Donnerstag, 30. Januar 2020

Charles Chaplin


In dem Pariser Auktionshaus staunte man am 5. Juni 1922 nicht schlecht, dass bei der Auktion auf das Landschaftsbild eines längst vergessenen Malers derartig hohe Gebote abgegeben wurden. Der Höchstbietende wird auch nicht schlecht gestaunt haben, als ihm das Bild zugeschlagen wurde. Er hatte darauf spekuliert, dass das Bild ein unbekanntes Werk des Filmschauspielers Charlie Chaplin war. Das war der New York Times die kleine Schlagzeile Bid High for Chaplin Picture, But it Wasn't by Charlie wert. Der Maler hieß Charles Joshua Chaplin, nicht Charles Spencer Chaplin.

Ein halbes Jahrhundert vor der Auktion war der Maler, der am 30. Januar 1891 starb, ein berühmter Mann gewesen, der Lieblingskünstler der Kaiserin Eugénie. Er hatte die Landschaftsmalerei aufgegeben und malte nun Bilder wie dieses, spärlich bekleidete Frauen, die ein wenig nach der Malerei des Rokoko aussahen. Akademische Erotik für das Boudoir des Zweiten Kaiserreichs. Ich hätte den Maler, der am 30. Januar 1891 starb, in den Posts Demimonde und les grandes horizontales erwähnen können, habe es aber gelassen, weil ich dachte, dass ich ihn noch einmal für einen anderen Post gebrauchen könnte.

Mit seinem ersten Portrait, von dem wir leider nur diesen Heliogravüre von Adolphe Pierre Riffaut haben, begibt sich der junge Charles Chaplin in die Welt der Demimonde. Der Graf Pierre de Castellane, der später Bücher über seine Zeit als Offizier in Algerien schreiben wird, möchte gerne seine Geliebte portraitiert haben. 250 Francs will er dafür bezahlen, ein Auftrag, den der Maler gerne annimmt. Er bringt, als er bei der Dame am Boulevard de la Madeleine Nummer 11 vorspricht, zwei Bilder von Frauen mit, die einzigen Frauen, die er bisher gemalt hat. Es sind zwei Madonnen, die er im Louvre kopiert hat. Die junge Frau, gerade dem Bett entstiegen und noch im Déshabillé, bricht in ein Gelächter aus. Man hat sie schon alles mögliche genannt, aber eine Madonna ist sie wahrlich nicht.

Nach der ersten Sitzung hat sie ihn in ihrer Kutsche mitgenommen in den Bois de Boulogne, plötzlich waren die beiden von Menschenmassen umringt. Da merkte er, dass sein Modell Marie Duplessis berühmt sein musste. Maler und Modell waren gleich alt, sie freunden sich an, die Klatschpresse ist voller Gerüchte über die Duplessis und einen jungen unbekannten Maler. Drei Monate später ist sie schon tot. Aber sie wird bis heute weiterleben. In der Literatur, da ist sie dann Marguerite Gautier in Dumas' La dame aux camélias, in der Oper, da ist sie Violetta Valéry in La Traviata. Dumas hat immer behauptet, dass er das Motiv der Kamelien erfunden hätte, aber sie liebte diese Blumen wirklich. Die Forschung hat ihre Blumenrechnungen aufgetrieben: immer wieder Kamelien, weiße und rote. Auf diesem Bild von Camille Roqueplan ist Marie Duplessis bei ihrem letzten öffentlichen Auftritt im Theater zu sehen. Ohne Blumenschmuck. Sie war schon schwach, ihre Diener hatten sie in die Loge tragen müssen.

Charles Chaplin soll drei Stunden nach ihrem Tod noch eine Zeichnung von Marie Duplessis gemacht haben, aber man weiß nicht, ob das Bild wirklich echt ist. Dieses Bild von Chaplin zeigt nicht die berühmte Courtisane, es heißt Après le Bal masqué, nach dem Maskenball. Erschöpft vom Tanz hat sich eine junge Dame entkleidet und liegt ausgebreitet vor uns, viel mehr an Erotik geht in dieser Zeit nicht.

Das Bild von Marie Duplessis war sein erstes Portrait einer Frau, von nun an wird er nichts anderes mehr malen. Nicht mehr die Landschaft der Auvergne, die er so liebte. Er verabschiedet sich von Realismus und Naturalismus und malt nur noch Frauen, die ein wenig nach François Boucher aussehen. Manchmal auch ein wenig nach Gainsborough, den er sorgfältig studiert hat. Er richtet auch eine Malerschule ein. Natürlich für Frauen. Zu seinen Schülerinnen zählen Eva Gonzalès (die schon in dem Post Kindermädchen erwähnt wird), Mary Cassatt und Louise Abbéma. Er ist heute nicht ganz vergessen, der Markt ist voll mit Reproduktionen seiner Werke, und ein echtes Damenportrait von ihm kann schon mal 42.000 Dollar kosten. Il sait le sourire d’une femme et c’est très rare, hat Manet über ihn gesagt, das ist ein schöner Satz, das Lächeln der Frauen verstehen.

Dienstag, 28. Januar 2020

Sonnenbräune?


Keine Sorge, ich tische nicht noch einmal die Geschichte von der schönen Buchhändlerin auf, wie sie mit ihrem Bikinihöschen in Südfrankreich am Strand liegt. Aber wir müssen nach Frankreich, auch in den Südwesten, und schöne Frauen kommen hier heute auch vor. Ich habe in dem Post Philologen Hölderlin zitiert: Was bleibet aber, stiften die Dichter. Ein Zitat, das mir leicht von der Zunge geht, weil die Zuschreibung des Zitats eine von zehn Fragen in dem wahnwitzig schweren Preisrätsel der Firma IWC Schaffhausen war, bei dem ich vor mehr als zwanzig Jahren diesen fetten Chronographen gewonnen habe. Das sind die seltenen Augenblicke, wo sich die Kenntnis der Dichtung lohnt. Ich habe das elegante Edelstahlmonster jetzt am Arm, während ich das hier schreibe; ein Beweis dafür, dass man dieses Was bleibet aber, stiften die Dichter ganz anders verstehen kann.

Dieses Bild von Eugène Boudin, dem Maler, dem Corot den Titel König des Himmels verliehen hatte, zeigt die Garonne bei Bordeaux. Da wollen wir hin, denn von Bordeaux handelt Hölderlins Gedicht Andenken (Text), dessen letzte Zeile Was bleibet aber, stiften die Dichter lautet. Wir assoziieren Bordeaux gemeinhin mit Rotwein, es ist das größte zusammenhängende Anbaugebiet der Welt für Wein

Es ist auch die Heimat von Michel de Montaigne, dessen Großvater schon im Weingeschäft war. Es gibt da heute noch eine Firma, die Château Michel de Montaigne heißt. Ich weiß nicht, ob die mit dem Philosophen verwandt sind oder ob der Name nur ein Werbegag ist. Aber sie bieten ein Produkt an, das Les essais heißt. Wer Montaignes Essais nicht lesen will, kann sie trinken, das ist irgendwie ganz witzig. Ein 12er Karton ist allerdings teurer als Hans Stiletts schöne Übersetzung der Essais. Wir waren in diesem Blog schon einmal in der Gegend von Bordeaux, nicht mit der schönen Buchhändlerin, die in Hendaye am Strand liegt, aber mit dem Film Ertrinken verboten. Der wurde in Saint-Palais-sur-Mer in der Nähe von Bordeaux gedreht.

Bordeaux (das Hölderlin noch wie Montaigne Bourdeaux schreibt) ist der Ort, zu dem Friedrich Hölderlin im Winter 1801 aufbricht. Er hat da eine Stelle als Hauslehrer für die Kinder des dort lebenden Hamburger Weinhändlers Daniel Christoph Meyer angeboten bekommen. Das eindrucksvolle klassizistische Palais des Konsuls Meyer, das beweist, dass der Handel mit Rotspon einen Kaufmann reich machen kann, steht heute immer noch. Eine kleine Tafel ist daran angebracht: Ici vecut le poete allemand Hölderlin en 1802. 

Er wird hier nicht lange bleiben. Im Januar war er angekommen ('Sie werden glücklich sein', sagte beim Empfange mein Konsul. Ich glaube, er hat recht), und im April schreibt er an seine Mutter: Mir geht es so wohl, als ich nur wünschen darf! Ich hoffe auch das, was meine Lage mir gibt, allmählich zu verdienen und einmal, wenn ich in die Heimat wiederkomme, der wahrhaft vortrefflichen Menschen, denen ich hier verbunden bin, nicht ganz unwürdig zu sein. Aber vier Wochen später ist er schon wieder weg, man weiß nicht warum. Er bekommt ein gutes Zeugnis von seinem Arbeitgeber und einen Pass für ganz Frankreich.

Er war zu Fuß von Nürtingen nach Bordeaux gekommen, acht Wochen war er unterwegs gewesen auf seiner Winterreise. In Straßburg hatte man ihn festgehalten, man mag die Fremden in Frankreich nicht so besonders. Er bekommt die Anweisung, sich in Lyon zu melden. Dort gibt er als Beruf homme de lettre an. Immerhin kennt er diese Wörter, seine Französischkenntnisse sind nicht die besten. Wenn er in Bordeaux ankommt, schreibt er an seine Mutter: Diese letzten Tage bin ich schon in einem schönen Frühling gewandert, aber kurz zuvor, auf den gefürchteten überschneiten Höhen der Auvergne, in Sturm und Wildnis, in eiskalter Nacht, und die geladene Pistole neben mir im rauen Bette – da hab ich auch ein Gebet gebetet, das bis jetzt das beste war in meinem Leben, und das ich nie vergessen werde. Ich bin erhalten. Danken Sie mit mir! Ihr Lieben! Ich grüße Euch wie ein Neugeborener, da ich aus den Lebensgefahren heraus war. Ich bin durch und durch gehärtet und geweiht, wie Ihr es wollt. Ich denke, ich will so bleiben in der Hauptsache. Nichts fürchten und sich viel gefallen lassen.

Das Gedicht Andenken, das an seine Zeit in Bordeaux erinnert, ist vermutlich das letzte vollendete und von Hölderlin selbst zum Druck gegebene Gedicht. Es wurde wahrscheinlich 1803 geschrieben und wurde 1808 zum erstenmal gedruckt. Es ist ein Gedicht, das vielerlei Deutungen erfahren hat, der Philosoph Dieter Henrich hat mit Der Gang des Andenkens. Beobachtungen und Gedanken zu Hölderlins Gedicht ein ganzes Buch über das Gedicht geschrieben. Und ein anderer Philosoph namens Heidegger hat dem Gedicht eine Vorlesung gewidmet. Normalerweise sind es ja Philologen, die einen Text interpretieren, hier sind es Philosophen. Norbert von Hellingrath, der Herausgeber der ersten kritisch-historischen Ausgabe von Hölderlins Werken, schreibt dazu: Wenn man keine Geheimnisse darin sucht und nicht die Ausführlichkeit biographischer Mitteilungen von ihm erwartet, ist das Gedicht so leicht verständlich, dass nicht einmal Uhlands und Schwabs Ängstlichkeit es von der Sammlung der Gedichte ausschloss.

Aber für jemanden wie Heidegger ist es ein schwieriger Text, weil er überall nicht vorhandene Geheimnisse sucht. Von besonderer Schwierigkeit sind die dort erwähnten Frauen, die braunen Frauen:

An Feiertagen gehn
Die braunen Frauen daselbst
Auf seidnen Boden,
Zur Märzenzeit,
Wenn gleich ist Nacht und Tag,
Und über langsamen Stegen,
Von goldenen Träumen schwer, 
Einwiegende Lüfte ziehen.

Wir könnten natürlich jetzt an die schöne Buchhändlerin mit ihrem Bikinihöschen am Strand von Hendaye oder an Brigitte Bardot in St Tropez denken, aber das können wir gleich wieder vergessen, auch wenn Hölderlins Zeilen schon mit einer gewissen Erotik aufgeladen sind. Den Sommer am Strand der Garonne wird Hölderlin nicht erleben, da ist er schon wieder weg. Und damals liegen auch noch keine Französinnen wegen der Sonnenbräune am Strand, die feine Gesellschaft verhüllt sich, Mädchen vom Land können braun, das heißt sonnengebräunt sein. Das Grimmsche Wörterbuch ist da ganz eindeutig:

braun bezeichnet die bräunliche, von der sonne gebrannte farbe des gesichts, der wangen und arme; ein ländliches mädchen heiszt ein braunes, schwarzbraunes, nuszbraunes: 

brauns mägdelin, zieh dein hembdlin ab
und leg dich her zu mir. Garg. 28b;
was läszt du mir zur letze,
mein brauns schwarz meidelein?
Hoffm. gesellsch. s. 9;
silber und gold geb ich darum,
dasz ich ein fein braunes mägdlein bekomm,
die fein züchtig wär und fromm. s. 71;
das braune mädel das erfuhr.
Göthe 1, 181;


Alle Beispiele bei den Grimms haben leicht sexuelle Konnotationen. Theodor W. Adorno spricht in einer scharfen Replik auf den Schwafelkönig Heidegger: während Hölderlins Verse eher von der erotischen imago der Südländerin entzückt sind, gestattet Heidegger unvermerkt den Übergang zu den deutschen Frauen und ihrem Lob, von denen im ausgelegten Gedicht schlechterdings nicht die Rede ist. Sie werden an den Haaren herbeigeschleift. Das, wogegen er sich wendet, ist ein atemberaubender Rückwärtssalto bei Heidegger, dem diese braunen Frauen offenbar unheimlich sind:

Die Frauen — Dieser Name hat hier noch den frühen Klang, der die Herrin und Hüterin meint. Jetzt aber wird er in dem einzigen Bezug auf die Wesensgeburt des Dichters genannt. In einem Gedicht, das kurz vor der Hymnenzeit und im Übergang zu ihr entstanden ist, hat Hölderlin alles gesagt, was zu wissen ist ('Gesang des Deutschen', Elfte Strophe, IV, 130): 'Den deutschen Frauen danket! sie haben uns Der Götterbilder freundlichen Geist bewahrt,' Die dem Dichter selbst noch verhüllte dichterische Wahrheit dieser Verse bringt dann die Hymne 'Germanien' zum Leuchten. Die deutschen Frauen retten das Erscheinen der Götter, damit es das Ereignis der Geschichte bleibt, dessen Weile sich den Fängen der Zeitrechnung entzieht, die, wenn es hochkommt, 'historische Situationen' feststellen kann. Die deutschen Frauen retten die Ankunft der Götter in die Milde eines freundlichen Lichtes. Sie nehmen diesem Ereignis die Furchtbarkeit, deren Schrecken zum Maßlosen verführt, sei es in der Versinnlichung des Götterwesens und seiner Stätten, sei es im Begreifen ihres Wesens. Die Bewahrung dieser Ankunft ist das stete Mitbereiten des Festes. 

Aber dann kriegt sich der Mann, der im Braunhemd zu seinen Vorlesungen kommt und seine Studenten mit Heil Hitler begrüßt, doch wieder ein und schreibt: Im Gruß des 'Andenkens' sind jedoch nicht die deutschen Frauen genannt, sondern die braunen Frauen daselbst. Dies erinnert an das südliche Land, wo das Element des himmlischen Feuers ein Übermaß an Helle verstrahlt und durch seine Glut die ihm Ausgesetzten fast zu verbrennen droht. Darauf hätten wir ja gleich kommen können. Bei Heidegger wird Hölderlin zum Deutschesten der Deutschen und zum Stifter des deutschen Seyns.

Das alles liest Heidegger auf seinem Holzweg aus dem Satz Was bleibet aber, stiften die Dichter heraus: Mit diesem Wort kommt Licht in unsere Frage nach dem Wesen der Dichtung. Dichtung ist Stiftung durch das Wort im Wort. Was wird gestiftet? Das Bleibende. Aber kann das Bleibende denn gestiftet werden? Ist es nicht das immer schon Vorhandene? Nein! Gerade das Bleibende muss gegen den Fortriss zum Stehen gebracht werden; das Einfache muss der Verwirrung abgerungen werden, das Maß dem Maßlosen vorgesetzt werden. Wir müssen immer bedenken, dass Heidegger, NSDAP Mitglied der ersten Stunde, während er über Hölderlin in seiner seltsamen Sprache fabuliert, in seinen erst spät bekanntgewordenen Schwarzen Heften seinen Antisemitismus niederschreibt. Also Sätze wie: Wenn erst das wesenhaft ´Jüdische´ im metaphysischen Sinne gegen das Jüdische kämpft, ist der Höhepunkt der Selbstvernichtung in der Geschichte erreicht.

In seinem Essay Heidegger und Hebel oder die Sprache von Meßkirch hat Robert Minder das Sprachgesülze von Heidegger auseinandergenommen. Nicht den geringsten Respekt vor unserem Meisterdenker aus Meßkirch hat René Sebastian Dorn in seiner Dissertation, die an der Université Michel de Montaigne in Bordeaux und der Uni Frankfurt angenommen wurde. Da sagt er über das Was bleibet aber, stiften die Dichter, das bei Heidegger zu einem der fünf Leitworte des Wesens der Dichtung geworden war: Heidegger prostituiert hier Hölderlins letzten Satz seines vermutlich letzten vollendeten Gedichts, dem 'Andenken' von 1803: Er meint, hier werde scheinbar der Aufenthalt in Frankreich berichtet, in Wahrheit aber sei der ganze Brief eine denkerische Besinnung auf das Wesen und die Aufgabe der künftigen Dichtung der Deutschen. Hätte er Bordeaux im Sinne eines 'natürlichen Vorhabens' (aus seinem Standpunkt hieße das wohl eine Besatzung) betreten, dann wüsste er, das dies Unsinn ist.

Hölderlin erwähnt kein Wort über die Deutschen in dem Gedicht, zudem könnte man sich darüber streiten, ob die letzte Zeile überhaupt als eine vollständige Aussage genommen werden kann. Die Weite in dem Gedicht bezieht sich eindeutig auf die Landschaft und die Gefühle, die eine Hafenstadt, eingebettet in Weinreben und Eichen eben in Hölderlin hervorruft. Dass dort braune Frauen vorkommen ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass sich zu der Zeit der zweitgrößte Sklavenmarkt (traite négrière) Frankreichs sich an den halbmondförmigen Quais von Bordeaux befand. Inder kommen in dem Gedicht vor, weil die East India Company dort ansässig war, etc. ... 

Hölderlin hatte vom Palais Meyer einen schönen Blick auf den Hafen, er kann den Sklavenmarkt gesehen haben. Aber wir wollen diese fremden braunen Frauen, négresses, mulâtres oder beurettes, nicht in den Text hineinlesen, obgleich es wirklich ein verführerischer Gedanke ist.

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Sonntag, 26. Januar 2020

Philologen


Mein Freund Peter hat mich mal einen Borderline Philologen genannt, das fand ich sehr witzig. Aber es traf zu, einen Text allein sprachlich zu analysieren, genügte mir nicht. Mich interessierten nicht so sehr die Grammatik und die sprachlichen Mittel als das, was hinter dem Text stand. Dennoch habe ich den größten Respekt vor guten Philologen, vor allem vor den Altphilologen, die uns die Kultur der Antike nahebringen. Ob sie nun Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff oder Karl Kerényi heißen. Oder Friedrich Nietzsche, der vom furchtbar-schönen Gorgonenhaupt des Klassischen gesprochen hat. Wir müssen einfach, weil wir nicht anders können, weil wir keine entsprechendere Lebenslaufbahn vor uns haben, weil wir uns zu anderen nützlicheren Stellungen einfach den Weg verrannt haben, weil wir gar kein anderes Mittel haben, unsre Constellation von Kräften und Ansichten unsren Mitmenschen nutzbar zu machen als eben den angedeuteten Weg. Schließlich dürfen wir doch nicht für uns leben. Sorgen wir nach unserem Theil dafür, daß die jungen Philologen mit der nöthigen Skepsis, frei von Pedanterie und Überschätzung ihres Fachs, als wahre Förderer humanistischer Studien sich gebärden. Soyons de notre siècle, wie die Franzen sagen: ein Standpunkt, den niemand leichter vergißt als der zünftige Philolog, hat der Altphilologe Friedrich Nietzsche über seinen Beruf gesagt.

Dieses soyons de notre siècle kann in der Literaturwissenschaft eine gefährliche Sache sein. Die Germanistik hat das im Dritten Reich bewiesen. Elisabeth Frenzel, die für Alfred Rosenberg und die Hohe Schule der NSDAP arbeitete, schrieb Dinge wie Der Jude im Theater. Eine Broschüre, die später als eine der übelsten antisemitischen Publikationen aus germanistischer Feder überhaupt bezeichnet wurde. Nach dem Kriege verfasste Frenzel Nachschlagewerke wie Daten Deutscher Dichtung, das war eine sichere Sache. Die gesinnungstreuen Ex-Nazis, die überall Blut und Boden und Germanentum in der Literatur entdeckt hatten, duckten sich jetzt alle weg. Es wurde die große Zeit der textimmanenten Interpretation, viele waren jetzt dankbar, dass es den amerikanische New Criticism gab. In dem Post über Robert Penn Warren habe ich geschrieben:

Warren gehört als Literaturkritiker zu einer Gruppe, die man New Critics nennt (und die manchmal auch Agrarians oder Fugitives genannt werden). Der New Criticism möchte mit seiner Methode des close reading die Literaturkritik auf eine wissenschaftliche Basis stellen. Nun sollte man meinen, dass ein close reading, ein genaues Lesen des Textes, der erste Schritt eines Literaturwissenschaftlers ist. Das interessiert an deutschen Universitäten heute niemanden mehr. Da werden keine Texte mehr gelesen, da werden Theorien von spinnerten Franzosen aufgesagt. Das ist jetzt modern.

In einem der letzten Auftritte der Münchener Lach- und Schießgesellschaft hatte Henning Venske eine Seite aus einem poststrukturalistischen Theoriewerk vorgelesen. Das Publikum hat sich vor Lachen gebogen. Die armen Pisa-Schüler, die jetzt arme Bachelorstudenten sind, können darüber nicht lachen. Die müssen das lernen. Da wünscht man sich manchmal, dass ein Exorzist daherkommt und den ganzen Spuk vertreibt. Dann könnte man wieder von Neuem anfangen. Und Robert Penn Warrens Understanding Poetry und Understanding Fiction als Basiswerke des Literaturunterrichts nehmen. Understanding Poetry ist ein solides, vernünftiges Buch, Textbuch und Arbeitsbuch in einem. Die ganze Welt der englischsprachigen Dichtung auf 600 Seiten.

Aus den Absätzen kann man einen gewissen Hass herauslesen, ich hatte die Uni gerade hinter mir gelassen, und was ich da in den letzten Jahren erlebt hatte, war nicht schön gewesen. Der Kaiser hatte neue Kleider bekommen, aber es war kein kleines Mädchen da, das sagte: Aber er hat ja gar nichts an! 1968 hatte den Marxismus in die Literaturwissenschaft gebracht, danach kam alles Mögliche: Post-Marxismus, Strukturalismus, Poststrukturalismus, Feminismus, Postkolonialismus und was es sonst noch so gibt. Hauptsache, es endete auf -mus oder -ism. Das wilde Denken von Roland Barthes (der die Licence in Klassischer Philologie besaß) nahm ich ja noch hin, weil er witzig war. Aber bei Foucault, Lacan und Derrida hörte bei mir der Spaß auf. Für wen schrieben diese Leute? Sie bekamen schnell ihre eigenen universitären Fanclubs. Der deutsche Philosoph Odo Marquard hat einmal gesagt: Philosophen etwa, die nur für Philosophen philosophieren, und davon gibt es viele, handeln ebenso unsinnig wie Sockenhersteller es täten, die Socken nur für Sockenhersteller herstellten. Man kann das leicht auf die Literaturwissenschaft übertragen.

Der Philosoph Paul Feyerabend hat, seinen nahen Tod vor Augen, über den unverständlichen Stil vieler Philosophen gesagt: Liegt es vielleicht am Wunsch, großartig, tief und philosophisch zu wirken? Aber was ist wichtiger? Von Außenstehenden verstanden oder als 'tiefer Denker' betrachtet zu werden? Auf einfache Weise zu schreiben, so daß es ungebildete Leute verstehen können, bedeutet keineswegs Oberflächlichkeit. Ich rate dringend allen Autoren, die ihren Mitmenschen etwas mitteilen wollen, sich nicht mit Philosophie zu beschäftigen, und wenn sie es schon tun, sich nicht von Obskuranten wie Derrida einschüchtern und beeinflussen zu lassen, sondern stattdessen Schopenhauer oder Kants volkstümliche Schriften zu lesen.

Ich möchte noch etwas zitieren, was ich in dem Post Eric Hobsbawm geschrieben habe: Selbst zu der Zeit, als ich noch wissenschaftliches Zeuch schrieb, war ich dafür verrufen, dass ich verständlich schrieb. Meine Ideale in der Welt der Kulturgeschichte sind nun mal nicht die Leute, die den Derridada singen und den Lacancan tanzen. Diese herrlich bescheuerte Formulierung ist wohl nicht neu, ich habe sie im Internet gefunden. Leider ist diese Seite mittlerweile verschwunden, aber von der Adresse war ich auf die allerschönste Seite gekommen. Und da steht unter einem beeindruckend klingenden Artikel: The essay you have just seen is completely meaningless and was randomly generated by the Postmodernism Generator. Cool, ein Postmodernism Generator und eine Dada Engine im Internet, mit der man imposant klingende Texte generieren kann. Dass der Professor Alan David Sokal mit einer Wissenschaftssatire den ganzen Poststrukturalismus demontierte, das steht schon in dem Post Der wissenschaftliche Witz. Ich möchte das ganze unerfreuliche Thema mit einem kleinen witzigen Gedicht von Uli Becker abschließen:

Gott ja, die Postmoderne, sagt der Minirock
zum Existenzialistenrolli, anything goes
und alles kommt wieder, für 15 Minuten.

Die poststrukturalistischen Sockenhersteller stricken immer noch Socken, aber ich brauche das glücklicherweise nicht mehr zu ertragen. Ich bin jetzt Blogger, und Blogger sind Essayisten. Mein Blog ist frei von poststrukturalistischen Vokabular, wahrscheinlich habe ich deshalb so viele Leser. Und auch wenn ich ein Borderline Philologe bin, bin ich doch immer noch Philologe. Wolfgang Stammlers Deutsche Philologie im Aufriß, 3.300 Seiten stark, steht bei mir im Regal. Ich habe von Leo Spitzer, von Herman Meyer und Walther Rehm mehr über Literatur gelernt, als von der ganzen französischen Poststrukturalisten Bagage, deren Schriften ein aufgedrucktes Verfallsdatum haben. Ich schreibe das heute, weil ich ein wenig Werbung für eine Neuerscheinung machen möchte. Das Buch heißt Exemplary Writings of Wolfgang Plenio: On the Occasion of his 90th Birthday. Sie können es hier im Volltext lesen. Die Herausgeber sind Joachim Reppmann (der schon in dem Post Friedenspfeife erwähnt wird) und Gordon Marino. Das ist der Philosophieprofessor, der in dem Post Exis eine Hauptrolle hat. Der emeritierte Germanistikprofessor Norman Watt hat die Schriften von Wolfgang Plenio sehr schön ins Englische übersetzt.

Dr Wolfgang Plenio ist der Lateinlehrer von Yogi Reppmann am Alten Gymnasium in Flensburg gewesen, zu seinem achtzigsten Geburtstag hat der Yogi im Flensburger Tageblatt eine Laudatio in lateinischer Sprache veröffentlicht, die mit dem Satz Sit melior pars vitae futura! endete. Zum neunzigsten Geburtstag von Wolfgang Plenio vor zwei Wochen sollte es etwas mehr für den Mann sein, der nach seinem Wirken als Pädagoge hunderte von Beiträgen für das Feuilleton von Flensburger Tageblatt und shz schrieb. Und so entstand das kleine Buch, das in Amerika verlegt wurde und den Amerikanern ein wenig von der deutschen Philologie bringen kann. Nach einem Amerikabesuch, wo er zu dem Deutschen Fest am Carleton College in Northfield eingeladen war, sagte Plenio: there is much to be learned from the way this event in middle America celebrates the language of another culture. Es wäre schön, wenn amerikanische Leser das auch über dieses Buch sagen könnten.

Das dritte Kapitel des Buches beginnt mit einem Hölderlin Zitat, dem berühmten Voll Güt ist; keiner aber fasset Allein Gott. Wo aber Gefahr ist, wächst Das Rettende auch. Ich möchte mit einem anderen Hölderlin Zitat schließen: Was bleibet aber, stiften die Dichter, heißt es in Hölderlins Andenken. Können wir dieses Gedicht verstehen, ohne einen Philologen zu bemühen? Sobald das unreflektierte Weiterleben der Poesie problematisch und der Abstand der Zeiten zwischen Entstehung und der späteren Präsentation von Dichtung bewußt geworden ist, muß zum produktiven Dichter und reproduktiven Sänger als dritter der interpretierende Philologe hinzutreten, sagt Heinz Schlaffer. Da ist er wieder der Philologe. Wir brauchen ihn, wir sollten dankbar sein, dass es ihn gibt.

Freitag, 24. Januar 2020

Der Sessel vor dem Schrank


Der Sessel vor dem Schrank ist die Replik eines Art Deco Möbel, ein schwerer brauner Ledersessel. Die Franzosen würden so etwas fauteuil confortable nennen. Wenn ich in dem Post über Sir John Hurt schrieb, dass ich den Roman Tinker, Tailor, Soldier, Spy von John le Carré aus dem Schrank geholt habe, dann klingt das nach nichts Besonderem. Ist es aber doch. Weil man die Schranktür kaum öffnen kann, nur einen Spalt. Da kann man sich schon das Handgelenk brechen, wenn man da ein Buch aus dem Regal angeln will. Das ist natürlich sehr unpraktisch, aber es hat seine Bedeutung. Der Ledersessel steht an dieser Stelle, damit man die Schranktür nicht öffnen kann.

Krimis, seien es Romane, Filme oder Fernsehserien, kommen in diesem Blog immer wieder vor. Manchmal mögen die Leser das, der Post Ertrinken Verboten brachte im letzten November riesige Leserzahlen. Ich habe die Posts zu dem Thema Kriminalliteratur auch in dem Themenblog The Simple Art of Murder gesammelt. Der enthält einundsechzig Posts, was bei beinahe zweieinhalbtausend Posts in SILVAE eher eine quantité négligeable ist. Ich könnte mehr zu dem Thema schreiben, aber ich will nicht. Und das hat seinen Grund.

Als ich noch kein Blogger, sondern ein Literaturwissenschaftler an einer Uni war, habe ich mich einmal mit dem Genre des Krimis beschäftigt. Habe einige Lexikonartikel, Aufsätze und Bücher geschrieben, mit Krimiautoren korrespondiert. Michael Innes konnte kein Deutsch, aber seine Tochter hat ihm übersetzt, was ich über ihn geschrieben habe. Ich war auf einer Tagung, wo die ganze Crème de la Crème der deutschen Krimiszene versammelt war. Friedhelm Werremeier, der die schönen Trimmel Romane schrieb und -ky, der seinen bürgerlichen Namen damals noch geheimhielt. Ich habe Harald Mogensen in Kopenhagen besucht, der gerade mit Tage la Cour dieses tolle Murder Book veröffentlicht hatte, und Jan Broberg versorgte mich aus Schweden mit allem, was ich über die schwedische Krimiszene wissen musste. Sjöwall/Wahlöö wurde damals gerade berühmt. Die gab es auch gleich bei Rowohlt; Richard K. Flesch, der bei Rowohlt die Krimireihe aufbaute, hatte ein Händchen für gute Autoren. Leichen-Flesch hieß er in der Branche, er war dem Whisky sehr zugetan, das weiß ich noch. Ich habe, als ich ihn interviewte, den Whisky dankend abgelehnt, ich wollte noch zurück auf die Autobahn. 

Aber das ist alles sehr lange her. Ich habe vor Jahrzehnten die meisten Krimis verschenkt und dann hunderte von englischen Krimis und die gesamte dicke, fette Sekundärliteratur in den Schrank getan. Der ist 1,30 hoch, 80 cm breit und 40 cm tief, da passen viele Bücher hinein, wenn man die zweite Reihe auch belegt. Der Schrank ist abgeschlossen, und vor ihm steht eben dieser schwere Ledersessel, der sich kaum bewegen lässt und der verhindern soll, dass ich die Schranktür öffne. Man muss auch mal mit Dingen aufhören können, mit denen man sich mal beschäftigt hat. Dann denkt man, dass es Zeit wäre, nun was ganz andres zu tun, um Hannes Wader mal zu paraphrasieren. Über schöne Frauen und französische Filme kann man immer schreiben, über Krimis nicht.

Als ich anfing, diesen Blog zu schreiben, hatte ich mir gedacht, dass die Krimis hier überhaupt nicht hinein sollten. Es sollte sowieso nichts von dem hinein, was ich mal gemacht hatte. An das Letzte habe ich mich gehalten, nur sechs von 2.436 Posts sind vorher schon einmal veröffentlicht worden, der ganze Rest ist neu. Gewiß, ich widerspreche mir zuweilen. Aber der Wahrheit widerspreche ich nie, sagt Montaigne. Doch dann habe ich nach einem Monat Bloggen ein klein bisschen gesündigt, weil ich über Raymond Chandler geschrieben habe. Ich hatte kein schlechtes Gewissen dabei, Raymond Chandlers Romane sind nicht weggeschlossen, die stehen bei der amerikanischen Literatur im Regal. Neben Hemingway und Fitzgerald.

Ich besitze sogar zwei Erstausgaben, eine hat mir die Daniela mal geschenkt, weil sie weiß, dass ich Raymond Chandler liebe. Und das wäre doch schade, wenn die Bücher in dem Schrank verschwänden, den man nicht öffnen kann, weil der Sessel davor steht. I have a sense of exile from thought, a nostalgia of the quiet room and balanced mind. I am a writer, and there comes a time when that which I write has to belong to me, has to be written alone and in silence, with no one looking over my shoulder, no one telling me a better way to write it. It doesn't have to be great writing, it doesn't even have to be terribly good. It just has to be mine.

Mittwoch, 22. Januar 2020

Sir John Hurt


Heute wäre er achtzig geworden, aber er ist schon seit drei Jahren tot. In dem Post Dunhill gibt es einen Link zu einem kleinen Filmchen mit ihm. Und natürlich wird er in dem langen Post zu Christine Keeler erwähnt, weil er in dem Film Scandal den Dr Stephen Ward spielt. Zum ersten Mal habe ich den englischen Schauspieler, den David Lynch als simply the greatest actor in the world bezeichnet hat, in der englischen Krimiserie Z Cars gesehen. Das ist mindestens fünfzig Jahre her. Über die Serie können Sie in den Posts Inspector Lewis und Englische Krimiserien etwas lesen. Ich habe hier auch eine Episode der Serie, leider nicht die, in der er zu sehen ist, aber man bekommt einen guten Eindruck davon, wie englische Krimiserien in den sechziger Jahren aussahen.

I’ve done some stinkers in the cinema. You can’t regret it; there are always reasons for doing something, even if it’s just the location, hat er mal gesagt. Ich mochte die location in dem Gangsterfilm The Hit (1984). Viele seiner Rollen werden unvergessen bleiben, selbst wenn es eigentlich nur eine Nebenrolle war. In seinen Nachrufen wurden stereotyp immer wieder Elephant Man, Alien und Harry Potter erwähnt.

Man sollte unbedingt seinen letzten Film That Good Night erwähnen, wo er einen todkranken Schrifsteller spielt, der sich auf das Sterben vorbereitet. Noch nie waren Wirklichkeit und Film so nah beieinander. Hurt war unnachahmlich als Quentin Crisp in An Englishman In New York (2009). Ich fand ihn großartig als Geheimdienstchef Control in Tinker, Tailor, Soldier, Spy, der Verfilmung eines Romans von John le Carré. Es ist ein Roman, den ich mag, ich habe ihn gleich aus dem Schrank geholt und ihn noch einmal gelesen, als ich den Film im Fernsehen gesehen habe. John le Carré kann ich immer wieder lesen, vieles andere nicht.

Jahrelang war John Hurt mit dem Model Marie-Lise Volpelière-Pierrot verlobt gewesen, als sie gerade heiraten wollten, kam sie bei einem Reitunfall vor seinen Augen ums Leben. Das warf ihn aus der Bahn, er begann zu trinken. Trieb sich mit den Säufern Peter O’Toole, Oliver Reed und Lucian Freud herum und heiratete ein amerikanisches Barmädchen. Dann kamen noch andere Frauen, die vierte, Anwen Rees-Myers, war dann endlich die richtige. Da hat er auch die Ziggis und den Alkohol aufgegeben.

Bevor er Schauspieler wurde, hatte er Kunst studiert. Das Malen hatte er nie aufgegeben, in seinen letzten Lebensjahren wurde es seine tägliche Beschäftigung. Dies heute über Sir John Hurt wird mal ein kleiner Post. Weil der Post über John Ruskin so lang war, vielleicht hätte ich weniger über Ruskin und mehr über Sir John schreiben sollen. Aber es ist, wie es ist. Es bleibt erst einmal so. Doch John Hurts Stimme müssen wir noch einmal hören, ein Journalist vom Observer hat sie als nicotine sieved through dirty, moonlit gravel beschrieben, aber ich weiß so nicht so recht, ob das stimmt. Hören Sie einmal hinein, wenn er Shakespeares Sonett Nummer 147 liest:

My love is as a fever, longing still
For that which longer nurseth the disease,
Feeding on that which doth preserve the ill,
The uncertain sickly appetite to please.
My reason, the physician to my love,
Angry that his prescriptions are not kept,
Hath left me, and I desperate now approve
Desire is death, which physic did except.
Past cure I am, now reason is past care,
And frantic-mad with evermore unrest;
My thoughts and my discourse as madmen's are,
At random from the truth vainly express'd;
For I have sworn thee fair and thought thee bright,
Who art as black as hell, as dark as night.

Vielleicht hat er dies Gedicht vorgetragen, weil es auch etwas mit seinem eigenen Leben zu tun hat.

Montag, 20. Januar 2020

Ruskin


Heute vor 120 Jahren starb John Ruskin, er war einundachtzig Jahre alt geworden. Die Königin Victoria, deren Zeitalter der Sohn eines Sherry Importeurs als Kunstkritiker und Sozialphilosoph geprägt hat, war wie er im Jahre 1819 geboren worden. Sie wird ihn um ein Jahr überleben. 1819 war das Jahr, in dem das Peterloo Massaker England erschüttert. Aber das Jahr 1819 ist auch das Geburtsjahr einer Vielzahl von Schriftstellern, die die Literatur verändert haben:

Herman Melville und Walt Whitman zum Beispiel. Und wären da noch Arthur Hugh Clough, George Eliot, James Russell Lowell, Gottfried Keller, Klaus Groth und Theodor Fontane. Vor acht Jahren schrieb ich in dem Post John Ruskin: Wie soll ich das heute nennen? Hundert Zeilen Hass? Ich weiß, dass ich Leser habe, die Ruskin mögen. Ich mag ihn nicht. Als ich noch jung war, hatte ich den festen Plan, alles von Ruskin zu lesen. Weil Proust ihn mochte. Heute steht beinahe alles in der zweiten Reihe des Bücherregals. Zumeist sind es die inzwischen ausgebleichten, lachsfarbenen alten Bände mit dem schönen Golddruck auf dem Buchrücken der Everyman Library, die kurz nach Ruskins Tod erschienen sind. Ein großer Teil des Werkes ist heute noch immer in der Everyman Library erhältlich.

Sein Werk steht bei mir noch immer in der zweiten Reihe, die zweibändige Biographie vom Tim Hilton steht da inzwischen auch. Ich mag Ruskin immer noch nicht. Ruskin hat einen langen und sehr informativen englischen Wikipedia Artikel. Der deutsche Artikel erwähnt mit keinem Wort, dass er schwer manisch-depressiv war. Der Maler und Kunstkritiker R.H. Wilenski war 1933 der erste, der in seinem Buch John Ruskin: An Introduction to Further Study of his Life and Work Ruskin als a manic-depressive invalid bezeichnete. Der Prozess, den Whistler gegen Ruskin anstrengte, weil der über dies Bild hier geschrieben hatte: I have seen, and heard, much of Cockney impudence before now; but never expected to hear a coxcomb ask two hundred guineas for flinging a pot of paint in the public's face, musste für ein Jahr unterbrochen werden, weil Ruskin wieder einmal das brain fever hatte.

Das hat er häufiger. Viele Jahre seines Lebens ist er ein klinischer Fall. Aber in der Welt der Viktorianer, wo alle ein wenig spleenig sind, fällt das vielleicht nicht so auf. Doch wenn man sein Brantwood Diary liest, bekommt man Mitleid mit diesem kranken Mann. Oder auch nicht. Krank in der Seele, bigott fromm, extrem moralisch und dann noch von zweifelhaften sexuellen Gelüsten beherrscht, das ist eine gefährliche Kombination. Er ist allerdings nicht der einzige der Eminent Victorians, der ein klein wenig neben der Spur ist.

Sein Gesamtwerk macht 39 Bände aus, es ist das Unglück von Ruskin, dass er über alles schreiben muss, über Kunst, Literatur, Ökonomie und Ökologie. Words, words, words. Ein wunderbarer Stil, kann man seitenlang lesen, man weiß aber hinterher nicht mehr, worum es eigentlich ging. Ich glaube nicht, dass irgend jemand das freiwillig lesen wird.

Um dem bildungsbürgerlichen Publikum wenigstens das Wichtigste von Ruskin schmackhaft zu machen, hatte der auf Kunstbücher spezialisierte englische Phaidon Verlag 1959 ein Buch mit dem Titel The Lamp of Beauty: Writings on Art by John Ruskin auf den Markt gebracht. Herausgeben von Dame Joan Evans, einer Spezialistin für mittelalterliche Kunst. Das war damals state-of-the-art, denn Dame Joan hatte gerade eine Ruskin Biographie geschrieben und war Mitherausgeberin der Ruskin Korrespondenz. Ihre Tätigkeit als Herausgeberin der Tagebücher wird heute von Kunsthistorikern überwiegend negativ beurteilt.

Aber über die Jahre hat Phaidon diesen Titel immer wieder überarbeiten und verbessern lassen, er ist jetzt auch etwas umfangreicher als vor einem halben Jahrhundert. Das Wichtigste von Ruskin ist wahrscheinlich in diesem Band. Bevor man sich ins Unglück stürzt und alle 39 Bände der Gesamtausgabe kauft und sich auf diese Müllkippe von Gedanken begibt, wo zweifellos ein paar gedankliche Goldbarren, Silbermünzen und Brillis versteckt sind, könnte man erst einmal mit diesem Buch anfangen. Oder mit John Ruskin: Selected Writings, herausgegeben von Dinah Birch in der Reihe der Oxford World's Classics. Was man auf jeden Fall lesen sollte, ist die hervorragende Biographie John Ruskin. 1819–1900: Leben und Werk (Hanser 1983) von Wolfgang Kemp, die auch ins Englische übersetzt wurde.

Und dann gäbe es da noch Ruskin Today: A Selection, das der berühmte Kenneth Clark herausgegeben hat. Clark und Ruskin haben eines gemeinsam, sie sind beide Kinder sehr reicher Eltern und konnten sich schon in jungen Jahren Gemälde kaufen. Clark wird ebenso wie Ruskin Gemälde von Turner besitzen (wie dieses hier). Aber da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Kenneth Clark wird geadelt, Ruskin nicht. Obgleich die Königin Victoria durchaus freigiebig mit Adelstiteln für Künster ist, man denke an den Dichter Alfred Tennyson oder den Maler Frederick Leighton, kommt Ruskin für sie nicht in Frage. Kenneth Clark, der Ruskin schon als Schüler gelesen hat, weil seine Schulbibliothek das Gesamtwerk Ruskins im Regal hatte, wird ein seriöser Kunsthistoriker werden. Ruskin wird Kunstschriftsteller.

Der Gemälde von Turner sammelt und über alles schreibt. In Mike Leighs Film Mr Turner kommt der junge John Ruskin vor, er ist in dem Film eine lächerliche Figur. Das fand ich sehr witzig. Der Künstler Philip Hartigan auch: Ruskin is so little read now, that it's almost comical to imagine him being even a minor subject of a movie. And yet, when I watched Mike Leigh's film 'Mr Turner', which is mainly precoccupied with the English painter JMW Turner, there is Ruskin in a few scenes, in a priceless cameo performance by Joshua McGuire. McGuire plays Ruskin as a pushy fop who relishes the sound of his own voice, with a childish desire to impress that makes him seem like the eternally precocious child, always desperate to impress a roomful of adults even after he himself has grown up. A writer in the 'The Guardian' newspaper takes umbrage with this portrayal, but I found it very amusing.

Als Kunstschriftsteller lässt Ruskin nur William Turner gelten. Nicht einmal Claude Lorrain. So schreibt der Kunsthistoriker Arthur Mayger Hind süffisant ironisch im Vorwort seines Katalogs von Claude Lorrain Zeichnungen: After two centuries of brilliant popularity among English amateurs and collectors, Claude may be said to have suffered something of an eclipse in Victorian days, largely due to that wonderful but capricious arbiter of taste, John Ruskin. Ruskin left Claude the merit among painters of having set the sun in the heavens, and allowed his possession of a fine feeling for beauty of form and grace of foliage. But his anathemas follow in endless succession, the sum and total of them all being that his pictures when examined with reference to essential truth were one mass of error from beginning to end....

John Constable mochte Lorrain: In Claude's landscape all is lovely, all amiable, all is amenity and repose—the calm sunshine of the heart. He carried landscape, indeed, to perfection, that is, human perfection. Aber Constable ist für unseren capricious arbiter of taste John Ruskin keine Autorität: There was, perhaps, the making in Constable of a second or third-rate painter... But he is nothing more than an industrious and innocent amateur blundering his way to a superficial expression of one or two popular aspects of common nature. Oder noch schlimmer: Constable perceives in a landscape that the grass is wet, the meadows flat, and the boughs shady; that is to say, about as much as, I suppose, might be apprehended between them by an intelligent fawn and a skylark. Turner perceives at a glance the whole sum of visible truth open to human intelligence.

Hier schägt einer wild um sich, vernichtet einen Maler nach dem anderen, weil es eben nur den einen geben kann: Turner perceives at a glance the whole sum of visible truth open to human intelligence. Es ist ihm schon klar, dass in Constable ein Konkurrent für seinen geliebten Turner heranwächst, also muss man den schlechtmachen: Unteachableness seems to have been a main feature of his character, and there is corresponding want of veneration for Nature herself. His early education and associations were also against him; they induced in him a morbid preference of subjects of a low order. Sind John Constables Wolken subjects of a low order?

Dies Bild zeigt Lady Elizabeth Eastlake, sie ist wie Ruskin eine Kunst- und Kulturkritikerin. Sie ist heute erstaunlicherweise so gut wie vergessen. Für das, was sie über Kunst schreibt, hat sie bessere Grundlagen als Ruskin. Da ist zum einen ihr Gatte Sir Charles Eastlake, Maler, Übersetzer von Goethes Farbenlehre, Präsident der Royal Academy, Direktor der National Gallery und erster Präsident der Photographic Society. Elizabeth Eastlake hat in Deutschland gelebt und die Sprache erlernt. Und hat bewundert, dass die Deutschen richtige Kunsthistoriker haben. Die wichtigsten kunsthistorischen Werke dieser Zeit hat sie ins Englische übersetzt: J.D. Passavants Tour of A German Artist in England, Franz Kuglers Handbook of Painting: The Italian Schools und Gustav Friedrich Waagens Works of art and artists in Great Britain (das letzte Buch habe ich schon in dem Post Sir Francis Bourgeois erwähnt).

Auf diesem Plakat zu dem Film Effie Gray sehen wir rechts Emma Thompson als Lady Elizabeth Eastlake. Emma Thompson hat auch das Drehbuch zu dem Film geschrieben und dadurch die Verdienste von Lady Eastlake wieder in das allgemeine Interesse gerückt. Kunsthistoriker wussten schon seit John Steegmans Buch Consort of Taste 1950 (Neuauflage als Victorian Taste 1970)), dass die Frau, die als erste Frau regelmäßig für den Quarterly Review schrieb, als Kunst- und Kulturkritikerin bedeutender war als Ruskin. Steegman sagt über Ruskins Urteile über englische Maler an einer Stelle seines Buches knochentrocken: It must be admitted that on the whole Ruskin is not a reliable judge on his contemporaries. Lady Elizabeth wird Ruskins erste Bände von Modern Painters rezensieren. Mit einer fünfzigseitigen Rezension greift sie Ruskin an. Das sind erhebliche Verletzungen des Egos eines Mannes, den Whistlers Anwalt in dem berühmten Beleidigungsprozess folgendermaßen charakterisierte: I, Mr. Ruskin, seated on my throne of art, say what I please upon it and expect all the world to agree with me.

Ruskin gehört nicht wie die Eastlakes zur einflußreichen Londoner Gesellschaft. Er weiß auch wenig von der wirklichen Welt, er wohnt sein halbes Leben bei seinen Eltern. You shut yourselves up within your park walls and garden gates; and you are content to know that there is beyond them a whole world in wilderness—a world of secrets which you dare not penetrate; and of suffering which you dare not conceive, sagt er in Sesame and Lilies an die Frauen gerichtet. Aber wenn sich jemand abschottet von der Wirklichkeit der viktorianischen Gesellschaft, der Ausbeutung der Arbeiter, der Kinderarbeit, der überall herrschenden Prostitution, der Sucht nach Opium (das als Laudanum frei verkäuflich ist), dann ist das John Ruskin.

In seinem Roman Der Stechlin sagt der Pastor Lorenzen zu dem alten Dubslav von Stechlin über die Engländer: Sie sind drüben schrecklich runtergekommen, weil der Kult vor dem Goldenen Kalbe beständig wächst; lauter Jobber, und die vornehmen Leute obenan. Und dabei so heuchlerisch; sie sagen Christus und meinen Kattun. Es ist die viktorianische Doppelmoral, die hier angeklagt wird, und von dieser Doppelmoral ist Ruskin nicht frei. Auch wenn er in einem Brief aus Venedig einmal schreibt our true monarch is not Victoria but Victor-Mammon, macht ihn das nicht zum Klassenkämpfer. Er schreibt das sozialkritische Werk Unto this Last, aber nicht Das Kapital oder Die Lage der arbeitenden Klasse in England.

Auf diesem Gemälde von Sir Edwin Landseer trägt der Prinzgemahl Albert eine mittelalterliche Rüstung. Gut, das ist nur ein Bild von einem Maskenball im Jahre 1842, aber das Bild ist von großer Symbolkraft. England ist jetzt von  einer krankhaften Begeisterung für das Mittelalter besessen. Blechrüstungen haben Konjunktur, drei Jahre vor dem königlichen Maskenball gab es das Eglinton Tournament, das 100.000 Besucher anzog. Victorias Lieblingsdichter Tennyson, den sie zum poet laureate ernannte, schreibt seine Idylls of the King, und die Maler malen sich durch das Repertoire der Ritter von Camelot.

Mark Girouard hat das Phänomen in seinem Buch The Return to Camelot wunderbar beschrieben. Ruskin schwärmt nicht für Ritter, aber die heile Welt der Handwerker des Mittelalters ist sein Gegenentwurf für die Arbeitsbedingungen, für die Entfremdung von der Arbeit in den Fabriken, jenen satanic mills, von denen William Blake gesprochen hat. Deshalb liebt er die Präraffaeliten, weil die auch am liebsten im Mittelalter zu Hause wären. Mit der Moderne, mit diesem flinging a pot of paint in the public's face hat er nichts im Sinn. Der Whistler Prozeß zeigt der Öffentlichkeit, dass er ein Mann von gestern ist, dessen Zeit als Kunstkritiker vorbei ist.  

Wenn die viktorianischen Maler keine Ritter malen, dann malen sie nackte Frauen (lesen Sie mehr dazu in den Posts Spätrömische Dekadenz und William Etty). Oder sie malen wie hier Sir John Everett Millais Ritter mit nackten Frauen. Und damit kommen wir zu einem ganz gefährlichen Thema: Ruskin und die Frauen. Zu seinem Entsetzen wird Ruskin feststellen, wenn er das Werk von Turner katalogisiert, dass sich im Werk seines Idols auch pornographische Zeichnungen befinden. Die Viktorianer mit ihrer Frömmigkeit und ihrer äußerlichen Wohlanständigkeit haben große Probleme diesen schönen Schein mit der Sexualität zu vereinbaren. Das Buch von Steven Marcus The Other Victorians über die Pornographie im 19. Jahrhundert kam auf die Bestsellerliste. Und auch Ronald Pearsalls The Worm in the Bud: The World of Victorian Sexuality wurde ein Bestseller. Und da ich bei Literaturempfehlungen bin, kann ich den Roman The French Lieutenant's Woman von John Fowles nur wärmstens empfehlen.

Wenn etwas in Beziehungen schiefgeht, sind natürlich immer die Frauen Schuld, das Motiv der fallen woman wurde von Malern noch nie so strapaziert wie in diesem Jahrhundert. Phyllis Rose hat das in ihrem lesenswerten Buch Parallel Lives: Five Victorian Marriages etwas genauer untersucht, Ruskin hat darin auch ein ganzes Kapitel. Kate Millett hat Ruskins Sesame and Lilies als one of the most complete insights obtainable into that compulsive masculine fantasy one might call the official Victorian attitude. Wo sie recht hat, hat sie recht. Die ganze Sache mit dem, wie Coventy Patmore es nannte, Angel in the House (Man must be pleased; but him to please Is woman's pleasure) ist sicherlich auch Ruskin Fans ein wenig unheimlich. Als die kleine Effie Gray zwölf war, hat er ihr ein Märchen geschrieben, als sie neunzehn war, hat er sie geheiratet. Es ist immer gefährlich, wenn ältere Männer für junge Mädchen Geschichten schreiben, heißen die nun The King of the Golden River oder Alice in Wonderland.

Ruskin war einmal in eine Französin namens Adèle Domecq (die Tochter des Geschäftspartners seines Vaters) verliebt gewesen. Als die nichts von ihm wissen wollte und einen französischen Grafen heiratete, hat er einen Nervenzusammenbruch. What sort of a creature I should have turned out if, at this time, Love had been with me instead of against me and, instead of the distracting and useless pain, I had had the joy of approved love, and the untellable, incalculable motive of its sympathy and praise. It seems to me that such things are not allowed in this world, wird er ein halbes Jahrhundert in seinen Praeterita schreiben. Seine Ehe mit Effie Gray wird eine einzige Katastrophe, in der Hochzeitsnacht sieht er zum ersten Mal in seinem Leben eine nackte Frau. Nackte Frauen im Schlafzimmer sind etwas anderes als nackte Frauen auf Ölgemälden. Ruskin flieht aus dem Schlafzimmer.

Wahrscheinlich sollten Frauen für ihn so aussehen wie Lizzie Siddal, das Supermodel der Präraffaeliten, als tote Ophelia auf dem Gemälde von John Everett Millais. Sechs Jahre nach der mißglückten Hochzeitsnacht schreibt Effie an ihren Vater: and finally this last year he told me his true reason (and this to me is as villainous as all the rest), that he had imagined women were quite different to what he saw I was, and that the reason he did not make me his Wife is that he was disgusted with my person the first evening. Ruskin erklärt zu dem Ganzen: It may be thought strange that I could abstain from a woman who to most people was so attractive. But though her face was beautiful, her person was not formed to excite passion. On the contrary, there were certain circumstances in her person which completely checked it. Was diese circumstances waren, weiß niemand. Die nie vollzogene Ehe wird geschieden, wegen Ruskins incurable impotency. Effie, die bei ihrer Trennung von Ruskin Rat und Hilfe bei Lady Elizabeth Eastlake suchte, heiratet den Maler Sir John Everett Millais, mit ihm wird sie sieben Kinder haben. Ruskin zieht wieder zu seinen Eltern. Seine Ehe wird in den Praeterita nicht erwähnt.

Dies ist die vierundzwanzigjährige Rose La Touche, die letzte große Liebe von John Ruskin, auf ihrem Sterbebett. Gezeichnet von Ruskin, das Bild ist erst vor kurzem aufgetaucht. Als sie neun Jahre alt war, hat er ihr Zeichenunterricht gegeben, als sie achtzehn war, hat er um ihre Hand angehalten. Ihre Eltern fragten Ruskins erste Ehefrau, ob sie dem zustimmen sollten, Effie Millais sagte better not. Nach ihrem Tod verfällt Ruskin endgültig dem Wahnsinn. Er hält spiritistische Sitzungen ab, um ihren Geist zurückzuholen und bildet sich ein, dass Rose zu ihm zurückkommt, in Weiß gekleidet wie eine Braut,.

Ich habe nicht über Wolken und Blumen geschrieben, weil ich sie für mich selbst liebte, sondern weil die ganze Energie meiner Mitmenschen auf das Ziel gerichtet ist, die Himmel zu verschmutzen und die Felder zu verwüsten. Und ich habe nicht über Bilder geschrieben, weil ich Bilder nun einmal liebte, sondern weil die Straßen von London über und über mit Plakaten und Karikaturen bedeckt waren, und zu jeder Seele, die mit sehenden Augen sie durchwanderte, nur von Greueln und Entstellungen sprachen, wird er an seinem Lebensende schreiben. Sieht er da das Jahrhundert, in dem er gelebt hat, zum ersten Mal mit offenen Augen?