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Sonntag, 22. August 2010

Ray Bradbury


Nein, das ist er nicht. Das ist sein Namensvetter, der Engländer Malcolm Bradbury, als ihn die Queen zum Ritter geschlagen hatte. Ist jetzt zehn Jahre her, kurz danach war er tot. Er witzelte bei Vorträgen immer, dass die Leute ihn ständig mit Ray Bradbury verwechselten. Aber Ray Bradbury ist noch nicht tot, Ray Bradbury wird heute neunzig. Happy Birthday! Malcolm Bradbury hat auch Romane geschrieben, sein berühmtester ist vielleicht The History Man, ein Universitätsroman. Das ist ja ein Genre, das fest in englischer Hand ist. Malcolm Bradbury wußte, worüber er schrieb, denn er war wie sein Konkurrent auf dem Gebiet der campus novel David Lodge selbst Literaturprofessor.

David Lodge hatte mit seinen Romanen, von denen Small World vielleicht der beste ist, großen Erfolg in England. Und selbst ein obskurer deutscher Professor namens Schwanitz schaffte es mit einem Universitätsroman im Spiegel und im Fernsehen ernstgenommen zu werden. Das Werk ist aber eigentlich nur peinlich (noch peinlicher war die Verfilmung), wenn schon, dann sollte man englische Universitätsromane lesen. Ist immer witzig, wenn Professoren als völlig tumb geschildert werden. Obgleich ich mal, als der Boom der campus novel begann, im London Review of Books eine wunderbare Rezension las, in der der Verfasser sagte, dass dies doch ein billiges Vergnügen sei. Jeder wisse doch, dass an der Uni nur Leute seien, die mit dem wirklichen Leben nicht zurecht kämen, und es sei doch kleinlich, über die noch zu witzeln und sie in Romanen lächerlich zu machen. Nach einem halben Leben an der Uni muss ich sagen, dass der anonyme Verfasser da ein interessantes Argument vorbrachte.

Ich habe Professor Malcolm Bradbury einmal kennengelernt, er war geistreich, witzig und gebildet und für einen englischen Professor sehr gut und elegant gekleidet. Er war sicher auch ein klein wenig eitel und arrogant, er ließ sein Gegenüber immer wissen, dass er ein bedeutender Mann war. An seiner Uni gab es mal einen Graffito auf einer Klotür, der lautete: What is the difference between God and Professor Bradbury? und die Antwort stand natürlich dabei God is here but everywhere. Professor Bradbury is everywhere but here. Immerhin brachten seine Vortragsreisen und die ständige Abwesenheit an der University of East Anglia solche schöne Dinge hervor. Wie auch einen zweiten Graffito, der ein wenig elegisch klingt: Remote and ineffectual don, / Where have you gone, where have you gone? Ich habe es damals nicht gewagt, ihn zu fragen, ob er das witzig fand.

Lassen wir das mal als Epitaph für Malcolm Bradbury stehen, und wenden uns dem anderen Bradbury zu, dem der heute neunzig wird. Sein alter Kumpel Harryhausen, der auch Ray heißt, ist schon vor Wochen neunzig geworden. Man hatte ihm im National Film Theatre in London eine Überraschungsparty organisiert, zu der alle Großen der SciFi Filmwelt erschienen waren: Steven Spielberg, George Lucas, David Cameron, Sir Peter Jackson. Tim Burton führte durch das Programm des Abends. Ray Bradbury konnte nicht kommen, er hatte vor kurzem einen Schlaganfall erlitten. Er wurde aber per Videokonferenz zugeschaltet, Sie können ihn am Ende dieses Videomitschnitts von dem Abend hier sehen.

Die Uhr, die er hier am Arm hat passt ja vorzüglich zu einem Autor von Science Fiction Romanen. Das ist nun allerdings ein Romangenre, zu dem ich leider überhaupt kein Verhältnis habe. Aber dennoch habe ich Fahrenheit 451 gelesen, vielleicht sein berühmtester Roman. Weil es auch noch einen Film von Truffaut dazu gibt. Es war der erste Farbfilm von Truffaut und der erste, der in englischer Sprache gedreht wurde. Leider konnte Truffaut wie seine Filmfigur Antoine Doinel wenig Englisch. 

Bisher hatte er Schwarzweißfilme mit kleinem Budget in Frankreich gedreht, nun sollte es ein Farbfilm in Technicolor als große Studioproduktion in den Pinewood Studios in England sein. Es wurde dann ja leider auch, gemessen an dem, was Truffaut drehen konnte, ein Flop. Das reißt auch Julie Christie in einer Doppelrolle nicht raus. Wenn man bedenkt, dass er vorher solch kleine Meisterwerke wie Les Quatre Cent Coups, Tirez sur le Pianiste, Jules et Jim und La Peau Douce gedreht hatte, dann muss dieser Film für jeden Truffaut Fan eine Enttäuschung sein. Ich glaube, das hat auch Truffaut gewußt. In dem langen Interview La leçon de cinema de François Truffaut, das Robert Fischer als Monsieur Truffaut, wie haben sie das gemacht? herausgegeben hat, sagt Truffaut nichts Weltbewegendes zu diesem Film. Außer Ich wollte nichts weiter, als einen Film über Bücher machen, so einfach ist das.

Bradburys Roman handelt von einer Welt, in der Bücher verbrannt werden. Das kennen wir ja in Deutschland. Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen, hat Heinrich Heine prophetisch gedichtet. Aber wir Deutschen sind mit dem Bücherverbrennen nicht allein auf der Welt. Wenn man sich den Wikipedia Artikel Bücherverbrennung anschaut, gewinnt man den Eindruck, dass es kaum ein Jahrzehnt in der Geschichte der Menschheit gegeben hat, in dem keine Bücher verbrannt wurden.

Als Bradbury seinen Roman schreibt, stehen in Amerika so etwas wie Bücherverbrennungen vor der Tür. Nicht mehr durch Anthony Comstock, den selbsternannten weeder in God's garden, der wahrscheinlich mehr Bücher verbrannt hat als jeder andere. Nein, da ist jemand, der von seinen Feinden im Kongress als the junior senator from Wisconsin bezeichnet wird, damit man den scheußlichen Namen Joseph McCarthy nicht aussprechen muss. Der hat sich nämlich gerade den Sender Voice of America und die vom United States Information Service unterhaltenen Bibliotheken der deutschen Amerika Häuser vorgenommen, muss alles vom Kommunismus gereinigt werden. Seine beiden Henkersknechte Roy Cohn und David Schine machen eine book burning mission durch Deutschland. All das, was durch die Re-Education aufgebaut worden war, gerät jetzt unter Generalverdacht. Triumphierend findet Roy Cohn im Amerika Haus in Frankfurt zwei Krimis von Dashiell Hammett. Da kann man doch sehen, wie weit die kommunistische Unterwanderung schon fortgeschritten ist! Viele Bibliotheksleiter finden originelle Wege, um die Anweisung der Buchvernichtung aus Washington zu umgehen, das hat mir einmal ein pensionierter Bibliotheksdirektor erzählt. Präsident Eisenhower ist das Treiben seines Parteifreunds zuwider, er hält sich zwar meistens öffentlich zurück, aber privat sieht er auch die Gefahr und sagt I will not get in the gutter with that guy. Doch in dieser Situation ringt er sich zu einem erstaunlich klaren öffentlichen Statement durch: Don't join the book burners. […] Don't be afraid to go in your library and read every book. Das hätte McCarthy eine Warnung sein sollen, aber der attackiert in seinem Größenwahn die US Army. Das wird sein Untergang.

Ray Bradbury hat über McCarthy gesagt When the wind is right, a faint odor of kerosene is exhaled from Senator McCarthy. Und so können wir Fahrenheit 451 durchaus als einen Kommentar zu McCarthys Hexenjagd und Bücherverbrennung lesen. Obgleich er eigentlich weniger McCarthy als das Fernsehen als Gefahr für die Buchkultur gesehen hat. Aber Bradbury hat so viele widersprüchliche Interviews bezüglich Fahrenheit 451 gegeben (und er hat ja auch die Geschichte der Entstehung des Drehbuches zu Moby-Dick im Laufe seines Lebens immer wieder verändert), so dass ich ganz zufrieden damit wäre, wenn wir das Buch als Kommentar zu McCarthy lesen können.

Den Truffaut Film kann man hier sehen, leider nur in der spanischen Fassung, es bereitet aber keine Schwierigkeiten eine DVD zu bekommen. Wenn man sich filmisch über die McCarthy Ära bilden will, so ist George Clooneys  Good Night, and Good Luck heutzutage sicher ein guter Einstieg. Vor Jahren hat arte eine sehr gute Dokumentation von dem öffentlichen, vom Fernsehen dokumentierten Verfahren gezeigt, durch das McCarthy zu Fall kam. Dieser Film von William Karel basiert auf dem Dokumentarfilm Point of Order von Emile de Antonio. Man kann sich auf YouTube oder Google Video Teile der Dokumentation in Schnipseln anschauen. Dieses Video des Verfahrens sollte man aber unbedingt sehen, in denen der Anwalt der US Army, Joseph N. Welch, McCarthy fragt Have you left no sense of decency? Es ist ein Wendepunkt in dem öffentlichen Hearing. Von da an glaubt niemand mehr an McCarthy, selbst Edgar Hoover (der übrigens in seiner Jugend von Anthony Comstock begeistert war) wendet sich von ihm ab. McCarthy wird vom Senat gerügt, verliert alle seine Ämter und säuft sich zu Tode. Die Zeit der Hexenjagden ist so gut wie zu Ende.

Sie ist natürlich nie zu Ende. Das können wir immer wieder überall auf der Welt sehen. Mich selbst hat es 1977 entsetzt, dass mein ehemaliger Mitschüler Bernd Neumann in der Bremer Bürgerschaft die Entlassung einer Lehrerin forderte, die gewagt hatte, ein ihm missliebiges Gedicht des ins Exil vertriebenen jüdischen Dichters Erich Fried im Unterricht zu behandeln. Im Zuge dieser Diskussion verstieg er sich in der Bürgerschaft gegenüber dem SPD Abgeordneten Konrad Kunick (der den Vorwurf von Henning Scherf wiederholte, Neumann stehe in der Tradition nationalsozialistischer Bücherverbrenner) zu der Behauptung Ja, Herr Kunick, so etwas würde ich lieber verbrannt sehen, das will ich Ihnen einmal ganz eindeutig sagen. Er hat diesen Satz im Parlament nicht zurückgenommen. Dass man das 44 Jahre nach den Bücherverbrennungen 1933 in Deutschland sagen kann, ohne dass man sofort aus dem Parlament fliegt, fasziniert mich heute noch. Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen. 

Nun könnte man natürlich sagen, dass Neumann ein tumber tor ist, aber das stimmt auch nicht ganz, weil er nämlich den Parzival nicht gespielt hat, als wir zusammen in dem Stück Der junge Parzival auf der Bühne des Schultheaters standen. Ein schwedischer Literaturkritiker hat in einer Diskussion später gesagt: In einem Land mit einer starken demokratischen Tradition müsste ein Mann wie Herr Neumann nach einer solchen Aussage moralisch tot sein. Er sollte als ein viel gefährlicherer Förderer des Terrorismus angesehen werden, als alle seine intellektuellen Gegner. Ich würde das ja sofort unterschreiben, aber wir wir alle wissen, ist der Möchtegern McCarthy aus Bremen heute Kulturstaatsminister.

Quis ergo iste optimus quisque? Numero, si quaeris, innumerabiles, neque enim aliter stare possemus; sunt principes consili publici, sunt qui eorum sectam sequuntur, sunt maximorum ordinum homines, quibus patet curia, sunt municipales rusticique Romani, sunt negoti gerentes, sunt etiam libertini optimates. Numerus, ut dixi, huius generis late et varie diffusus est; sed genus universum, ut tollatur error, brevi circumscribi et definiri potest. Omnes optimates sunt qui neque nocentes sunt nec natura improbi nec furiosi nec malis domesticis impediti. Esto igitur ut ii sint, quam tu „nationem“ appellasti, qui et integri sunt et sani et bene de rebus domesticis constituti. Horum qui voluntati, commodis, opinionibus in gubernanda re publica serviunt, defensores optimatium ipsique optimates gravissimi et clarissimi cives numerantur et principes civitatis. (Cicero, Pro Sestio, 97)

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