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Mittwoch, 18. August 2010

Skagen


Das Bild haben Sie bestimmt auch schon mal als Postkarte gekauft und verschickt. Diesen schönen Sommerabend in Skagen von Peder Severin Kröyer. Eine der beiden Damen ist Marie Kröyer, die andere die Malerin Anna Ancher. Ich weiß nie, wer wer ist, macht aber nix. Auf die Stimmung kommt es an, und die Stimmung malen, das konnten die Maler aus der Künstlerkolonie Skagen, diesem Barbizon am Kattegat. Kröyer hat es mehrfach gemalt (übrigens nach einer Photographie, die er vorher gemacht hatte), auf dieser Version unten hört der Strand von Skagen gar nicht mehr auf.

Hier sehen wir die Maler beim Frühstück in Bröndums Hotel, lauter Herren. Bröndums Hotel ist gerade neu, es war 1873 abgebrannt. Jetzt ist es das Zentrum der kleinen Welt der Skagener Maler. Ist so etwas wie das Hotel von Jan Hamdorf für die Larener Künstler in Holland. Da war Max Liebermann 1884 abgestiegen, woran sich die holländische Malerin Wally Moes Jahre später noch erinnerte: Anton Mauve war damals auch da und wir freundeten uns schon bald mit ihm an. Am Abend vor seiner Abreise saßen wir im kahlen primitiven Eßraum bei Hamdorf beeinander, als ein sehr interessantes Paar eintrat, er ein gut distinguierter Jude mit pikantem Mephistokopf im Stadium fortgeschrittener Jugend, sie eine vornehme Jüdin, schön, jung, liebreizend und elegant. Alles an ihnen glänzte von Feinheit und Neuheit, Mäntel, Gepäck, bis hin zur makellosen Malerkiste aus schönem Holz. Es waren Max Liebermann und seine junge Frau auf Hochzeitsreise. Er hatte ein Empfehlungsschreiben von Israels an Mauve, was diesem sehr unangenehm war, denn er war ein etwas scheuer Vogel und beherrschte keine einzige Fremdsprache. Er war darum auch sehr froh, daß er am folgenden Tag abreisen mußte. Solche gesellschaftlichen Spannungen finden sich in Skagen nicht, aber da war Max Liebermann auch nie.

Wenn deutsche Maler in dieser Zeit in den Norden reisen, dann nach Ekensund an der Flensburger Förde, dort gibt es auch (was etwas weniger bekannt ist) eine Künstlerkolonie (hier ein Bild vom Ekensund im Jahre 1882). Die verdankt ihre Existenz dem Deutsch-Dänischen Krieg von 1864, durch den viele Deutsche entdeckten, dass es in Dänemark auch ganz hübsch ist. Es gibt jetzt in Europa so viele Künstlerkolonien, dass Maler gar nicht wissen, wohin sie reisen sollen. Immerhin verirrt sich auch ein englisches Malerehepaar, Marianne und Adrian Stokes, einmal nach Skagen. Marianne Stokes (geboren als Marianne Preindlsberger in Graz) hat Michael Ancher gleich mit auf das Bild der Taufe seiner Tochter gemalt.

Anna Ancher ist nicht auf dem Bild von Kröyer. Obgleich sie das Hotel gut kennt, es gehört ihren Eltern. Bevor sie unter dem Einfluss der Malergäste Malerin wurde (sie hatte schon vorher durch die Fürsprache Karls Madsens Zeichenunterricht in Kopenhagen bekommen), und bevor sie den Maler Michael Ancher heiratete, war sie noch das Fräulein Bröndum und bediente in der Gastwirtschaft. Sie ist auch (mit Ausnahme von Marie Kröyer) die einzige Malerin in der Künstlerkolonie, Dänemarks Äquivalent zu Paula Becker-Modersohn. Allerdings malt sie nicht immer so triste Sachen wie Paula (obgleich sie manchmal ähnliche Themen hat). Sie malt auch nicht so häufig draußen in der freien Natur mit ihrem weißen Malerkittel wie ihre männlichen Kollegen, sie liebt die Interieurs. Vor allem, seit sie in Holland Vermeer gesehen hat. Aber ihre Interieurs haben ihren ganz eigenen Stil (auch wenn man den Einfluss von Vermeer auf dem Bild da oben sicher sehen kann), und eine ganz eigene Farbgebung (vor allem in ihren Pastellen), das macht niemand dieser dänischen Impressionistin nach.

Das ist Anna Anchers Tochter Helga mit Strickzeug in Großmutters Stube in Bröndums Gastwirtschaft, sie ist da acht Jahre alt. Ihre Eltern haben ein Jahr nach ihrer Geburt ein Haus gekauft, das die Tochter Helga in ihrem Testament 1964 zu einem Museum machen wird. Das Ehepaar Ancher wohnt das ganze Jahr über in Skagen, die meisten der Maler kommen nur als Sommergäste. Auch das Hotel der Bröndums wird zu einem Museum, Anna Anchers Bruder Degn Bröndum, der das Hotel von seinen Eltern übernommen hatte, hatte sein Leben lang von all den Malern im Haus Bilder gekauft. Nach seinem Tod 1932 werden seine Gemäldesammlung und das Hotel Teil des Skagen Museums. Dafür hatte man 1928 neben dem Hotel schon ein neues Haus gebaut. 1946 hat man den Speisesaal, in dem Skagens Künstler gegessen und gefeiert hatten, in das neue Museum überführt.

Auf diesem Bild von Kröyer feiert man 1888 im Garten von Anna und Michael Ancher. Die ganze Kolonie der Skagener Maler ist da versammelt. Die kleine Helga ist auch mit dabei. Irgendwie wirkt das Ganze fröhlicher als diese statuarisch eingefrorene Gesellschaft der Worpsweder Künstler auf Heinrich Vogelers Bild der Worpsweder Künstlerkolonie.

Da ist keine Wärme und keine Fröhlichkeit. Auch im wirklichen Leben sind die jungen Paare, die sich hier an einem Sommerabend treffen, längst miteinander zerstritten. Es ist ein kaltes Bild, aber mehr als diese Zweidimensionalität kriegte Vogeler eh nicht hin. Wahrscheinlich liegt es an der Tristesse des Teufelsmoors, dass die Worpsweder nie so fröhlich wirken, wie ihre Malerkollegen in Skagen. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie keine vernünftige Kneipe in Worpswede haben und immer nur auf der Terrasse von Vogelers Barkenhof sitzen müssen.

Denn so etwas Hübsches, wie Kröyers Frau Marie im Garten, malen sie nie, immer nur Birken und Moor. Obgleich Skagen vielleicht auch nicht jedermanns Sache ist, so schreibt der Landschaftsmaler Viggo Johansen, dass es im am Anfang schwerfiel die karge und öde Natur und die einfache und wesentlich weniger schöne Bevölkerung zu akzeptieren. Ich vermißte ungeheuerlich die Wälder und die ganze Herrlichkeit des Sommers auf Seeland. Das kann ich persönlich nicht unterschreiben, die paar  Male, wo ich in Skagen war, war da immer herrlicher Sommer. Aber die Klage von Viggo Johansen, der sich auch mit den Kröyers und den Anchers überwirft, zeigt nur, dass Dänemark im 19. Jahrhundert ein Dorf ist. Diese schöne These habe ich mir aus Harald von Mendelssohns Kierkegaard Biographie, Kierkegaard: Ein Genie in einer Kleinstadt, geklaut. Es ist eins der besten Bücher über Kierkegaard und die dänische Mentalität im 19. Jahrhundert.

Die Kunstgeschichte hat Paula Becker-Modersohn ganz weit nach oben geschrieben, wenn man früh tot ist, ist man schon ein halbes Genie. Ich mochte ihre Bilder nie wirklich, und der ganze Kult, der in Bremen um sie betrieben wird, war mir immer zuwider. Aber die Bilder der Skagenmaler haben mir immer gefallen. Einmal war ich zur Eröffnung einer Ausstellung von Malern aus Skagen, da wurde stilvoll dänisches Tuborg Bier in echten Tuborg Gläsern serviert.

Das hat mir gut gefallen, da schaut man sich Peder Severin Kröyers Bild Hip, Hip. Hurah mit dem Künstlerfest gleich mit ganz anderen Augen an. Vergleicht fachmännisch das Tuborg Bierglas mit den Sektgläsern der fröhlichen Maler, sieht sehr ähnlich aus. Es sind vor allem Peder Severin Kröyer (links mit Frau und Hund) und Oscar Björck, die die Fröhlichkeit in die Gruppe der Maler tragen, Anna Anchers Mann Michael ist da schon ernsthafter. Er spezialisiert sich in seiner Malerei auf die Darstellung von Fischern an der Küste, häufig in monumentalen Formaten. Das malen in dieser Zeit ja viele, die Maler entdecken die arbeitende Landbevölkerung. Wenn sie an der See sind, werden eben Fischer gemalt. Die wirklichen, ausgebeuteten Arbeiter werden nie gemalt, nur die pittoreske Landbevölkerung an den Urlaubsorten der Maler.

Michael Ancher wird sich auch nicht so recht weiterentwickeln, im Gegensatz zu seiner Frau, deren Palette immer heller geworden ist (ihr Gatte passt sich da an). Sie wird eine bessere Malerin sein, als ihr zur Schwermut neigender Mann, der über Skagen nachdenkend resümierte: Man denkt an alles was man hätte malen können, alles was man gemalt haben wollte. Willumsen warf mir einmal vor, daß ich aus Bequemlichkeit in Skagen blieb; vielleicht war das nicht ganz zutreffend, viel eher ein Mangel an Mut, aber es war so als ob keiner Bedarf an einem anderen Ort gehabt hätte, auch nicht als wir versuchten nach Kopenhagen umzuziehen. Doch liegt die Schuld daran zuerst und am meisten bei uns selbst, man müßte ganz anders in das Leben eintauchen. Ob Skagen künstlerisch gesehen ein Glück war - wer weiß es, und es ist unnütz darüber zu sinnieren. Daß ich doch ein Glück für Skagen war, glaube ich, und das ist ja auch etwas. Es gibt ein gemeinsames Bild von Anna und Michael Ancher aus dem Jahre 1883, dass Das Tagwerk wird beurteilt heißt. Da sitzt das Ehepaar abends gemeinsam vor einem Bild und betrachtet im Lampenschein einträchtig das am Tage gemalte Bild (das Gemälde kann ich nicht bieten, aber ich habe ein schönes Photo). Sie sind gemeinsam durch das Leben gegangen (sie sind auch heute immer noch gemeinsam auf dem dänischen 1.000 Kronen Schein), selbst wenn die Gastwirtstochter ihren Mann aus Bornholm, der mehrfach durch alle Prüfungen der Kunstschule gefallen war, künstlerisch hinter sich ließ. Für diese Gemeinsamkeit ertrage ich dann auch seine Fischer am Strand.

Ich würde mir so etwas ja nicht ins Wohnzimmer hängen, ich hätte ja lieber ein Bild, das die schöne Marie Kröyer zeigt. Und ich wünschte mir natürlich, dass alles ist so ist wie auf den Bildern: Marie und Anna in weißen Kleidern am Strand in der dänischen Mittsommernacht, Marie an einem Sommertag in Garten. Ewiger Sommer, Strand und Meer.

Doch das Glück der Kröyers (hier die beiden in einem Doppelselbstportrait) ist auch nicht von Dauer. Die schöne Marie (Tochter von deutschen Eltern) ist selbst Malerin, sie hat unter anderem in Paris bei Puvis de Chavannes studiert. In Paris hat sie auch den sechzehn Jahre älteren P.S. Kröyer getroffen, sie hat ihm Modell gestanden, da war sie gerade zwanzig.

Wenig später hat sie ihn geheiratet. Aber ihr Leben wird nicht glücklich sein, eigentlich sind die Sommer in Skagen das Schönste in ihrem Leben. [am Ende des Posts Eufemia gibt es noch mehr zu Marie Kröyer] Sie hat keinen wirklichen Durchbruch als Malerin, sie verliebt sich in den schwedischen Komponisten Hugo Alvén, der sie von Anfang an betrügt. Sie läßt sich von Kröyer scheiden, der damals schon in einer Anstalt lebt, Siphylis im Endstadium. Sie wird noch einige Achtungserfolge als Malerin und Innenarchitektin haben, indem sie die Wohnungen ihrer reichen schwedischen Freunde im englischen Arts&Crafts Stil ausstattet. Sie wird ihr Leben lang mit Anna Ancher befreundet bleiben. So wie sie mit ihr an diesem Abend am Wasser entlang ging (sie ist übrigens die rechte von den beiden Frauengestalten auf der Postkarte, Anna hat den Hut abgenommen und geht nahe am Meer).

Und damit komme ich wieder auf diese Frau zurück, deren Bedeutung für die Malerei irgendwie nie so recht gewürdigt worden ist. Man hat einmal den Begriff Malweiber geprägt, aber sind wir seitdem in ernstzunehmender Würdigung von, sagen wir Anna Ancher und Marie Kröyer wirklich weiter voran gekommen? Der Maler Oscar Björck hat über Anna Ancher gesagt: Meine große Bewunderung - sowohl als Mensch als auch als Künstlerin - gehörte Anna Ancher, sie war wie ein Sonnenschein und in ihrer Malerei gab es etwas, das keiner von uns anderen im selben Ausmaß besaß, eine stille Hingegebenheit zu ihrer Aufgabe und eine Fertigkeit, die so gesättigt und saftig war, daß man sie wie eine reife Frucht genoß.

Anna Ancher ist am 18. August 1859 in Skagen geboren, dort ist sie 1935 auch gestorben. Bei zeno.org gibt es nicht nur die ganze deutsche Literatur, sondern es gibt hier auch über 150 Bilder von Anna Ancher zu sehen. Leider sind die Seiten furchtbar mit Werbung vollgemüllt. Und mein Lieblingsbild ist auch nicht dabei, das ihren Gatten vor seinen neuen Jagdstiefeln zeigt [doch, ist da, war nur von Werbung verhüllt]. Aber ich habe noch ein schönes Bild von ihr zum Schluss, als Blogger muss man ja immer noch was Schönes zum Schluss haben.













1 Kommentar:

  1. Und hier ein Kommentar, der mich per E-Mail erreichte und der mir zeigt, dass ich auch gelesen werden, was für einen Blogger immer schön ist: "nur kurz noch einmal zu Ihren neueren Blogger-Texten ("Wer bloggert denn da im Bloggerloch?..."): Meine Hit-Liste (keine Reihung, mein Kriterium ist v.a. privates Interesse am Gegenstand): Radziwill, Beinkleider, Skagen, Wanda Landowska, Peter W. Gutkind. Skagen und Beinkleider habe ich auch an gelegentliche User weiterempfohlen, Beinkleider v.a. auch wegen des wunderschönen Films. Wanda L. hat es, finde ich, besonders verdient, dass sie mal gewürdigt wird, viele ältere Deutsche haben so das vage Gefühl, das Cembalo sei von Edith Picht-Axenfeldt (korrekte Schreibung?) erfunden worden, der Frau vom Erfinder der Bildungskatastrophe.
    Von Landowska habe ich 2 schöne CDs. Und auch Gutkind + Vater haben es nötig, dass man sie mal hervorhebt. Sjöwall/Wahlöö sind mir durch Ihre Fotos sympathisch geworden. Leider habe ich eine schwer zu bekämpfende Allergie gegen Literatur aus den nördlicheren skandinavischen Ländern (Ausnahme: A. Lindgren) und deswegen noch gar keinen schwedischen Krimi gelesen. Zu Ihrem Hinweis auf die DDR-Ausgaben: In den DKP-Buchhandlungen der 70er/80er Jahre wirkte die Ecke mit den rororo-Bänden von Sjöwall/Wahlöö immer wie eine Enklave des Kapitalismus, wie West-Berlin im gesunden sozialistischen Körper der DDR. "Volk und Welt" hatte die Lizenz ja nur für das sozialistische Wirtschaftsgebiet und durfte die Titel nicht im Westen verkaufen, also musste man neben eigenen West-Produkten von Pahl-Rugenstein, Damnitz, Röderberg, Weltkreis usw., die häufig in der DDR hergestellt waren und daher buchstäblich den heimatlichen Nestgeruch hatten, auch Rowohlt ins Angebot hineinnehmen.

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