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Donnerstag, 22. Juli 2010

Einsamkeit


Am 22. Juli des Jahres 1882 wurde der amerikanische Maler Edward Hopper geboren, einer den wenigen amerikanischen Maler, von dem Kunstpostkarten seiner Bilder millionenfach verbreitet sind. Und das Bild oben, das Nighthawks heißt, das kennen Sie bestimmt.

Hopper  hat nicht immer so plakativ zweidimensional gemalt, wie man an dem Bild American Village von 1912 sehen kann.Ein ungewöhnlicher Bildausschnitt mit diesem abgeschnittenen Dach, das erinnert ein wenig an den Franzosen Gustave Caillebotte, der schon in vielen Bildern Ähnliches gemacht hat wie Hopper. Nehmen wir einmal Caillebottes Pariser Straßenansicht:

Wir stehen als Betrachter beinahe im Bild (obwohl es leider in Chicago dafür zu hoch hängt und auch diese Kette davor ist), die Straßenlaterne bewirkt eine strenge vertikale Zweiteilung des Bildes. Und Hopper wird das ganz ähnlich in einem Bild machen, das eine in ihrer Einsamkeit verharrende Platzanweiserin in Kino zeigt:

Auch hier ist der Betrachter praktisch im Bild, dieses cropping und zooming in, der Verlauf in die Tiefe und die gewagten, übertriebenen Bildausschnitte, die eine Art Markenzeichen von Caillebotte waren, hat  Hopper gerne übernommen. Wir finden das auch in seinen Radierungen, die er hauptsächlich zwischen 1915 und 1918 anfertigt (obgleich diese da unten, Night Shadows, von 1921 ist):

Sieht ein bisschen aus wie eine Illustration für einen Raymond Chandler Roman, hat aber auch noch etwas von Edgar Allan Poe an sich. Hopper ist am Anfang des 20. Jahrhunderts in Paris gewesen, und natürlich hat er Caillebottes Bilder gekannt. In Paris hat er sich auch für die Photographie interessiert (Caillebotte interessierte sich auch dafür), besonders für den Photographen Eugéne Atget. Dessen Photos von Paris sind ja häufig auch Bilder von Melancholie und Einsamkeit, so wie es Hoppers Bilder später werden. Aber natürlich wird er in Paris auch ein bisschen vom Impressionismus angesteckt, wie man auf dem Bild von Le Pont des Arts von 1907 sehen kann:

Er ist noch auf der Suche nach seinem eigenen Stil, bevor er zu dem großen amerikanischen Realisten nach Winslow Homer (mit dem er vieles gemeinsam hat) wird. Ich gebe jetzt mal eben ein Beispiel. Das da unten ist ein Bild von Winslow Homer, aber wenn Hopper sich für Tiere interessiert hätte und nicht für einsame Strassen, Tankstellen, Diners und Hotelhallen, dann hätte er den Fuchs bestimmt genau so gemalt.

Ich kenne Hoppers Bilder schon lange, schon ein halbes Jahrhundert lang. Meine Eltern haben mir einmal einen vollständigen Satz der Zeitschrift Perspektiven zum Geburtstag geschenkt. Das war eine amerikanische Unternehmung im Kalten Krieg, mit der Amerika die Breite seiner Kultur zeigen wollte. Die Zeitschrift gab es in Europa in mehreren Sprachen, und in Heft 16 (1956) gab es einen Artikel von E.P. Richardson über Hopper. Es hatte in der Zeitschrift auch schon Artikel über John Singleton Copley und Winslow Homer gegeben, und diese drei Maler haben mich mein Leben lang fasziniert.

Die Vierteljahrsschrift (Preis pro Einzelheft 1,50 DM) wurde nach vier Jahren mit Heft 16 eingestellt. Da hat die Ford Foundation dem amerikanischen Dichter James Laughlin (der auch die New Directions begründet hatte) kein Geld mehr gegeben. Ich habe damals beinahe alles auswendig gelernt und war schon ein kleiner Fachmann für amerikanische Malerei bevor ich das Abitur in der Tasche hatte und Kunstgeschichte studierte. Leider kamen weder Copley noch Homer oder Hopper in meinem Kunstgeschichtsstudium vor. Ich habe mir Anfang der siebziger Jahre auch die voluminösen Bücher von Lloyd Goodrich über Winslow Homer und Edward Hopper gekauft, die der Strand Book Store in New York glücklicherweise zu Dumpingpreisen feilbot.

Was wäre aus Hopper geworden, wenn es Lloyd Goodrich (1897-1987) nicht gegeben hatte? Der hatte beeinflusst von seinem gleichaltrigen Nachbarn, dem Maler Reginald Marsh, ein Malereistudium begonnen, war dann aber nach dem Ersten Weltkrieg zum Kunstschriftsteller geworden. Er war der erste, der über den amerikanischen Maler Thomas Eakins geforscht hatte, und seine Lieblingsobjekte in der amerikanischen Kunst waren ganz klar Winslow Homer und Edward Hopper. Aber dann wurde er von Juliana Rieser Force entdeckt. Die war keine studierte Kunsthistorikerin, sie sammelte folk art und war ein Organisationsgenie. Deshalb hatte die bildhauernde Milliardärstochter Gertrude Vanderbilt Whitney sie mit der Gründung des Whitney

Museums beauftragt. Gertrude Vanderbilt Whitney hatte ihre Sammlung moderner Kunst (beinahe 700 Objekte) dem Metropolitan Museum in New York angeboten, aber der Direktor des Metropolitan Museum Edward Robinson, der sich der klassischen griechischen Kunst verpflichtet fühlte und für den die Moderne ein Greuel war, lehnte 1929 ab. Da lachen die Museumsleute in Amerika heute immer noch drüber. Also wurde jetzt Whitneys Assistentin Juliana Rieser Force die erste Direktorin des Whitney Museum und der Kunstschriftsteller Lloyd Goodrich research curator (später Kurator und dann Direktor). Er durfte auch sein Buch über Eakins zu Ende schreiben. Und dann begann er Edward Hopper zu kaufen. Und weil Hoppers Ehefrau Jo Nivison Hopper den ganzen Hopper Nachlass dem Whitney vermacht hat, haben sie da die meisten Hoppers, die es auf der Welt gibt. Das Bild von Gertrude Vanderbilt Whitney da oben ist 1916 von Robert Henri gemalt, der war auch der Lehrer von Edward Hopper.

Ich musste das mit Lloyd Goodrich (der natürlich auch damals mit Artikeln in der Zeitschrift Perspektiven vertreten war) mal eben sagen - und es gibt hier auch ein Photo von ihm - weil sich in jüngster Zeit die Professorin Gail Levin so in den Vordergrund gedrängt hat und den Eindruck vermittelt, dass es vor ihr überhaupt keine Edward Hopper Forschung gegeben hat. Sie hat sich in einem Interview darüber mokiert, dass Goodrich den Fehler gemacht hätte, Hopper nicht genügend Fragen gestellt zu haben. Hopper war ein schweigsamer Mann, und Goodrich hat das respektiert. Hoppers Frau hat mal über ihren Gatten gesagt, dass er einem Brunnen gliche. Wenn man da einen Stein reinwürfe, hörte man nach längerer Zeit ein Plopp. Allerdings hörte man bei Hopper niemals ein Plopp.

Gail Levins riesige Verdienste um Hopper sind relativ klein, sie hat einen Catalogue Raisonné von Hoppers Werk und eine Biographie Edward Hoppers veröffentlicht. Einen Catalogue Raisonné eines so produktiven Malers wie Hopper zu verfassen, wäre normalerweise eine Lebensaufgabe. Bei Frau Levin ging das etwas schneller, weil Lloyd Goodrich das alles schon gemacht hatte. Und ihre Biographie Hoppers ist in Wirklichkeit eine getarnte Biographie von Jo Nivison Hopper, die ihr ihre sorgfältig geführten Tagebücher überlassen hatte. Gail Levin ist ganz groß im advertisement for myself, aber es scheinen noch andere als ich leise Zweifel zu haben, Harvard, Yale oder Princeton haben sie auf jeden Fall nicht als Professorin genommen.

Josephine Verstille Nivison ist selbst Malerin gewesen, sie hat ebenso wie Hopper bei Robert Henri studiert (der sie hier auch als The Art Student gemalt hat), und sie ist eine begabte Malerin gewesen. Aber als sie Edward Hopper geheiratet hat, hat sie das Malen beinahe ganz aufgegeben und sich ganz seinem Genie gewidmet. Das ist eigentlich eine große Tragik für eine Künstlerin. Vor allem, wenn man mit jemandem verheiratet ist, bei dem es in der Kommunikation nicht so recht Plopp macht. Jo Nivison ist auch auf beinahe allen Bildern Hoppers das weibliche Modell, sie wollte nicht, dass ihr Ed Models ins Haus schleppte. Vor allem nicht für ein Bild wie Girlie Show.




Hier ist Jo bekleidet, im Auto in Wyoming, da malt sie auch noch. Hopper liebte das Autofahren, obwohl er ein sehr schlechter Fahrer war. Aber das Amerika on the road mit den Straßen, einsamen Häusern, Hotels und Tankstellen, das war sein Amerika. Und das sind vielleicht auch die Bilder, die am typischsten für Hopper sind. Ich könnte jetzt noch wochenlang weiter schreiben (und ich werde auch noch einmal über Hopper schreiben*), aber vorerst mag dies als kleine Einführung in Hoppers Werk genügen. Und zum Schluss gibt es noch einen wunderschönen Hopper.

Ein geheimnisvoller Wald, ein hübscher Wauwi (beinahe so hübsch wie Winslow Homers Fuchs) und zwei Menschen, die sich (wie so häufig auf seinen Bildern) absolut nichts zu sagen haben. Man kann es ab 27,95 als Reproduktion kaufen und es sich ins Wohnzimmer hängen. Es hat hier im Blog im Februar schon einmal Edward Hopper gegeben, und es wird bestimmt noch mehr von ihm geben. Man kann nicht nur Hopper Reproduktionen kaufen, es gibt auch Postkarten, Kalender und und und. Aber das preisgünstig Beste in Buchform, das man kaufen kann, ist das Katalogbuch der Ausstellung des Whitney Museum of American Art (1980), die im Sommer 1981 auch zu Teilen in Düsseldorf zu sehen war (der deutsche Katalog erschien 1981 bei Schirmer/Mosel). Das Buch heißt Edward Hopper: The Art and the Artist (New York: Norton, 1980), und als Verfasserin fungiert Gail Levin. Amazon hat das Buch als Reprint von 1997 für 33,99 im Programm, aber beim ZVAB kann man es schon für die Hälfte kriegen.

*Eine Auflistung aller Hopper Erwähnungen in diesem Blog finden Sie am Ende von diesem Post.

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