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Donnerstag, 12. August 2010

Franz Radziwill


Dies ist ein Gemälde von Franz Radziwill, es heißt Der Todessturz Karl Buchstätters und wurde 1928 gemalt. Das Bild soll sich auf einen Flugzeugunfall eines Testpiloten namens Karl Buchstätter bei einer Flugschau in Bremen im Jahre 1911 beziehen, den der junge Franz Radziwill gesehen hat. Als Ort des Unglücks wird manchmal das Neuenlander Feld in Bremen oder in anderen Quellen Bremen-Vahr angegeben. Es ist auf jeden Fall nicht der im Bild abgebildete Ort, der doch eher wie das Dangast bei Wilhelmshaven aussieht, wo Radziwill jetzt wohnt. 1923 hatte er zwei Bilder verkauft, die der Käufer in Dollar bezahlt hatte, das ist damals in der Inflation richtiges Geld. Er kauft sich dafür das Haus, in dem er bis zu seinem Tode wohnen wird. Was über das Bild im Internet oder in Katalogen gesagt wird, ist beinahe alles falsch, und da im Internet ja einer vom anderen abschreibt, werden die Fehler nur perpetuiert. Aber durch das Wiederholen wird es nicht richtiger.

Beginnen wir mit dem Ort, es ist Bremen, es ist das Neuenlander Feld, da wo heute der City Airport Bremen ist. Heißt bei traditionsbewusst sturen Bremern natürlich nicht City Airport, sondern immer noch Neuenlander Feld. Da ist 1911 das erste Flugzeug gestartet, aber man hat den beginnenden Flugbetrieb von den Flugpionieren gleich mal wieder gestoppt, weil sich die Bauern beschwert hatten, dass ihre Kühe keine Milch mehr gäben. Also, das Jahr 1911 können wir schon mal für die Abhaltung von Flugschauen ausschliessen.

Dass der sechzehnjährige Franz Radziwill jede freie Minute hier verbringt, weil der davon träumt, Pilot zu werden, das schließen wir nicht aus. Das ist eine Tatsache. Und Flugzeuge werden ja für die nächsten Jahrzehnte immer wieder auf seinen Bildern sein. Wie auf diesem Roten Flugzeug von 1932. Das steht nicht etwa im Gebirge, die seltsamen Massen oberhalb des Flugzeugs sind diese rätselhaften Wolken, die Radziwill immer malt. Der Rest der Landschaft könnte wieder das Neuenlander Feld sein (das Flugzeug sieht auch nach einer in Bremen gebauten Focke-Wulf aus).

Die erste Flugschau an dieser Stelle findet im Jahre 1912 statt. Und im Jahre 1912 gibt es auch bei dieser Flugschau ein Unglück, bei dem zwei Piloten sterben. Zuvor waren in den frühen Morgenstunden des 2. Juni, einem Sonntag, dreizehn Fluzeuge zu einem Flug in Richtung Minden gestartet, und jetzt bei der vierzehnten Maschine kommt es zu dem Unglück. Man muss die Aviatoren mit Beilen und Sägen aus dem Flugzeug, einem Jeannin Eindecker, befreien, aber sie waren beide schon tot. Der Pilot heißt Albert Buchstätter (nicht Karl Buchstätter), er ist ein Österreicher, der erste Salzburger Flugzeugführer (er wird in seinem Heimatort Oberndorf beerdigt werden). Sein Co-Pilot ist der deutsche Leutnant Hans Stille. Und Testpiloten, wie ich in einem Katalog lese, gibt es zu dieser Zeit überhaupt noch nicht. Also, liebe Kunsthistoriker, damit wir das nun endlich mal geklärt haben: nicht Karl Buchstätter und nicht 1911. Hat mich eine halbe Stunde detektivischer Recherche gekostet (ich fand das Fußballspiel gestern zu langweilig), warum hat das noch niemand vorher rausfinden können?

Der vor kurzem verstorbene Soziologe Lars Clausen (der für Arno Schmidt den Goethepreis entgegengenommen und für Reemtsma das Lösegeld überbracht hatte) hat mal auf einer kleinen Tagung etwas sehr Witziges auf die Frage, wie Technik und Technologie den Wissenschaftler verändern, gesagt. Da ändert sich nicht viel, sagte er, was wir brauchen ist 1.) etwas zum Schreiben 2.) Intelligenz zwischen den Ohren und 3.) Sitzfleisch, um tagelang in Bibliotheken zu sitzen. Ist schon zwanzig Jahre her, und inzwischen können wir dank des Computers ja angeblich beinahe alles, aber irgendwie bin ich der Meinung, dass Lars Clausen Recht hatte.

Franz Radziwill ist heute vor 27 Jahren gestorben, er war 88 Jahre alt. Aber für viele war er schon lange tot. Was - Sie leben noch? soll ein Kunsthallendirektor (wir lassen einmal diskret seinen Namen aus) im Jahr 1960 ehrlich erstaunt gerufen haben, als er Radziwill begegnete. Da malte der noch, zwölf Jahre später hat er es aufgegeben, weil er erblindete. Aber in diesen zwölf Jahren bekommt er noch alles an Preisen, was ihm bisher versagt blieb, inklusive des Großen Bundesverdienstkreuzes. Nur in die Akademie der Künste wird er nicht aufgenommen, sein Freund Otto Dix hatte ihn vorgeschlagen. Wahrscheinlich erinnerte man sich in Berlin noch an die zweifelhafte Rolle, die er während der Nazizeit gespielt hatte. Obgleich ein Bild wie Immer schneller fliegen von 1938 mit dem Tod im Bild wohl nicht die typische Nazikunst ist.

Franz Radziwill wird 1895 als erstes von sieben Kindern des Töpfers Eduard Radziwill in Strohausen an der Weser geboren. Das ist da, wo heute das E.ON Kernkraftwerk Unterweser ist. Ein Jahr später zieht man nach Bremen, in die Nähe des Hafens. Häfen und Schiffe werden (ebenso wie Flugzeuge) immer wieder auf den Bildern Radziwills auftauchen. Aus dem Wunsch, Pilot zu werden, wird nichts, der Vater steckt den Filius erst einmal in eine Maurerlehre. Dabei hatte der sich im Alter von neun Jahren schon als Fallschirmspringer betätigt, war mit einem Schirm von einer Scheune gesprungen. Gegen einen Eintritt von einem Pfennig. Ist ihm erstaunlicherweise nichts dabei zugestossen. Radziwill bekommt am 27. März 1913 seinen Gesellenbrief mit Bestnoten und wird ausnahmsweise an der Höheren Staatslehranstalt in Bremen zu einem Architekturstudium zugelassen. Das findet aber bald ein Ende, da ist er Soldat.

Als er 1919 aus der englischen Kriegsgefangenschaft entlassen wird, steht sein Entschluss Maler zu werden, schon fest (dies Bild ist aus dieser Zeit). Denn in den zwei Jahren an der Kunstgewerbeschule hatte er durch seinen Lehrer Karl Schwally die ganze Bremer (und Worpsweder) Kunstszene kennengelernt. Er findet auch schnell in dem reichen Friseur Gustav Brocks einen Förderer, der ihm eine Mansarde als Atelier und Wohnung zur Verfügung stellt. Und er schickt unaufgefordert drei Bilder zu einer Ausstellung der Berliner Sezession, die zu seiner Überraschung auch angenommen werden. Von da an ist er in der Berliner Kunstszene. Als Karl Schmitt-Rottluff ihm rät, die ganze Überfülle der Anregungen der Hauptstadt in der Stille des kleinen Fischer- und Badeortes Dangast zu ordnen (wo Schmitt-Rottluff und Erich Heckel vor dem Krieg häufiger waren), geht Radziwill in das kleine Kaff am Jadebusen. Und bleibt da. Von Reisen nach Holland und einem halben Jahr in Dresden (wo er alle Bilder von Caspar David Friedrich und Gustav Carus studierte) einmal abgesehen. Dort hat ihn Otto Dix auch gemalt. Aber schön wirst Du bei mir nicht, hat er gesagt (man kann das unten sehen) worauf Radziwill entgegnete: Wie Du mich malst, fällt auf Dich zurück.

Otto Dix verliert 1933 seine Dresdener Professur, der am 1. Mai 1933 in die Partei eingetretene Radziwill bekommt eine Professur (die von Paul Klee), fliegt aber schon anderthalb Jahre später aus dem Amt. Ausstellungsverbote und Rehabilitierung wechseln sich ab, 1938 wird er endgültig aus der Partei und der Reichskammer für bildende Künste ausgeschlossen. Irgendwie ist die Kunst des Parteimitglieds Radziwill den Nazis doch suspekt. Ich saß ja überhaupt nun schon zwischen verschiedenen Stühlen, nicht nur zwischen zweien, kommentierte Radziwill seine Situation später, und man kann ihm sicherlich Ahnungslosigkeit und Naivität bescheinigen.

Sein Ausstellungsverbot nimmt er pragmatisch hin. Er baut sein Haus aus, baut eine Garage an, obgleich er nie ein Auto besitzen wird. Er kennt viele Marineoffiziere im benachbarten Wilhelmshaven (vulgo Schlicktown), das jetzt wieder zum Flottenstützpunkt ausgebaut wird. Und die nehmen ihn auf ihren Schiffen mit, als Badegast, wie es ironisch im Marinejargon heißt. Mit dem Panzerschiff Deutschland geht es 1936 in die Karibik, mit den Segelschulschiffen Gorch Fock und Albert Leo Schlageter 1937 durch die Nordsee und mit dem Kreuzer Admiral Graf Spee 1938 ins Mittelmeer. Er malt in dieser Zeit auch Bilder für alle Offiziere an Bord, aber Nazipropaganda wird man das kaum nennen können. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs (in dem er zum zweiten Mal in seinem Leben Soldat wird - und 1945 zum zweiten Mal in englische Gefangenschaft gerät) malt er das Bild Der U-Boot Krieg.

Das erinnert ein wenig an Caspar David Friedrich, den Radziwill 1927 in Dresden genau studiert hat, aber für Propagandazwecke kann die Partei das wohl ebenso wenig gebrauchen wie Immer schneller fliegen aus dem Vorjahr. Radziwill hat das Bild nicht verkauft, es war bis 1960 in seinem Besitz. Er hat auch immer wieder darin herumgemalt, weshalb es die Jahreszahl 1939-1960 im Katalog trägt. Das nachträgliche Verbessern oder Verschlimmbessern kann er nicht lassen. Sammler, die ihm ein Bild bringen, damit er einen neuen Firnis aufträgt, bekommen garantiert nicht das originale Bild zurück.

Der Todesturz von Karl Buchstätter (von dem wir jetzt wissen, dass er Albert heißt) vollzieht sich vor dem Hintergrund eines geheimnisvollen pechschwarzen Himmels. Niemand nimmt auf dem Bild daran Anteil, so wie niemand auf Brueghels Bild Landschaft mit dem Sturz des Ikarus den Ikarus bemerkt, der gerade ins Wasser stürzt. Die einzige Figur in der sonst menschenleeren Landschaft, ist ein Leierkastenmann, der den Kopf gesenkt seine Drehorgel auf dem Rücken schleppt. Der bemerkt den Absturz des Doppeldeckers (Buchstätter flog einen Eindecker!) auch nicht. Soll der fahrende Geselle an das letzte Lied von Schuberts Winterreise erinnern?

Drüben hinterm Dorfe
Steht ein Leiermann
Und mit starren Fingern
Dreht er was er kann.

Barfuß auf dem Eise
Wankt er hin und her
Und sein kleiner Teller
Bleibt ihm immer leer.

Keiner mag ihn hören,
Keiner sieht ihn an,
Und die Hunde knurren
Um den alten Mann.

Und er läßt es gehen,
Alles wie es will,
Dreht, und seine Leier
Steht ihm nimmer still.

Wunderlicher Alter !
Soll ich mit dir geh'n ?
Willst zu meinen Liedern
Deine Leier dreh'n ?

Franz Radziwills Bilder sind Traumlandschaften, große Rätsel, geheimnisvoll. Ich bin einmal an seinem Haus vorbeigegangen (er war nicht zuhause), ich bin in zwei Radziwill Ausstellungen gewesen und habe den Berliner Katalog von 1982, aber verstehe ich seine Bilder? Seine Bilder faszinieren mich immer wieder, aber sie bleiben immer wieder Rätsel. Aber ich jetzt froh, dass wir zumindest das Rätsel mit dem Vornamen des Piloten vom Todesturz Karl Buchstätters und dem Jahr des Absturzes endlich gelöst haben.

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3 Kommentare:

  1. Vielen Dank für die Aufklärung über den "Todesturz" und die brüchige Vita Franz Radziwills. Spannend zu lesen. Mir gefällt das assoziative Herangehen.

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  2. Sehr interessant geschrieben und außerdem sehr informativ und spannend.
    Gerne wieder!

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  3. Toller Kommentar! Ich bin ganz ihrer Meinung und konnte meine Begeisterung gar nicht in Worte fassen. Bei der tiefgründigen Bedeutung sind mir fast die Tränen gekommen!!! Dieses Bild ist definitiv spektakulär!
    LG

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