Mittwoch, 6. Januar 2010

Eisbären


Im National Maritime Museum von Greenwich hängt ein seltsames Bild von Horatio Nelson. Es wurde von Richard Westall um 1806 gemalt und zeigt den jungen Nelson (noch kein Lord und kein Admiral sondern noch Midshipman) auf einer Eisscholle, wie er mit einer Muskete einen wütenden Eisbären bekämpft. Wir haben Bilder von Nelson in allen möglichen heldenhaften Posituren. Aber mit einem Eisbären? Wenn sich der Wahrheitsgehalt der Geschichte auch nicht so genau feststellen lässt, so weiß man doch, dass Nelson im Jahre 1773 mit der Carcass von Kapitän Skeffington Lutwidge in der Arktis gewesen ist. Ein Vierteljahrhundert später ist er wieder unter dem Kommando von Lutwidge. Der kommandiert als Admiral inzwischen eine Flotte, und der junge Kapitän Nelson kommandiert die Medusa. Irgendwie scheint es die englische Flotte ja mit seltsamen, nicht so positiven Namen zu haben: Carcass, Medusa. Sollen die den Gegner erschrecken oder Unheil über das Schiff bringen?

Das erste Schiff, auf dem Nelson ist (da ist er dreizehn) heisst Raisonable, es wird von seinem Onkel kommandiert. Sein letztes Schiff heisst Victory, auf dem wird er sterben. Von der Vernunft zu Sieg und Tod. In der Zeit um 1800 herum taucht die Geschichte von Nelson und dem Bären zum ersten Mal auf, sein Admiral erzählt sie offensichtlich mit Vergnügen beim Portwein. Danach hatte sich der Midshipman Nelson mit einem Kameraden auf Eisbärenjagd begeben (den Kameraden hat der Maler auf dem Bild weggelassen, ein einzelner Engländer mit einem Eisbären wirkt ja auch viel heroischer). Er wollte, wie er später angeblich seinem Kapitän sagte, seinem Vater ein Eisbärenfell als Souvenir mitbringen. Heute wäre das ja nicht mehr politically correct. Wir lieben ja heute Eisbären. Solange sie klein sind und Knut heissen. Es muss damals ein Sport der englischen Abenteurer sein, jetzt aus allen Teilen der Welt tote Tiere mit nach Hause zu bringen, die dann in viktorianischen Wohnzimmern Staub ansetzen. Oder über die der Butler in Dinner for One permanent stolpert. Mit dem Bärenfell ist es nichts geworden, beide Parteien, Nelson und der ursus maritimus, überlebten das Rencontre. Die Eisscholle brach, und Nelson und Eisbär trieben in unterschiedliche Richtungen davon. In einer anderen Version der Geschichte vertreibt der Donner der Schiffskanone (man kann auf dem Bild das Mündungsfeuer sehen) den Bären. Wir werden es nicht mehr erfahren, ob die Geschichte, die "der gute alte Mann" (wie Nelson seinen ehemaligen Vorgesetzen bezeichnete) erzählt hat, Seemannsgarn war oder ob sie einen Funken Wahrheit enthält. Zuzutrauen wäre es Nelson sicherlich. Aber irgendwie erinnert sie ein wenig an Parson Weems Geschichte von Washington und dem Kirschbaum. Aber jetzt ist Heldenverehrung angesagt, wo Nelson und die jungen Kapitäne seiner Fregatten Napoleons Flotte peu à peu zerstückeln. Und da macht sich eine Geschichte aus der Jugendzeit immer gut, schon die Helden der griechischen Sagen verbringen in ihrer Jugend erstaunliche Dinge. Allerdings kommen Eisbären bei den Griechen kaum vor.

Das Bild von Richard Westall (Katalognummer BHC 2907) wurde von John M'Arthur in Auftrag gegeben, es sollte seine Biographie The Life of Admiral Lord Nelson illustrieren. John Landseer hat einen Kupferstich davon gefertigt, der nach dem Tod des Helden bei Trafalgar massenhafte Verbreitung in England fand. John Landseers Sohn Edwin wird mit seinen Tierdarstellungen noch berühmter als sein Vater werden. Wegen seines Bildes The Monarch of the Glen ist die Königin Victoria mit der Eisenbahn durch halb England gefahren, um den röhrenden Hirschen zu bewundern. Die röhrenden Hirsche finden ja auch den Weg in deutsche Wohnzimmer. Der fünfzehnjährige Midshipman Nelson steht in eleganter Uniform auf der Eisscholle, keine Handschuhe, kein Mantel. Lediglich die Pelzmütze zeigt an, dass die Royal Navy auch schon für den Dienst in kälteren Gewässern gerüstet ist. Für spätere Expeditionen gibt es dann doch schon Mäntel mit Pelzfutter, wie man auf dem Bild von Sir William Edward Parry nach seiner Arktisexpedition 1820 sehen kann.

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