Freitag, 24. Januar 2020

Der Sessel vor dem Schrank


Der Sessel vor dem Schrank ist die Replik eines Art Deco Möbel, ein schwerer brauner Ledersessel. Die Franzosen würden so etwas fauteuil confortable nennen. Wenn ich in dem Post über Sir John Hurt schrieb, dass ich den Roman Tinker, Tailor, Soldier, Spy von John le Carré aus dem Schrank geholt habe, dann klingt das nach nichts Besonderem. Ist es aber doch. Weil man die Schranktür kaum öffnen kann, nur einen Spalt. Da kann man sich schon das Handgelenk brechen, wenn man da ein Buch aus dem Regal angeln will. Das ist natürlich sehr unpraktisch, aber es hat seine Bedeutung. Der Ledersessel steht an dieser Stelle, damit man die Schranktür nicht öffnen kann.

Krimis, seien es Romane, Filme oder Fernsehserien, kommen in diesem Blog immer wieder vor. Manchmal mögen die Leser das, der Post Ertrinken Verboten brachte im letzten November riesige Leserzahlen. Ich habe die Posts zu dem Thema Kriminalliteratur auch in dem Themenblog The Simple Art of Murder gesammelt. Der enthält einundsechzig Posts, was bei beinahe zweieinhalbtausend Posts in SILVAE eher eine quantité négligeable ist. Ich könnte mehr zu dem Thema schreiben, aber ich will nicht. Und das hat seinen Grund.

Als ich noch kein Blogger, sondern ein Literaturwissenschaftler an einer Uni war, habe ich mich einmal mit dem Genre des Krimis beschäftigt. Habe einige Lexikonartikel, Aufsätze und Bücher geschrieben, mit Krimiautoren korrespondiert. Michael Innes konnte kein Deutsch, aber seine Tochter hat ihm übersetzt, was ich über ihn geschrieben habe. Ich war auf einer Tagung, wo die ganze Crème de la Crème der deutschen Krimiszene versammelt war. Friedhelm Werremeier, der die schönen Trimmel Romane schrieb und -ky, der seinen bürgerlichen Namen damals noch geheimhielt. Ich habe Harald Mogensen in Kopenhagen besucht, der gerade mit Tage la Cour dieses tolle Murder Book veröffentlicht hatte, und Jan Broberg versorgte mich aus Schweden mit allem, was ich über die schwedische Krimiszene wissen musste. Sjöwall/Wahlöö wurde damals gerade berühmt. Die gab es auch gleich bei Rowohlt; Richard K. Flesch, der bei Rowohlt die Krimireihe aufbaute, hatte ein Händchen für gute Autoren. Leichen-Flesch hieß er in der Branche, er war dem Whisky sehr zugetan, das weiß ich noch. Ich habe, als ich ihn interviewte, den Whisky dankend abgelehnt, ich wollte noch zurück auf die Autobahn. 

Aber das ist alles sehr lange her. Ich habe vor Jahrzehnten die meisten Krimis verschenkt und dann hunderte von englischen Krimis und die gesamte dicke, fette Sekundärliteratur in den Schrank getan. Der ist 1,30 hoch, 80 cm breit und 40 cm tief, da passen viele Bücher hinein, wenn man die zweite Reihe auch belegt. Der Schrank ist abgeschlossen, und vor ihm steht eben dieser schwere Ledersessel, der sich kaum bewegen lässt und der verhindern soll, dass ich die Schranktür öffne. Man muss auch mal mit Dingen aufhören können, mit denen man sich mal beschäftigt hat. Dann denkt man, dass es Zeit wäre, nun was ganz andres zu tun, um Hannes Wader mal zu paraphrasieren. Über schöne Frauen und französische Filme kann man immer schreiben, über Krimis nicht.

Als ich anfing, diesen Blog zu schreiben, hatte ich mir gedacht, dass die Krimis hier überhaupt nicht hinein sollten. Es sollte sowieso nichts von dem hinein, was ich mal gemacht hatte. An das Letzte habe ich mich gehalten, nur sechs von 2.436 Posts sind vorher schon einmal veröffentlicht worden, der ganze Rest ist neu. Gewiß, ich widerspreche mir zuweilen. Aber der Wahrheit widerspreche ich nie, sagt Montaigne. Doch dann habe ich nach einem Monat Bloggen ein klein bisschen gesündigt, weil ich über Raymond Chandler geschrieben habe. Ich hatte kein schlechtes Gewissen dabei, Raymond Chandlers Romane sind nicht weggeschlossen, die stehen bei der amerikanischen Literatur im Regal. Neben Hemingway und Fitzgerald.

Ich besitze sogar zwei Erstausgaben, eine hat mir die Daniela mal geschenkt, weil sie weiß, dass ich Raymond Chandler liebe. Und das wäre doch schade, wenn die Bücher in dem Schrank verschwänden, den man nicht öffnen kann, weil der Sessel davor steht. I have a sense of exile from thought, a nostalgia of the quiet room and balanced mind. I am a writer, and there comes a time when that which I write has to belong to me, has to be written alone and in silence, with no one looking over my shoulder, no one telling me a better way to write it. It doesn't have to be great writing, it doesn't even have to be terribly good. It just has to be mine.

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