Donnerstag, 28. Januar 2010

Ästhetik


Das 18. Jahrhundert entdeckt die Natur, erfindet die bürgerliche Gesellschaft und die Ästhetik. Wahrscheinlich hängen alle drei Begriffe irgendwie zusammen. Es ist ein Franzose namens Rousseau, der eine neue Gesellschaftstheorie schreibt, die sich nicht mehr auf Thomas Hobbes bezieht, und der uns die Natur näher bringt. Revenons à la nature. Es ist ein Deutscher namens Alexander Gottlieb Baumgarten, der die ersten systematischen Vorlesungen über Ästhetik hält, und diesen Teil der Philosophie als eine Wissenschaft des sinnlichen Erkennens definiert. Man macht ihn dafür 1737 zum Professor für Weltweisheit. Das ist ein schöner Titel, den es heute nicht mehr gibt. Wir hätten wohl auch niemanden, dem man diesen Titel verleihen kann. Aber ein in Dublin geborener Engländer namens Edmund Burke, einer der besten politischen Denker des 18. Jahrhunderts, wird mit einer kleinen Schrift über das Schöne und das Erhabene einen Einfluss auf die bürgerliche Rezeption des Naturerlebnisses haben, den man gar nicht groß genug einschätzen kann. An dieser Philosophical Inquiry into the Origins of Our Ideas of The Sublime and Beautiful werden sich die Philosophen abarbeiten, von Kant und Schiller bis zu Joachim Ritter, Dieter Groh und Thomas Weiskel.

Ein solches Begriffspaar von sublime und beautiful kann auch von nicht zur Philosophie neigenden Engländern verstanden werden, die jetzt den Tourismus entdecken. Und die es auf ihrer Grand Tour in die Alpen zieht. Und damit man sich das auch schön merken kann (Engländer haben es gerne einfach), verbindet man diese Begriffe mit zwei Landschaftsmalern, Claude Lorrain und Salvator Rosa. Claude Lorrains ausgewogene Ideallandschaften, von einem milden goldenen Licht durchflutet, sind beautiful. Die zerklüfteten Felslandschaften mit banditti von Salvator Rosa sind dagegen sublime, weil sie ein Moment des Gefährlichen, Bedrohlichen in sich bergen. Es ist immer schön, wenn die Philosophie Begriffe anbietet, die man leicht begreifen kann. Das führt nun dazu, wie Elizabeth Manwaring gezeigt hat, dass die Engländer Bilder von Claude Lorrain und Salvator Rosa sammeln. Man möchte ja auch gerne philosophisch sanktionierte Naturerlebnisse an der Wand des Wohnzimmers haben. Was in Italien zu einer florierenden Industrie von gefälschten Salvator Rosa Bildern führt, die man gutgläubigen Engländern verkauft.

Und zur Entstehung des Claude glass. Das ist eine goldfarbig eingefärbte Glasscheibe mit blechernem Rahmen, die der englische Reisende in der Tasche trägt und bei Bedarf vor die Augen hält. Und schon sieht man die Landschaft gerahmt und beautiful im milden, goldfarbenen Licht des göttlichen Claude. Ein derart sublimiertes sublime ersetzt dem Engländer einen Gefühlsausbruch, denn mit dem Zeigen von Gefühlen haben es die Engländer nicht so. Die schöne Geschichte, dass der Sohn eines Adligen in die Armee eintritt, General wird, eine Kolonie für das empire erobert und nach Jahrzehnten auf das väterliche Anwesen zurückkehrt, nur um die Worte zu hören Tee gibt es um halb fünf, diese schöne Geschichte kann nur aus England kommen.

Die Alpen, die Albert von Haller schon 1729 in seinem gleichnamigen Gedicht verherrlicht hatte, werden jetzt zum bevorzugten Ziel der englischen Gralssuche nach der Naturschönheit. Die Alpen sind immer sublime, ihre Bergbewohner pittoresk. Obgleich das Erlebnis der Elementarnatur nicht immer so schön ist. Der Wolf, der den Lieblingsspaniel von Horace Walpole frisst, vermiest dem Engländer sein schönes Alpenerlebnis. Und sein Begleiter, der Dichter Thomas Gray, notiert indigniert, dass dies carries the permission mountains have of being frightful rather too far. Und dann die schrecklichen Erlebnisse, die man in den schmutzigen Gasthöfen (die sich jetzt alle Hotel Bristol nennen) hat. Aber mit der stiff upper lip wird der Engländer auch das ertragen. In Der Tragödie zweiter Teil fragt Mephistoteles: Sind Briten hier? Sie reisen doch so viel. Goethes Teufel weiß, wovon er spricht. Thomas Cook wird ein Reisebüro aufmachen, um die Engländer sicher in die Bergwelt zu bringen. Der Schöpfer von Sherlock Holmes und Dr. Watson wird sich von seinem Schneider extra dicke Tweedhosen machen lassen, damit er auf dem Hosenboden die schneebedeckten Berghänge herunterrutschen kann. Aus der Zeit von Sir Arthur Conan Doyle datiert auch eine kleine Geschichte, die man sich in Bremen erzählt. Wo man sich ja englischer als die Engländer gibt. Das tun die Hamburger ja auch, aber die sind für die Bremer ja nicht wirklich zurückhaltend englisch, eher schon neapolitanisch leichtlebig. Also, eine Bremer Senatorenfamilie fährt mit der Eisenbahn in die Alpen. Und angesichts des Panoramas der schneebedeckten Berge und des ewigen Eises springt der Sohn auf und ruft Guck mal, Vadder. Was scheun. Die Alpens. Und der Vater sagt Junge, exaltier Dir nicht so. Worauf die Mutter, das Verhalten des Juniors erklärend, einwirft Das musst Du verstehen, er studiert ja nun schon ein Semester in Hamburg.

2 Kommentare:

  1. Als Nichtnorddeutscher frage ich mich, frage ich Sie: Hamburg und Bremen, ist das etwa so wie Düsseldorf und Kölln?

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  2. Ich glaube es ist etwas, was Freud den Narzissmus der kleinen Differenzen genannt hat.

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