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Freitag, 13. August 2010

Mauer


Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Ääh, mir ist nicht bekannt, dass [eine] solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft voll ausgenutzt, ääh, eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. Auf einer Pressekonferenz wenige Monate vor dem Mauerbau von Walter Ulbricht gesagt, man kann diese Lüge auch im ➱Bild sehen. Kann man es ihm ansehen, dass er lügt? Die Helden von Fernsehserien wie Lie to Me oder The Mentalist können das offensichtlich.

Als ➱Nixon zum ersten Mal verdächtigt wird, kriminelle Handlungen begangen zu haben (nein, wir sind noch nicht bei Watergate, wir sind noch im Jahre 1952), bringt er in einer Fernsehrede seinen Hund ins Spiel: One other thing I probably should tell you because if we don't they'll probably be saying this about me too, we did get something—a gift—after the election. A man down in Texas heard Pat on the radio mention the fact that our two youngsters would like to have a dog. And, believe it or not, the day before we left on this campaign trip we got a message from Union Station in Baltimore saying they had a package for us. We went down to get it. You know what it was? It was a little cocker spaniel dog in a crate that he'd sent all the way from Texas. Black and white spotted. And our little girl—Tricia, the 6-year-old—named it Checkers. And you know, the kids, like all kids, love the dog and I just want to say this right now, that regardless of what they say about it, we're gonna keep it. Das rührt Amerika, und von den Bereicherungen im Amt ist nicht mehr die Rede.

Die Idee zu der Rede, die danach als Checkers Speech berühmt wurde, hatte Nixon von Franklin Delano Roosevelts Fala Speech, die Roosevelt im Wahlkampf 1944 gehalten hatte. Damals hatten die Republikaner behauptet, dass er seinen Hund Fala auf den Aleuten vergessen hätte und einen Zerstörer hingeschickt hätte, um den zurückzubringen: These Republican leaders have not been content with attacks on me, or my wife, or on my sons. No, not content with that, they now include my little dog, Fala. [laughter] Well, of course, I don't resent attacks, and my family doesn't resent attacks — but Fala does resent them. [laughter] You know, Fala is Scotch, and being a Scottie, as soon as he learned that the Republican fiction writers in Congress and out had concocted a story that I'd left him behind on an Aleutian island and had sent a destroyer back to find him — at a cost to the taxpayers of two or three, or eight or 20 million dollars — his Scotch soul was furious. [laughter] He has not been the same dog since. [laughter] I am accustomed to hearing malicious falsehoods about myself — such as that old, worm-eaten chestnut that I have represented myself as indispensable. But I think I have a right to resent, to object, to libelous statements about my dog! [laughter] Jetzt wissen wir, warum mit einem neuen Präsidenten immer ein Hund ins Weiße Haus einzieht. Im Zweifelsfall kann man den für eine Rede gebrauchen. Aber als Nixon am 30. April 1973 vor die Kameras tritt, hilft ihm auch kein Hund mehr, und am Ende der Rede glaubt ihm Amerika auch nicht mehr.

Hätte Barschel ein Wauwi geholfen, als er seine Ehrenwort Erklärung abgab? Man braucht ihm ja bloß in die Augen zu sehen, um zu erkennen, dass er voll zugeknallt war. Da braucht man nicht der Held von Lie to me zu sein. Aber wie der Ulbricht das hinkriegt, mit seiner sächsischen Fistelstimme, diesen Satz Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten so ungerührt rauszuhauen, das hat schon was.

Im nächsten Jahr können wir am 13. August den fünfzigsten Jahrestag des Mauerbaus feiern. 1961 war ich eine Woche nach dem Beginn des Mauerbaus in Berlin und dann noch mal Anfang Oktober, diese wunderbaren staatlich subventionierten einwöchigen ➱Reisen, für die man immer schulfrei bekommen musste. Im Oktober war ich in der Deutschen Oper, die gerade eröffnet worden war. Es gab Don Giovanni, aber Fischer-Dieskau hatte nur zu Premiere gesungen, in der zweiten Woche hatte er das schon nicht mehr nötig, in Berlin zu sein (immerhin war Walter Berry noch da). Ich hatte eine billige Karte ganz weit oben bekommen. Was mich faszinierte, war die große weißbeleuchtete Glasplatte vor dem Dirigenten, auf der die Noten lagen. Dagegen hob sich Ferenc Fricsay in seinem schwarzen Frack wie ein Gespenst ab. Man merkte Fricsay an, dass er schon schwerkrank war, und wenige Monate später hat er sein letztes Konzert gegeben.

In der ersten Oktoberwoche war die Mauer schon ziemlich weit gediehen, in der Woche nach dem Beginn des Mauerbaus war das noch nicht so. Mehr als 150 Kilometer Mauer werden nicht an einem Tag gebaut. Da wechselten noch überall Menschen von Ost nach West und West nach Ost an den Bauarbeitern vorbei. Sparten auch nicht mit launigen Kommentaren. Es waren noch schöne Sommertage, aber es war eine seltsame Stimmung in der Stadt. Der Satz Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten wurde natürlich ständig in Gesprächen zitiert, fiel aber bei dem Überreichtum an Ulbricht Witzen in Berlin nicht weiter auf. Der Busfahrer auf der obligatorischen Stadtrundfahrt konnte auch welche erzählen. An einer Stelle sagte er über sein Mikrophon, dass wir hier nicht weiterfahren könnten, weil hier alles abgesperrt sei. Billy Wilder drehte hier einen Film. Es war aber nichts von Billy Wilder zu sehen, und von einem Film aus Berlin habe ich damals später auch nichts gehört. Ich hielt es für eine Geschichte, die Berliner Busfahrer den Jugendlichen aus der Provinz erzählen, weil die alles glauben. Aber ich muss dem Mann Abbitte tun. Billy Wilder drehte da wirklich einen Film.

Also hier kann Horst Buchholz noch mit seinen Motorrad durch das Brandenburger Tor fahren, wenige Tage später ging das nicht mehr. Der Bau der Mauer hat Billy Wilder völlig die Dreharbeiten zu Eins, Zwei, Drei versaut. Das Brandenburger Tor musste als Kulisse in Geiselgasteig nachgebaut werden. Der Film floppte auch in den Kinos, Satiren über Ost und West kommen jetzt nicht so beim Publikum an. Für die BZ ist er der scheußlichste Film über Berlin. Aber als er ein Vierteljahrhundert später noch einmal in Frankreich in die Kinos kommt, wird er zu einem Kultfilm, das dann auch in Berlin (West).

Einhundertsiebenundsechzig Kilometer, achtunddreißig Jahre, ein antifaschistischer Schutzwall. Wogegen? Gegen die Gedanken, die frei sind? Die Gedanken, die Schranken und Mauern entzweireißen? Deutsche Gründlichkeit. Offensichtlich waren die Bauarbeiter im Arbeiter- und Bauernstaat doch nicht mit dem Wohnungsbau ausgelastet. Die S-Bahn, mit der man rund um Berlin fahren konnte, hielt nur noch im Bahnhof Friedrichstraße. Auf allen anderen Bahnhöfen standen im Oktober frierende Volksarmisten auf den Gleisen, damit niemand heimlich in den Zug nach Westen einsteigen konnte. Im Oktober wusste man, dass diese Mauer die beiden Berlin fortan trennen würde. Niemand wusste wie lange. Noch im Januar 1989 sagte Erich Honecker: Die Mauer wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhandenen Gründe noch nicht beseitigt sind. Wir haben es in Deutschland ja mit den großen Zahlen. Das Tausendjährige Reich hat mal gerade zwölf Jahre gedauert. Und die Beseitigung der Gründe, das wird Erich Honecker erfahren müssen, dauert jetzt nur noch wenige Monate.

Da, wo die Friedrichstraße sacht
den Schritt über das Wasser macht
da hängt über der Spree
die Weidendammer Brücke. Schön
kannst du da Preußens Adler sehn
wenn ich am Geländer steh
dann steht da der preußische Ikarus
mit grauen Flügeln aus Eisenguß
dem tun seine Arme so weh
er fliegt nicht weg - er stürzt nicht ab
macht keinen Wind - und macht nicht schlapp
am Geländer über der Spree.

Der Stacheldraht wächst langsam ein
tief in die Haut, in Brust und Bein
ins Hirn, in graue Zelln
Umgürtet mit dem Drahtverband
ist unser Land ein Inselland
umbrandet von bleiernen Welln
da steht der preußische Ikarus
mit grauen Flügeln aus Eisenguß
dem tun seine Arme so weh
er fliegt nicht hoch und er stürzt nicht ab
macht keinen Wind und macht nicht schlapp
am Geländer über der Spree.

Und wenn du weg willst, mußt du gehen
ich hab schon viele abhaun sehn
aus unserem halben Land.
Ich halt mich fest hier, bis mich kalt
dieser verhaßte Vogel krallt
und zerrt mich übern Rand
dann bin ich der preußische Ikarus
mit grauen Flügeln aus Eisenguß
dann tun mir die Arme so weh
dann flieg ich hoch, und dann stürz ich ab
mach bißchen Wind - dann mach ich schlapp
am Geländer über der Spree.


Das hat Wolf Biermann 1976 bei seinem Kölner Konzert als Zugabe gesungen. War es der Preußische Ikarus, der das Zentralkomitee dazu brachte, ihn wenige Tage später auszubürgern?

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