Sonntag, 30. August 2020

russische Himmel


Der russische Maler Isaak Iljitsch Lewitan, der heute vor 160 Jahren geboren wurde, hatte dieses Bild 1894 an den Sammler Pawel Tretjakow geschickt. In einem Brief vom 18. Mai 1894 schrieb der Maler, dass er glücklich sei, dass das Bild heil in Moskau angekommen sei. Er sei in einer Art Ekstase, weil das Bild all das enthalte, was in seiner Seele sei. Ein riesiger Himmel, ein großer See, eine kleine Kapelle, ein kleiner Friedhof. Über der ewigen Ruhe heißt das Bild; dass es in dieser unendlichen Weite auch Spuren des Menschen gibt, darauf deutet nur das winzige Licht in einem Kirchenfenster hin. Kunstkritiker haben das Bild als ein Symbol der russischen Seele interpretiert, Lewitan sah es als seine Autobiographie.

Den Himmel malen, das können die russischen Realisten am Ende des 19. Jahrhunderts. Als sich Lewitan im September 1873 an der Moskauer Akademie immatrikuliert, ist der Maler Fjodor Wassiljew gerade gestorben. Über den hatte sein Malerkollege Nikolai Ge gesagt: Er hat den Himmel für uns entdeckt. Vielleicht hat er auch vom Nachthimmel statt vom Himmel gesprochen, denn den malt Wassiljew wie kein anderer. Sie können seine Bilder in dem Post Russen sehen. Wassiljew ist ein Stadtmaler, Lewitan will die russische Landschaft einfangen.

Kann denn etwas tragischer sein, als die unendliche Schönheit der Welt zu fühlen, das verborgene Geheimnis zu spüren und, im Bewusstsein seiner Ohnmacht, nicht imstande zu sein, diese großen Empfindungen auszudrücken? schreibt Lewitan 1887 an seinen Freund Anton Tschechow. Der gleichaltrige Tschechow hätte gerne dieses Bild von dem Dorf im Winter besessen: Oh, wenn ich nur Geld gehabt hätte, hätte ich Levitans 'Dorf' gekauft - Grautöne, elend, verloren, hässlich, aber mit einem unaussprechlichen Charme, dem man sich nicht entziehen kann: ich könnte es anschauen und anschauen... Aber er hatte nicht das Geld dafür. Tretjakow kauft alles von Lewitan, deshalb hat das Tretjakow Museum heute auch eine der größten Sammlungen des Malers, den man auch den Dichter der russischen Landschaft genannt hat. Aber Tschechow hat ein Bild von Lewitan besessen, der hatte ihm die erste Studie des Istra Flusses geschenkt, den er mehrfach gemalt hat.

Wo kann man Lewitan mit seinen Seelenlandschaften malerisch einordnen? Sein Zeitgenosse Alexandre Benois, Maler und Kunstschriftsteller, hat gesagt: Levitan was not a Barbizon painter, nor a Dutch artist and not an Impressionist. Levitan was a Russian artist, but his Russianness does not lie in him having painted Russian motifs out of some sort of patriotic principles but in the fact that he understood the obscure charm of Russian nature, its secret meaning. Er hat das natürlich auf Russisch gesagt, ich habe das Zitat aus einem Buch über den großen Maler Iwan Konstantinowitsch Aiwasowski, der hier schon erwähnt wird. Manche Kritiker haben auch, in Analogie zu der Malerei des amerikanischen Luminismus, von einem russischen Luminismus gesprochen.

In seinem Buch The Russian School of Painting (1916) schrieb Benois über Lewitan: He brought to a summation that which Vasiliev, Savrasov and Polenov had foretold. Levitan discovered the peculiar charm of Russian landscape 'moods'; he found a distinctive style to Russian landscape art which would have been distinguished illustrations to the poetry of Pushkin, Koltzov, Gogol, Turgenyev and Tyutchev. He rendered the inexplicable charm of our humble poverty, the shoreless breadth of our virginal expanses, the festal sadness of the Russian autumn, and the enigmatic call of the Russian spring. There are no human beings in his paintings, but they are permeated with a deep emotion which floods the human heart…

Lewitan hatte einen deutschen Bewunderer, nämlich Rainer Maria Rilke, der um die Jahrhundertwende seine russische Seele entdeckte: In diesem Augenblick, da ich Ihnen schreibe, gleicht die Landschaft ganz den Bildern von Lewitan; der breite Fluß glänzt silbergrau, die niedrigen Ufer sind von einem sanften Grün, hier und da liegen Dörfer; kleine Кirchen leuchten weiß... schreibt er während einer Wolgafahrt. Er hatte Bilder des Malers in einer Ausstellung gesehen, und er hatte Leonid Pasternak (der ihn auch gemalt hat) gefragt, ob der einen Besuch bei Lewitan arrangieren könnte. Doch dazu kam es nicht mehr, der schwer herzkranke Maler verstarb wenige Monate nach Rilkes Brief an Pasternak. Dieses Aquarell eines Sonneuntergangs am Wandrand ist eines seiner letzten Werke.

Ein grauer Himmel, eine eher trostlose Landschaft. Keine leuchtenden Farben, keine Menschen. Weshalb malt der Dichter der russischen Landschaft ein solches Bild? Die Antwort liegt im Bildtitel: Vladimirka. Das ist die Straße, die von Moskau nach Sibirien führt. Die Straße, die die Verurteilten und Verbannten gehen. Bei der systematischen Vertreibung der Juden aus Moskau mussten zigtausende russische Juden diese Straße nehmen, Lewitan hätte dabei sein können.

Isaak Lewitan soll tausend Bilder gemalt haben, etwa die Hälfte seines Werkes findet sich hier bei WikiArt. Die Bilder sind da, aber was ist aus der Landschaft geworden? Den Birkenhain auf diesem Bild von 1889 (das sich schon in dem Post Birken findet) gibt es nicht mehr. Er wurde 2012 der abgeholzt, weil der Ministerpräsident Medwedjew dort eine Villa bauen ließ. Und auch die kleine Kirche am Udomlja See, die wir auf dem Bild Über der ewigen Ruhe sehen, gibt es nicht mehr. Den See beherrschen heute die riesigen Kühltürme des Kernkraftwerk Kalinin.

Donnerstag, 27. August 2020

Georg Wilhelm Friedrich Hegel


Heute vor zehn Jahren stand hier im Blog der Post Hegel. Der deutsche Philosoph hat gerade ein Jubiläum, deshalb stelle ich das noch einmal ein. Weil mir auch nach zehn Jahren nicht mehr so viel zu ihm einfällt, natürlich ist der Text ein wenig überarbeitet. Oder doch ziemlich viel. Die Kieler Nachrichten hatten letztens eine Doppelseite zum Thema Hegel als Sonntagsbeilage, ein Feuilleton hat die Zeitung ja nicht mehr. Die Seiten waren reich bebildert, das Bild von Delacroix La Liberté guidant le peuple war auch dabei.

Unter dem Bild von Delacroix findet sich in der Zeitung dieses Bild. Und der Satz: Er war ein glühender Anhänger der Französischen Revolution; Corona-Demos hätte er wohl abgelehnt. Wie man von der barbusigen Marianne zu den maskenlosen Demonstranten kommt, weiß ich jetzt nicht so ganz. Hat das etwas mit der Hegelschen Dialektik zu tun? Soll es eine Illustration für Hegels Satz Alle Dinge sind an sich selbst widersprechend sein?

Den größten Teil der Zeitungsseite machte ein Interview mit dem Professor Klaus Vieweg aus, der ist zur Zeit der begehrteste Interviewpartner im Hegel Jahr (das natürlich auch ein Hölderlin Jahr ist)Klaus Vieweg hat nämlich gerade eine neue Hegel Biographie vorgelegt, die Denis Scheck besonders gut gefällt. Nicht alle Rezensenten sind völlig begeistert; und man sollte nicht vergessen, dass auch andere Autoren für das Jahr 2020 Bücher über den Freund der französischen Revolution, der jedes Jahr am 14. Juli ein Glas Champagner zu trinken pflegte, vorgelegt haben.

Da wäre noch Hegels Welt von Jürgen Kaube zu nennen, ein Buch, das sich sehr gut liest. Weil es von einem Journalisten (Mitherausgeber der FAZ) und nicht von einem Philosophieprofessor geschrieben wurde. Das dritte Buch, Slavoj Žižeks Hegel im verdrahteten Gehirn ist eine Übersetzung aus dem Englischen (Hegel in A Wired Brain), es ist erheblich kürzer als das 2014 erschienene Weniger als nichts: Hegel und der Schatten des dialektischen Materialismus des Autors, das mehr als 1.400 Seiten umfasst. Für Freunde von Lacan und Žižek habe ich hier noch ein zweistündiges Video.

Heute vor 250 Jahren wurde Hegel geboren. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Philosophen, ein Vertreter des deutschen Idealismus. Für den Schopenhauer kein gutes Wort übrig hatte: Hier also liegt der Ursprung jener unmittelbar nach Kants Lehre auftretenden philosophischen Methode, die im Mystificiren, Imponiren, Täuschen, Sand in die Augen streuen und Windbeuteln besteht, deren Zeitraum die Geschichte der Philosophie einst unter dem Titel ,Periode der Unredlichkeit' anführen wird. Wenn Sie Hegel nicht gelesen haben, ist der Weltgeist an Ihnen vorbeigelaufen. Man kann aber auch ganz gut ohne ihn leben. Als Schopenhauer vor 200 Jahren an der Berliner Universität anfing, legte er seine Vorlesung auf die gleiche Zeit, in der Hegel zu lesen pflegte. Es kamen sehr wenig Studenten zu Schopenhauer.

Der junge baltische Baron Boris von Uexkuell ganz bestimmt nicht. Der war nämlich Hegel Verehrer. Sein Journal über den Rußlandfeldzug ist 1965 unter dem Titel Armeen und Amouren zum ersten Mal bei Rowohlt erschienen (die englische Ausgabe hatte den Titel Arms and the Woman). Seine Erinnerungen an Hegel sind auch in dem Band. Bei seinem ersten Zusammentreffen mit dem Philosophen in Heidelberg fand Uexkuell zu seiner nicht geringen Verwunderung einen ganz schlichten und einfachen Mann, der ziemlich schwerfällig sprach und nichts Bedeutendes vorbrachte. Danach schreibt er: [Ich] kaufte mir die schon erschienenen Werke Hegels und setzte mich abends bequem in meine Sophaecke, um sie durchzulesen. Allein je mehr ich las, und je aufmerksamer ich beim Lesen zu werden mich bemühte, je weniger verstand ich das Gelesene, so daß ich, nachdem ich mich ein paar Stunden mit einem Satz abgequält hatte, ohne etwas davon zu verstehen zu können, das Buch verstimmt weglegte, jedoch aus Neugierde die Vorlesungen besuchte.

Das wäre ja noch schöner, wenn man sich mit dem Buch eines Philosophen in die Sofaecke setzen könnte und ihn einfach so verstehen könnte. Es ist ja das Wesen des Philosophen (besonders bei Hegel), dass man ihn nicht versteht und immer mehrere andere Philosophen lesen muss, die ihn vielleicht verstanden haben. Der Hegel von Alexandre Kojève ist ein anderer als der Hegel von Vittorio Hösle. Aber unser Uexkuell lässt nicht locker und wird zahlreiche Vorlesungen Hegels abschreiben (beziehungsweise abschreiben lassen), was ihm einen Platz in der Hegel Forschung sichert. Was aber viel wichtiger als seine Vorlesungsmitschriften ist, ist sein Journal aus dem Vaterländischen Kriegin dem er auf russischer Seite gegen Napoleon kämpft. Gegen denselben Napoleon, der für seinen neuen Lehrmeister einmal die Verkörperung des Weltgeistes zu Pferde war.

Was wäre geschehen, wenn Uexkuell Schopenhauer gehört hätte? Vorlesungen bedeutet damals noch, dass der Professor aus einem eigenen Werk vorliest. Die Studenten hören ehrfurchtsvoll zu, wie auf dem Bild weiter oben, das Hegel vor Studenten in Berlin zeigt. Da könnten sie ja auch zuhause in ihrer Sofaecke die Schriften des Professors studieren. Die Ehrfurcht vor dem Professor brauchen die Studenten bei Hegel, denn sonst ist er nicht zu ertragen, Uexkuell ist da mit seinem Urteil noch zurückhaltend. Hegel besitzt keinerlei Humor, keinerlei Schlagfertigkeit, er ist die Verkörperung des obrigkeitshörigen deutschen Spießers. Und er kann nicht einmal seine eigenen Werke gut vorlesen. Er spricht schlecht, verhaspelt sich ständig und ist um Worte verlegen. Und dann spricht er dieses breite Schwäbisch, sagt ebbes statt etwas oder Also, dess wär doch wirglich nedd nedig gwää.

Er kommt in den Berliner Kreisen nicht unbedingt an, es gibt da eine schöne kleine Anekdote in Therese Devrients Jugenderinnerungen. Da sitzt sie mit ihrem Ehemann (dem Sänger und Schauspieler Eduard Devrient) und Mendelsohn-Bartholdy in einer Gastwirtschaft 'Sagen Sie mir doch, Felix,' wandte sie sich nach rechts, 'wer ist der dumme Kerl hier neben mir?' Der Gefragte hielt sich einen Augenblick das Taschentuch vor den Mund, dann flüsterte er: 'Der dumme Kerl da neben Ihnen ist der berühmte Philosoph Hegel.' Der dumme Kerl ist ja noch ganz nett, Schopenhauer ist der Meinung, er habe eine Bierwirtsphysiognomie. Da gucken wir das Bild da unten doch gleich ganz anders an.

Doch der Mann, der in seiner Jugend, als er noch ein Freund von Hölderlin war, für die Sache der Revolution war, der Napoleon für die Verkörperung des Weltgeistes hielt, der wird jetzt zunehmend unsicher, ob er in seinen philosophischen Systemgebäuden die Welt wirklich richtig berechnet hat. Überall zeigen sich jetzt erste Tendenzen eines Liberalismus, das ist ja nun für Hegel das Schrecklichste auf der Welt. Pressefreiheit? Igitt. Im Jahre 1821 attackiert er seinen Kollegen Jakob Friedrich Fries, der wegen seiner liberalen Ansichten gerade zwangsemeritiert wurde. Als die Hallesche Zeitung schrieb, dass dies für einen großen Philosophen keine noble Haltung sei, beschwert er sich beim König über zu große Pressefreiheit. Er muss sich vom preußischen Kultusminister Carl vom Stein zum Altenstein (dem wir das humanistische Gymnasium und unser ganzes Schulsystem verdanken) belehren lassen, dass er sich  ja an die Gerichte wenden könne, wenn er sich diffamiert fühle.

Der Mann, der die ganze Welt und den Staat in seiner Philosophie definiert hat, versteht die einfachsten Dinge der richtigen Welt nicht. Den Preußen wird dieser Philosoph, der sich ständig bei der Obrigkeit einschleimt, langsam wirklich peinlich. Auf Veranlassung von Friedrich Wilhelm III wird Hegels Artikel Über die englische Reformbill in der Preußischen Staatszeitung nicht vollständig gedruckt. Der König möchte wegen der kleinen Giftnudel Hegel keinen Ärger mit England haben. Hegels bestgehasster Kollege Jakob Friedrich Fries hat für ihn den schönen Satz übrig gehabt:  Hegels metaphysischer Pilz ist ja nicht in den Gärten der Wissenschaft, sondern auf dem Misthaufen der Kriecherei gewachsen... Wissenschaftlicher Ernst wird gegen diesen Philosophen unter den Bütteln nicht die rechte Waffe sein.

Fries ist nicht einzige, der so redet, ich hätte da noch ein schönes Zitat: Hegel, ein platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan, der, mit beispielloser Frechheit, Aberwitz und Unsinn zusammenschmierte, welche von seinen feilen Anhängern als unsterbliche Weisheit ausposaunt und von Dummköpfen richtig dafür genommen wurden, ... hat den intellektuellen Verderb einer ganzen gelehrten Generation zur Folge gehabt. Das ist von Arthur Schopenhauer. Hatte vielleicht derjenige recht, der dem jungen Hegel sagte: O Hegel, Du saufscht Dir g ́wiß noch dai glois bißle Verstand vollends ab? Der Satz wird häufig Hölderlin zugeschrieben, aber er ist wahrscheinlich nicht von ihm. Aber vom Wein wird er sein ganzes Leben nicht lassen, dann wird er auch ganz gesellig.

Wenn Schopenhauer und Fries in der Beurteilung Hegels nicht ausreichen, dann kann ich noch Karl Popper zitieren, der in Die offene Gesellschaft und ihre Feinde den Leser davor warnt Hegels schwulstiges und mystifizierendes Kauderwelsch ernst zu nehmen. In seinem Buch zerlegt er Hegels Denken. Und Hegels Sprache, an einer Stelle schreibt er: Es erhebt sich die Frage, ob sich Hegel, durch seinen eigenen Jargon hypnotisiert, selbst hinters Licht geführt hat, oder ob er unverfroren genug war, andere zu verhexen oder hinters Licht zu führen. Ich bin überzeugt, dass letzteres zutrifft.

Ich habe noch eine kleine Anekdote, um mal etwas Nettes über Hegel zu sagen. Der große Denker hat gerade wieder einmal dem Punsch ein wenig zu sehr zugesprochen. Man ist bei einem Herrenabend im Jahre 1817 bei Heinrich Voss, Jean Paul ist der Ehrengast. Im Laufe der Unterhaltung fragt ein anwesender Pfarrer, ob der Herr Professor Hegel nicht eine Einführung in die Philosophie für junge Mädchen schreiben könne? Hegel lehnt das mit dem Hinweis ab, dass seine Sprache nicht leicht fasslich sei (was ja immerhin eine Selbsterkenntnis ist), woraufhin der Pfarrer vorschlägt, dass Jean Paul Hegels Gedanken in die richtige sprachliche Form bringen solle. Das Gelächter will jetzt kein Ende nehmen. Und das ist ja auch eine komische Vorstellung: Jean Paul als ghostwriter für Hegel. Man setzt diese Scherze noch ein wenig fort, bis Hegel ausruft, man müsse Jean Paul zum Doktor der Philosophie machen. Was er tatsächlich wenig später in die Praxis umsetzt. Die Doktorurkunde (die ich mir jetzt zu zitieren erspare) liest sich ein wenig, als sei sie noch in der gleichen weinseligen Nacht geschrieben.

Ich weiß bis heute nicht, weshalb Hegel bedeutend sein soll, ich bin ihm auch in meinem ganzen Studium der Philosophie aus dem Weg gegangen. Die Dozentin, die mich im Rigorosum prüfte, hätte es gerne gesehen, wenn ich ihre Hegel Vorlesung besucht hätte. Aber mir reichte das katastrophale Schelling Seminar, das ich bei ihr besucht hatte. Ich hatte ihr als Prüfungsthemen Schopenhauer oder Kierkegaard angeboten, sie sagte mir, das seien keine Philosophen. Es käme mir niemals in den Sinn, über Schopenhauer oder Kierkegaard ebenso bösartig zu schreiben, wie ich über Hegel schreibe.

Nun mag man sagen, dass alle vorgebrachte Kritik ein argumentum ad hominem ist, und das nichts davon sein System des Denkens berührt. Die Unfähigkeit, sich sprachlich klar verständlich auszudrücken, nehmen wir jetzt mal aus. Das können Philosophen nun mal nicht, schwäbische ganz besonders nicht. Außer sie geben sich volkstümlich: Es ist viel Lobendes gesagt worden, und der Maßstab, nach dem gemessen wurde, hat sein eigenes Recht, aber derjenige, den es angeht, hat noch einen anderen Maßstab, den ich mit einem schwäbischen Spruch kurz formulieren kann: Wenn i wär wia i sein sott. Das ist nun nicht von Hegel, das ist von Heidegger. Dessen Sprache hat Robert Minder einer Analyse unterzogen, und das Ergebnis ist vernichtend. Vielleicht sollte man das auch mal mit Hegel machen, denn die Sprache ist gleichsam der Leib des Denkens oder mit Buffons Worten le style c'est l'homme.

Hegel hat ein System, und von Philosophen, die ein System haben, sind wir Deutschen immer schwer begeistert. Wenn wir es nicht verstehen, macht es nichts, dafür sind Philosophen ja da, dass sie nicht verstanden werden. Es ist schön, dass es Schaubilder wie dieses gibt. Hier wird die Enstehung des Gin Tonic dialektisch erklärt, und sicher hat diese Zeichnung etwas mit Magrittes Bild Hegels Ferien da oben zu tun. Manchmal ist es gefährlich, gehässige Dinge über Philosophen zu sagen. Sie können ja irgendwo Fans haben. Der größte Hegel Fan im Internet heißt Kai und hat eine Hegelwerkstatt, und auf seiner neuen Seite finden Sie Literatur zu Hegel bis zum Abwinken. Hoffentlich liest er dies hier nicht.

Ich bin mal vor Jahren von einer Frau zu einer Party mitgeschleppt worden, wo ich niemanden kannte, und wo ich kurz vor Mitternacht, als sich in der Küche eine kleine philosophische Diskussion entspann (wie das auf Parties ja meistens um Mitternacht in der Küche passiert), einen lebenden deutschen Philosophen verbal beleidigte. Würde ich jederzeit wieder tun. Unglücklicherweise stellte sich jetzt heraus, dass sich der mir bis dahin unbekannte Gastgeber als jemand vorstellte, der sich gerade bei dem Objekt meiner Beleidigungen habilitiert hatte. Und zwei seiner Freunde, die auch in der Küche waren, hielten Hermann Schmitz auch für den größten deutschen Philosophen, nicht für den größten deutschen Spinner. Die ausgelassene Partystimmung bekam sehr gereizte Untertöne. Mich rettete Ingomar von Kieseritzky, den ich nonchalant in die Diskussion einbrachte. Die Stimmung schlug augenblicklich um. Und als ich dann noch hinzufügte, dass ich von Kieseritzkys Buch Die ungeheuerliche Ohrfeige ein vom Autor signiertes und mir gewidmetes Exemplar besaß, war alles vergeben und vergessen. Da hätte ich noch viel schlimmere Dinge über Schmitz sagen können.

Flohkunde + Stoizismus - braucht man mehr? (unbekannter Kyniker). Gern zitiert von I. Kieseritzky steht in meinem Exemplar von Die ungeheuerliche Ohrfeige oder Szenen aus der Geschichte der Vernunft. Flohkunde wäre sicherlich für die Helden dieses Romans, die mit einem Schwein namens Sophia von einem Philosophen zum anderen durch das antike Griechenland wandern. Auf der Suche nach einer Philosophie zur Verbesserung der Menschheit. Das Originellste, was ihnen einfällt, ist eine aus dem Himmel verabfolgte ganz ungeheuerliche Ohrfeige, die denjenigen abwatscht, der völligen Unsinn redet. Unsere drei Philosophen stellen schon Listen auf, wen es treffen soll. Wir als Leser bei der Lektüre des Romans auch. Wäre das nicht schön, all diese Politiker, die man nicht leiden kann, reden zu hören, und dann kommt plötzlich aus dem Himmel diese ungeheure Ohrfeige?

Wo bleibt das Positive? Vor zehn Jahren stand hier: Zuerst wollte ich das hier mit einem Gedicht aus Karl Krolows Herbstsonett mit Hegel beenden. Aber angesichts dieses Wetters geht das nicht, wir reden sonst den Herbst herbei und dabei haben wir doch noch Sommer. Auch wenn die Konfektionsgeschäfte schon überall die dicken Tweedjacken in die Fenster geräumt haben. Doch das Wetter hat sich geändert, der schöne Sommer scheint vorbei, draußen sind Regen und Sturm. Und da das Herbstsonett mit Hegel im Internet kaum zu finden ist, stelle ich es heute hier einmal ein:

Den Staub des Sommers unter den Fingernägeln, 
den Dieselgeruch noch immer im faulenden Laub 
Verschiedene Beeren leuchten, geschaffen zum Raub 
durch Amseln und Winde, die über Baumkronen segeln. 

Der Herbst ist anders. Er nennt seine Regeln 
und bläst in die Blätter und Blusen den eigenen Staub. 
Er brennt in den Gärten. Du frierst schon im Rücken. Glaub 
mir, der ist Dialektiker. Wie weiland bei Hegeln 

geht es zu mit der Geschichte beliebiger Jahre, 
mal so und mal so. Der greift getrost in die Haare 
mit Sturm und macht die Geschichte kaputt. 

Der ist nicht zu ändern, der kommt mit den Regenschauern. 
Da hilft nichts. Da gibt es nichts zu bedauern. 
Die Furie des Verschwindens landet schließlich im Schutt. 

Und ganz zum Schluss habe ich noch etwas Nettes zu Hegel. Es ist ein gelber Reclam Band mit dem Titel Die Philosophenwelt in Versen vorgestellt, selbst gedichtet von dem deutschen Philosophen Lutz Geldsetzer. Das ist nun wirklich einmal eine witzige Einführung in die Philosophie. Ich zitiere daraus mal den Anfang von Strophe 50:

Als Schelling längst in Jena las,
er seines Freundes nicht vergaß,
des Georg Friedrich Wilhelm Hegel,
der - etwas älter - nicht so kregel.
Sie kannten sich seit vielen Jahren
da sie Kommilitonen waren
- was auch den Hölderlin betrifft -
an Tübingens berühmtem Stift.
In Jena sah man diese beiden
so manches Schriftwerk nun verbreiten,
von dem noch heute nicht ganz klar,
was jeweils wohl ihr Anteil war.
Doch hat dann Hegel in der Nacht
der Jena-Auerstedtschen Schlacht
noch letzte Hand ans Werk gelegt,
das späterhin die Welt bewegt:
'Phänomenologie des Geistes,
System der Wissenschaft' - so heißt es.
Da wird der Geist nun absolut,
die ganze Welt ist, was er tut,
und tritt hervor in die Erscheinung
durch seine Kräfte zur Verseinung.
Zunächst ist er nur selber da
- an sich -, eh' irgend was geschah....

Und so geht es weiter. Eine Philosophiegeschichte von der Antike bis zur Gegenwart in einhundert Strophen, das hätte Hegel nicht gekonnt. Strophe 100 wendet sich zwar erst einmal gegen die neuerdings ins Kraut schießenden philosophischen Theorien, aber ich glaube, man kann das auch als Test für jede Philosophie gebrauchen.

Willst du die Wahrheit nur erfühlen,
versuch den Test des Ridikülen,
denn wie schon Shaftesbury empfahl,
gilt von der Wahrheit allemal,
daß sie in dem hat ihren Sitz,
was standhält einem guten Witz!
Treibst du geduldig dieses Spiel,
so sei gewiß, es bleibt nicht viel
von dem, was da in ernsten Worten
ertönet heute allerorten.
Leicht trennt sich da die Spreu vom Weizen,
der uns alleine kann noch reizen,
die Körnchen aber halt' in Ehren,
denn wahre Einsicht sie gewähren.

Mittwoch, 26. August 2020

Pressefreiheit


Der Nürnberger Buchhändler Johann Philipp Palm ist am 26. August 1806 in Braunau am Inn (of all places) von einem französischen Peloton auf Befehl Napoleons erschossen worden. Man hat ihn einen Märtyrer der Pressefreiheit genannt. Das von ihm verbreitete Pamphlet Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung (Volltext bei Google Books) hatte Napoleon nicht gefallen.

Er hatte an den Marschall Berthier (der hier schon einen Post hat) geschrieben: Cher cousin, ich denke, dass Sie die Buchhändler von Augsburg und Nürnberg haben verhaften lassen. Es ist mein Wille, dass sie vor ein Kriegsgericht gezogen und in 24 Stunden erschossen werden. Es ist kein gewöhnliches Verbrechen, wenn man in den Orten, wo sich die französischen Armeen befinden, Schmähschriften verbreitet, um die Einwohner gegen sie aufzureizen; es ist Hochverrath... Das Urtheil soll aussprechen, dass, da es die Pflicht des Chefs einer Armee ist, überall, wo sich eine solche befindet, über ihre Sicherheit zu wachen, die Personen so und so, welche des Versuchs überwiesen sind, die Einwohner von Schwaben zur Empörung gegen die französische Armee zu reizen, zum Tod verurtheilt sind. In diesem Sinn soll das Urtheil abgefaßt werden. Sie werden das Urteil in ganz Deutschland verbreiten lassen. Napoleon.

In Frankreich gibt es eine Pressefreiheit, das steht im Artikel 11 der Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen: La libre communication des pensées et des opinions est un des droits les plus précieux de l'Homme : tout Citoyen peut donc parler, écrire, imprimer librement, sauf à répondre de l'abus de cette liberté dans les cas déterminés par la Loi. Aber das kümmert Napoleon nicht.

Johann Philipp Palm hat nie verraten, wer die Autoren des politischen Pamphlets waren. Der Schriftsteller und preußische Beamte Friedrich von Cölln, der ebenso freimütige Meinungen hat wie der unbekannte Autor des Pamphlets, schrieb nach dem Tode von Palm: Wer aber unter den Reichen in Deutschland noch Gefühl für deutsche Redlichkeit und Biedersinn hat, wird gern einen Beitrag für die Hinterlassenen geben, die der Hingerichtete seiner Rechtschaffenheit opferte. Der Aufruf interessiert den Jenaer Professor Georg Wilhelm Friedrich Hegel nicht, Napoleons Akt rechtloser Willkür interessiert ihn auch nicht.

Denn die großen Ereignisse des Jahres 1806 sind für ihn, dass er gerade seine Phänomenologie des Geistes vollendet hat. Und dass er Napoleon gesehen hat: Den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognizieren hinausreiten; – es ist in der Tat eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht. Der Kriegsrat Friedrich von Cölln reitet nach der Schlacht von Jena zu seinem König, um ihm einen Plan zur Verteidigung Preußens zu unterbreiten. Zwei Deutsche, zwei Positionen. Der eine ist glücklich, dass er die Weltseele auf einem Pferde sitzend gesehen hat, der andere will Preußen retten. Ich erwähne Hegel nur, weil er morgen seinen 250. Geburtstag hat. Dazu gibt es dann hier einen ausführlichen Post. Ich schreibe noch dran.

Lesen Sie zur Pressefreiheit auch: Water-American, John Hill, one-day-wonder

Sonntag, 23. August 2020

Fifty Shades of Grey


Ich war gerade zum Leutnant ernannt worden und fuhr zum ersten Mal mit der neuen Unifom nach Hause. Natürlich Erster Klasse, weil man als Leutnant eben Erster Klasse fährt. Ich kam auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause an meiner Stammkneipe vorbei und dachte mir, ich könnte da mal eben hineinschauen. Ich war da lange nicht gewesen. Ich setzte mich an die Theke, und der Wirt, der früher mal bei Werder Bremen gespielt hatte, schob mir einen Whisky rüber und sagte: Jay, der geht aufs Haus, und danach gehst Du nach Hause und ziehst Dich um. Die Sache mit dem Bürger in Uniform war für viele noch keine Selbstverständlichkeit. Ich habe im Zivilleben nie wieder Uniform getragen. Als ich Jahre später zum Kreiswehrersatzamt Bremen musste, um mir meine Ernennung zum Oberleutnant abzuholen, hätte ich meine Uniform tragen dürfen. Das stand in dem Brief, eine Erster Klasse Fahrkarte lag auch bei. Ich habe einen Anzug angezogen und meinen gelben Lamamantel, der schon hier erwähnt wird. Die Zeit der Uniformen war für mich vorbei.

Vor Jahren traf ich bei einem Herrenabend bei Hans Fander einen pensionierten Oberst, mit dem ich ins Gespräch kam, weil wir beiden die einzigen in der Runde waren, die alle deutschen Truppenübungsplätze kannten. Als er hörte, dass ich aus Vegesack sei, erzählte mir, dass seine militärische Karriere in der Kaserne von Grohn begonnen hatte (wo im Zweiten Weltkrieg Helmut Schmidt stationiert war). Da hätten ihn mal nachts auf dem Heimweg zur Kaserne am Vegesacker Hafen zwei große kräftige sailors in die Mitte genommen, ihn hochgehoben und durchschüttelt. Und gesagt: Ihr seid die teuersten Arbeitslosen der Bundesrepublik. Nicht jeder in Deutschland mochte die Soldaten, die jetzt Bürger in Uniform sein sollten. Hätte er keine dieser Uniformen getragen (dies hier auf dem Photo sind die ersten Soldaten in Grohn gewesen), wäre er nicht durchgeschüttelt worden; aber die Bundeswehr forcierte es, dass ihre Soldaten außerhalb der Kaserne Uniform trugen. Der Soldat in Uniform muß sich bewußt sein, daß er die Bundeswehr in der Öffentlichkeit sichtbar nach außen vertritt und daß seine Haltung, sein Auftreten und sein äußeres Erscheinungsbild das Ansehen der Bundeswehr mit prägen, steht in einer alten Bekleidungsvorschrift.

Eigentlich war es eine schöne Uniform, die ich hier trage. Es war meine eigene, ich hatte sie selbst bezahlt. Bekam allerdings von der Bundeswehr einen Bekleidungszuschuß von 420 Mark und dazu 40 Mark Abnutzungsentschädigung. Ein Vierteljahr vor der Beförderung zum Leutnant waren die Schneider von der Kleiderkasse der Bundeswehr bei uns gewesen und hatten unsere Maße genommen. Es gab eine Farbpalette von Grautönen, die ganz, ganz hellgrauen Uniformen, die schon silbern wirkten, durften wir nicht nehmen. Das mochte unser Kommandeur nicht. Die Schneider von der KKBw wussten genau, wie hellgrau die Jacke des Kommandeurs war. Dass eine Jacke heeresgrau zu sein hatte, war ein dehnbarer Begriff.

Es ist erstaunlich wie groß die Palette von Grautönen sein kann. Die Bundeswehr stattete ihre Soldaten mit Uniformen aus, die farblich so aussahen wie die, die der Offizier ganz rechts trägt. Ich wollte so etwas haben, wie der Herr links neben ihm (das Photo habe ich schon in dem Post Generalskrise verwendet). Wenn man schon diese häßlichen Uniformen tragen musste, dann sollte das wenigstens ein klein wenig gut aussehen. Dass die Uniformjacken heller als die Hosen waren, war eine realitv neue Entwicklung. In den ersten Tagen der Bundeswehr hatten beide Teile der Uniform dieselbe Farbe gehabt, ein dunkles Schiefergrau.

Manche Offiziere bewahrten in ihrer Kleidung dieses ganz dunkle Grau. Ich habe in dem Post über das Bremer Café Stecker einen Offizier erwähnt, der mir durch die dunkle Farbe seines Jacketts auffiel. Und ich habe später an der Heeresoffizierschule noch einen anderen getroffen, der auch solch eine Jacke trug. Mein Hörsaaloffizier war ein Oberleutnant Graf X (den Namen kann ich nicht nennen, ich kriege sonst Ärger mit seiner Familie), er war ziemlich doof. Deshalb stellte man ihm nach vier Wochen einen zweiten Oberleutnant für die Dauer des Kurses zur Seite, einen gebildeten, höflichen Mann. Und der trug wieder so eine dunkle Jacke.

Die Farben der Heeresuniformen haben immer wieder die Generalität beschäftigt. Dies Photo ist neuer als das Photo oben mit dem Verteidigungsminister von Hassel, und was sehen wir? Alle Uniformen haben verschiedene Grautöne. 1980 schrieb der Generalinspekteur des Heeres: Im Heer werden von Selbst- und Teilselbsteinkleidern Dienstanzugjacken/Skiblusen in unterschiedlichen Grautönen getragen. Bei Anlässen, zu denen Truppenteile in geschlossener Formation im Dienstanzug antreten, fällt dieses unterschiedliche Erscheinungsbild negativ auf. Es muss sichergestellt werden, daß bei geschlossenem Antreten ein einheitliches äußeres Erscheinungsbild gewährleistet ist.

Der Befehl hat sich offensichtlich nicht durchgesetzt. Die neueste Anordnung heißt: Ab 01. Januar 2019 ist nur noch die Dienstjacke, basaltgrau (RAL 7012) zu tragen. Auf dieser hübschen Zeichnung sehen wir oben rechts den Farbton RAL 7012. Das ist die Standardfarbe von blechernen Garagentoren. Meine hübsche hellgraue Uniform dürfte ich heute nicht mehr tragen. Will ich auch nicht.

Dieser Herr hätte seine hellgraue Uniform 1991 nach der Anweisung Einheitliche Tuchfarbe für die Uniform des Heeres aus dem Jahre 1980 auch nicht tragen dürfen, als er seinen vierten goldenen Generalsstern bekam und Generalinspekteur der Bundeswehr wurde. Vom Oberst bis zum General hatte er zehn Jahre gebraucht, aber dann ging alles ganz schnell: vom Brigadegeneral (1 goldener Stern) bis zum General (vier Sterne) in fünf Jahren. Da muss man schon gute Freunde in der Politik haben, sonst geht das nicht. In der Geschichte der Bundeswehr hatte es das noch nie gegeben, in anderen Armeen wohl auch nicht. Er hat auch die meisten Orden bekommen, die man irgendwo kriegen kann. Ich habe da oben nur mein Sportabzeichen an der Brust, das war nur fürs Photo, normalerweise hatte ich das in der Jackentasche. Ich hatte für die Ordensspange noch das Abzeichen der DLRG, aber ich weiß nicht, wo das geblieben ist.

Das hier ist ein seltenes Bild, alle Jacken der Soldaten haben dasselbe Grau. Gibt es aber nur beim Wachbataillon. Die werden sich aber auch umstellen müssen, denn RAL 7012 ist das nicht. Was das wieder kosten wird. Der CDU Verteidigungsexperte Henning Otte hat im letzten Jahr gesagt, dass die Bundeswehr eine neue moderne Ausgehuniform brauche, die schick und schneidig sein soll. So etwas wünschten sich Soldaten seit Gründung der Bundeswehr. Meine Uniform war schick und schneidig, aber ich habe sie mir ausgesucht, wie ich sie haben wollte. Weil ich mit dem neuen Dienstgrad Selbsteinkleider war.

Die Kleiderkasse der Bundeswehr in Koblenz, die einst geschaffen wurde, um Selbsteinkleider mit vorschriftsmäßiger Dienstbekleidung zu angemessenen Preisen und unter günstigen Zahlungsbedingungen zu versorgen, wurde privatisiert. Und marschierte in die Insolvenz. Der Bund musste sie zurückkaufen, das kostete beinahe 100 Millionen Euro. Die Firma heißt jetzt Bw Bekleidungsmanagement. Alles, was die Bundeswehr unternimmt, beginnend vom HS-30 Skandal bis zur Gorch Fock, endet in einem finanziellen Fiasko. Welches Grau die Uniformjacken aus dem schidderigen Tuch haben sollen, sind eigentlich die kleinsten Sorgen.

Das Bundesministerium der Verteidigung hat eine schöne Seite für die Uniformen im Internet. Dort kann man lesen: Die Kleidung des Soldaten ist also auch immer ein Ausdruck von beste­henden Gesellschaftsformen und deren Normen. Sie spiegelt nicht nur die Garderobe einer Epoche wider, sie gibt auch Hinweise auf den Stellenwert des Soldaten, auf seine Bedeutung im Staat bzw. in der Gesellschaft. Man erkennt an den Uniformen die Überbetonung des Status der Armee in bestimmten Zeiten, aber auch eine geringere Wert­schätzung in anderen Dekaden. Der Autor dieser Zeilen ist ein Mann, der das Buch Von der Affenjacke zum Tropentarnanzug: Die Geschichte der Bundeswehr im Spiegel ihrer Uniformen und Abzeichen geschrieben hat. Ob die Blondine mit dem Helm wirklich eine Soldatin ist, weiß ich nicht.

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Donnerstag, 20. August 2020

Peter Freese ✝


Im letzten Jahr war er achtzig geworden und hatte zum Geburtstag eine Festschrift bekommen. Das war nicht die erste, die er erhielt. Ehrendoktortitel hatte er auch schon genug bekommen. Die Festschrift im letzten Jahr sollte anders werden als die von 1999, 2005 und 2009. Die Beiträger, die der Jubilar selbst ausgesucht hatte, konnten Gedichte schreiben oder Cartoons zeichnen, das war ungewöhnlich. The Freese Florilegium hieß das Werk, ein Buch von Freunden, das eher einer akademischen Bierzeitung ähnelte als einer langweiligen wissenschaftlichen Festschrift. Hier hält Peter Freese das Florilegium gerade in der Hand, der Herausgeber Christoph Ehland steht neben ihm. Peter Freese war sehr glücklich über dies außergewöhnliche Geburtstagsgeschenk, und er bedankte sich bei mir, dass auch ich einen kleinen Beitrag zu dem Werk beigesteuert hatte.

Weihnachten hatte ich ihm die üblichen Weihnachtsgrüße geschickt, aber ich bekam keine Antwort. Ich hörte von Freunden, dass er sehr schwer erkrankt sei, an dieser Krankheit ist er nun vor einer Woche im Alter von einundachtzig Jahren gestorben. Das im Hintergrund sind nicht seine eigenen Bücher, für das Photo steht er vor einer Regalwand in einer Bibliothek. Ich wusste, wieviele Bücher er selbst besaß, weil ich ihm mal mit Freunden einen Umzug gemacht habe. Bücher zu schleppen ist schwer, ich hatte mir damals gewünscht, er hätte weniger Bücher.

Die Bücher, die er geschrieben oder herausgegeben hat, füllen auch schon einige Regale. Er war schon Assistent, als wir anderen noch Hilfskräfte und Doktoranden waren. Wir Doktoranden schrieben auch. Wir waren Ghostwriter für den Ordinarius, bei dem Peter Freese promovierte und dessen Assistent er war. Wir schrieben für den Ordinarius, der so gerne ein Großordinarius sein wollte, Vorlesungen, Vorträge und Aufsätze. Wir verfassten Rezensionen und erste kleine Aufsätze unter eigenem Namen. Wir waren die Kriegsgeneration, die sich jetzt mit einer Publikationsflut (publish or perish) einen kleinen Platz an der Universität erkämpfte.

Peter Freese schrieb mehr als wir, er war auch der erste von uns, der seine Dissertation über J.D. Salingers Catcher in the Rye vollendete. Die gleich als Buch erschien (Die Initiationsreise: Studien zum jugendlichen Helden im modernen amerikanischen Roman) und ein Standardwerk wurde, das 1998 noch einmal nachgedruckt wurde. Auch wir hatten kleine Erfolge, die für die vielzitierten 15 Minuten Berühmtheit reichten, aber niemand von uns würde jemals soviel veröffentlichen wie er. Aber es war eine schöne Zeit des Aufbruchs in eine unbekannte Welt der Wissenschaft und eine Universität, die sich schnell veränderte.

Irgendwie fällt mir zu dieser Zeit ein Zitat von Charles Dickens aus seinem Roman A Tale of Two Cities ein, wo es heißt: It was the best of times, it was the worst of times, it was the age of wisdom, it was the age of foolishness, it was the epoch of belief, it was the epoch of incredulity, it was the season of Light, it was the season of Darkness, it was the spring of hope, it was the winter of despair, we had everything before us, we had nothing before us, we were all going direct to Heaven, we were all going direct the other way— in short, the period was so far like the present period, that some of its noisiest authorities insisted on its being received, for good or for evil, in the superlative degree of comparison only.

Kurz nach seiner Promotion wurde Freese der Nachfolger der Professorin Käte Lorenzen, die eine der verdienstvollsten Persönlichkeiten der Lehrerausbildung im Lande war; ihr Buch Englischunterricht war damals ein Standardwerk. Er verdankt ihr viel, das hat er nie vergessen. Sie hatte ihn noch eingearbeitet und ihn durch ganz Schleswig-Holstein zu jeder Lehrprobe mitgeschleppt, wie er mir erzählt hat. Er hat in dieser Zeit als junger Professor an der Pädagogischen Hochschule viel über die Schule gelernt; er hat es dann verstanden, Studenten nicht nur einen Stoff zu vermitteln, sondern ihnen etwas mitzugeben, das sie eines Tages als Lehrer wirklich gebrauchen konnten. Der Philosoph Odo Marquard hat einmal gesagt: Erstens, es wird für mich weiterhin wichtig bleiben, Wissenschaft nie nur für Wissenschaftler zu formulieren. Philosophen etwa, die nur für Philosophen philosophieren, und davon gibt es viele, handeln ebenso unsinnig wie Sockenhersteller es täten, die Socken nur für Sockenhersteller herstellten. Peter Freese schrieb nie nur für Wissenschaftler. Mehr als zwanzig seiner Bücher haben mit dem Englischunterricht zu tun. Und Studenten, Lehrer (und vielleicht auch Schüler) sind für diese Bücher dankbar gewesen.

Vor Jahren fragte er mich, ob ich es arrangieren könnte, dass er an der Universität, von der er seinen Doktortitel bekommen hatte, noch einmal einen Vortrag halten könnte. Ich war längst nicht mehr an der Uni, ich schrieb mittlerweile das Internet voll, aber ich konnte es arrangieren. Er trug, wie man es hier auf dem Photo sieht, das an jenem Tag gemacht wurde, einen Rollkragenpullover unter seinem Jackett. So kannte ich ihn seit fünfzig Jahren. Ich fand es cool, dass er seinem Stil treu geblieben war. Sein Vortrag war hervorragend. Ich hatte eigentlich auch nichts anderes von ihm erwartet. Er zog alle Register: Powerpoint, Musik und bewegte Bilder, ein Multimedia Spektakel.

In der Mitte des Vortrags brach der Computer zusammen, nichts ging mehr. Wie abhängig haben wir uns doch von der Technik gemacht! In dem allgemeinen Tohuwabohu ertönte plötzlich eine piepsige Mädchenstimme und sagte: Gehen Sie mit dem Cursor auf die Befehlsleiste oben links und klicken Sie auf xy, dann gehen Sie nach unten auf z und klicken Sie zweimal. Freese machte das, und die schöne neue Welt war wieder heil. Es gab riesigen Beifall. Und da dachte ich mir, dass all die digital natives um mich herum, die die ganze Zeit auf ihre Tablets starrten und auf ihren Smartphones wischten, mit dem Computer alles konnten. Aber eine Woche in der Bibliothek sitzen und Bücher lesen, das konnten sie nicht. Und ein Vortrag musste für sie die Form eines YouTube Videos haben. Aber Peter Freese konnte in dieser Welt mithalten, ich habe zu meinem Erstaunen gelesen, dass er in einem Aufsatz sogar einen Rapper wie Afroman mit seinem Song The American Dream zitierte.

Nach seinem Vortrag hatten wir einen Tag bei mir im Wohnzimmer, um alte Erinnerungen aufzufrischen. Wir hatten viel zu tratschen: Bücher, Verlage, Kollegen, das Leben. Man sieht vieles im Alter anders, nicht alles war schön, auch sein Leben war nicht ohne Enttäuschungen. Er konnte nicht aufhören zu schreiben, er plante gerade, ein Buch über T.C. Boyle zu schreiben. Ein Aufsatz über Boyle findet sich in dem Essayband America(n) Matters (2018), der ein Panorama der modernen amerikanischen Literatur bietet. Thomas Pynchon ist auch dabei, ich hätte mir gewünscht, er hätte mehr über den geschrieben.

Sein letztes großes Buch (und mit einem großen Buch meine ich ein Buch, das 769 Seiten hat) hieß The Clown of Armageddon: The Novels of Kurt Vonnegut. Über den hatte er schon dreißig Jahre zuvor geschrieben, aber Vonnegut ließ ihn nicht los. Man kann das verstehen bei einem Autor, der solche Sätze schreibt wie: The two little girls and I crossed the Delaware River where George Washington had crossed it, the next morning. We went to the New York World's Fair, saw what the past had been like, according to the Ford Motor Car Company and Walt Disney, saw what the future would be like, according to General Motors. And I asked myself about the present: how wide it was, how deep it was, how much was mine to keep.

Ich bleibe noch mal eben bei Kurt Vonnegut, der hat nämlich am 16. Mai 2005 im New Yorker ein kleines Gedicht veröffentlicht, das Joe Heller heißt:

True story, Word of Honor:
Joseph Heller, an important and funny writer
now dead,
and I were at a party given by a billionaire
on Shelter Island.
I said, “Joe, how does it make you feel
to know that our host only yesterday
may have made more money
than your novel ‘Catch-22’
has earned in its entire history?”
And Joe said, “I’ve got something he can never have.”
And I said, “What on earth could that be, Joe?”
And Joe said, “The knowledge that I’ve got enough.”
Not bad! Rest in peace!

Ein Leben für die Amerikanistik titelte die Neue Westfälische nach Peter Freeses Tod, und das ist es gewesen. Es war nicht nur ein Leben für das Universitätsfach Amerikanistik, es war auch ein Leben für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Es wurde zu Recht geehrt: 1981 wurde er Ehrenbürger von Tennessee, 1983 wurde er Kentucky Colonel, 1999 überreichte ihm Senator Daniel Patrick Moynihan eine Flagge vom US-Capitol für seine outstanding contributions to German-American understanding. Die Deutsche Gesellschaft für Amerikastudien ernannte ihn zum Ehrenmitglied, und die Stadt Paderborn ehrte ihn durch den Eintrag in das Goldene Buch der Stadt. Auf dem Bild hier hat er gerade in Essen seinen dritten Ehrendoktortitel erhalten.

Peter Freese hätte mit dem Joseph Heller aus Vonneguts Gedicht sagen können, dass er the knowledge that I’ve got enough besäße. In The Freese Florilegium hatte einer seiner Freunde eine schöne Zitatensammlung zum Thema laziness und idleness zusammengetragen, um dem Jubilar anzudeuten, dass es ein Leben außerhalb der Universität gibt. Aber diesen Spagat zwischen laziness und industriousness, zwischen vita activa und vita contemplativa hat Peter Freese leider nicht so richtig hinbekommen.

Ich wollte, es wäre anders gewesen, und er hätte sich Montaignes Sätze zu eigen gemacht: Man muß sich so viel leichte Arbeit und Beschäftigung ausspüren, als nötig ist, um sich in Atem zu erhalten und sich vor der Unlust zu schützen, welche das andre Übermaß vom trägen, schläfrigen Müßiggang nach sich zieht. Es gibt trockne und heiklige Wissenschaften, die meistens nur Büchermacherwerk für Druckerpressen sind, die muß man denen überlassen, die im Dienste der Welt stehen. Ich, meinesteils, liebe nur die angenehmen, leichten Bücher, welche mich aufmuntern, oder solche, die mich trösten und mir Rat erteilen, wie ich es mit meinem Leben und mit meinem Tode halten soll. 'Tacitum silvas inter reptare salubres, curantem, quidquid dignum sapiente bonoque est'.

Sonntag, 16. August 2020

miles gloriosus


Hier steht er noch in großartiger Pose in der Mitte des Bildes und nimmt bei Saratoga die Kapitulation des englisches Generals Burgoyne entgegen. Eine ganze englische Armee muss sich ergeben, aber es sind andere als der General Horatio Gates gewesen, die diesen Sieg erfochten haben, Generäle wie Benedict ArnoldDaniel Morgan und Philip Schuyler. Doch Gates vermarktet sich als The hero of Saratoga, und wenn er auf diesem Bild von John Trumbull als die Szene beherrschender Sieger dargestellt wird, so passt das sehr gut zu dem Gesamtbild. Gates träumt davon, anstelle von Washington das Oberkommando der Armee zu erhalten.

Er hatte als englischer Berufsoffizier seine commission verkauft, weil er nie befördert wurde, war als Major ausgeschieden und hatte ich eine kleine Farm in Virginia gekauft. Als er von der Revolution hörte, ritt er nach Mount Vernon und bot Washington seine Dienste an. Aber nur, wenn er General würde. Er wird Brigadegeneral und Generaladjutant der Armee. Verwaltung und Organisation das kann er, das hat er schon in der englischen Armee gemacht. Eine Armee führen, das kann er nicht, er hat bisher bestenfalls eine Kompanie kommandiert. Horatio Gates, das sollte noch angemerkt werden, hat einen Kumpel namens James Wilkinson, der die größte Schande für die junge amerikanische Armee ist (lesen Sie mehr in dem Post Saratoga). Theodore Roosevelt hat über ihn gesagt: In all our history, there is no more despicable character. Er konnte Trump natürlich nicht kennen.

Heute vor zweihundertvierzig Jahren erlebt der Held von Saratoga sozusagen sein Waterloo, er verliert die Schlacht von Camden gegen den englischen General Cornwallis. Mit schrecklichen Verlusten. Um die Verluste kümmert er sich nicht, er flieht schon während der Schlacht vom Schlachtfeld. Reitet drei Tage, 180 Meilen lang, bis er in Hillsborough ist. But was there ever an instance of a general running away, as Gates has done, from his whole army? And was there ever so precipitate a flight? One hundred and eighty miles in three days and a half. It does admirable credit to the activity of a man at his time of life. But it disgraces the general and the soldier ...  for God's sake, send Greene, schreibt der junge Captain Alexander Hamilton. Gates verliert sein Kommando und wird nie wieder ein Heer kommandieren. In Roland Emmerichs Film The Patriot kommt die Schlacht von Camden auch vor, aber das lassen wir mal weg, das hat nichts mit historischer Wahrheit zu tun. Und Roland Emmerich Filme kommen in diesem Blog sowieso nicht vor. Ich habe aber, wenn Sie Bilder zu dem Ereignis haben wollen, hier ein kleines Video, das sich an die Fakten hält.

Aber die Amerikaner haben an diesem Tag einen Helden, den Generalmajor Baron de Kalb. Geboren wurde der als schlichter Johannes Kalb in Bayern, ging in die französische Armee, erhielt den Orden Mérite militaire und stieg bis zum stellvertrenden Generalquartiermeister der Armee des Oberrheins auf. Jean de Kalb geht mit dem Marquis de Lafayette 1777 nach Amerika, ist mit Washington in dem schlimmen Winter in Valley Forge und wird von ihm zum Generalmajor ernannt. Er hat die Schlacht von Camden nicht gewollt, doch er ist dem General Gates unterstellt, der gibt die Befehle. General de Kalb hält mit seinen Truppen seine Stellung, bis er tödlich verwundet wird.

Drei Tage nach der Schlacht schreibt Gates an den amerikanischen Kongress, er beginnt seinen Brief mit dem Satz In the deepest Distress and Anxiety of Mind, I am obliged to acquaint your Excellency with the Total Defeat of the Troops under my Command. An seinen Vorgesetzten George Washington schreibt er erst vierzehn Tage später, den Tod des Generals de Kalb erwähnt er in diesem Brief nicht. Gates beendet seinen Brief mit den Sätzen That your Excellency may meet with no such Difficulties—That your Road to Fame, and Fortune may be smooth and easy, is the sincere Wish of Sir Your Excellency’s most obedient humble Servant. Will  er sich noch bei Washington einschleimen? Er weiß, dass seine Karriere am Ende ist, der Wunsch von Alexander Hamilton for God's sake, send Greene wird wahr, General Nathanael Greene übernimmt den Posten von Horatio Gates. Ein Jahr später muss sich die englische Armee unter Lord Cornwallis bei Yorktown ergeben.

Horatio Gates, der miles gloriosus der amerikanischen Armee, ist natürlich nicht in der Mitte der Schlacht vom Schlachtfeld geflohen, nein, er wurde von den fliehenden Miliztruppen mitgerissen: I endeavoured, with General Caswall, to rally the militia at some distance, on an advantageous piece of ground, but the enemy’s cavalry continuing to harass their rear, they ran like a torrent, and bore all before them. Hoping yet, that a few miles in the rear they might recover from their panic, and again be brought into order, I continued my endeavour, but this likewise proved in vain. The militia having taken the woods in all directions, I concluded, with General Caswall [sic], to retire toward Charlotte.  Lange bevor Trumps Beraterin Kellyanne Conway den Begriff der alternative facts erfunden hat, macht Horatio Gates davon schon Gebrauch.


Lesen Sie noch mehr zu dem Freiheitskampf der Amerikaner in den Posts: SaratogaCowpens, Nathanael Greene und Banastre Tarleton

Samstag, 15. August 2020

Fernsehprogramm (kriminell)


Ein Drehbuchautor, der Drehbücher für den Tatort schreibt, fährt einen weißen englischen Sportwagen und verdient ungefähr 25.000 Euro an einem Tatort. Das weiß ich, weil ich mal einen kennengelernt habe. Mein Bruder hatte dem seinen weißen Triumph TR4 verkauft, ich habe mich einen Nachmittag lang nett mit dem Mann unterhalten. Er hatte schon die Drehbücher für zwei Sendungen geschrieben und arbeitete an einem dritten. Das Drehbuch ist die kleinste Summe der 1,6 Millionen Euro, die ein Tatort kostet. Professor Boerne und Kommissar Thiel in Münster bekommen 120.000 Euro pro Tatort, wollen aber das Doppelte haben. Noch mehr Geld bekommen die Intendanten: Tom Buhrow (WDR) 399.000 Euro, Ulrich Wilhelm (BR) 367.000 Euro und Lutz Marmor (NDR), den ich immer wieder in diesem Blog beleidigt habe, 348.000 Euro Jahresgehalt. Angela Merkel verdient nur dreitausend Euro mehr als Lutz Marmor.

Ich komme auf die Krimiserien zurück, weil ich das Gefühl habe, es gibt im Fernsehen zur Zeit nicht anderes mehr. Letztens konnte man drei Tatorte an einem Abend sehen. Und einen Wunsch-Tatort gibt es auch am Wochenende. War das immer schon so, oder ist es nur in diesem Sommer so schlimm? Ein Blick in die Programmzeitschriften des letzten Monats zeigt uns an Krimiserien folgendes:

The Killing (x-te Staffel), Die Toten vom Bodensee, Polizeiruf 110, Tatort, Soko München, Morden im Norden, Der Kroatien-Krimi, Ein Harz-Thriller, Nord Nord Mord, Wilsberg, Barnaby, Ein starkes Team, Soko Wien, Wallander, Rentnercops, Notruf Hafenkante, Die Chefin, Alarm für Cobra 11, Blind ermittelt, Agatha Raisin, Schnell ermittelt, München Mord, Kommissarin Heller, Der Kommissar und das Meer, Kommissarin Lucas, München 7, Kommissar Beck, Erzgebirgskrimi, Spreewaldkrimi, Eberhoferkrimi, Letzte Spur Berlin, Stralsund, Soko Wismar, Der Taunuskrimi, Die Toten von Salzburg, Der Zürich Krimi, Friesland, Nord bei Nordwest, Nachtschicht, Marie Brand, Hubert und Staller, Hubert ohne Staller, Kluftinger

Trägt man einen psychischen Schaden davon, wenn man das alles sieht? Oder wird man davon abhängig? ARD und ZDF haben viele dieser Sendungen in ihrer Mediathek, falls man mal was verpasst hat. Und dann gibt es auch noch eine Tatort .Tube. Und wenn Ihnen das alles noch nicht reicht, dann schreiben Sie sich Ihren Krimi doch selbst. Das ist ganz einfach, Sie brauchen nur eine minimale Handlung. Das kennen Sie schon, ist immer dasselbe. Und dann brauchen Sie eine Anzahl von Sätzen, die unbedingt nötig sind und in jeden Krimi gehören. Also solche Sätze wie:
  • Lebt er noch?
  • War die Spusi schon da?
  • Haben wir die DNA?
  • Die Kaffeemaschine ist schon wieder kaputt.
  • Das kann ich Ihnen sagen, wenn ich ihn auf dem Tisch habe.
  • Dafür kriegen wir nie einen Durchsuchungsbefehl.
  • Wo waren Sie gestern Abend?
  • Ich rede mal mit dem Staatsanwalt.
  • Das geben wir ans LKA ab.
  • Todeszeitpunkt?
  • Sie bleiben erstmal über Nacht hier.
  • Mach mal 'ne Halterabfrage.
  • Telephonüberwachung?
  • Das war 'ne Makarow.
  • Der kann's nicht gewesen sein.
  • Ist das Falschgeld?
  • Haben wir seine Fingerabdrücke?
  • Sind die Angehörigen benachrichtigt?
  • Das bleibt unter uns.
  • Kann meine Kollegin mal ihr Bad benutzen?
  • Schickt das mal alles zur KTU.
  • Funktioniert Ihre Videoüberwachung?
  • Wir stellen hier die Fragen.
  • Haben wir 'ne Handyortung?
  • Schlüsseldienst?
  • Ruft den Notarzt an!
  • Wo waren Sie gestern Abend?
  • Haben wir ein Photo?
  • Sie begleiten uns erstmal aufs Präsidium.
  • Gehen wir rein oder warten wir auf das SEK?
  • Haben wir einen Namen?
  • Selbstmord?
  • Den können wir auslassen, den kenne ich.
  • Das war ein Prepaid Handy.
  • Blaulicht?
  • Verdächtig ist der auf jeden Fall.
  • Wenn Ihnen noch was einfällt, rufen Sie uns an.
Hamburg hat im Fernsehen schon eine Soko. Kitzbühel, Köln. Leipzig, München, Potsdam, Stuttgart und Wismar auch. Wir nennen das Ganze mal Soko Platjenwerbe, das gibt es noch nicht. Wird bestimmt ein Renner, und macht Sie 25.000 Euro reicher.