Freitag, 30. Juni 2023

Uhrenwerbung

Am 30 Juni 2006, einen Tag bevor die Tour de France begann, wurde Jan Ullrich und einigen anderen Fahrern mitgeteilt, dass sie nicht mitradeln dürften. Den Doktor Fuentes, um den es in diesem Dopingskandal ging, hatte man schon Ende Mai verhaftet. Von nun an ging es mit dem Olypiasieger und Tour de France Gewinner Ullrich bergab. Das westdeutsche Äquivalent zu Täve Schur war zu jemandem geworden, mit dem niemand etwas zu tun haben wollte. Der nett aussehende junge Mann trägt auf diesem Bild eine große Uhr. Es ist nicht irgendeine Armbanduhr, es ist ein Rattrapante Chrono Jan Ullrich Limited Edition. Die Uhr hat er sich nicht etwa gekauft, er macht dafür Reklame.

Und für den Markenbotschafter der Firma IWC hatte die Werbeagentur Wirz die Anzeige Die erste IWC für rasierte Beine entworfen: Ob Jan Ullrich, einer der Markenbotschafter der Schaffhauser Manufaktur für Luxusuhren, auch an der Tour de France eine IWC trägt, ist ungewiss. Sicher ist, dass es von IWC eine 'GST Chrono-Rattrapante Edition Jan Ullrich' gibt. Und auf eben diese bezieht sich eine Anzeige, die Wirz auf die Tour de France hin kreiert hat. Jetzt zu sehen in der 'SonntagsZeitung' und in der 'Welt am Sonntag'.

Die über Jahre laufende Werbung stand unter dem Motto IWC. Seit 1868. Und solange es noch Männer gibt. Es war eine Werbekampagne, die zwar ziemlich ironisch, aber doch ein klein wenig frauenfeindlich war: Damals war das noch möglich, heute ginge das nicht mehr: Unsere Kampagne provoziert. Das soll sie auch. Denn IWC-Uhren haben es verdient, dass sie auffallen. Nicht erst am Handgelenk. Irgendwann schaffte es jemand, mit einem schon genial zu nennenden Fake die ganze Kampagne lächerlich zu machen. Da stand dann auf dem Plakat neben einer IWC Uhr: Fast so schön wie eine Frau. Tickt aber richtig. 

Wirz war mit seiner Werbung, die mit der Anzeige Der Uhr begann, meilenweit von dieser zurückhaltenden IWC Werbung der sechziger Jahre entfernt. Aber im Jahre 2005 verabschiedete sich die Firma Wirz nach 1.000 Anzeigen von der IWC: Nach mehr als 1.000 Anzeigen in der internationalen Presse und 3 bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission, nach 5 Umsatzplusjahren für den Kunden, 12 Kreativpreisen für die Agentur und 3 Effies für beide zusammen, verabschiedet sich Wirz Werbung von IWC mit einer ganzseitigen Anzeige in der 'Neuen Zürcher Zeitung' vom 18. März. Die Abschiedsanzeige hatte den Titel Jetzt sind wir unser Macho-Image los

Ihre Kampage sei niemals frauenfeindlich, aber immer männerfreundlich gemeint gewesen. Trotzdem landeten sie mehrfach vor der Lauterkeitskomission. Am 30. Juni 2006, als der Dopingskandal aufflog, werden sie glücklich gewesen sein, nichts mehr mit der Uhrenfirma aus Schaffhausen zu tun gehabt zu haben, für für die sie die Anzeige mit den rasierten Beinen gemacht hatten. Die IWC wechselte zu Jung von Matt, und die machten so etwas Witziges wie das hier, war garantíert nicht frauenfeindlich.

Es ist ein Problem mit den Werbeträgern, wenn sie plötzlich keine Werbeträger mehr sind, weil man sich für sie schämt. Adidas hat das mit Kanye West erfahren. In einem Werbetext schrieb die IWC damals: For both Ullrich and IWC, time and precision are success factors on the way to the top. Both the man and the watch are based on intricate precision mechanisms at the highest level, designed by experienced engineers, who invest their entire know-how in the development of sophisticated systems. Das sind Sätze, die sich nach dem Dopingskandal heute etwas anders lesen.

Man kann in der Werbung viel falsch machen. Vor allem mit Frauen in der Werbung. Das ist bei Uhren nicht anders als bei der Werbung für Automobile. Dies hier geht natürlich gar nicht. Die linke Anzeige hatte als Text: Elegance is good taste plus a dash of daring!, die rechte: Like whiskey and a beautiful woman, timepieces demand appreciation, you gaze first then indulge! Die amerikanische Firma Mariner hat sich inzwischen für die Anzeigen mit dem SadoMaso Touch entschuldigt.

Dr Rudolf Schild-Comtesse, der Enkel des Gründers der Grenchener Uhrenfirma Eterna, wollte in den sechziger Jahren eine moderne, außergewöhnliche Werbung für sein Modell KonTiki haben. Er verpflichtete den Schweízer Photographen Hanspeter Mühlemann, und der lieferte ihm Bilder wie dieses. Das in der Schweiz damals als skandalös empfunden wurde: Reklame für eine schweizerische Uhr in Verbindung mit einer zweifelhaften Weibsperson, dazu in einer obszönen Stellung, wirkt sicher nicht kauffreudig auf potentielle Käufer ihrer Marke. Oder: Glauben Sie wirklich, mit dieser verlebten Katze für Ihre schöne Uhr Reklame machen zu können??? Ich nicht! Trotz der großen Aufregung stieg der Verkauf an. Das war bei der Wirz Kampagne für die IWC nicht anders gewesen.

Natürlich gibt es Markenbotschafter, die man weltweit akzeptiert, auch wenn die gar keine Markenbotschafter sein wollen. Die Firma Omega hatte im Jahre 1955  mit einem Bild des schwedischen Königs geworbent, der auf seine Omega guckt. Punktlighet är kungars artighet, stand dabei. Hat der Hof durchgehen lassen, um zu zeigen, wie volkstümlich man ist. Die Werbestrategie von Dr Schild-Comtesse zielte auf die ganze Welt, nicht auf spießige Schweizer, die sich über die nackten Beine der blonden Francine aus Zug aufregten. Aber über Brigitte Bardot mit ihrem Schmollmund hat sich niemand in der Schweiz aufgeregt.

Dies hier war eine Anzeige, über die sich niemand aufregen konnte: Gina Lollobrigida wählt 'Golden Heart'. Als gefeierter Star pflegt Gina Lollobrigida sorgfältig ihren persönlichen Stil auch in der Uhr . Sie wählte Eterna Matic 'Golden Heart', die kleinste automatische Uhr der Welt. Eine Schwingmasse aus echtem Gold spendet diesem Wunderwerk Kraft und Leben. Eterna-Matic - die wirklich moderne Uhr für die zeitgemässe Frau - zieht sich beim Tragen selber auf und vereint zauberhaften Charme mit der vorbildlichen Präzision einer automatischen Herrenuhr.

Die Anzeige mit Gina Lollobrigida war für auf den amerikanischen Markt bestimmt, wo Eterna schon vorher werbemäßig aktiv gewesen war. Interessant ist diese Anzeige aus dem Jahre 1942, die den Titel Eterna the watchword for women in uniform hat, ein kleines Wortspiel mit dem watch (Uhr) und dem militärischen watchword (Parole). Eine junge Frau in Uniform, gezeichnet in einem Stil, für den später Fritz Willis und Joe de Mers berühmt werden. Und dieser hübschen Blondine, die das Zeug hat, das eine Frau jetzt braucht (she has what it takes), muss der Mann unbedingt eine Eterna schenken, damit sie ihren Beitrag zur Landesverteidigung leisten kann. 

In einer anderen Eterna Anzeige stand 1944: There is a limited quantity of these truly feminine watches at selected jewelers, since the majority of Eterna watches are reserved for the armed forces. Das war ein Argument, das sich auch in den Anzeigen der amerikanischen Firmen findet, die während des Krieges keine Uhren für den privaten Gebrauch lieferten. Weil sie nur Uhren für die Streitkräfte herstellten. Und Bombenzünder. Die amerikanische Firma Gruen, die ihre Uhrwerke von Aegler in der Schweiz bezog, konnte offenbar noch Uhren liefern. Sie warb 1944 mit einer Anzeige, die eine junge Dame in Uniform zeigte. Die hatte den Titel For a minute I was home and it was Christmas Day! und war ziemlicher Technicolor Kitsch.

Der Rattrapante Chrono Jan Ullrich Limited Edition trägt im Gehäuseboden die Unterschrift von Jan Ullrich. Sind die Besitzer dieser Uhr damit glücklich? Oder haben sie sich längst den Namen wegschleifen lassen? Die IWC ist eine Firma, die sich immer vornehm gibt. Wenn Besitzer einer Uhr prominent sind, kann das zur Werbung beitragen. Oder auch nicht. Putin trägt übrigens seine IWC nicht mehr. Aber da gab es noch einen anderen IWC Träger, dem die Firma einen längeren Artikel in ihrer Hauszeitschrift Watch International widmete. Und ihm eine teure Armbanduhr schenkte. Der Mann hieß Horst Tappert, wir kennen ihn besser als Derrick. Wir assoziieren mit Derrick immer eine prollige goldene Rolex, aber in Wirklichkeit schwärmte Tappert für die IWC. Das hat er auch in einem Interview erzählt, das die Süddeutsche mit ihm führte:

              Die goldene Uhr passt aber nicht in das Bild eines bescheidenen Beamten. Was ist das eigentlich für eine?
Derrick: Die beste, die es gibt, eine IWC. Ich habe drei davon.
              Wie bitte, drei Stück? Wie ist das mit Ihrem Gehalt möglich?
Derrick: Mein Verdienst ist nicht so niedrig, wie Sie glauben. Ich bin Leiter der Mordkommission und verdiene weit über sechstausend Mark. Wenn ich also Lust auf eine Uhr habe, dann kann ich sie mir auch kaufen. Ich habe ja keine Frau zu ernähren, keine Kinder zu kleiden, und für mein Reihenhaus habe ich einen sehr günstigen Beamtenkredit bekommen.

Beinahe ein Vierteljahrhundert geisterte Derrick über die Bildschirme. Ein in Biederkeit erstarrter Oberinspektor, eher häßlich als ansehnlich, löst in eher langatmiger als atemraubender Weise einen eher durchschaubaren als kniffligen Fall, wie der Spiegel schrieb. Dreiundzwanzig Jahre Derrick, und wir haben das nie gemerkt, dass er ein IWC Fan war. Doch der Georges Kern bei der IWC hat gewusst, dass Tappert 1986 bei der Vorstellung der neuen IWC da Vinci in Schaffhausen war und die Marke liebte. Deshalb musste er eine Uhr geschenkt bekommen, deshalb kam er in die Firmenzeitung. Aber eine spezielle Horst Tappert Edition hat es bei der IWC nie gegeben. Obgleich man die in Asien sicher gut verkaufen könnte, da gucken sie ja immer noch Derrick. Bei uns nicht mehr, weil das ZDF wegen Tapperts Zugehörigkeit zur Waffen SS die Derrick Sendungen aus dem Programm genommen hat. Ein anderer deutscher Kommissar war auch IWC Fan, und das haben wir nie gemerkt: Schimanski trug unter seiner berühmten Jacke immer IWC.

Donnerstag, 29. Juni 2023

Erwartung


Vor drei Jahren stand hier am 29. Juni in dem Post über den Maler Richard Oelze dieser Text: Heute vor 120 Jahren wurde der Maler Richard Oelze geboren. Wenn man in dem Suchfeld auf dieser Seite den Namen Oelze eingibt, wird man auch zwei sehr verschiedene Herren stoßen. Der eine ist der Bremer Kaufmann F.W. Oelze, der ein Brieffreund von Gottfried Benn war und diesen auch finanziell unterstützt hat. Der andere ist der Maler Richard Oelze (hier auf dem Photo vor einem Selbstportrait sitzend), der seltsame Bilder gemalt hat. Ich war ein halbes Jahr im Internet, als ich zu seinem 110. Geburtstag den Post Richard Oelze schrieb. Der sensationelle Leserzahlen erreichte.

Oelze hat einmal in Worpswede gewohnt, und dort gibt es heute auch eine Straße, die seinen Namen trägt. Ein richtiger Worpsweder ist Oelze nicht gewesen und nie geworden, und man erinnert sich auch nicht gerne an den verschlossenen Mann, der nur in der Dunkelheit arbeitete. Aber er war der einzige Maler im Ort, von dem ein Bild im Museum of Modern Art hing. Das wussten die Worpsweder Bauern, die ihn mal in der Nacht verprügelt haben, wahrscheinlich nicht.

Die vor drei Jahren erwähnten sensationellen Leserzahlen, die stimmen. Ich habe nachgeguckt, es sind mehr als 13.000.
Dieses Bild hatte Richard Oelze Mitte der 1930er Jahre gemalt, es ist sein berühmtestes Bild. Es heißt Erwartung. Mitte der dreißiger Jahre wusste niemand, was kommen würde. Oelze hat das Bild in Paris gemalt, wo er dreieinhalb Jahre am Existenzminimum lebte, immer in schswarzen Klamotten gekleidet. Er sprach kein Wort Französisch, aber die führenden Surrealisten wie André Breton, Max Ernst und Salvador Dalí haben ihn alle besucht. Und Paul Éluard hat über ihn gesagt, er sei der einzig richtige Surrealist. Wenn Sie jtezt mehr über den Maler wissen wollen, dann lesen Sie den Post Richard Oelze aus dem Jahre 2010.

Sonntag, 25. Juni 2023

die wunderschöne Layla


Die Kieler Woche geht heute zuende, 140.000 Leute haben gestern die Windjammerparade gesehen. Millionen Besucher waren es wieder, alles war zu voll und zu teuer. Aber gutes Wetter in disem Jahr. Wer in Kiel wohnt, der tarnt sich in dieser Zeit, das können Sie schon in den Posts Kieler WocheEs ist, wie es ist und 125 Jahre Kieler Woche lesen. Aber in diesem Jahr gab es ein Highlight, und das war der ansonsten eher unscheinbare Ministerpräsident, den Journalisten gerne den Liebling der Schwiegermütter nennen. Schon bei der Eröffnung der Woche soll er textsicher auf englisch Country Roads von John Denver (der hier schon den Post Country Roads hat) gesungen haben. Ich weiß nicht so ganz, was das mit der Kieler Woche zu tun hat. Aber sein eigentlicher, pressewirksamer Auftritt, der fand am Donnerstag statt.

Der Ministerpräsident hat gestern im Rahmen eines privaten Rundgangs über die Kieler Woche auch das Bayernzelt besucht. Dort wurde er von der Band gebeten, mit ihr einige ihrer Lieder auf der Bühne mitzusingen. Diesem Wunsch ist der Ministerpräsident wie auch schon in der Vergangenheit gerne nachgekommen. sagte eine Regierungssprecherin von Daniel Günther der DPA am Freitag zu Günthers Auftritt am Vortag. Ja, da hat er ein wenig gesungen. Nicht das Lied Schleswig-Holstein meerumschlungen, auch nicht dieses patriotische Lied:

Schleswig, Holstein, schöne Lande,
Wo mein Fuß die Welt betrat;
O, daß stets an eurem Strande
Keime wahren Glückes Saat!
Schleswig, Holstein, stammverwandt,
haltet fest der Eintracht Band!


Nein, der Ministerpräsident sang etwas ganz anderes. Ein Lied von einer Puffmama namens Layla, die schöner, jünger. geiler als andere ist, diese La-La-La-La-La-La-La-Layla, die wunderschöne Layla.
Daniel Günther erklärte im Sommer 2022 zu diesem sexistischen Ballermann Lied, das auf vielen Volksfesten verboten ist: Es wäre kein Lied, was ich auf meiner Party spielen würde. Aber mit dem Song habe ich kein Problem. Das Lied war sicher nicht gedacht, um einen Literaturnobelpreis zu gewinnen, sondern um zu unterhalten. Aber jetzt im Bayernzelt, da hat er es gesungen. Nein, gegrölt, haben Ohrenzeugen gesagt. Mann, muss der besoffen gewesen sein.

Samstag, 24. Juni 2023

Quarzuhren


Before they became mysterious and quartz, we longed to learn the workings of watches: eternal spring! schrieb Elizabeth Macklin in ihrem Gedicht The Watches. Sie hat ja so recht. Wie eine mechanische Uhr funktioniert, das wollte ich immer wissen. Inzwischen weiß ich das, ich habe schon welche auseinandergenommen. Wie eine Quarzuhr funktioniert, das weiß ich nicht. Es bleibt für mich mysterious. Vor allem, weil sich auf dem Gebiet der Quarzwerke ungeheuer viel getan hat, seit die ersten Armbanduhren mit einem Quarzwerk 1969 auf den Markt kamen. Auch wenn ich nichts davon verstehe, schreibe ich mal über die drei Quarzuhren, die ich besitze.

1981 kaufte meine Mutter bei Henry Kaufmann auf Helgoland diese Quarzuhr, es sollte ein Geschenk für meinen Vater sein. Meine Mutter meinte, er müsse mit der Zeit gehen, jetzt sei die Zeit der Quarzuhren gekommen. Mein Vater war nicht wirklich von dem Geschenk begeistert, machte aber höflichkeitshalber Anstalten, sie zu tragen. Es dauerte nicht lange, da bekam ich sie geschenkt. Ich nahm sie gerne, da meine Tissot Seastar Seven gerade zur Reparatur war. Ich fand die Uhr eigentlich elegant, sie war trotz des massiven Edelstahlbands sehr leicht und lag gut auf dem Handgelenk. Meine Seiko mit der Modellnummer 7223-6010 gefiel mir. Bis zu dem Augenblick, als mir mein Freund Gert sagte: Weißt Du, dass Du die gleiche Armbanduhr wie Uwe Barschel hast? Wusste ich nicht, aber im Gegensatz zu Gert brauchte ich den Barschel ja auch nicht jeden Tag zu sehen. Als der Stern die Photos von dem toten Uwe Barschel in der Badewanne veröffentlichte, konnte jedermann die Seiko Alarm Quartz sehen. Unter Uhrensammlern bekam die Seiko den Namen Barschel-Uhr, ich weiß nicht, ob das ihren Verkehrswert steigerte.

Ich legte die Seiko erst einmal in eine Schublade und trug weiterhin meine Tissot. Nach dem Fall der Mauer kaufte ich in Schwerin vor dem Schloss einem jungen Mann für zwanzig Mark diese Wostok Komandirski Taucheruhr ab, die heute immer noch bestens funktioniert. Und das brachte mich dazu, auf Flohmärkten nach alten Uhren suchen. Damals bekam man ja noch vieles für'n Appel und 'n Ei, wie man so schön sagt. Heute ist daran nicht mehr zu denken. Mein Buchhändler schenkte mir am Tag des Buches eine Quarzuhr aus rotem Plastik, die auf dem Zifferblatt nur die Zahlen 23 und 4 hatte. Der 23. April ist der Todestag von Cervantes und Shakespeare, deshalb hat man dieses Datum für den Welttag des Buches genommen. 

Als die ersten Quarzuhren auf den Markt kamen, waren sie schweineteuer und sehr groß. Sie waren so groß, weil man in der Schweiz noch keine kleinen Quarzwerke bauen konnte. Dies ist ein Beta 21 Quarzwerk in einer Omega, ein Werk, das eine sehr teure technische Fehlentwicklung war. Aber dann kam Weihnachten 1969 Seiko mit der Seiko Quartz Astron-35SQ und zeigte dem Rest der Welt, dass man auch kleine Quarzwerke bauen konnte. Und die Quarzuhren wurden preiswerter und preiswerter, man bekam sie schon als Werbegeschenke in die Hand gedrückt; so wie ich meine rote Plastikuhr bekam. Wenn man bei Wempe eine Uhr zur Reparatur abgab, bot einem die Firma eine Wempe Quarzuhr für die Zeit der Reparatur an, die man hinterher auch behalten konnte. Quarzuhren waren billige Massenware geworden. Monsieur Stern, der Besitzer von Patek Philippe, sagte in einem Interview, dass er zur Gartenarbeit eine billige Quarzuhr benutzen würde, keine Patek. Obleich Patek ja auch Quarzuhren im Programm hat.

Die Quarzuhren brachten die Schweizer Uhrenindustrie in die größte Krise ihrer Geschichte. Man hätte rechtzeitig nach Amerika schauen sollen, wo es schon elektrische Uhren gab. Als Hamilton seine erste elektrische Uhr auf den Markt brachte (ja, die Ventura, die Elvis auch hatte), rannten die Direktoren bei der Pressekonferenz alle fünf Minuten hinter den Vorhang der Bühne. Nicht wegen Blasenschwäche, sie tauschten schlichtweg die Uhren aus. Weil sie das Problem mit den Batterien noch nicht gelöst hatten. Wenn Sie eine Ventura sehen wollen, klicken Sie doch einmal den Post noch Stromlinie an. Die Ventura (oder die Pacer) mit dem Kaliber 500 war sehr reparaturanfällig, insbesondere die beiden dünnen Kontaktdrähte waren meistens die Ursache der Fehler. Viele Besitzer einer Ventura ließen das Werk später durch ein Quarzwerk ersetzten, die heute angebotene Replik hat das natürlich auch drin.

Das Hamilton Kaliber 500 (das durch das zuverlässigere Kaliber 505 abgelöst wurde), war 1957 die erste elektrische Armbanduhr der Welt. Es war allerdings deutscher Erfindergeist, der hier aus Amerika verkauft wurde, denn das Werk beruhte auf einem Patent von Helmut Epperlein, der die Vereinigte Uhrenfabriken Ersingen besaß. Er war der erste deutsche Unternehmer, dem die Bundespost eine Telephon Reklame genehmigt hatte. Rief man das Pforzheimer Werk an, hörte man eine Stimme mit schwäbischem Akzent: Der Name ist Epperlein - die Armbanduhr ist elektrisch. Einen Augenblick bitte, Sie werden sofort verbunden.

Bulova hatte schon 1960 die Accutron auf den Markt, der Name war aus den Wörtern Accuracy und Electronic gebildet. Es war eine Stimmgabeluhr, die der Schweizer Ingenieur Max Hetzel für Bulova entwickelt hatte. Dies hier ist das Modell Spaceview, es gab die Uhr aber auch mit normalem Zifferblatt. Wenn man sie ans Ohr hielt, konnte man die Frequenz von 360 Hz hören. Wenn man sie auf einem hölzernen Nachttisch legte, wurde das Geräusch noch lauter, die Frequenz der Uhr machte Bobtails nervös. Ich weiß wovon ich rede, ich hatte mal eine Bulova Accutron. Dem Bobtail mit dem Namen Fussel gefiel das überhaupt nicht. Meine Accutron läuft nicht mehr. Bulova hilft einem nicht mehr, die Firma gehört heute Citizen, und es gibt nur noch ganz wenige Adressen, die einem dieses Teil reparieren. Ob Omega seine Megasonic, die auch von Max Hetzel entwickelt worden war, heute noch repariert, weiß ich nicht.

Bei Omega musste offenbar alles Mega sein, und so hieß ihre Quarzuhr auch Megaquartz. Ich habe meine von meinem Uhrmacher geschenkt bekommen, das habe ich schon in dem Post meine Uhrmacher gesagt. Ich weiß nichts über die Langlebigkeit der billigen Quarz Werbeuhren oder der Signature Collection von Donald J. Trump, aber ich weiß, dass meine Omega Megaquartz jetzt seit fünfzig Jahren läuft. Und die Seiko aus dem Jahre 1981, die jahrzehntelang abgemeldet war, funktioniert auch wieder bestens. Weil der Barnie überall neue Batterien hineingetan hat, er würde mir gerne die Megaquartz abkaufen, aber die bleibt, wo sie ist. Auf meinem Schreibtisch, ich sehe sie immer, wenn ich schreibe.

Die erste Schweizer Quarzuhr kam erstaunlicherweise von der Nobelfirma Patek Philippe (die auch die Hauptuhr meiner Uni gebaut hatten), aber die konnte man nicht am Handgelenk tragen. Die Chronotome. war ein Schiffschronometer. Dann kamen 1969 Seiko, 1970 Girard-Perregaux und Omega und 1971 Junghans, so sieht die Reihenfolge der Entwicklung aus. Als Junghans seine erste Quarzuhr vorstellte, geschah das mit den Worten: Noch nie in der vielhundertjährigen Geschichte der Zeitmesstechnik gab es eine Armbanduhr mit der Vollkommenheit der Junghans Astro-Quartz. Die Uhr kostete damals 800 Mark, das war 200 Mark billiger als die erste Schweizer Quarzuhr der Firma Girard-Perregaux (die baugleich mit dem Jaeger-LeCoultre Modell war) mit der Standardfrequenz von 32.768 Hz. Die Batterie für das Junghans Quarzwerk kam aus den USA, so etwas konnte man in Deutschland noch nicht. Das Beta-21 in der Omega oben hatte eine Batterie von der Schweizer Firma Renata, die ist heute ein Riese für kleine Batterien, 800.000 sollen sie angeblich am Tag produzieren. Da kann man mal sehen, wieviel Quarzuhren es gibt.

Das hier ist meine dritte Quarzuhr, die habe ich gerade bei ebay ersteigert. (Die schrottige Black Watch von Sir Clive Sinclair, die ich nur einige Wochen besaß, möchte ich nicht mitzählen. Sie hat mit Black Watch hier schon einen Post, in dem auch einiges über Quarzuhren steht). So etwas wie diese Uhr hier wollte ich immer schon mal haben; eine Uhr, die so ähnlich aussieht wie die Seamaster von James Bond. Seit 1995 tragen die James Bond Darsteller ja Omega, vorher war das mal eine Rolex; und in den siebziger Jahren trug Roger Moore auch Quarzuhren. In Live and Let Die trägt Moore eine Hamilton Pulsar P2. Wenn Sean Connery in Dr No im Jahre 1962 eine Rolex trägt, dann war das die Uhr des Produzenten Cubby Broccoli. Eigentlich trug der Held eine ganz andere Uhr, weil er ja ein Londoner Gentleman war (auf jeden Fall in Ian Flemings Romanen). Und die tragen keine übergroßen Taucheruhren, schon gar nicht zum Smoking.

Wenn James Bond diese Dame im Spielcasino kennenlernt und sich mit den Worten My name is Bond, James Bond vorstellt, hat er eine goldene Gruen mit dem Kaliber 510 am Arm. Bei manchen Sammlern heißt das Modell heute Sylvia Trench watch. Und Sylvia Trench hat in diesem Blog natürlich schon einen Post. Sean Connery hat die goldene Gruen übrigens in mehreren Filmen getragen, wir können sie auch in Goldfinger sehen, wenn er mit Oddjob kämpft und die Welt rettet. Kann man alles mit einer Gruen machen, dafür braucht man keine Rolex. Gruen Quarztuhren gibt es heute in Mengen, aber das nichts mehr mit der einst so stolzen Firma Gruen zu tun. An deren Hauptsitz in Biel steht heute der Name Rolex.

Meine dritte Quarzuhr da oben am Arm ist eine Certina DS Action. Man kann hier auf dem Gehäuseboden die Schildkröte sehen, die schon die Certina DS Modelle der sechziger Jahre zierte. In der Uhr ist ein Precidrive Quarzwerk, das die ETA seit 2013 herstellt. Es soll zehnmal genauer sein als ein normales Quarzwerk. Das hat sich in der Entwicklung seit 1969 viel getan, zwischen einem billigen Ronda Werk und einem hochklassigen ETA Werk liegen Welten. Die vier Zentimeter große Uhr wiegt 140 Gramm, das trägt sich leicht. Meine IWC GST und meine Doxa Sub 300 sind wesentlich schwerer. Irgendwie ist es die ideale Uhr, aber sie wird meine letzte Quarzuhr bleiben. Auch wenn die Stundenmarkierungen in der Nacht leuchten. Ich werde das mit der Ganggenauigkeit von sieben Sekunden im Jahr nicht nachmessen, die Tauchtiefe von 300 Metern werde ich auch nicht überprüfen. Mir genügt die Uhr, so wie sie ist.

Mittwoch, 21. Juni 2023

die fünf Schwestern


Das ist ein schönes Bild der fünf Töchter des Charles Ingram, der der neunte Viscount of Irvine war. Es ist ein sehr großes Bild, die Mädchen sind lebensgroß. Das Bild hängt in Temple Newsam, dem Familiensitz der Ingrams, den die älteste Tochter erben wird. Der Maler des Bildes ist Benjamin Wilson, der heute vor dreihundertzwei Jahren geboren wurde. Zur Malerei ist er als Amateur gekommen, William Hogarth hatte ihn gefördert, wahrscheinlich hat er bei Thomas Hudson einiges gelernt. In der Mitte des Jahrhunderts eröffnet er in Sir Godfrey Knellers Haus in London ein Malstudio. Obgleich ihn heute kaum noch jemand kennt, war er damals berühmt und ein Konkurrent des jungen Joshua Reynolds. Sein berühmtester Schüler ist Johann Zoffany.

Den Vater der fünf Töchter hat er natürlich auch gemalt, das ist die routinierte englische Portraitmalerei des 18. Jahrhunderts. Sir Ellis Waterhouse hat in seiner Geschichte der englischen Malerei wenig für Wilson übrig: To contemporaries his vaguely Rembrandtesque use of chiaroscuro seemed a sign of the new age, and as late as 1759 he seemed to some to be superior to Reynolds. His signed and dated portraits on the scale of life are not numerous but enough exist, ranging in date from about 1762 to 1769, for us to feel sure that he was a thoroughly bad painter.


Was Sir Ellis vor siebzig Jahren gschrieben hat, kann nicht das letzte Wort der Kunstgeschichte sein, ein thoroughly bad painter ist unser Benjamin Wilson bestimmt nicht. Dieses Selbstportrait ist nicht das Werk eines schlechten Malers. Aber das lassen wir einmal dahingestellt, wir müssen die zweite Karriere des Benjamin Wilson erwähnen. Er ist ein Naturwissenschaftler, der alles über die Elektrizität weiß, was man im 18. Jahrhundert wissen kann. Er erfindet wie Benjamin Franklin (den er auch portraitiert) einen Blitzableiter, und wie Franklin wird er die Copley Medal erhalten. Die auch John Harrison bekommen hatte, der die erste genau gehende Uhr in der Geschichte der Menschheit erfunden hatte.

Dieses Bild ist nicht von Wilson, John Hoppner (der hier einen langen Post hat) hat es gemalt. Es ist Isabella Ingram, die älteste Tochter des Viscount. Auf dem Bild von Wilson ist sie die Große in der Mitte. Wir werden ihr in der Geschichte Englands wiederbegegnen, weil die große, schlanke elegante Frau 1807 die Geliebte des englischen Königs George IV werden wird. Es ist erstaunlich, was man alles aus Bildern herauslesen kann, wenn man sie genau anschaut.

Samstag, 17. Juni 2023

Siebzig Jahre

Immer, wenn ich dieses Bild sehe, frage ich mich, was aus der jungen Frau mit dem selbstgemalten Plakat geworden ist. Hat irgendjemand jemals ihre Geschichte aufgeschrieben? Siebzig Jahre ist es jetzt her, dass es in der DDR einen Volksaufstand gab. Bis zur Wiedervereinigung 1990 war der Tag als Tag der deutschen Einheit ein Nationalfeiertag der Bundesrepublik Deutschland; ein Gedenktag ist er weiterhin. Die Gedenkstunde des Jahre 2023 war schon gestern, ich weiß nicht, weshalb man das nicht am 17. Juni macht. Der Bundeskanzler Olaf Scholz hat auch daran teilngenommen. An den 17. Juni 1953 wird er sich nicht erinnern können, er war damals noch gar nicht geboren.

Aber ich erinnere mich noch genau an den Tag. Es war ein schöner Frühsommertag. Ich spielte auf der Straße, bis der Malermeister Wenzel vorbeikam und sagte: Und jetzt kommen die Panzer. Ich wußte nicht, was er meinte und ging ins Haus. Opa saß am Radio. Ich setzte mich zu ihm, und Opa erklärte mir die Welt

In seinen Buckower Elegien schrieb Bertolt Brecht nach den Ereignissen;

Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbandes
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?

Das klingt nach Kritik am Staat, aber am 17. Juni überlegt sich Brecht ganz ernsthaft, jetzt demonstrativ in die SED einzutreten. Und er schreibt einen Brief an Ulbricht:

Werter Genosse Ulbricht,
die Geschichte wird der revolutionären Ungeduld der sozialistischen Einheitspartei ihren Respekt zollen.
Die große Aussprache mit den Massen über das Tempo des sozialistischen Aufbaus wird zu einer Sichtung und einer Sicherung der sozialistischen Errungenschaften führen.
Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen in diesem Augenblick meine Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands auszudrücken.
Ihr
Bertolt Brecht

Das Neue Deutschland druckt einige Tage später nur den letzten Satz des Briefes ab. Vier Jahre nach dem Volksaufstand, kurz vor seinem Tod, schreibt Louis Fürnberg ein Gedicht gegen Brecht:

Das schreibt und verkündet sein Unbehagen 
und bläht sich mit Benn und Kafka und Proust 
und fordert und konspiriert und schmust. 
Und ist langweilig. Kaum zu ertragen, 
gedankenarm, ohne eigenen Ton,  
und schreit, wenn man's nicht druckt: 'Inquisition!' 
Und ist anspruchsvoll und produziert Ersatz  
und sinniert sich eins ins Säuseln des Winds  
und ist für die Katz und schreibt für die Katz. 
Provinz, Provinz und nochmals Provinz! 

Louis Fürnberg kennt man heute nicht mehr so sehr, aber vor siebzig Jahren, da kannte ihn jeder in dem Staat, der sich Deutsche Demokratische Republik nannte und für andere nur die Sowjetische Besatzungszone war. Weil er dieses Lied geschrieben hatte, das Die Partei heißt. Und das diesen schönen Refrain hat:

Die Partei, die Partei, die hat immer recht. 
Und Genossen, es bleibe dabei. 
Denn wer kämpft für das Recht, 
der hat immer recht gegen Lüge und Ausbeuterei. 
Wer das Leben beleidigt, ist dumm oder schlecht. 
Wer die Menschheit verteidigt, hat immer recht. 
So aus leninschen Geist wächst zusammengeschweißt 
Die Partei, die Partei, die Partei

Freitag, 16. Juni 2023

Glenda Jackson ✝


In dem Post Glenda Jackson habe ich ihr 2011 zum fünfundsiebzigsten Geburtstag gratuliert. Sie kommt in diesem Blog auch in den Posts Plättbretter, John Schlesinger und Kate Beckinsale vor. Glenda Jackson ist gerade im Alter von siebenundachtzig Jahren gestorben. Mit Michael Caine hatte sie im letzten Jahr noch den Film The Great Escaper gedreht, fünfzig Jahre nachdem sie mit ihm in Joseph Loseys The Romantic Englishwoman zu sehen war. Sie gehört zu den wenigen Schauspielerinnen, die die sogenannte Triple Crown of Acting bekommen haben: zwei Oscars, drei Emmys und ein Tony Award. Die Königin hat ihr 1978 den CBE Orden verliehen, geadelt wurde sie nie. Die überzeugte Sozialistin, die jahrelang für die Labour Partei im Unterhaus saß, hätte das auch abgelehnt. Sie hatte es nicht so mit der Monarchie, obgleich sie einmal im Film als Elizabeth I eine Königin war. Die Königin von Schottland war sie auch einmal. Sie hatte als Politikerin entschiedene Ansichten, das hat Tony Blair damals jeden Tag gemerkt. Sie war seine schätfste Kritikerin, auch wenn sie einmal junior minister in seinem Kabinett war.

Keir Starmer, der Vorsitzende der Labour Party, hat getwittert: I was very sad to hear of Glenda Jackson’s passing. She leaves a space in our cultural and political life that can never be filled. She played many roles, with great distinction, passion and commitment. From award winning actor to campaigner and activist to Labour MP and government minister, Glenda Jackson was always fighting for human rights and social justice. As a fellow north London MP, I know how much she was loved and respected by her constituents. Of course no tribute to Glenda could fail to mention her role as Cleopatra in that most famous and loved of all the Morecambe and Wise sketches. We will never see talent like what she has got again. 

Es ist ein schöner Nachruf, und wenn Starmer ihre Rolle in ✺Antony & Cleopatra erwähnt, dann sollten wir uns dieses kleine Paradestück des englischen Humors einmal ansehen, wo Cleopatra sagt: All men are fools. And what makes them so is having beauty like what I have got. Es war nicht das einzige Mal, dass sie bei Morecambe und Wise war. Sie konnte sehr witzig sein: The important thing in acting is to be able to laugh and cry. If I have to laugh, I think of my sex life. If I have to cry, I think of my sex life.

Ich habe heute für Sie noch ihre vielleicht besten Filme Sunday, Bloody Sunday und A Touch of Class. Wenn Keir Starmer sagt she leaves a space in our cultural and political life that can never be filled, dann ist das das Mindeste, das man über sie sagen kann. Sir Michael Caine hat sich kürzer gefasst: Glenda was one of our greatest movie actresses. It was a privilege to work with her on 'The Great Escaper' recently, our second film together. It was as wonderful an experience this time as it was 50 years ago. I shall miss her.

Donnerstag, 15. Juni 2023

Tanz in den Tod


Die Herzogin von Richmond ist mit ihrem Mann im Jahre 1814 nach Brüssel gekommen. Ihr Mann wäre lieber zuhause geblieben und hätte Cricket gespielt. Dafür war er berühmt, er gehört auch zu den Gründungsmitgliedern des Marylebone Cricket Clubs. Aber zu seiner Lieblingsbeschäftigung kommt Charles Lennox nicht, es ist Krieg in Europa. Und er ist General der englischen Armee, kommandiert ein Reservekorps, das die belgische Hauptstadt sichern soll. Lennox ist mit seiner Gattin in Brüssel, weil er es sich finanziell nicht leisten kann, in England zu wohnen. Er hat mit dem Titel eines Herzogs auch Schulden in der Höhe von 180.000 Pfund Sterling geerbt (das wären heute einige Millionen Pfund). 

Aber trotz der finanziellen Engpässe gibt seine Gattin (hier von Thomas Lawrence gemalt) am 15. Juni 1815, einem Donnerstag wie heute, einen Ball. Es wird der berühmteste Ball der Geschichte. Sie hatte den Duke of Wellington gefragt, ob sie diesen Ball abhalten könne: Duke, I do not wish to pry into your secrets, nor do I ask what your intentions may be: I wish to give a ball and all I ask is – may I give a ball? If you say ‘Duchess, don’t give your ball’ it is quite sufficient. I ask no reasons. Wellington sagt ihr: Duchess, you may give your ball with the greatest safety, without fear of interruption. Sie wissen alle nicht, wo Napoleon gerade ist, Wellington glaubt, Boney sei in Paris. In Wirklichkeit ist der Korse schon vor Charleroi, fünfzig Kilometer vor Brüssel.

Über zweihundert Gäste sind da, mehr Männer als Frauen. Prinzen und Herzöge en masse. Vielleicht war der Londoner Dandy Rees Howell Gronow (ein Freund von Shelley) auch auf dem Ball, auf den Schlachtfeldern von Quatre Bras und Waterloo ist er in den nächsten beiden Tagen auf jeden Fall. Beinahe alle Herren tragen Uniform. Der Herzog von Wellington kommt kurz vor Mitternacht, er wird nicht viel Zeit zum Tanzen haben. Der Herzog von Richmond hatte seinen Töchtern das Walzertanzen verbieten wollen, aber jetzt werden Walzer getanzt. That gentleman will spoil the dancing, sagt die Herzogin zu ihrem Tanzparner Wellington, und sie meint Napoleon. Sie hat das nicht wirklich gesagt, das sagt nur Virginia McKenna zu Christopher Plummer in Sergei Bondartschuks Film Waterloo


Um ein Uhr morgens wird ein Essen serviert, Wellington hat gerade einen Brief mit einer wichtigen Botschaft bekommen. Aber er öffnet den Brief nicht, er weiß, was darin steht. Er bleibt am Tisch sitzen und macht Konversation mit seinen Nachbarn und der Herzogin. Dann steht er auf, entschuldigt sich bei den Gästen und flüstert seinem Freund dem Herzog von Richmond zu: Hast Du eine gute Karte von der Gegend? Der Herzog hat. In einem Nebenraum studieren sie die Karte. Sie wissen jetzt, wo Napoleon ist. Er hat mich wieder reingelegt, sagt Wellington. Wir werden ihn in Quatre Bras nicht aufhalten können. Ich will die Schlacht hier. Und er zeigt mit dem Finger auf Waterloo. Wellington ist da schon einmal gewesen, er hat sich die Gegend gut angeschaut. Die höheren Offiziere sind schon leise und unauffällig aus dem Saal verschwunden, aber der Ball geht immer noch weiter. Die jüngeren Offiziere tanzen ein letztes Mal mit ihren Angebeteten. Für viele ist es der letzte Tanz ihres Lebens. Sie werden morgen in Quatre Bras kämpfen. Und übermorgen in Waterloo.

Der Ball der Herzogin von Richmond ist auch in die Literatur gewandert. In Thackerays Roman Vanity Fair heißt es: There never was, since the days of Darius, such a brilliant train of camp-followers as hung round the Duke of Wellington's army in the Low Countries, in 1815; and led it dancing and feasting, as it were, up to the very brink of battle. A certain ball which a noble Duchess gave at Brussels on the 15th of June in the above-named year is historical. All Brussels had been in a state of excitement about it, and I have heard from ladies who were in that town at the period, that the talk and interest of persons of their own sex regarding the ball was much greater even than in respect of the enemy in their front. The struggles, intrigues, and prayers to get tickets were such as only English ladies will employ, in order to gain admission to the society of the great of their own nation. Die etwas amoralische Heldin Becky Sharp sagt, dass sie auch auf dem Ball gewesen ist. Und der Ball ist dann auch in dem amerikanischen Film Becky Sharp (1935) zu sehen, dem ersten abendfüllenden Technicolor Film. Gehen Sie einmal zur Minute 37:00, dann folgen die choreographisch aufregendsten vier Minuten des Films, alles ist in Bewegung. 

Lord Byron, der Napoleon bewunderte, hat den Ball in seinem Gedicht Childe Harold's Pilgrimage erwähnt:

There was a sound of revelry by night,
And Belgium’s capital had gathered then
Her beauty and her chivalry, and bright
The lamps shone o’er fair women and brave men.
A thousand hearts beat happily; and when
Music arose with its voluptuous swell,
Soft eyes looked love to eyes which spake again,
And all went merry as a marriage bell;
But hush! hark! a deep sound strikes like a rising knell.

Did ye not hear it?—No; ’twas but the wind,
Or the car rattling o’er the stony street:
On with the dance! let joy be unconfined;
No sleep till morn, when youth and pleasure meet
To chase the glowing hours with flying feet—
But, hark!—that heavy sound breaks in once more,
As if the clouds its echo would repeat
And nearer, clearer, deadlier than before!
Arm! arm! it is—it is the cannon’s opening roar.

Ah! then and there was hurrying to and fro,
And gathering tears, and tremblings of distress,
And cheeks all pale, which but an hour ago
Blush’d at the praise of their own loveliness;
And there were sudden partings, such as press
The life from out young hearts, and choking sighs
Which ne’er might be repeated: who could guess
If ever more should meet those mutual eyes,
Since upon night so sweet such awful morn could rise!

And there was mounting in hot haste: the steed,
The mustering squadron, and the clattering car
Went pouring forward with impetuous speed,
And swiftly forming in the ranks of war;
And the deep thunder, peal on peal afar;
And near, the beat of the alarming drum
Roused up the soldier ere the morning star;
While thronged the citizens with terror dumb,
Or whispering with white lips, “The foe! they come! they come!”

Last noon beheld them full of lusty life,
Last eve in Beauty’s circle proudly gay,
The midnight brought the signal sound of strife,
The morn the marshaling in arms,—the day
Battle’s magnificently stern array!
The thunder clouds close o’er it, which when rent
The earth is covered thick with other clay,
Which her own clay shall cover, heaped and pent,

Rider and horse—friend, foe—in one red burial blent.

In Sigrid Combüchens Roman Byron gibt es eine Szene, in der einige Byron Verehrer mit Hilfe der Tischplatte, einer Spalte darin sowie zwei Brieftaschen, einigen Gläsern, einer Flasche, die hin und her gerollt wurde, und einer Hand, die sich ab und zu um Gläser und Brieftaschen schloß, die Schlacht von Waterloo nachstellten. Allerdings trägt der Duke of Wellington bei ihr eine rote Uniform, was historisch falsch ist, er trägt in der Schlacht von Waterloo eine dunkelblaue Uniform. Was man hier auf diesem kleinen Schnipsel aus Bondartschuks Film ✺Waterloo sehen kann. Ab Minute 34:00 sind Sie mitten im Trubel des Balles. Wenn da die Gordon Highlanders einen Schwertertanz aufführen, dann ist das historisch korrekt, die waren wirklich als Attraktion für die Gäste auf dem Ball. I well remember the Gordon Highlanders dancing reels at the ball. My mother thought it would interest foreigners to see them, which it did. I remember hearing that some of the poor men who danced in our house died at Waterloo. There was quite a crowd to look at the Scotch dancers, schreibt Lady Louisa Lennox, die Tochter der Herzogin. Sie wird das ganze Jahrhundert durchleben und erst im Jahre 1900 sterben.

Historienfilme verändern immer die Wirklichkeit, der Film Becky Sharp hat mit der Wirklichkeit der Nacht von Brüssel und den Tagen von Quatre Bras, Ligny und Waterloo nichts zu tun. Wir können Sergei Bondartschuk schon dankbar sein, dass er uns in Filmen wie Krieg und Frieden und Waterloo ein klein wenig von der Zeit wiedergegeben hat. Der Thackeray des 21. Jahrhunderts heißt Julian Fellowes, er ist jetzt ein Baron Fellowes, um genau zu sein. Er hat einen Roman geschrieben, der mit dem Ball der Herzogin von Richmond beginnt. Und der musste natürlich verfilmt werden, historisch genau, wie es sich für eine Literaturverfilmung und einen Kostümfilm gehört (lesen Sie hier mehr dazu). Hier sehen wir den Herzog von Wellington bei Quatre Bras. Er trägt eine blaue Uniform, wahrscheinlich dieselbe, die er am Abend zuvor bei der Herzogin von Richmond getragen hat. Der blaue Reitmantel, den er hier trägt, ist übrigens für  47.500 £ vom National Army Museum in London ersteigert worden.
 
In dem Genre Kostümfilme kennt sich Fellowes aus, er hat die Drehbücher für Gosford Park und Downtown Abbey geschrieben. Die neue TV Serie heißt wie sein Roman Belgravia, sie ist bunt und plüschig. Und Nicholas Rowe trägt als Herzog von Wellington eine rote Uniform beim Ball der Richmonds. Es ist eine Phantasieuniform, man hätte sich besser an dem Portrait von Thomas Lawrence orientieren sollen. Sie können, wenn Sie wollen, hier den ersten Teil der Serie sehen. 

Die Rezensionen waren sehr gemischt, der Rezensent des Guardian beendete seine Besprechung mit den Sätzen: So: something to pass the time as the coronavirus curfew descends, or something to send you screaming into the streets and licking the first handrail you can find? The decision is yours. The agents, at least, are happy either way. Aber woher soll es kommen? Der Roman Belgravia ist eine schlecht geschriebene Schmonzette (unter dem Pseudonym Rebecca Greville hatte Fellowes in den siebziger Jahren schon Schundromane verfasst), die vorgibt, ein Gesellschaftsroman zu sein. Tolstoi und Fontane schreiben Gesellschaftsromane, der Lord Fellowes nicht.