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Donnerstag, 21. Oktober 2010

Horatio Nelson


Also so hat es auf keinen Fall ausgesehen, wie sich Benjamin West das vorstellt. Der Held der englischen Navy stirbt hier auf seinem Schiff Victory in dem Augenblick, in dem er Napoleons Flotte bei Trafalgar besiegt hat. In Wirklichkeit ist er unter Deck gestorben, vielleicht hat es so ausgesehen wie Arthur William Devis das gemalt hat. Das ist aber auch nicht so realistisch, da Nelson hier (wie auch bei West) irgendwie penetrant nach Jesus aussieht. Entweder Realismus oder Allegorie, ein Maler sollte sich schon entscheiden.

Heute vor 205 Jahren fand die Schlacht von Trafalgar statt, wo Nelson das berühmte Signal England expects that every man will do his duty hat setzen lassen. Drei Wochen nachdem die Botschaft vom Tode Nelsons in London angekommen war, hat Benjamin West sein Gemälde begonnen. Sechsunddreißig Jahre nach seinem berühmten Bild vom Tod General Wolfes vor Quebec malt er wieder ein Bild, das sensationelle Aktualität mit der klassischen Komposition einer christlichen Ikonographie vereint. Und natürlich wollen jetzt auch noch (wie auf dem Bild vom Tod William Pitts im Parlament von John Singleton Copley) möglichst viele Beteiligte drauf sein, auch einfache Matrosen. Das ist nun ein wenig albern von West, dass er auf solche Details achtet, dass der echte Matrose von Kapitän Thomas Hardys Schiff Victory an der richtigen Stelle des Gemäldes plaziert ist. Manche der Matrosen, die ihm Modell stehen, sagen ihm auch, dass das alles gar nicht so war. Das weiß Benjamin West selbst, aber erst einmal sagt er: there was no other way of representing the death of a Hero but by an Epic representation of it. It must exhibit the event in a way to excite awe & veneration, and that which may be required to give superior interest to the representation must be introduced - all that can show the importance of the Hero. Aber das Thema wird ihn nicht loslassen, und zwei Jahre später hat er den Tod Nelsons noch einmal gemalt, doch dieses Bild im Besitz des National Maritime Museum Greenwich ist nicht so bekannt geworden.

Hier ist das Geschehen wie bei Arthur Devis unter Deck verlegt worden. Aber obgleich West über das Bild von Devis gesagt hatte, dass Nelson should not be represented dying in the gloomy hold of a ship, like a sick man in a prison hole, hat er ihn ähnlich gemalt. Diesmal ist das Sterben kein öffentlicher Tod auf der großen Bühne des Achterdecks. Hier ist das Geschehen in das Raumdeck verlegt (da wo immer die Verwundeten behandelt werden). Das Bild wirkt nicht nur durch diese Perspektive, bei der wir beinahe wie durch ein Schlüsselloch in Nelsons Kajüte schauen, sehr intim. Es ist auch die kleine Größe der Leinwand. 88 mal 73 Zentimeter, verglichen mit dem riesigen Bild in Liverpool (1,78 mal 2,44 Meter) ist das sehr klein. Es hat beinahe etwas von einer photographischen Sehweise an sich. Es wirkt auch durch diese Sicht (wie zum Beispiel die abgeschnittene Figur links und den abgeschnittenen Vordergrund) "moderner" als das heroische Monstergemälde. Gustave Caillebotte wird am Ende des Jahrhunderts ähnliche Bildausschnitte finden.

Dies ist eine Auftragsarbeit für eine zweibändige Biographie des Seehelden gewesen (in der auch dieses ➱Bild erschien), und da das Bild dafür als Kupferstich ausgeführt wurde, erschien West seine pathetisch großartige Version für das Buchformat unpassend. Hinzu kommt, dass West in diesem Jahr das Bild Rembrandts von der Ehebrecherin vor Christus beim Auktionshaus Christies gesehen hatte. Und diesen Chiaroscuro Lichteffekt à la Carravaggio wollte er jetzt auch einmal nachahmen, um sich selbst zu zeigen, dass er das auch konnte. Ich hätte da noch eine kleine Theorie (eher eine Arbeitshypothese), dass er mit diesem Bild ein ganz, ganz scheußliches allegorisches Bild künstlerisch vergessen machen wollte. Und dieses Bild heißt The immortality of Nelson.

Das empfinden wir heute ja als ganz schlimmen Kitsch, und das ist auch 1807 schon ganz schlimmer Kitsch gewesen, diese Himmelfahrt des Viscount Nelson. Kunsthistoriker nehmen an dieser Stelle an, dass West von Girodets Bild der Apotheose von Napoleons Marschällen beeinflusst ist, das er in Paris gesehen hatte. Wir bewegen uns hier im ganz Heroischen, sozusagen heroisch hoch zwei. Oder in der Welt von kitsch as kitsch can. Ich gebe gerne zu, dass ich beinahe eine Stunde vor diesem Bild verbracht habe, als es in Hamburg im Rahmen der Ossian Ausstellung gezeigt wurde. Irgendwie schreiend komisch ist ja der mit goldenem Licht umrahmte gallische Hahn, vor dem der Adler weicht.

Vier Jahre vor seinem Tod hat sich Nelson in einer großen Abendgesellschaft mit Benjamin West unterhalten. Er bedauerte, dass er leider überhaupt kein Verhältnis zur Kunst besäße. But there is one picture, sagt er zu West, whose power I do feel. I never pass a paint [=print]-shop where your ‘Death of Wolfe’ is in the window, without being stopped by it. Warum West denn nicht mehr solcher Bilder male? Because, my Lord, there are no more subjects, entgegnet West. Damn it. I didn’t think of that, sagt daraufhin Nelson. Und an diesem Punkt bekommt die Unterhaltung plötzlich etwas Makabres. Nelson daran erinnernd, dass er im Kampf für sein Vaterland ja schon einen Arm und ein Auge verloren hat, sagt West: But, my Lord, I fear your intrepidity will yet furnish me with such another scene; and if it should, I shall certainly avail myself of it. Ist das jetzt der berühmte schwarze englische Humor? Nelson antwortet in einem ähnlichen Ton: Will you? Will you, Mr West? Then I hope I shall die in the next battle. Und dann gießt Lord Nelson Champagner in die Gläser und die beiden Herren stoßen auf dieses Versprechen an.

Obgleich Benjamin West sicher schon ein halbes Dutzend Mal seit dem Januar in diesem Blog aufgetaucht ist, halte ich ihn nicht für einen wirklich großen Maler. Für einen interessanten Maler schon. Und das kleine Bild vom Tode Nelsons im Bauch des Schlachtschiffs Victory halte ich für eins der besten Bilder des Malers. Die Kunstgeschichte hat sich wenig um dieses Bild gekümmert (um das Spektakuläre mit dem Tod von General Wolfe umso mehr). Der berühmte Robert Rosenblum hat einen kleinen Aufsatz zu dem Bild in der Festschrift für Werner Hofmann, Kunst um 1800 und die Folgen (1988), geschrieben. Der Artikel wurde im gleichen Jahr für den hervorragenden Katalog Triumph und Tod des Helden: Europäische Historienmalerei von Rubens bis Manet recycelt. Allerdings geht Rosenblum, und das ist bei einem Mann von seinem Ruf wirklich enttäuschend, in seinem Aufsatz kaum über das hinaus, was in dem Benjamin West Katalog von Helmut von Erffa und Allen Staley steht. Der Katalog bleibt nach einem Vierteljahrhundert immer noch das letzte Wort zu Benjamin West (auch wenn der berühmte Simon Schama das in seinem  Buch Dead Certainties nicht so richtig begriffen hat). Über die Victory gibt es eine Wikipedia Seite, bei der allerdings auch Komiker am Werk waren. So gibt es die Seite auf Altenglisch, und in einer Sprache namens Simple English. Wenn Sie eine seriöse Geschichte der Royal Navy lesen wollen, dann gibt es nur N.A.M. Rodgers The Command of the Ocean: A Naval History of Britain, 1649-1815 (Penguin 2006). Da gibt es keine zwei Meinungen. Falls Ihnen die 900 Seiten zu viel sein sollten und Sie nur an der Zeit Nelsons interessiert sind, dann gibt es kein besseres Buch als David Davies' A Brief History of Fighting Ships (Paperback 2002). Zweihundert Seiten stark, und selbst Leser, die keinerlei nautischen Kenntnisse besitzen, wissen hinterher alles über Nelson und seine Leistung für die Royal Navy.

Falls Sie nun noch an der Uniform von Lord Nelson interessiert sein sollten und daran, welche Wechselwirkungen es zwischen Herrenmode und Marineuniform in der damaligen Zeit gibt, dann kann ich nur den wunderbaren Katalog von Amy Miller, Dressed to Kill:  British Naval Uniforms, Masculinity and Contemporary Fashions 1748-1857 empfehlen. Ich bin ja sowas von dankbar, dass ich den vor Jahren zu Weihnachten geschenkt bekommen habe. Vor allem nachdem ich gesehen habe, dass man dafür heute bei Amazon (und auch bei amazon.co.uk) 88 Euro auf den Tisch legen muss. Mein Tip für echte Uniformliebhaber: beim amerikanischen Amazon gibt es den Katalog für 31 Dollar und 12 Cent.

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