Mittwoch, 31. August 2016

Georges Braques Rolls Royce


Georges Braque, 74, Kunstmaler und Massenproduzent moderner Bilder, kaufte sich als zweiter französischer Maler nach seinem Kollegen Bernard Buffet, 28, (SPIEGEL 28/1956) ein Rolls-Royce-Auto, schrieb der Spiegel 1956. Das mit dem Massenproduzenten mag der Künstler wohl nicht so gerne gehört haben. Als Braque (der am 31. August 1963 starb) sich den Rolls kaufte, hatte der Maler einen Chauffeur. In den zwanziger Jahren fuhr er noch selbst. Zum Beispiel diesen Alfa Romeo. Den er auch noch bemalt hatte, sozusagen ein echter Braque.

Das dürfen Maler mit ihren Autos ja tun. Wird viel zu wenig gemacht. Der Satz von Henry Ford, any color so long as it is black, gilt für das Europa des Art Déco nicht. Denn bevor John Lennon in einem psychedelischen ➱Rolls spazierenfuhr, gab es schon so etwas. Dieses Auto hier wurde nach einem Design von Sonia Delaunay neu gespritzt (es war nicht das einzige ➱Fahrzeug, das sie bemalte). Auch die beiden Damen, die das Auto dekorieren, tragen Kleidung, die von Delaunay entworfen wurde. Hergestellt wurden die Pelzmäntel von Jacques Heim, mit dem Delaunay lange zusammenarbeitete. Jacques Heim hatte übrigens 1946 auch einen Bikini erfunden, den er Atom nannte, aber da setzte sich doch das Modell von Louis Réard mit dem Namen Bikini durch (das hier schon einen Post hat).

Frauen scheinen in den zwanziger Jahren keine Angst vor dem Automobil zu haben. Tamara de Lempicka malt sich 1929 voller Stolz am Lenkrad ihres grünen Bugattis. Es ist die Zeit der flapper, jener jungen Frauen, die jetzt Sport treiben (wie in ➱Jordan Baker in Fitzgeralds ➱Great Gatsby), Hosen tragen, öffentlich Zigaretten rauchen und Automobile besitzen. In der Geschichte der Emanzipation spielt das Automobil eine wichtige Rolle. Und ein Auto wie der Jordan Playboy war nicht für eine männliche Kundschaft konzipiert (lesen Sie ➱hier mehr über eine der berühmtesten Anzeigen der Werbegeschichte).

Die roaring twenties sind nicht nur die Zeit der flapper, sie sind auch die große Zeit des Art Déco - das Photo von Sonia Delaunays Auto und ihren Pelzmänteln wurde von einem Pavillon der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes (kurz: Art Déco) gemacht. Die zwanziger Jahre sind auch die große Zeit des ➱Plakats. Hier hat André Edouard Marty eine junge Dame der Pariser Gesellschaft in ihrem ➱Citroen abgebildet. Wir können hier sehen, dass das Automobil ein Accessoire der ➱Haute Couture geworden ist.

Marty hatte an der Ecole des Beaux Arts studiert und arbeitete für die führenden Modejournale wie die Gazette du Bon Ton, das Journal des Dames et les Modes oder Vogue. Er war sogar so berühmt, dass ihn ➱London Transport für Plakate verpflichtete. Das hätte ich in dem Post ➱Keep calm and carry on vielleicht noch erwähnen sollen. Um das wieder gutzumachen, habe ich hier ein schönes Plakat, das er für London Underground entworfen hat.

Der Elendsmaler Bernard Buffet hatte nicht nur einen Rolls, er malte ihn auch gerne. Obgleich es viele Künstler gibt, die einen Rolls besitzen, malt kaum jemand das Objekt der künstlerischen Begierde. Marcel Duchamp tat das nicht, und auch Joseph Beuys hat seinen Bentley nicht gemalt. Der Massenproduzent Georg Baselitz weiß weshalb: Wenn einer zu viele Ringe an den Fingern trägt oder einen Rolls-Royce fährt, wird der geschmäht. Das ist ein Phänomen, das in einer Neidgesellschaft wuchert. Ganz übel, und Deutschland hat dazu alle Fundamente gelegt.

Das ist natürlich schlimm, Maler wie Baselitz haben es in Deutschland ganz schwer. Ein Rolls Royce ist etwas für ➱Könige. Und für Kleinbürger wie Baselitz, der sich - ebenso wie Bernard Buffet - ein Schloss kaufte. Etwas weniger beklagt sich da Markus Lüpertz. Massenproduzent moderner Bilder, Millionär und Rolls Royce Liebhaber Markus Lüpertz hatte soviel Humor, das Cover für den Krimi von Joseph Wambaugh Der Rolls-Royce-Tote zu zeichnen.

Georges Braque war in seiner Jugend ein wilder Fahrer gewesen. Sein Freund ➱Picasso war um ihn besorgt und hatte ihm immer zu einem Chauffeur geraten. Den bunt bemalten Alfa hatte Braque nicht lange behalten, er verkaufte ihn für tausend Francs an den Dichter Blaise Cendras (lesen Sie mehr in dem Post ➱Blaise Cendrars). Kaufte sich aber sofort einen neuen Alfa. Als Braque sich einen großen Hispano Suiza kaufte, leistete er sich dann auch einen Chauffeur. Mit Livree.

Ein Hispano Suiza war damals viel exklusiver als ein Rolls (lesen Sie ➱hier mehr dazu), wahrscheinlich ist das auch ein Grund dafür, dass Picasso sich 1953 auch einen kaufte. Und sich natürlich einen Chauffeur zulegte. Er mochte das Auto, weil es so groß war, dass er seine ganze Malausrüstung darin verstauen konnte. Braque andererseits hatte ein kunstvolles System ersonnen, um Leinwände und Malmaterial auf dem Dach seines Rolls zu befestigen. Ein Jahr bevor sich Picasso seinen Hispano Suiza kaufte, hatte er diese Plastik eines Pavians geschaffen, dessen Kopf aus einem Auto besteht, aber Picassos Plastik und sein Auto haben bestimmt nichts miteinander zu tun. Man weiß nicht, was in Picassos Kopf vorgeht.

Ein Rolls Royce bietet sich für einen Künstler schon deshalb an, weil er selbst ein Kunstwerk ist, da hätte man den Plan von Alina Szapocznikow, einen riesigen ➱Rolls-Royce aus portugiesischem rosa Marmor herzustellen, gar nicht gebraucht. Der Kunsthistoriker Erwin Panofsky hat in einem witzigen Aufsatz mit dem Titel The ideological antecedents of the Rolls-Royce radiator auf die gerade, klare Gliederung der Villen des Palladian Style hingewiesen (und der Rolls-Royce Kühler verdankt ➱Palladio ja auch vieles), die in völligem Gegensatz zu der gewollten Unordnung der Natur des englischen ➱Landschaftsgartens steht. Deshalb stellen Sie Ihren Rolls am besten in den Park. Aber niemals unter ➱Lindenbäume. Sagt ein Handbuch für Rolls Royce Chauffeure.

Man kann einen Rolls in jeder beliebigem Form bekommen. Das hier gilt allgemein als der hässlichste Rolls, der je gebaut wurde. Nubar Gulbenkian (der bestimmt ein halbes Dutzend Rolls Royce besaß) hatte ihn sich 1947 von der Karosseriefabrik Hooper bauen lassen. Not everyone will care for the very advanced appearance - but there is no doubt it is striking, schrieb die Zeitschrift Autocar. Man kaufte bei der Firma Rolls Royce eigentlich nur Fahrwerk und Motor, alles andere machten Firmen wie Hooper, Mulliner oder Park Ward.

Die Erfahrung musste auch der junge Michael Caine machen, als er ein spezielles Modell haben wollte. Ein älterer Herr sagt ihm bei der Autoshow: I think I can assure you myself, sir, that the Mulliner Park Ward chassis will never be available on the model you require because Mr Mulliner is dead and I am Mr Park Ward, so you are getting your information straight from the horse's mouth, as the saying goes. Lesen Sie mehr dazu in dem Post ➱Luxuskutschen. Heute fährt Michael Caine, der noch keinen Führerschein hatte, als er sich seinen ersten Rolls kaufte, einen grauen Lexus: I used to drive a Rolls and all that but they were just too ostentatious for this world now. I had to get rid of them. Die goldene ➱Rolex ist auch vom Arm verschwunden. So etwas hat doch Stil.

Natürlich ist es immer feiner, einen Bentley zu haben als einen Rolls Royce. Das hatte Braque auch eingesehen, sein Rolls machte einem grauen Bentley Platz. Der Spiegel wusste damals zu vermelden: Georges Braque, 79, französischer Kubist, läßt seinem 80 000-Mark-Auto, einem britischen Bentley, bei den täglichen Spazierfahrten in Paris zwei Motorroller-Fahrer vorauseilen, damit er rechtzeitig vor Verkehrsstockungen gewarnt wird, die dem Maler zuwider sind. Wenn man Massenproduzent moderner Bilder ist, kann man sich auch so etwas leisten.

Es gibt genügend Gemälde, auf denen Automobile sind. Und es gibt auch inzwischen eine große Zahl von Büchern wie Das Automobil in der Kunst 1886 - 1986 von Reimar Zeller (Prestel Verlag), Automobil: Das magische Objekt in der Kunst (derselbe Autor, diesmal beim Insel Verlag), Art and the automobile von D.B. Tubbs oder Gerald D. Silks Automobile and Culture (und ich hätte hier für Liebhaber amerikanischer Automobile noch einen Link zu einer sehr interessanten Nummer des ➱Michigan Quarterly Review). 

Dieser schöne Cézanne mit einem alten Citroen ist in all den oben erwähnten Büchern nicht zu finden. Man kann das Bild lediglich in der Folge Who Killed Harry Field? der englischen Krimiserie ➱Morse sehen. Sie können sie ➱hier in mehreren Teilen sehen, ich finde, dass es der beste Morse ist. Der Maler, der dieses Bild gefälscht hat, sagt in dem Film zu Morse: Two golden rules of forgery, Mr. Morse, spontaneity and never do Raphael. Braques werden häufig gefälscht (ein Raffael seltener), auch unser ➱Wolfgang Beltracchi hat falsche Braques gemalt. Wenn Sie einen Georges Braque haben wollen, dann wenden Sie sich doch mal an diese ➱Adresse.

Das ist kein Fälscher, i bewahre, das ist ein Künstler: When I paint in the style of one of the greats… Monet, Picasso, Van Gogh… I am not simply creating a copy or pale imitation of the original. Just as an actor immerses himself into a character, I climb into the minds and lives of each artist. I adopt their techniques and search for the inspiration behind each great artist’s view of the world. Then, and only then, do I start to paint a ‘Legitimate Fake’. Raffael hat der Mann nicht im Programm, Braque schon. Wenn Sie ihn bitten, malt der Produzent von legitimate fakes Ihnen bestimmt auch einen kleinen Rolls Royce zwischen die Häuser.


Ich weiß nicht, wie es kommt, aber die Firma Rolls Royce kommt immer wieder in diesem Blog vor. Sie könnten auch noch lesen: automobilia, Luxuskutschen, Traumwagen, April, Lindenbäume, Palladio, Des Königs Jaguar, Lisbeth, König Faruk, Gregor von Rezzori, F. Scott Fitzgeralds Automobile, Mercédès, Franco Costa, Politische Symbolik, Kieler Woche, Cutty Sark, Jens Christian Jensen, Kieler Chic, Herrenausstatter, Patti d'Arbanville, Swinging London, Fahrstuhl zum Schafott, Borgward, Basel, Segelboote, Invasion, Jogginghosen, Neo Rauch, Nachtigallen.

Sonntag, 28. August 2016

Betjeman


Ich weiß, dass ➱Goethe heute Geburtstag hat. ➱Harro Harring übrigens auch. Aber ich schreibe lieber über einen anderen Dichter, einen Engländer namens John Betjeman. Den habe ich gerade erst erwähnt, als ich über ➱Robert Walpole schrieb. Er kommt in diesem Blog wahrscheinlich häufiger vor als Johann Wolfgang von Goethe, ich liste das unten mal auf. Er hatte vor fünf Jahren zu seinem Geburtstag hier schon einen ➱Post (und wurde vor kurzem in ➱Hofdichter: Gott schütze die Königin erwähnt), aber warum soll er keinen zweiten Post bekommen? Zumal es etwas Neues zu vermelden gibt.

Denn zum ersten Mal gibt es ein wenig von Betjemans Gedichten auch auf deutsch. Wenn Sie einmal hier einen Blick auf das Werk von Betjeman werfen - nichts davon gibt es auf deutsch. Er ist einer der Engländer, der nie übersetzt wurde. Da ist es schön, dass die deutsche Ausgabe von Anthony Powells A Dance to the Music of Time (es gibt ➱hier einen Post dazu) Fortschritte macht. Und was Betjeman betrifft: Gerade hat der Rimbaud Verlag (der schon in den Posts ➱Herbstanfang, ➱Gerhard Neumann (Dichter) und ➱Capriccio für seinen unternehmerischen Wagemut gelobt wurde) eine dreibändige Anthologie englischer Lyrik herausgegeben. Zweisprachig. Und John Betjeman ist auch dabei. Ist zwar nur ein Häppchen, ist aber ein Anfang.

1958 erschienen John Betjeman's Collected Poems (es waren eher Selected Poems), die Ausgabe wurde in den Folgejahren immer wieder erweitert, zwei Millionen Exemplare wurden verkauft. Wann hat man das schon mal, dass ein Gedichtband ein Bestseller wird? Die neueste Ausgabe ist aus dem Jahre 2006, sie hat ein Vorwort von Andrew Motion und ist mit 528 Seiten inhaltsreicher als je zuvor. Und sie enthält Betjemans schöne Autobiographie Summoned by Bells. Die war zuvor nie in der Ausgabe der Collected Poems. Wohin sie ja gehörte, denn diese Autobiographie kommt im ➱Blankvers daher. Vielleicht mögen Sie ein wenig lesen?

Walking from school is a consummate art:
Which route to follow to avoid the gangs,
Which paths to find that lead, circuitous,
To leafy squirrel haunts and plopping ponds,
For dreams of Archibald and Tiger Tim;
Which hiding place is safe, and when it is;
What time to leave to dodge the enemy.
I only once was trapped. I knew the trap -
I heard it in their tones: “Walk back with us.”
I knew they weren’t my friends; but that soft voice
Wheedled me from my route to cold Swain’s Lane.
There in a holly bush they threw me down,
Pulled off my shorts, and laughed and ran away;
And, as I struggled up, I saw grey brick,
The cemetery railings and the tomb.

Ich hätte dazu, weil ich heute spendabel bin, bewegte Bilder. Klicken Sie ➱hier. Und wenn Sie schon dabei sind, könnten Sie sich auch noch ➱Betjeman's Britain anschauen. Oder ➱hier alles kaufen, was es von Betjeman gibt. Weshalb die vorzügliche Biographie von Bevis Hillier nicht auf der Seite ist, das weiß ich nicht. Aber ich habe noch ein kleines melancholisches Gedicht aus dem Spätwerk von Betjeman:

The Last Laugh

I made hay while the sun shone.
My work sold.
Now, if the harvest is over
And the world cold,
Give me the bonus of laughter
As I lose hold.



Noch mehr Betjeman in diesem Blog: John Betjeman, Hofdichter: Gott schütze die Königin, Teckel & Corgwn, Sir Nikolaus Pevsner, Gordale Scar, St Paul's Cathedral, 18th century: Architecture, Liverpool, Kathedralen, Robert Graves, Sir Christopher Wren, Tänzer, Das Sloane Ranger Handbook, Morning Coat, Cricket, Weihnachten, Vierter Advent

Freitag, 26. August 2016

Deutschlandlied


Mehrere Leser haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass Hoffmann von Fallersleben heute vor 175 Jahren ein Trinklied geschrieben hat, das heute unsere Nationalhymne ist. Ich wollte aber lieber ➱Robert Walpole im Blog haben, weil ich schon zwei Posts zu unserer Hymne geschrieben habe. Zum ersten Mal im Jahre 2011, da hieß der Post ➱German German Overalls. Und dann gab es noch einmal am 31. Dezember 2015 den Post ➱Silvesteransprache. In den beiden Posts steht alles drin, was man über das Lied wissen muss. Und Sarah Connor kommt auch drin vor.

Robert Walpole


Das ist schon ein repräsentatives Gebäude, das sich Robert Walpole da in Norfolk von den Architekten Colen Campbell und James Gibbs hat bauen lassen. Ein stately home muss man im 18. Jahrhundert einfach haben. Und es sollte auch, wie es Mode ist, ein klein wenig palladianisch sein. Für die Innenausstattung war William Kent zuständig, der erste Stock (das, was die Italiener piano nobile nennen) war for taste, expense, State and parade, wie Lord Hervey schreibt.

Im Erdgeschoss dagegen trifft man foxhunters, hospitality, noise, dirt and business an, hier lebt man. Und Besucher finden sich beim Dinner up to the chin in beef, venison, geese, turkeys, etc; and generally over the chin in claret, strong beer and punch. Im Gegensatz zu seinem Sohn Horace Walpole, der in diesem Blog ständig erwähnt wird, ist Robert Walpole so gut wie nie in diesem Blog vorgekommen. Er wird lediglich einmal in dem Post Number 10 erwähnt. Robert Walpole wurde heute vor 340 Jahren geboren, das soll uns einige Zeilen wert sein. Zumal Houghton Hall heute immer noch steht und da immer noch Nachkommen von Walpole wohnen. Wir können auf diesem Photo auch sehen, was der englische Adel auf dem Land trägt. Keinesfalls das, was dieser Alexander Gauland trägt.

Horace Walpole hat Houghton Hall (über das Mark Girouard natürlich auch schreibt) eines Tages geerbt, da war aber Englands größte Kunstsammlung schon nicht mehr im Haus. Die hatte der verschwenderische dritte Earl of Orford 1779 an Katharina die Große für £40.500 verkauft (dies Konzert der Vögel von Frans Snyders war auch dabei). Heute gehört das Anwesen einem Filmemacher, der einmal in einem Film von Eric Rohmer mitgespielt hat und der Truman Capotes Other Voices, Other Rooms verfilmt hat.

Der von Zeit zu Zeit auch mal ein Gemälde verkauft, um die Steuern zu bezahlen. Der aber auch von Zeit zu Zeit solch illustre Gäste empfängt. Die kennen ihren Gastgeber übrigens, denn der Filmemacher kommt aus dem englischen Hochadel. Es ist David Cholmondeley, der siebte Marquess of Cholmondeley. Er ist ein direkter Nachkomme von Horace Walpoles Schwester Lady Cholmondeley. Und die Kunstsammlung von Robert Walpole hat der Marquis auch aus Rußland zurückgeholt. Allerdings nur leihweise. Falls Sie Schwierigkeiten mit dem Namen des Lords haben sollten, er spricht sich Schamli aus. Ich habe hier ein wunderbares kleines gadget für die richtige Aussprache für englische Wörter und Namen.

Robert Walpole war das, was man heute den Premierminister nennt. In seiner Zeit gab es den Titel Prime Minister noch nicht, aber de facto war er es. Länger als jeder andere Prime Minister in England. Und vielleicht war der Mann auch der bedeutendste Politiker, den England hatte. Walpole hat sich hier in Windsor Forest von John Wootton malen lassen, als ihn der König zum Master of the Kings Staghounds in Windsor Forest ernannt hatte. Damit gehörte er zum Hofstaat. Es gab auch noch 2.000 Pfund Sterling im Jahr, die er nicht unbedingt gebraucht hätte. Zweitausend Pfund Sterling sind damals schon eine Menge Geld, schauen Sie einmal auf diese nützliche Umrechnungstabelle. Wenn Sie schon dabei sind, können Sie auch gleich mal ausrechnen, was die £40.500 aus dem Verkauf der Gemäldesammlung heute bedeuten würden.

Ich weiß nicht, ob es dieses Bild (wo er seinen Hosenbandorden so stolz trägt) gewesen ist, das Lady Mary Wortley Montagu bewogen hat, ein Gedicht über Walpole zu schreiben. Lady Montague, eine wirklich erstaunliche Frau, war mit Walpoles zweiter Frau Molly Skerritt befreundet. Die übrigens in John Gays Beggar's Opera als Polly Peachum vorkommt (ich hätte das vielleicht erwähnen sollen, als ich über John Gay schrieb). Und Walpole ist da, Sie ahnen das jetzt schon, Captain Macheath.

Die Kritik von der Bühne gefällt dem Politiker ganz und gar nicht, er versucht seine Kritiker durch den Licencing Act mundtot zu machen. Und finanziert drittklassige Schreiberlinge, damit sie nette Dinge über ihn sagen. Das kann man in Tone Sundt Urstads Buch Sir Robert Walpole's Poets: The Use of Literature As Pro-Government Propaganda, 1721-1742 nachlesen. Dagegen, dass ihn Henry Fielding in seiner Geschichte des Verbrechers Jonathan Wild mit Englands berühmtesten Kriminellen vergleicht, konnte er nichts machen. Jonathan Wildes (der natürlich auch eine Vorlage für Captain Macheath ist) Verbrecherkarriere ähnelt ein wenig der Karriere von Robert Walpole, ein stately home besitzt er neben seinem Stadthaus in London auch.

Das Gedicht von Lady Montague hat den Titel: On Seeing A Portrait Of Sir Robert Walpole:

Such were the lively eyes and rosy hue
Of Robin's face, when Robin first I knew;
The gay companion and the fav'rite guest;
Lov'd without awe, and without views caress'd;
His cheerful smile, and open honest look,
Added new graces to the truth he spoke.
Then ev'ry man found something to commend,
The pleasant neighbour and the worthy friend;
The gen'rous master of a private house,
The tender father and indulgent spouse.
The hardest censors at the worst believ'd,
His temper was too easily deceiv'd
(A consequential ill good-nature draws,
A bad effect, but from a noble cause).
Whence, then, these clamours of a judging crowd?
Suspicious, griping, insolent, and proud --
Rapacious, cruel, violent, unjust;
False to his friend, and traitor to his trust?

Lady Mary Wortley Montagu wendet sich mit dem Gedicht gegen diejenigen, die schlecht über Walpole reden. Korruption ist ein Wort, das da immer fällt. Wogegen sich Edmund Burke nach dem Tode Walpoles energisch wendet: He was an honorable man and a sound Whig. He was not, as the Jacobites and discontented Whigs of his time have represented him, and as ill-informed people still represent him, a prodigal and corrupt minister. They charged him in their libels and seditious conversations as having first reduced corruption to a system. Such was their cant. But he was far from governing by corruption. He governed by party attachments. The charge of systematic corruption is less applicable to him, perhaps, than to any minister who ever served the crown for so great a length of time.

Als ich im Wikipedia Kalenderblatt las, dass Robert Walpole heute Geburtstag hat, war ich durch einen Zufall gut vorbereitet. Ich hatte nämlich gerade Simon Schamas Britannia Incorporated, einen Teil seiner History of Britain gesehen. Wird auf der DVD Packung (einem Bestseller der BBC) beschrieben als: As the new century dawned, relations between Scotland and England had never been worse. Yet half a century later the two countries would be making a future together based on profit and interest. The new Britain was based on money, not God. Schama hätte besser die Finger von der Sendung gelassen. Gegen seine dreibändige Geschichte Englands in Buchform ist nichts zu sagen, aber die TV Serie kann nicht überzeugen. The video prioritizes nice shots, the narration prioritizes bons mots, schreibt ein Rezensent bei Amazon. Und ein anderer wird noch schärfer:

I generally like Simon Schama's work, but what has always been the weak link in his work is his propensity to try to shock the reader/viewer with "new takes" on his old subjects, whether or not these are really called for. His usual gift for words and phrase occasionally shines forth here, but often it seems forced, or just falls flat. I really expected to learn a lot more than I did, and was very disappointed at how deriviative and rehashed much of this "history" was. Schama's presentation, both voice and physical presence, are almost a caricature of himself. The melodramatic snideness and leering at the camera tends to devalue the seriousness of the work. I regret to say it, but I can't recommend this series at all.

Was Kenneth Clark in Civilisation einst konnte - und was John Betjeman in kleinen Filmen wie John Betjeman Goes By Train oder ➱Metro-Land konnte - das kann Simon Schama nicht: einen kulturgeschichtlichen Stoff elegant präsentieren. Kenneth Clark trug elegante Anzüge aus der Savile Row, Schama sieht eher nach Marks & Spencer oder einem billigen Schneider aus Soho aus.

Warum hat ihm niemand erzählt, dass man nicht alle drei Knöpfe an einem Jackett zuknöpft? Er trägt Jackett ohne Schlitze und steckt die Hände in die Hosentaschen. Dann schiebt sich das Jackett nach oben, und die Kamera hält da von hinten drauf, während er durch einen Park wandert. Was ist der Erkenntnisgewinn von solchen Bildern?

Manchmal trägt er eine schwarze Lederjacke, aber er ist nun wirklich kein Typ für LederjackenSchama hat in seiner History of Britain eine Menge zu Walpole zu sagen, in der Fernsehserie wird das auf Bonmots wie: It was a conscious decision by Walpole and others to replace religion with making money oder: Elections replaced battles, and the fights were over party politics reduziert. Manchmal sind die Bonmots auch nur Platitüden. Aber die Millionen von der BBC haben den Professor Schama offensichtlich  gelockt, vielleicht weil er noch kein Schloss besaß wie Robert Walpole. Kenneth Clark hatte sich 1955 Saltwood Castle gekauft. Schama lebt heute in Amerika, wahrscheinlich trägt man da solche Klamotten.

Ich habe zum Schluss noch eine hübsche kleine Anekdote zu Robert Walpole, die sich in Mrs Thrales Thranalia findet: When Sir Robert Walpole was dismissed from all his Employments he retired to Houghton & walked into the Library; when pulling down a Book & holding it some Minutes to his Eyes, he suddenly & seeming sullenly exchanged it for another; he held that about half as long, & looking out a Third return'd it instantly to its Shelf & burst out into Tears; .I have led a life of business so long,' said he, `that I have lost my taste for reading, and now—what shall I do?'


Wenn Sie noch mehr vom 18. Jahrhundert wissen wollen, dann lesen Sie doch auch: 18th Century, 18th century: Georgian Era, 18th century: Architecture, 18th century: Grand Tour, 18th century: Fashion, 18th century: America

Dienstag, 23. August 2016

Biedermeier


Wenn in dem Roman Alte Meister des Österreichers Thomas Bernhardt über Maler geredet wird, dann kommt Ferdinand Georg Waldmüller in dem Gespräch nicht vor. Dabei ist er doch einer der berühmtesten Maler Österreichs im 19. Jahrhundert. Also, neben Moritz von Schwind, Franz Defregger und Hans Makart. Als ich noch Knabe war, äußerte sich in mir schon die Liebe zur Kunst. Obschon verworren und unklar, wie die Begriffe sich in so zartem Alter gestalten, schwebte mir als Ideal meiner Bestimmung eine Wirksamkeit in Künstler-Kreisen in glänzenden Farbenspielen jugendlicher Einbildungskraft vor. Entschlossen, mit jeder Entbehrung, mit jedem Opfer auf dem Pfade der Kunst vorwärts zu schreiten, vertauschte ich das Gymnasium mit der Akademie, schreibt Waldmüller in seinen Erinnerungen.

Als ich noch Knabe war, waren die Herren Waldmüller, von Schwind, Defregger und Makart mit ihren Bildern in den dicken Kunstbänden meines Opas reichhaltig vertreten. Ich bin mit dem ganzen Kitsch des 19. Jahrhunderts aufgewachsen. Das habe ich schon in dem Post ➱Moritz von Schwind gestanden. Ein Post, der übrigens mehr Leser hat, als der Post zu ➱Carl Blechen. Das beunruhigt mich ein wenig. Es beunruhigt mich auch ein wenig, dass Ferdinand Georg Waldmüller zu den bevorzugten Künstlern Hitlers zählte. In der Sammlung Hitlers in Linz ist er mit sechsundfünzig Werken vertreten. Im 20. Jahrhundert ist der Wiener Augenarzt Dr Rudolph Leopold einer der wichtigsten Sammler von Waldmüller gewesen. Seine Bilder sind heute alle in dem Leopold Museum.

Von dem Quartett Waldmüller, von Schwind, Defregger und Makart ist mir der Waldmüller der liebste. Weil er der charmanteste Maler ist. Die anderen sind einfach nur furchtbar. Ein wenig Schmäh muss sein, wir sind in Österreich. Ich mag Waldmüller auch, weil er so modebewusst ist. Auf dem Selbstportrait von 1828 stellt er sich als jungen ➱Dandy dar, mit einer wunderbaren Weste, die zu seinem Halsbinder passt. Es ist die große Zeit der bunten Westen, manchmal tragen die Herren mehrere übereinander. Der Elegant des Biedermeier beweist noch Mut zur Farbe, danach wird modisch alles schwarz (lesen Sie mehr in ➱Schwarz). Kunsthistoriker haben sich bei dem Selbstportrait immer ein wenig an die Kunst von Jacques-Louis David erinnert gefühlt, aber dessen Bilder kann Waldmüller 1828 noch gar nicht gesehen haben (erst 1830 reist er zum ersten Mal nach Paris). Und doch ist an dieser Vermutung etwas dran, denn Johann Peter Krafft, dem Waldmüller malerisch viel verdankt, hatte bei David studiert.

Portraitmaler müssen etwas von der Mode verstehen, das verlangt die Kundschaft von ihnen. Die Damen wollen à la mode gemalt sein, Waldmüller tut ihnen den Gefallen. Seine Bilder werden so zu einem Modejournal des Wiener Biedermeiers. Er hielt sich an die Wirklichkeit, den Alltag, die schlichten, die „edelen Verhältnisse“. Idylle: Bei Waldmüller findet sie nicht im Goldenen Zeitalter statt, bei ihm ist sie jetzt und real und ganz provinziell. Das einfache Leben, Waldmüller malt es uns in den strahlend frischen Farben, die wir heute aus unseren Zigarettenwerbungen kennen. Rot, Blau, Grün. Theaterfarben. Jedenfalls keine realistischen Farben, schrieb Elke von Radziewsky 1990 in der Zeit.

Waldmüller ist Portrait- und Genremaler gewesen, aber er hat sich (wie diese Ulmen im Prater zeigen) auch der Landschaft zugewandt. Sehr detailversessen, aber nicht unbedingt revolutionär. Wenn man seine Landschaftsbilder mit ➱John Constable oder Blechen vergleicht, dann ist dies nicht unbedingt ein Höhepunkt der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts. Obgleich die Allgemeine Deutsche Biographie über ihn sagt, dass er ein Vorläufer der modernsten Freilichtmalerei sei.

Viel besser als in seinen Landschaften ist Waldmüller in einer Bildgattung, die die Engländer conversation piece nennen, ein informelles Gruppenportrait. Es ist etwas, das die Engländer im 18. Jahrhundert perfektioniert haben (und auch der nach England gekommene Amerikaner ➱John Singleton Copley hat sehr schöne Bilder dieses Genres gemalt). Waldmüller holt das englische Konversationsstück nach Wien. Hier in dem Bild des Legationsrats Theodor Joseph Ritter von Neuhaus mit seiner Gattin Albertine und den Kindern. Das Bild ist aus dem Jahre 1827, Modehistoriker versichern uns, dass das Kleid seiner Gattin in dem Jahr die große Mode war. Der Legationsrat ist mit seinen gelben Hosen zeitlos modern. So etwas trug man schon im ➱18. Jahrhundert in England, es gehörte zur Werther Tracht und Büchners Leonce redet in Leonce und Lena von seinen gelben ➱Nankinghosen (die übrigens auch ➱Fontane in London aufgefallen sind).

Ich habe das Buch von Mario Praz Conversation Pieces: A Survey of the Informal Group Portrait in Europe and America, das wirklich schönste Buch zu dem Konversationsstück, schon ➱hier besprochen. Natürlich hat Praz in seinem Buch eine ganze Reihe von Bildern von Waldmüller (auch das Bild von der Familie von Neuhaus). Dies Bild ist nicht von Waldmüller, sondern von seinem dänischen Kollegen Constantin Hansen. Es zeigt die dänischen Maler in Rom, stilistisch ist es mit seinem detailverliebten Realismus den Konversationsstücken von Waldmüller sehr ähnlich.

Der Sohn armer Wirtsleute, der das Gymnasium mit der Akademie vertauscht, mit dem Bemalen von Zuckerwerk beginnt und dann Theatermaler wird, erhält zwei Jahre nach seiner Parisreise den Auftrag, den kleinen Franz Joseph zu malen. Er malt ihn als kleinen Grenadier, der mit hölzernen Soldaten spielt: Wie ein Staatsporträt en miniature mutet das 1832 entstandene Bild des zweijährigen späteren Kaisers Franz Josef I. (1830 -1916) von Ferdinand Georg Waldmüller an, der als Grenadier verkleidet mit ungarischen Grenadier-Holzfiguren vor dem Maler posiert. Unschuldig blickt er mit seinen blauen Augen in die Welt, fast so, als hätte er mit dem Dekor gar nicht wirklich etwas zu tun. Schon früh wird hier der spätere Kaiser der Österreicher in seine künftige militärische Rolle hineingestossen, die für die österreichischungarische Monarchie bald so verhängnisvoll endete.

Den größten Triumph feiert Waldmüllers biedermeierliche Stofflichkeit in dem Bild des Notars Dr. Josef August Eltz mit seiner Gattin Caroline und seinen acht Kindern in Bad Ischl. Was Caroline Eltz da trägt, würde ausreichen, um ein Biedermeier Sofa neu zu beziehen - diese Vermutung kam mir als erstes bei diesem Bild, weil ich vor Jahren mein Biedermeier Sofa neu habe beziehen lassen. Auf der Seite des emeritierten Kunsthistorikers Thomas Zaunschirm finden Sie einen sehr schönen ➱Aufsatz zu Waldmüller, in dem auch dieses Bild behandelt wird.

Ich muss jetzt einmal von den edelen Verhältnissen der Konversationsstücke zu der ➱Armeleutemalerei Waldmüllers kommen. Diesen Titel hat das ➱Buch von Carmen Flum, und Armeleutemalerei ist auch ein etwas unscharfer terminus technicus, der schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verwendet wird. In einer österreichischen ➱Dissertation können wir lesen: Waldmüllers Bilderwelten täuschen nur oberflächlich eine heile Welt vor, unterschwellig nahm Waldmüller immer wieder zum politischen Zeitgeschehen Stellung, mit Bildthemen, die erst unter konkreter Einbeziehung des wirtschaftlichen und sozialen Umfeldes Bedeutung bekommen. Da braucht es allerdings viel Liebe, um revolutionären Sprengstoff in diesem Bild der Klostersuppe (das eher einem Barockgemälde ähnelt) zu finden. In dem Satz Please sir, I want some more von Dickens' Oliver Twist steckt mehr revolutionäres Potential.

Was Waldmüller hier macht, ist ein Gattungswechsel, er malt die Suppenausgabe im Kloster, als ob er ein barockes Historienbild malen sollte. Das heißt, er gibt den Personen, die niemals das Personal des Weltgeschehens sind, die Bühne, die sie nie betreten dürften. Was sind das für Bewegungen und Gesten bei diesem Eintritt der Neuvermählten? Sie scheinen aus einem ganz anderen Bild, einer ganz anderen Bildgattung zu kommen.

Natürlich malt Waldmüller nicht nur rosarote Tagträume. Er zeigt, zumal in den Jahren direkt vor der 48er Revolution, auch die Gefahren. Verhärmt sitzt eine Alte mit leerem Blick vor den heruntergebrannten Ruinen ihres Hauses. Verzweifelt beschwört die aus dem Haus Vertriebene mit den vaterlosen Kindern nach der Pfändung [Bild] den Himmel auf die Erde. Das Elend hat einfache Wurzeln: Naturgewalten sind es, Feuer oder der fehlende Mann. Nirgends auf Waldmüllers Bildern wird man einen rauchenden Schornstein entdecken, einen Webstuhl, einen Fabrikanten. Bei ihm findet Zeitgeschichte im Salzkammergut, im Wiener Wald und auf dem Prater statt. Waldmüllers Welt hatte enge Grenzen. Seine Bauern sind hellenenhafte Gestalten, letzte Aristokraten und nicht zu verwechseln mit jenen Figuren von Teniers oder Breughel, „diesen Gebilden, deren Schöpfer so recht wohlgefällig in der Gemeinheit wühlten“. 

Der positive Blick überwiegt. Erst recht nach der Revolution. Die kostbaren Farben, das leuchtend warme Rot, das Weißsilber, in das Waldmüller in frühen Stilleben kostbare Rosen mit papierzarten Blütenblättern, spiegelnde Kelche getaucht hatte, der ganze Glanz des Putztisches wandert in den fünfziger Jahren auf die Bauerngesellschaft hinüber. Mehr und mehr gewinnen seine Landleute, Bürger und Handwerker jetzt den Charakter unserer Serienschauspieler. Wir müssen sie gern haben und begegnen ihnen wieder auf den verschiedenen „Glücksbildern“, sehen die Jungvermählte, später die junge Mutter, treffen die Kinder auf dem Kirchweihfest, dann beim Veilchenpflücken [Bild].

Ich habe die promovierte Kunsthistorikerin Elke von Radziewsky, die jahrzehntelang für die Zeit schrieb, in dieser Ausführlichkeit zitiert, weil mir das viel vernünftiger erscheint, als die revolutionären Gedanken der Wiener Doktorandin. Die übrigens heute eine Singlebörse für sportliche junge Menschen betreibt. Der junge Mann auf diesem Bild (Der Abschied des Konskribierten) muss zum Militär, wir könnten wahrscheinlich irgendetwas Sozialkritisches in das Bild hineinlesen. Wenn wir wollten.

Noch mehr natürlich bei dem ➱Bild, wo die armen Bauersleute zu Weihnachten die reisende Bettlerfamilie beschenken. Es ist rührend. Aber das ist das Wesen der Genremalerei, wenn wir nicht ergriffen und gerührt sind, hat der Maler sein Ziel verfehlt. Als ich sechs war, war ich von dem Bild Die Pfändung ergriffen, ich habe noch immer jede Figur, jede Geste im Kopf. Heute bin ich bei Waldmüllers Genrebildern nicht mehr so gerührt. Man achtet auf andere Dinge. Beim Notverkauf des letzten Kalbs nicht so sehr auf das Geschehen als auf die sonnenbeschienene gelbe Wand. Und die Wolken oben links.

Ferdinand Georg Waldmüller ist am 23. August 1865 gestorben. Angeblich hat ihn der Kaiser, den er als Zweijährigen malt, ihn kurz vor seinem Tod noch geadelt. Das steht in dem englischen Waldmüller Artikel, allerdings sind die dafür angeführten Belege im höchsten Maße obskur. Was feststeht, ist, dass der Kaiser ihm 1863 die Rente erhöht hat. Es ging dem Maler, dem einst Napoleon III und Königin Victoria Bilder abkauften, im Alter nicht mehr so gut. Hätte er bei einer Bildgattung bleiben sollen? Er hätte als Landschaftsmaler reüssieren können, das zeigen die Ulmen im Prater oben und dieser Baum am Bach. Er hätte nur mehr wagen müssen.

Aber da ist diese Detailversessenheit, die diesen Baum (ein Detail aus ➱Vorfrühling im Wienerwald) aussehen lässt wie eine Photographie. Hätte Blechen solche Bäume gemalt, er hätte sich den ➱Waldweg in Spandau damit ruiniert. Es ist eine eigenartige Sache um the treeness of the tree (wie Roger Fry das genannt hat) - Sie können mehr dazu in dem Post Realisten lesen. Waldmüller stand zeitlebens mit dem akademischen Kunstestablishment auf Kriegsfuß (er verlor seine Professur im Jahre 1857). Er hat auch mehrfach zur Feder gegriffen, so zum Beispiel in den ➱Andeutungen zur Belebung der vaterländischen bildenden Kunst.

Die beginnen mit dem Satz: Indem ich die Feder ergreife, um in der gegenwärtigen Broschüre meine Ansichten über Belebung der bildenden Kunst in unserem Vaterlande auszusprechen, verhehle ich mir keineswegs, welchen Anfechtungen dieselben ausgesetzt sein werden. Als ich Indem ich die Feder ergreife, um in ... las, dachte ich: Tommy Mann. Guckte nach, und siehe da: Felix Krull fängt genau so an: Indem ich die Feder ergreife, um in völliger Muße und Zurückgezogenheit – gesund übrigens, wenn auch müde, sehr müde... Erstaunlich. Das Bild hier zeigt Waldmüllers Sohn Ferdinand mit seinem Hund. Und Berge. Nähe und Ferne alles ➱scharf. Wie mit einem ➱Zeiss Tessar, einem Objektiv, das man auch das Adlerauge nannte. Der junge Mann hält seinen Zylinder so in der Hand, dass wir nachschauen könnten, wer den Zylinder hergestellt hat. ➱Proust macht das auch, es ist offenbar eine Dandygeste.

Und was hätte Proust zu dieser gelben Mauer gesagt, die die Kinder hier einrahmt? Die petit pan de mure jaune auf dem Bild von Vermeer, die den Schriftsteller Bergotte fasziniert (lesen Sie mehr in ➱Bilder), ist ja nichts gegen diese Lichtinsel: Erst der alte Waldmüller scheut sich nicht, das Freilicht jäh auf ein aus dem Fenster blickendes Gesicht aufprallen zu lassen. Der das Spätwerk kennzeichnende fleckenhafte Eindruck hat auch im übertragenen Sinn zu einer Annahme der oft harten Schattenseiten des Lebens geführt. Waldmüller macht  erstaunliche Sachen mit dem Licht. Und der Impressionismus hat noch gar nicht angefangen