Sonntag, 30. August 2020

russische Himmel


Der russische Maler Isaak Iljitsch Lewitan, der heute vor 160 Jahren geboren wurde, hatte dieses Bild 1894 an den Sammler Pawel Tretjakow geschickt. In einem Brief vom 18. Mai 1894 schrieb der Maler, dass er glücklich sei, dass das Bild heil in Moskau angekommen sei. Er sei in einer Art Ekstase, weil das Bild all das enthalte, was in seiner Seele sei. Ein riesiger Himmel, ein großer See, eine kleine Kapelle, ein kleiner Friedhof. Über der ewigen Ruhe heißt das Bild; dass es in dieser unendlichen Weite auch Spuren des Menschen gibt, darauf deutet nur das winzige Licht in einem Kirchenfenster hin. Kunstkritiker haben das Bild als ein Symbol der russischen Seele interpretiert, Lewitan sah es als seine Autobiographie.

Den Himmel malen, das können die russischen Realisten am Ende des 19. Jahrhunderts. Als sich Lewitan im September 1873 an der Moskauer Akademie immatrikuliert, ist der Maler Fjodor Wassiljew gerade gestorben. Über den hatte sein Malerkollege Nikolai Ge gesagt: Er hat den Himmel für uns entdeckt. Vielleicht hat er auch vom Nachthimmel statt vom Himmel gesprochen, denn den malt Wassiljew wie kein anderer. Sie können seine Bilder in dem Post Russen sehen. Wassiljew ist ein Stadtmaler, Lewitan will die russische Landschaft einfangen.

Kann denn etwas tragischer sein, als die unendliche Schönheit der Welt zu fühlen, das verborgene Geheimnis zu spüren und, im Bewusstsein seiner Ohnmacht, nicht imstande zu sein, diese großen Empfindungen auszudrücken? schreibt Lewitan 1887 an seinen Freund Anton Tschechow. Der gleichaltrige Tschechow hätte gerne dieses Bild von dem Dorf im Winter besessen: Oh, wenn ich nur Geld gehabt hätte, hätte ich Levitans 'Dorf' gekauft - Grautöne, elend, verloren, hässlich, aber mit einem unaussprechlichen Charme, dem man sich nicht entziehen kann: ich könnte es anschauen und anschauen... Aber er hatte nicht das Geld dafür. Tretjakow kauft alles von Lewitan, deshalb hat das Tretjakow Museum heute auch eine der größten Sammlungen des Malers, den man auch den Dichter der russischen Landschaft genannt hat. Aber Tschechow hat ein Bild von Lewitan besessen, der hatte ihm die erste Studie des Istra Flusses geschenkt, den er mehrfach gemalt hat.

Wo kann man Lewitan mit seinen Seelenlandschaften malerisch einordnen? Sein Zeitgenosse Alexandre Benois, Maler und Kunstschriftsteller, hat gesagt: Levitan was not a Barbizon painter, nor a Dutch artist and not an Impressionist. Levitan was a Russian artist, but his Russianness does not lie in him having painted Russian motifs out of some sort of patriotic principles but in the fact that he understood the obscure charm of Russian nature, its secret meaning. Er hat das natürlich auf Russisch gesagt, ich habe das Zitat aus einem Buch über den großen Maler Iwan Konstantinowitsch Aiwasowski, der hier schon erwähnt wird. Manche Kritiker haben auch, in Analogie zu der Malerei des amerikanischen Luminismus, von einem russischen Luminismus gesprochen.

In seinem Buch The Russian School of Painting (1916) schrieb Benois über Lewitan: He brought to a summation that which Vasiliev, Savrasov and Polenov had foretold. Levitan discovered the peculiar charm of Russian landscape 'moods'; he found a distinctive style to Russian landscape art which would have been distinguished illustrations to the poetry of Pushkin, Koltzov, Gogol, Turgenyev and Tyutchev. He rendered the inexplicable charm of our humble poverty, the shoreless breadth of our virginal expanses, the festal sadness of the Russian autumn, and the enigmatic call of the Russian spring. There are no human beings in his paintings, but they are permeated with a deep emotion which floods the human heart…

Lewitan hatte einen deutschen Bewunderer, nämlich Rainer Maria Rilke, der um die Jahrhundertwende seine russische Seele entdeckte: In diesem Augenblick, da ich Ihnen schreibe, gleicht die Landschaft ganz den Bildern von Lewitan; der breite Fluß glänzt silbergrau, die niedrigen Ufer sind von einem sanften Grün, hier und da liegen Dörfer; kleine Кirchen leuchten weiß... schreibt er während einer Wolgafahrt. Er hatte Bilder des Malers in einer Ausstellung gesehen, und er hatte Leonid Pasternak (der ihn auch gemalt hat) gefragt, ob der einen Besuch bei Lewitan arrangieren könnte. Doch dazu kam es nicht mehr, der schwer herzkranke Maler verstarb wenige Monate nach Rilkes Brief an Pasternak. Dieses Aquarell eines Sonneuntergangs am Wandrand ist eines seiner letzten Werke.

Ein grauer Himmel, eine eher trostlose Landschaft. Keine leuchtenden Farben, keine Menschen. Weshalb malt der Dichter der russischen Landschaft ein solches Bild? Die Antwort liegt im Bildtitel: Vladimirka. Das ist die Straße, die von Moskau nach Sibirien führt. Die Straße, die die Verurteilten und Verbannten gehen. Bei der systematischen Vertreibung der Juden aus Moskau mussten zigtausende russische Juden diese Straße nehmen, Lewitan hätte dabei sein können.

Isaak Lewitan soll tausend Bilder gemalt haben, etwa die Hälfte seines Werkes findet sich hier bei WikiArt. Die Bilder sind da, aber was ist aus der Landschaft geworden? Den Birkenhain auf diesem Bild von 1889 (das sich schon in dem Post Birken findet) gibt es nicht mehr. Er wurde 2012 der abgeholzt, weil der Ministerpräsident Medwedjew dort eine Villa bauen ließ. Und auch die kleine Kirche am Udomlja See, die wir auf dem Bild Über der ewigen Ruhe sehen, gibt es nicht mehr. Den See beherrschen heute die riesigen Kühltürme des Kernkraftwerk Kalinin.

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