, die war vom Reichskolonialamt 1914 entworfen worden, da war das Kamerunabenteuer aber schon zu Ende), ist bisher ganz gut ohne den staatlichen Schutz zurechtgekommen. Man sieht im Deutschen Reich auch nicht so gerne, dass er Branntwein nach Afrika liefert. Aber für ehrbare hanseatische Kaufleute ist ja nichts ehrenrührig. Woermann hat sich die örtlichen Strukturen geschickt zu Nutze gemacht. In den Gegenden Afrikas, in denen die Schiffe draußen auf Reede entladen werden müssen, hat er die Kru-Boys unter Vertrag, die mit ihren Booten durch jede Brandung kommen. Und bestimmte Stammesangehörige werden auch für die Beladung eines Woermann Dampfers zuständig sein, werden die Reise nach Hamburg auf dem Dampfer mitmachen und in Hamburg verantwortlich für das Entladen sein. Dieses Prinzip funktioniert noch bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, als wir längst keine Kolonien mehr haben. Es ist im übrigen der gleiche afrikanische Stamm, der schon im 18. Jahrhundert Admiräle und Leutnants der Royal Navy durch die Brandung getragen hat, es gab feste Preislisten. Admiräle waren teurer. Wenn Sie sich jetzt fragen, woher ich so etwas weiß, und wenn ich Ihnen jetzt etwas unheimlich werde, es gibt dafür eine ganz einfache Erklärung. Ich bin jahrzehntelang, bis zu seinem Tod vor neun Jahren, mit dem Professor ➱Peter C.W.E. Gutkind befreundet gewesen, der ein Spezialist für all dieses war und habe bei der Woermann Reederei mal für ihn in den Archiven recherchiert. Um einen Eindruck von den Tätigkeiten der Woermann Linie zu bekommen, können Sie aber auch dies hier lesen.

Irgendwie finde ich das Photo von dem Gustav Nachtigall Denkmal in Doula in Kamerun (da wo er die Flagge gehisst hatte) mit dem jungen Schwarzen auf den Stufen und der Mülltüte links schon sehr symbolisch. Die deutschen Kaufleute in Westafrika haben dieses Denkmal finanziert. Aber obgleich es noch gut erhalten ist und erstaunlicherweise graffitifrei ist, wohin sind Kapitalismus und Kolonialismus gekommen? Eine Mülltüte und ein Schwarzer in Jeans und Basecap, die Segnungen der amerikanischen Kultur. Früher einmal Freizeitkleidung, heute Kleidung der Armen der Welt.

An all das hat Gustav Nachtigal nicht ihm Traum gedacht, als er nach Afrika gegangen ist. Der junge Militärarzt hatte seinen Abschied von der Truppe genommen, weil er nach seinem Blutsturz seine Tuberkulose in Afrika auskurieren wollte. Sein Onkel Dietrich Nachtigal in Köln hat ihm das finanziert (Nachtigals Vater war schon früh an der Tuberkulose gestorben). Zuerst war er in Bône in Algerien, danach in Tunis. Da ist er der Leibarzt des Beys von Tunis geworden. Wenn Sie wissen wollen, wie man sich damals in Afrika so fühlt, dann lesen sie hier die Briefe, die Karl Wüllenweber ins Netz gestellt hat. Nachtigal könnte da ja nun glücklich und zufrieden sein, er hat Arabisch gelernt, er interessiert sich für die Kulturen, die ihn umgeben, die er ohne die Vorbehalte, die der Arier Carl Peters hat, studiert. Aber dann trifft er einen Kollegen aus dem bremischen Vegesack, und das verändert sein Leben.

Der heißt Gerhard Rohlfs und ist eigentlich kein Vollmediziner, hat sein Studium abgebrochen, hat dann für ein ein französisches Militärarztexamen gepaukt und ist in die Fremdenlegion gegangen. Und ist dann Deutschlands berühmtester Afrikaforscher im 19. Jahrhundert geworden. Von allen deutschen Afrikaforschern, also Leuten wie Heinrich Barth, Friedrich Hornemann oder Georg Schweinfurth, ist er am wenigsten Forscher. Dazu fehlt ihm das wissenschaftliche Rüstzeug. Aber er ist der Publikumsliebling, weil er so schön über seine Reisen schreibt. Und wenn man sein Buch Quer durch Afrika über die erste Durchquerung der Sahara liest, dann kann man das auch verstehen. Man kann das Buch noch heute lesen, es ist auch erstaunlich ideologiefrei. Obgleich sicherlich manchmal die Vorurteile der weissen Rasse durchschimmern (darin ist Rohlfs ein Kind der Zeit), ist es ein erstaunlich objektives Buch.

Rohlfs ist 1868 wieder einmal in Afrika, und er soll für Wilhelm I. und Bismarck Geschenke zu dem Sultan von Bornu bringen. Er will eigentlich in eine ganz andere Ecke Afrikas, aber er hat sich bereiterklärt, die Geschenke der preußischen Regierung bis Tripolis mitzunehmen und dann für den Weitertransport zu sorgen. Und dann hört er in Tunis von dem Orientforscher Baron Heinrich von Maltzan, dass hier in Tunis ein junger deutscher Doktor wäre, der diese Aufgabe wahrscheinlich gerne übernehmen würde. Rohlfs holt die Genehmigung der preußischer Regierung ein und beauftragt Nachtigal dann offiziell mit der Zustellung der Geschenke. Und damit beginnt Gustav Nachtigals zweites Leben, er wird zum Afrikaforscher. Zwei Jahre nach dem Treffen mit Rohlfs kommt er beim Sultan von Bornu an. Er wird auch über seine Forschungsreisen schreiben, und er wird seine wissenschaftlichen Berichte wie das dreibändige Buch Sahara und Sudan freihalten von allen Vorurteilen der Zeit. Wenn Bismarck ihn zum Generalkonsul in Tunis gemacht hat, werden sich die deutschen Kaufleute darüber beklagen, dass der Dr. Nachtigal sich mehr um die Erforschung der islamischen Kultur kümmert, als um ihre kommerziellen Interessen.

Die blaue Linie zeigt die Reisen von Gerhard Rohlfs, die rote die von Gustav Nachtigal (die anderen Herren lassen wir jetzt mal weg), das sind schon erstaunliche Entfernungen, die die beiden Herren da im Alleingang bewältigen. Und dabei niemals zu Apologeten des Kolonialismus werden.

Das dritte Leben von Gustav Nachtigal wird beginnen, wenn man ihn zum Reichskommissar für Westafrika ernennt, eine Aufgabe, die er eher widerstrebend erfüllt. Dem jetzt auch in Deutschland aufblühenden Kolonialismus steht er eher negativ gegenüber. So wie auf dieser Collage aus derzeit Nazizeit hat er sich bestimmt nicht gesehen. Es gibt nicht viel an Literatur über Gustav Nachtigal (obgleich Theodor Heuss einmal über ihn geschrieben hat), das ist einigermassen erstaunlich. Es gibt aber auch nicht viel über Gerhard Rohlfs, obgleich man das Büchlein Im Alleingang durch die Wüste: Das Forscherleben d
es Gerhard Rohlfs 
von Wolfgang Genschorek empfehlen kann. Die Biographie von Horst Gnettner Der Bremer Afrikaforscher Gerhard Rohlfs, die auf Rohlfs' Nachlaß basiert, scheint manchmal schwer zu erreichen zu sein (obgleich mir der Verleger versichert, dass sie lieferbar ist), ist aber im Zweifelsfall hier beim Verlag und bei dieser Spezialbuchhandlung lieferbar.

Gerhard Rohlfs ist für mich so etwas wie ein entfernter Verwandter. Ich bin auf einer Gerhard Rohlfs Schule gewesen, da gab es schon in der ersten Klasse in der Aula einen Vortrag über den berühmten Sohn der Stadt. Zu Beginn der Oberstufe gab es einen zweiten Vortrag. Der erste Vortrag war ein wenig auf dem abenteuerlichen Karl May Niveau für Kiddies, der zweite betonte die wissenschaftliche Leistung des Abenteurers. Über die Auswirkungen des Kolonialismus, über den Joseph Conrad Heart of Darkness und Mark Twain King Leopold's Soliloquy geschrieben hat, wurde nie geredet. Unser Heimatmuseum, in das mich mein Opa jeden Sonntagmorgen schleppte, wenn er als pensionierter Lehrer den Dienst an der Kasse übernommen hatte, war voll von Gerhard Rohlfs Reliquien. Und seiner gesamten Korrespondenz (4.500 Briefe). Es war in den Räumen immer schön leer, da konnte man prima spielen und sich als Afrikaforscher fühlen.

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