Sonntag, 30. April 2023

Wenn milder Regen, den April uns schenkt


Whan that Aprille with his shoures soote,
The droghte of March hath perced to the roote,
And bathed every veyne in swich licóur
Of which vertú engendred is the flour;
Whan Zephirus eek with his swete breeth
Inspired hath in every holt and heeth
The tendre croppes, and the yonge sonne
Hath in the Ram his halfe cours y-ronne,
And smale foweles maken melodye,
That slepen al the nyght with open ye,
So priketh hem Natúre in hir corages,
Thanne longen folk to goon on pilgrimages,
And palmeres for to seken straunge strondes,
To ferne halwes, kowthe in sondry londes;
And specially, from every shires ende
Of Engelond, to Caunterbury they wende,
The hooly blisful martir for to seke, 

So fangen die Canterbury Tales von Geoffrey Chaucer an, das berühmteste Aprilgedicht der englischen Sprache. Das hier ist noch nicht das Englisch, das Sie kennen, das ist Mittelenglisch. Ich habe das schon in meinem ersten Jahr als Blogger in dem Post April zitiert. Und in dem Post Aprille with his shoures soote steht 2014 alles, was Sie über die Canterbury Tales wissen sollten. Ich habe zu der Textstelle des Anfangs eine deutsche Übersetzung für Sie:

Wenn vom Aprillenregen mild durchdrungen 
Der Staub des März recht gründlich ist bezwungen
Und so von Säften jede Ader schwillt,
Daß aus dem Boden Blum' an Blume quillt,
Wenn Zephyr dann mit seinem süßen Hauch
In Wald und Haide jeden zarten Strauch
Durchwehet; wenn der Strahl der jungen Sonnen
Zur Hälfte schon dem Widder ist entronnen,
Wenn lust'ge Melodie das Vöglein macht,
Das offnen Auges schläft die ganze Nacht 
– So stachelt die Natur es in der Brust –:
Dann treibt die Menschen auch die Wanderlust;
Wallfahrer ziehen hin zu fernem Strande
Zu Heiligen, berühmt in manchem Lande.
Besonders sieht man aus den Gauen allen
Von England sie nach Canterbury wallen
Dem segensreichen Märtyrer zum Dank,
Der sie errettet, als sie siech und krank.

Die Übersetzung ist von Wilhelm Hertzberg, einem Altphilologen, der die beiden letzten Jahrzehnte seines Lebens in der Hansestadt Bremen lebte, wo er 1866 Direktor des Alten Gymnasiums wurde. Obgleich er am liebsten über lateinische Klassiker schrieb und die übersetzte, konnte er es nicht lassen, aus dem Englischen zu übersetzen: Chaucer, Shakespeare und Tennyson. Er sitzt hier mit den Abiturienten des Jahres 1876 zusammen (der dritte von links), und einer seiner Schüler ist mit ihm beinahe schicksalhaft verbunden. Das ist in der ersten stehenden Reihe der dritte von rechts. Wilhelm Hertzberg hat ihm das Studium der Geschichte empfohlen, und dem Rat folgte der junge Mann auch. 

Und eines Tages, er hat schon einen Doktortitel und einen Posten, liest er in dem Buch Geschichte des römischen Kaiserreichs seines alten Klassen- und Lateinlehrers: Als ich im Jahr 1889 in Königsberg aus irgendeinem Anlaß in Hertzbergs Geschichte des römischen Kaiserreichs (Onckens Weltgeschichte in Einzeldarstellungen) die Seiten las, die von Gajus Caesar Caligula handeln, fielen mir sehr überraschende Parallelen zu Tagesereignissen und zu Beobachtungen an dem im Vorjahr zur Regierung gelangten jungen Kaiser Wilhelm auf. Er wird ein Buch darüber schreiben, das ihn schlagartig in ganz Deutschland berühmt macht: Caligula: Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn. Jeder Leser merkt, dass dies eine Satire ist, und dass das Buch nicht von Caligula handelt, sondern von Wilhelm II. Majestät ist von dem Werk gar nicht angetan, der Autor entgeht knapp dem Staatsanwalt (lesen Sie hier alles dazu), seine Karriere als Historiker ist zuende. Das berührt ihn nicht so sehr, er kommt aus einer sehr reichen Bremer Kaufmannsfamilie. Er wird noch einmal richtig berühmt werden, diesmal nicht durch eine Satire, sondern weil er den Friedensnobelpreis erhält. Er heißt Ludwig Quidde.

Ich habe noch eine andere Übersetzung der Canterbury Tales für Sie, die viel schöner ist als die von Wilhelm Hertzberg. Sie stammt von einem Mann mit einer ganz erstaunlichen Karriere, der in diesem Monat in dem Post Emsland schon einmal erwähnt wurde, nämlich dem hannöverschen Offizier Adolph von Düring:

Wenn milder Regen, den April uns schenkt,
Des Märzes Dürre bis zur Wurzel tränkt,
In alle Poren süßen Saft ergießt,
Durch dessen Wunderkraft die Blume sprießt;
Wenn, durch des Zephyrs süßen Hauch geweckt,
Sich Wald und Feld mit zartem Grün bedeckt;
Wenn in dem Widder halb den Lauf vollzogen,
Die junge Sonne hat am Himmelsbogen;
Wenn Melodieen kleine Vögel singen,
Die offnen Augs die ganze Nacht verbringen,
Weil sie Natur so übermüthig macht: –
Dann ist auf Wallfahrt Jedermann bedacht,
Und Pilger ziehn nach manchem fremden Strande
Zu fernen Heil'gen, die berühmt im Lande;
In England aber scheint von allen Enden
Nach Canterbury sich ihr Zug zu wenden,
Dem heil'gen Hülfespender aller Kranken,
Dem segensvollen Märtyrer zu danken.


Samstag, 29. April 2023

wasserdicht


Siebzig Mark, sagte der Händler. Fünfzig, sagte ich. Wir einigten uns auf sechzig. Das Objekt der Begierde war eine kleine rechteckige Armbanduhr mit einem schönen Curvex Stahlgehäuse. Der Name auf dem Zifferblatt war Wagner Select. Das Zifferblatt war braun mit einem schwarzen Rahmen, auf dem die grünlich-gelben Zahlen saßen. Man konnte die Uhrzeit kaum erkennen. Das Zifferblatt war wahrscheinlich nachgedunkelt, so etwas nennen Rolex Fans Tropical. Die Uhr sah genauso aus wie diese Omega, nur dass das Zifferblatt zweifarbig war. Und dass sie eine andere Krone hatte. Sie hatte eine sehr große Krone, ein Zeichen dafür, dass in der Krone wahrscheinlich eine Dichtung war und die Krone auf einer geteilten Aufzugswelle saß. Das machte man bei Uhren, die wasserdicht sein sollten, sehr gerne. Und das sollte diese Uhr auch wohl einmal gewesen sein, die Qualität des Stahlgehäuses sprach dafür. Rechteckige Uhren mit einem Edelstahlgehäuse findet man selten, die meisten sind aus billigem Blech wie die Junghans, die sich mein Vater in den dreißiger Jahren gekauft hatte.

Als ich die Uhr zuhause vorsichtig öffnete (die Uhr hatte wirklich eine geteilte Aufzugswelle), kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das Select auf dem Zifferblatt hatte schon seine Berechtigung. Dieses Formwerk hier ist ein Pforzheimer PUW 500, und da Ernst Wagner seit 1933 seine Uhren- und Gehäusefabrik in Pforzheim hat, wird er nicht lange bei anderen Herstellern gesucht haben. Andererseits sieht das Werk auch einem ETA 735, einem FHF 111 oder einem Durowe 10.5 F ähnlich, aber die Rechteckwerke der dreißiger Jahre ähneln sich mit Ausnahme des Raumnutzwerks alle. Dies hier abgebildete PUW Werk wurde in einer Arctos Elite verbaut, und es hat eine Qualität, die das Standardwerk nicht hat. Darauf achtete man bei Arctos in der Qualtätsstufe Elite. Ich habe eine Arctos Elite, die ein Uhrwerk von Kurtz besitzt: mehr geht nicht. 

Mein Werk in der Wagner Select kann gegenüber diesem vergoldeten Werk noch etwas draufsetzen. Es ist nicht vergoldet, aber es hat einen schönen Genfer Streifenschliff. Es hat alle Steine in Goldchatons, und es hat eine Incabloc Stoßsicherung der zweiten Generation (dieses vergoldete Werk nicht). Das heißt, das Werk muss nach 1938 gebaut worden sein. Es gibt damals sehr wenige Armbanduhren in Deutschland, die ein Werk dieser Qualität besitzen.

In der Mitte der 1930er Jahre ist für die Armbanduhr (mit Ausnahme der Automatikuhr) alles erfunden, was erfunden werden kann. Es gibt die Incabloc Stoßsicherung, und Reinhard Straumann erfindet die Nivarox Spirale (nicht variabel oxydfest) und die Glucydur Unruhen, alles das ist bis heute in den Armbanduhren. Die traditionelle Schweizer Uhrenindustrie hat damals übrigens die Erfindungen von Straumann abgelehnt, er war gezwungen, die Legierungen für Glucydurunruhen und Nivarox Spiralen in Deutschland herstellen zu lassen. Das ist eigentlich sehr komisch, zeigt aber einmal mehr die Wahrheit des Satzes wat de Buur nich kennt, dat fret he nich.

Das Edelstahlgehäuse meiner Uhr ist nicht von Ernst Wagner, es ist von Kollmar & Jourdan, da Wagner seine Gehäuseproduktion erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufbaut. Aber dann wird Wagner neben Rodi & Wienenberger (RoWi) und Kollmar & Jourdan der wichtigste Lieferant der DDR sein; er beliefert die VEB Uhren und Maschinenfabrik Ruhla für deren Präzisa Uhren und die VEB Glashütter Uhrenbetriebe (GUB) für die Kaliber GUB 28 und GUB 28.1 sowie für die gesamte Werkfamilie GUB 60 & GUB 62. Dies hier ist so ein Gehäuse, das W oben zeigt an, dass es von Wagner ist. Die eins im Dreieck unten bedeutet nicht, dass es sich hierbei um eine Güteuhr handelt, wie einem die Flohmarkthändler gerne versichern, sondern dass das Gehäuse von bester Qualität ist. Verbindungen nach Glashütte hatte Wagner schon seit der Firmengründung 1933 gehabt, da er in seine Uhren UROFA Werke und auch das Raumnutzwerk einbaute.

Von bester Stahlqualität ist auch das Edelstahlgehäuse meiner Wagner Select. Der Edelstahlboden wird mit vier Schrauben gegen das Gehäuse geschraubt. Das Werk wird im Gehäuse durch seitliche Federn gehalten, was eine zusätzliche Stoßsicherung bedeutet. Und dann ist das Werk noch rundherum von einer dicken Gummidichtung umgeben. Es ist schwieriger, eine rechteckige Uhr wasserdicht zu bekommen als eine runde Uhr. Aber der Zeitgeschmack verlangte in den dreißiger Jahren rechteckige Uhren. Und so sehen wir auf dieser Eterna Anzeige Menschen mit rechteckigen Uhren beim Wassersport. Aber zwischen einer Werbeanzeige und der Wirklichkeit liegen Welten. Ich habe auch eine rechteckige Eterna aus den dreißiger Jahren, aber ich würde sie nicht unter der Dusche tragen. Die Wagner Select auch nicht.

Hans Wilsdorf kaufte 1927 die erste Seite der Daily Mail, um zu feiern, dass die Sekretärin Mercedes Gleitze mit einer Rolex Oyster am Arm über den Kanal geschwommen ist. Die Geschichte ist, wie beinahe alle Rolex Geschichten, nur zur Hälfte wahr. Die Erstbesteiger des Mount Everest haben auch keine Rolex getragen, wie die Firma jahrelang behauptete. Tut sie jetzt kleinlaut nicht mehr. Der offizielle Ausrüster für die Expedition war die englische Firma Smiths. Mercedes Gleitze ist zwar schon einmal über den Ärmelkanal geschwommen, aber diesmal hat sie Englands Küste nicht ganz erreicht. Und sie hatte auch keine normale Rolex Oyster am Arm, die Uhr war mit dick Fett versehen in einer Kapsel, die sie am Hals trug. Solchermaßen präpariert hätte auch die zierliche Schmuckuhr meiner Oma den Ärmelkanal überstanden. Aber so ist das nun mal mit den selbstgestrickten Werbemythen, irgendwas von den Botschaft bleibt immer hängen.

Die ultimative rechteckige wasserdichte Uhr kam von der Firma Omega, die 1932 eingeführte Omega Marine hatte ein Doppelgehäuse und wurde wirklich von Tauchern verwendet. In Frankreich war die Firma von François Borgel der Pionier im Bau von wasserdichten Gehäusen. Von ihr hatte auch Rolex ein Patent für seine Oyster Modelle gekauft. In der Liga von Omega und Borel sind die Pforzheimer Produkte nicht, auch wenn Firmen ihre wasserdichten Modelle Neptun oder Delphin nennen. Aber es war ein netter Versuch. Und die Wagner Select geht nach achtzig Jahren immer noch gut. Zum Händewaschen lasse ich sie am Arm.

Ein Uhrengedicht habe ich heute auch. Es heißt schlicht Die Uhr und ist von Wilhelm Busch:

Fürwahr, ein feines Kunstwerk ist die Uhr!
Der Wilde zwar, nach dummer Väterweise,
Besitzt noch nicht ein solches Zeitgehäuse,
Denn was ihn drückt ist Mangel an Kultur.

Wir dahingegen, die schon mehr gescheit,
Sind längst beseelt vom Geist der Pünktlichkeit.
Unfehlbar sicher trifft die Exzellenz
Bei Hofe ein zur höchsten Audienz.

Der Herr Beamte, immer tatenfroh,
Erscheint auf die Minute im Büro.
Dem Reiseonkel, selbst in größter Hast,
Passiert es nie, daß er den Zug verpaßt.

Der Schüler, dem das Lernen ein Genuß,
Weiß ganz genau, wann er zur Stunde muß.
Und der Soldat erst recht ist prompt am Platz
Bei der Parade wie bei seinem Schatz.

Kurzum, präzis benimmt sich fast ein jeder.
Das macht allein die kleine stramme Feder,
Die innerlich das runde Ding bewegt,
Was man als Mensch von pünktlicher Dressur
Zu Nutz und Zier am warmen Busen trägt.
Sehr häufig zieht der Jüngling sie herfür
Und macht damit auch andern ein Pläsier.

Mittwoch, 26. April 2023

der windige Berg


Den höchsten Berg unserer Gegend, der nicht unverdienterweise der windige genannt wird, habe ich gestern bestiegen, lediglich aus Verlangen, die namhafte Höhe des Ortes kennenzulernen.
Jener Berg, weit und breit sichtbar, stund mir fast allzeit vor Augen, allmählich ward mein Verlangen ungestüm, und ich schritt zur Ausführung
, schreibt Petrarca am 27. April 1336. Und auf dem Gipfel des Berges liest Petrarca ganz zufällig in Augustinus' Confessiones just die Stelle: Da gehen die Menschen, die Höhe der Berge bewundern und die Fluten des Meeres, die Strömungen der Flüsse, des Ozeans Umkreis und der Gestirne Bahnen, und verlieren dabei sich selber. Das steht schon in dem Post Mont Ventoux, und Petrarcas Kletterei wird auch in dem Post Fietsen erwähnt. Deshalb heute genug von Petrarca. Es gibt andere Dichter, die den Berg erklommen haben. Zum Beispiel der provenzalische Dichter Frédéric Mistral. Der beschreibt in seiner Autobiographie im 17. Kapitel, wie er mit Freunden den Mont Ventoux besteigt. Der eine war der Dichter Théodore Aubanel, der andere der Maler Pierre Grivolas. Der hat auch dieses schöne Bild vom windigen Berg gemalt. Grivolas hatte an dem schönen Septembertag die kürzeste Anreise, da er in der Nähe des Berges wohnte. Mistral und Aubanel haben den Mont Ventoux in ihre Werke hineingeschrieben, das lassen wir mal weg.

Mistrals 1859 geschriebenes Hauptwerk Mirèio (Mireille) kann man bei Gutenberg DE lesen, es ist eine epische Dichtung in zwölf Gesängen. Ich begnüge mich heute mit einem ganz kurzen Gedicht:

Verglühen

Ein Funke, sehnsuchtsvoll, voll Schmerz,
Süß und geheim mein Herz durchglüht,
Glüht sehnsuchtsvoll auch durch dein Herz.
Sowie ein Schifflein wellenwärts
Im sanften Hauch der Liebe zieht,
Pocht ruhig, still des Menschen Herz.
Doch kommt für jegliches Gemüt
Ein Augenblick, wo stumm vor Schmerz,
Vor einem sel’gen Leid das Herz
Dem Weihrauchdufte gleich verglüht.

Dienstag, 25. April 2023

Harry Belafonte ✝

Fünfzig Jahre hat es gedauert, bis diese LP als CD erschienen ist. Seit dem Beginn des CD Zeitalters habe ich danach gesucht, man bekam beinahe alles von Harry Belafonte auf CD, aber nicht Belafonte Sings the Blues. Meine gute alte LP von RCA Victor mit dem Living Stereo Aufdruck hatte mit der Zeit etwas gelitten. Und jetzt kann man sie mit einem Klick kaufen. Das war Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre noch anders, da brauchte man viel Zeit und Geduld, um an Harry Belafonte Platten zu kommen. Aber die Suche nach einer Platte, von der man gehört hatte, wurde zu einer Gralssuche, zu einer âventiure durch Dutzende von kleinen und großen Plattenläden. Und wenn man das Objekt seiner Begierde endlich gefunden hatte, dann bedeutete es einem mehr, als heute auf das Feld Jetzt mit 1-Click kaufen bei Amazon zu gehen.

Als der Vater meiner damaligen Freundin beruflich in die USA flog (was 1960 noch ein großes Ereignis war), habe ich ihn gebeten, mir Belafontes Calypso (die erste LP, die mehr als eine Million mal verkauft wurde) mitzubringen. Hat er auch getan, aber er hat mich mit einem Gesicht angeguckt, das ganz klar sagte, dass ich nicht der richtige Typ für seine Tochter sei. Die LP Belafonte at Carnegie Hall hat mir Ekke aus New York geschickt, und dafür bin ich ihm ewig dankbar.

Auf der alten LP stehen unter dem Plattentitel Belafonte sings the Blues die Lieder, die Belafonte singt. Drei Titel von Ray Charles, einer (God Bless the Child) von Billie Holiday. Auf der neuen CD stehen da Namen, die RCA damals (selbst im Kleingedruckten) nicht erwähnenswert waren: Roy Eldridge, Don Fagerquist, Ben Webster, Plas Johnson, Hank Jones, Jimmy Rowles, Howard Roberts, Laurindo Almeida. Für RCA waren das damals nur gemietete Musiker für die Hintergrundmusik, für Jazzfans heute sind das klangvolle Namen. Als Belafonte berühmt war, hat er viele junge Musiker gefördert. Ich werde es natürlich nicht auslassen zu erwähnen, dass auf Midnight Special 1962 ein junger Mann namens Bob Dylan seinen ersten Auftritt hat.

Belafonte hat in Jazzclubs angefangen, bei seinem ersten öffentlichen Auftritt hatte er keinen geringeren als Charlie Parker an seiner Seite. Vielleicht hätte er, wie Johnny Hartman mit Coltrane an seiner Seite, dabei bleiben sollen. Eine Kombination von Belafonte und Charlie Parker hätte etwas werden können. Aber damals begann Folk Music eine neue Sache zu sein, und Belafonte importierte jetzt die Musik von Jamaica nach New York. Immerhin hatte er da einen Teil seiner Jugend verbracht. Er ist nicht der einzige, der das tut. Wenn man sich die CD London Is The Place For Me: Trinidadian Calypso In London, 1950-1956 von Lord Kitchener anhört (die auch ein hervorragendes Booklet besitzt), merkt man, dass auch London jetzt im Bann dieser Musik ist. Auf jeden Fall seit 1948 die MV Empire Windrush die ersten Einwanderer aus der Karibik nach London gebracht hatte. Weil der British Nationality Act von 1948 das jetzt erlaubte.

Belafonte ist seinen ganz eigenen Weg gegangen, der schon früh das einschloss, was man später Weltmusik genannt hat. Er ist im Lauf der Zeit kommerzieller geworden und hat auch schlimmen Kitsch gesungen. Wenn er süßlich Scarlet Ribbons singt, sträuben sich bei mir immer die Nackenhaare. Aber er hat das Lied schon ganz früh gesungen, wie man auf der Naxos CD Matilda, Matilda: Original Recording 1949-1954 hören kann.

Belafonte ist auch als kritischer Bürger der USA seinen eigenen Weg gegangen. Das letzte Kriegsjahr war er noch als Freiwilliger in der US Navy, die fünfziger Jahre finden ihn an der Seite von Martin Luther King. Für das Civil Rights Movement ist er sein Leben lang (auch finanziell) eingetreten, da ist Paul Robeson sein lebenslanges Vorbild gewesen. Er ist auch keinem politischen Streit aus dem Weg gegangen. Zum Beispiel als er den Verteidigungsminister Colin Powell attackierte: There is an old saying, in the days of slavery. There were those slaves who lived on the plantation, and there were those slaves who lived in the house. You got the privilege of living in the house if you served the master, do exactly the way the master intended to have you serve him. That gave you privilege. Colin Powell is committed to come into the house of the master, as long as he would serve the master, according to the master's purpose. And when Colin Powell dares to suggest something other than what the master wants to hear, he will be turned back out to pasture. And you don't hear much from those who live in the pasture.

Er stand auf den schwarzen Listen während der McCarthy Zeit, er wurde in Hotels nicht bedient, weil er farbig war. Aber er ist gradlinig, wie sein Vorbild Paul Robeson, seinen Weg gegangen. Wenn man die Interviews liest, die Günter Amendt Anfang der achtziger Jahre mit ihm geführt hat (Was mich bewegt: Gespräche mit Günter Amendt. Konkret Literatur Verlag 1982), kann man sehen, dass dieser Mann mehr ist als ein Entertainer. 1997 hat Belafonte in einer Rede vor den Veteranen der Abraham Lincoln Brigade über Paul Robeson gesagt:

Shortly before he died, I visited him in Philadelphia. He was living at his sister's. And I looked at this giant of a man who was, quite frail in body, but still strong in spirit. And through all that had engulfed him -- McCarthyism, the difficult times that he faced in this country because of his beliefs, because of his resistance to oppression -- I looked at him, and I said, 'Paul, I must know. Was all that you have gone through, really worth it? Considering the platform you had gained, and how easy life could have been for you, was it worth it?' And he said, `Harry, make no mistake: there is no aspect of what I have done that wasn't worth it. Although we may not have achieved all the victories we set for ourselves -- may not have achieved all the victories and all the goals we set for ourselves, beyond the victory itself, infinitely more important, was the journey.'

Vor einem halben Jahrhundert war es seine Stimme, waren es Platten wie CalypsoBelafonte Sings the Blues und Belafonte at Carnegie Hall, die mich faszinierten. Sie faszinieren mich heute noch. Aber noch mehr bewundere ich seinen Lebensweg. Harry Belafonte ist heute im Alter von sechsundneunzig Jahren gestorben. 

Harry Belafonte hat vier Wochen bevor Donald Trump gewählt wurde in der New York Times  den Artikel What Do We Have to Lose? Everything geschrieben, in dem er über den Dichter Langston Hughes sagte: When Hughes writes, in the first two lines of his poem, “Let America be America again/ Let it be the dream it used to be,” he acknowledges that America is primarily a dream, a hope, an aspiration, that may never be fully attainable, but that spurs us to be better, to be larger. He follows this with the repeated counterpoint, “America never was America to me,” and through the rest of this remarkable poem he alternates between the oppressed and the wronged of America, and the great dreams that they have for their country, that can never be extinguished.” Belafontes Artikel war eine Warnung vor Trump. Das Gedicht von Langston Hughes aus dem Jahre 1936 ist ein Gedicht, das zum Nachdenken anregt, es bedeutet heute noch immer etwas. Und deshalb steht es heute hier:

Let America be America again.
Let it be the dream it used to be.
Let it be the pioneer on the plain
Seeking a home where he himself is free.

(America never was America to me.)

Let America be the dream the dreamers dreamed—
Let it be that great strong land of love
Where never kings connive nor tyrants scheme
That any man be crushed by one above.

(It never was America to me.)

O, let my land be a land where Liberty
Is crowned with no false patriotic wreath,
But opportunity is real, and life is free,
Equality is in the air we breathe.

(There’s never been equality for me,
Nor freedom in this “homeland of the free.”)

Say, who are you that mumbles in the dark?
And who are you that draws your veil across the stars?

I am the poor white, fooled and pushed apart,
I am the Negro bearing slavery’s scars.
I am the red man driven from the land,
I am the immigrant clutching the hope I seek—
And finding only the same old stupid plan
Of dog eat dog, of mighty crush the weak.

I am the young man, full of strength and hope,
Tangled in that ancient endless chain
Of profit, power, gain, of grab the land!
Of grab the gold! Of grab the ways of satisfying need!
Of work the men! Of take the pay!
Of owning everything for one’s own greed!

I am the farmer, bondsman to the soil.
I am the worker sold to the machine.
I am the Negro, servant to you all.
I am the people, humble, hungry, mean—
Hungry yet today despite the dream.
Beaten yet today—O, Pioneers!
I am the man who never got ahead,
The poorest worker bartered through the years.

Yet I’m the one who dreamt our basic dream
In the Old World while still a serf of kings,
Who dreamt a dream so strong, so brave, so true,
That even yet its mighty daring sings
In every brick and stone, in every furrow turned
That’s made America the land it has become.
O, I’m the man who sailed those early seas
In search of what I meant to be my home—
For I’m the one who left dark Ireland’s shore,
And Poland’s plain, and England’s grassy lea,
And torn from Black Africa’s strand I came
To build a “homeland of the free.”

The free?

Who said the free? Not me?
Surely not me? The millions on relief today?
The millions shot down when we strike?
The millions who have nothing for our pay?
For all the dreams we’ve dreamed
And all the songs we’ve sung
And all the hopes we’ve held
And all the flags we’ve hung,
The millions who have nothing for our pay—
Except the dream that’s almost dead today.

O, let America be America again—
The land that never has been yet—
And yet must be—the land where every man is free.
The land that’s mine—the poor man’s, Indian’s, Negro’s, ME—
Who made America,
Whose sweat and blood, whose faith and pain,
Whose hand at the foundry, whose plow in the rain,
Must bring back our mighty dream again.

Sure, call me any ugly name you choose—
The steel of freedom does not stain.
From those who live like leeches on the people’s lives,
We must take back our land again,
America!

O, yes,
I say it plain,
America never was America to me,
And yet I swear this oath—
America will be!

Out of the rack and ruin of our gangster death,
The rape and rot of graft, and stealth, and lies,
We, the people, must redeem
The land, the mines, the plants, the rivers.
The mountains and the endless plain—
All, all the stretch of these great green states—
And make America again!

Sonntag, 23. April 2023

Narzissen


Der englische Dichter William Wordsworth ist am 23. April 1850 gestorben, sein Todestag ist vielleicht ein Anlass, einmal sein berühmtestes Gedicht hier einzustellen. Wordsworth war ja schon häufiger in diesem Blog, aber die Daffodils noch nicht:

I wandered lonely as a Cloud
That floats on high o'er Vales and Hills,
When all at once I saw a crowd,
A host of golden Daffodils;
Beside the Lake, beneath the trees,
Fluttering and dancing in the breeze.

Continuous as the stars that shine
And twinkle on the milky way,
They stretched in never-ending line
Along the margin of a bay:
Ten thousand saw I at a glance,
Tossing their heads in sprightly dance.

The waves beside them danced, but they
Out-did the sparkling waves in glee:—
A Poet could not but be gay
In such a jocund company:
I gazed—and gazed—but little thought
What wealth the shew to me had brought:

For oft when on my couch I lie
In vacant or in pensive mood,
They flash upon that inward eye
Which is the bliss of solitude,
And then my heart with pleasure fills,
And dances with the Daffodils.

Beobachtete Natur, vom romantischen Dichter eingefangen, das denken wir uns. John Constable ist jeden Tag in der Natur und fängt den Himmel und die Wolken ein, aber Wordsworth ist nicht Constable. Er ist eher derjenige, der auf seinem Sofa liegt und über das Vergangene nachdenkt. Und wenn er an das Erlebnis mit den Narzissen zurückdenkt, weil er etwas darüber schreiben will, dann nimmt er sich das Tagebuch seiner Schwester Dorothy: When we were in the woods beyond Gowbarrow park we saw a few daffodils close to the water-side. We fancied that the lake had floated the seeds ashore, and that the little colony had so sprung up. But as we went along there were more and yet more; and at last, under the boughs of the trees, we saw that there was a long belt of them along the shore, about the breadth of a country turnpike road. I never saw daffodils so beautiful. They grew among the mossy stones about and about them; some rested their heads upon these stones as on a pillow for weariness; and the rest tossed and reeled and danced, and seemed as if they verily laughed with the wind, that blew upon them over the lake; they looked so gay, ever glancing, ever changing. This wind blew directly over the lake to them. Da steht doch schon alles, da tanzen die Narzissen, Wordsworth muss es nur noch in Verse bringen. Zwei Jahre nach der Erlebnis tut er das. Er schreibt nicht in der Natur, er schreibt zuhause, schon beim Frühstück: He ate not a morsel, nor put on his stockings, but sat with his shirt neck unbuttoned and his waistcoat open while he did it, schreibt seine Schwester in ihr Tagebuch.

Die Wikipedia Seite zu dem Gedicht zitiert zwei deutsche Übersetzungen. Die lasse ich beide mal weg. Die Übersetzung von Uwe Grüning gefällt mir nicht so besonders. Sie können auf dieser Seite das Gedicht lesen, und Sie können auch gleich einen langen Artikel lesen, in dem Christa Schuenke sagt, weshalb die Übersetzung nicht so gelungen ist. Christa Schuenke ist nicht irgendjemand, sie hat viele Preise und Auszeichnungen für ihre Übersetzungen bekommen. Auf ihrer Homepage gibt es Leseproben, die eher Lesepröbchen sind, die aber viel über ihr Handwerk und ihre Kunst aussagen. Ich empfehle Ihnen, einmal den Anfang von Edgar Allan Poes The Raven zu lesen. Besser kann man das nicht machen, dagegen sehen andere Übersetzungen kläglich aus.

Mit dem Übersetzer Bertram Kottmann habe ich leichte Schwierigkeiten. Er hat keine Homepage und keinen Wikipedia Artikel, und er scheint bei keinem deutschen Verlag Autor zu sein. Die Deutsche Nationalbibliothek kennt keine Bücher von ihm. Auf der Seite von Lyrics Translate kann man lesen, dass er dort den Rang eines Guru besitzt (was immer das heißt) und 2020 Top Contributor war (was immer das heißt). Wir erfahren aber auch, dass Bertram Kottmann über zweieinhalbtausend Gedichte übersetzt hat. Aus und in allen möglichen Sprachen. Wir haben hier offenbar einen Hennecke der Übersetzungskunst vor uns. Schauen wir uns doch einmal seine erste Strophe an:

Der Wolke gleich, zog ich einher,
die einsam zieht hoch übers Land,
als unverhofft vor mir ein Meer
von goldenen Narzissen stand.
Am See, dort wo die Bäume sind,
flatterten, tanzten sie im Wind.

Die erste Strophe dieser sehr guten Übersetzung steht bei Wikipedia, die ist gemeinfrei. Der Rest scheinbar nicht. Der Autor verfolgt offenbar Blogger juristisch, die seinen Text ins Netz stellen und nicht ©Bertram Kottmann dazuschreiben und eine Genehmigung vom Übersetzer haben. Sie finden seine ganze Wordsworth Übersetzung in Die deutsche Gedichtebibliothek oder einem Blog wie Worte und Orte. Und an zehn Stellen mehr. Aber Bertram Kottmann hat natürlich Recht, wenn er seine Texte schützen will. Das Copyright eines Verlagsautors schützt sein Verlag, ein Internetautor hat diesen Schutz nicht.

Wenn der Wikipedia Artikel so richtig schön recherchiert wäre, dann ständen da noch andere Namen von Übersetzern. Denn die gibt es. Und da gehe ich einmal einhundertzwanzig Jahre zurück und beginne mit dieser Dame. Sie heißt Marie Luise Gothein und ist Kunsthistorikerin. Sie hat eine Geschichte der Gartenkunst geschrieben, die nach hundert Jahren immer noch als Standardwerk betrachtet wird. Und sie hat englische Romantiker übersetzt, Keats und Wordsworth. Über den hat sie 1893 ein ganzes Buch geschrieben (William Wordsworth: sein Leben, seine Werke, seine Zeitgenossen), das ist die erste Biographie von Wordsworth, die in Deutschland erschien. Im Vorwort zitiert die Autorin Ranke, der einmal über Wordsworth sagte, dass es sich um einen Poeten handle, der in Deutschland niemals so recht zur Geltung gekommen ist, weil er kaum übersetzbar ist. Marie Luise Gothein lässt sich von dem Satz nicht abschrecken, in ihrem Werk übersetzt sie beinahe einhundert Gedichte. Die Daffodils sind auch dabei:

Ich zog allein der Wolke gleich, 
Die über Thal und Hügel flieht, 
Als plötzlich unermeßlich reich 
Ein Heer Narzissen vor mir blüht; 
Am Seestrand unter Baum und Strauch 
Da tanzten sie im Windeshauch. -
 
Wie unabsehbar Stern an Stern 
hoch von der Nebelstraße glänzt 
so haben endlos, nah und fern
Das Seegestade sie bekränzt. 
Viel Tausende hab' ich erblickt.
Und jedes Köpfcen winkt und nickt

Die Wogen tanzten, doch ihr Schein 
Beschämte noch der Wogen Glanz! 
Ein Dichter mußte fröhlich sein 
Bei ihrem übermütgen Tanz; 
Ich schaut ' - und habe nicht gedacht .
Wie reich dies Schauen mich gemacht -

Denn oft wenn ich auf meinem Pfühl
Halb sinnend, halb zum Traum bereit, 
Tritt vor den innern Blick ihr Spiel 
In segensreicher Einsamkeit; 
Dann ist mein Herz an Wonne reich 
Und tanzet den Narzissen gleich.

Wir sind im Jahre 1893, da ruht man noch auf einem Pfühl, ein Wort, das seit tausend Jahren im Deutschen ist, heute klingt es etwas befremdlich. Aber mit diesem Text haben wir eine der ersten deutschen Übersetzungen von den Daffodils. Wordsworth ist nicht so häufig ins Deutsche übersetzt worden. Wolfgang Schlüter hat gesagt: Wenn es darum gegangen wäre, Wordsworth ins Deutsche zu bringen nun ja, es hätte im 18. Jahrhundert in der Wielandszeit die Generation um Goethe, Kleist und Wieland sich Wordsworthens annehmen können. Aber dagegen stand offensichtlich ein Verdikt Goethes, der ganz eindeutige Prioritäten setzte: Nein, die englische Romantik wird repräsentiert von Lord Byron. Was nicht Byron ist, ist nicht gut, nicht gut genug. Und was Goethe sagte, war verbindlich für lange Strecken des 19. Jahrhunderts. Es ist nicht so, dass man in Deutschland nicht wissen konnte, wer Wordsworth (der ja auch einmal Deutschland besucht hat) war. Es gibt erste Übersetzungen, und in der Geschichte der englischen Literatur von Johannes Scherr werden ihm 1854 viele Seiten gewidmet.

Schlüters Übersetzung findet sich in dem Buch William Wordsworth I wandered lonely as a cloud: Balladen, Sonette, Versepen, das bei den Straelener Manuskripten erschienen ist. Dass das Buch aus Straelen kommt, ist kein Zufall, denn dort ist das 1978 gegründete Europäische Übersetzer-Kollegium, das die weltweit größte Spezialbibliothek für Literatur- und Sachbuchübersetzer besitzt. Wolfgang Schlüter hat 1997 den Mörike Förderpreis bekommen. In seiner Laudatio sagte W. G. Sebald: Wolfgang Schlüters Interesse an Autoren, die vom Standpunkt der heutigen englischen, geschweige denn der deutschen Literatur, kaum mehr zu erkennen sind, beruht auf einer, wenn man so sagen kann, instinktiven Zuneigung zu den Abseitigen, die freilich für den, der wirklich zu lesen versteht, ihre Berechtigung darin hat, daß sich gerade in den außerhalb des Kanons verbliebenen 'geringeren' Werken oft Ein- und Aussichten auftun, deren besondere Schönheit sich der immateriellen Tatsache verdankt, daß sie lang keiner angeschaut und betastet hat. Von Sebald, der hier einen Post hat, gibt es in diesem Monat keine Gedichte, obgleich ich zur Zeit seine Gedichte lese. Was daran liegt, dass Sven Meyer mir gerade den von ihm herausgegeben Band Über das Land und das Wasser: Ausgewählte Gedichte 1964-2001 geschenkt hat. Aber Schlüters Übersetzung der Daffodils sollen Sie hier bekommen:

Ich wanderte so einsam, selbstvergessen, 
wie Wolken über Tal und Hügel säumen, 
als ich auf einmal von Narzissen 
im Tanze, unabsehbar, eine gelbe Wiese 
den See entlang erblickte, unter Bäumen 
Zehntausende im Tanze in der Brise. 

Die Wellen neben ihnen tanzten – sie indessen: 
sie übertrafen noch die Glitzerwelln an Lustbarkeit; 
kein Dichter konnt sich da mit seiner Heiterkeit 
an solcher lachenden Gesellschaft messen. 
Ich schaute – schaute– und hatt' kaum bedacht 
welch einen Reichtum dieser Anblick mir gebracht: 

Denn oft, wenn auf der Couch ich lieg 
in leerem oder nachdenklichem Sinn, 
kehrt jäh ihr Bild mir vor den innern Blick zurück: 
mein Herzensglück, in dem ich einsam bin. 
Ein Freudenlied mein Herz dann singt
und im Narzissentakt sich schwingt

Man muss sich das Gedicht laut vorlesen, dann wirkt es besser. Ist es Ihnen aufgefallen, dass hier nur drei Strophen sind? Wordsworth hat vier, ich weiß nicht, ob ein Übersetzer so etwas machen darf. Was darf, was kann ein Übersetzer? Die Übersetzungen sollen dem des Englischen Unkundigen nur einen Begriff vom Inhalt der Gedichte geben, nicht von ihrer Schönheit. Die Übersetzung eines lyrischen Gedichtes ist – vom Hauptgedanken und vom Versmaß abgesehen – immer etwas ganz anderes als das Original; sie ist ein selbständiges Gedicht, das seine eigene Schönheit und Musik haben mag, aber nicht die des Urbildes widerspiegeln kann. Dem Kenner der fremden Sprache bietet die Übersetzung den Reiz des Vergleiches: er bedauert es, wenn beim Übersetzen eine Feinheit des Gedichtes verloren gegangen ist; er zuckt mit der Achsel, wenn ihm ein schöner Vers im bloßen Alltagsgewand entgegentritt; er lächelt, wo der Übersetzer ins Blaue hinein geschossen hat; er freut sich, wo die poetische Wiedergabe geglückt ist. Nicht selten gestattet ihm ein einziges Gedicht, alle Stufen der Gefühlsleiter zu durchlaufen. 

Das steht in Andreas Baumgartners Buch →William Wordsworth: Nach seiner gemeinverständlichen Seite dargestellt, das 1897 in Zürich erschien. Das Zitat habe ich bei Dietrich H. Fischer gefunden, der im Internet die absolut besten Seiten zum Thema Wordsworth in →deutscher Übersetzung hat. Die Sonette auf Andreas Hofer werden nicht ausgelassen. Alles, was auf diesen Seiten von Fischer zusammengetragen ist, alles, was er übersetzt hat, verdient unseren größten Respekt. Es wäre an der Zeit, dass er auch einmal einen Literaturpreis bekommt. Und seine Übersetzung der Daffodils habe ich natürlich auch:

Ich wandert’ einsam wie die Wolke,
die treibt dahin in ihrer Höhe,
als plötzlich ich vor einem Volke
von goldnen Osterglocken stehe:
Am See, dort wo die Bäume sind,
flattern und tanzen sie im Wind.

So endlos, wie die Sterne scheinen
und funkeln auf der Himmelsstraße,
erstrecken sich der Blumen Reihen
die Bucht entlang am Kiesgestade:
Zehntausend faßte da mein Blick,
Köpfe all wiegend wie verzückt.

Im Hintergrund der Wellen Tanz,
doch munterer der Blumen Reigen!
Vor Freude sprachlos war ich ganz,
in froher Runde durft’ ich schweigen:
Ich schaute, schaute, kaum bedachte
die Wohltat, die dies Schauspiel brachte:

Wenn ich mal liege auf der Couch,
gestimmt, daß man den Tag vergißt,
sie blitzen auf vorm innern Aug’,
was des Alleinseins Segen ist:
Das Herz wird froh, es tanzt beschwingt,
von der Narzissenschar umringt.


Ich kann das Gedicht von Wordsworth auswendig. Sie können mich nachts um zwei wecken und Daffodils sagen, ich sage das Gedicht auf. Das hat etwas mit meinem Englischleher Dr Fritz Tröbs zu tun, über den Sie alles in dem Post P.G. Wodehouse lesen können. Und noch mehr Wordsworth steht in diesem Blog in den Posts: Hofanzug, Touristen, Wordsworth, Ostern, Reynolds.

Freitag, 21. April 2023

Strudel der Liebe


Elisabeth Grube, die am 21. April 1871 starb, hat Liebesgedichte geschrieben. Wenn Sie einen Eindruck davon bekommen wollen, dann klicken Sie einmal diese Seite der Deutschen Liebeslyrik an. Nicht alles ist auf dieser Seite von ihr, bei manchen Gedichten findet sich der Name Katharina Diez. Das ist ihre Schwester, die auch dichtet, meistens Epen. Ich zitiere mal eben aus der Deutschen Biographie1827 folgte sie ihrem Gatten nach Düsseldorf, wo er eine Anstellung bei der königl. Regierung angenommen hatte, und blieb auch dort wohnen, als derselbe 1845 auf einer Reise nach China, die er im Auftrag der Regierung zur Förderung der Handelsinteressen unternommen, gestorben war. Sie widmete sich neben der Erziehung ihrer Kinder und ihren schriftstellerischen Arbeiten mit besonderer Sorgfalt der Linderung aller Nothstände und erwarb sich als Wohlthäterin der Armen, Pflegerin und Trösterin der Kranken und Elenden seltene Verdienste. Sie steht mitten im Leben, ist Mitglied im Düsseldorfer Malkasten, wo sie 1862 auch das Gedicht Dem Direktor Peter von Cornelius und seiner holdseligen Gemahlin vorträgt. 

Und sie hat ein Buch über die Reise ihres Mannes nach China und Indien geschrieben. Und zusammen mit ihrer Schwester Katharina Diez mehr als dreißig Bücher geschrieben, Gedichte, Theaterstücke und Märchen. Wir sind immer noch in der Romantik; als Elisabeth Grube ihre ersten Gedichte veröffentlicht, schreiben Eichendorff und Heine noch. Die sind heute nicht vergessen, Elisabeth Grube schon. Obgleich es seit einigen Jahren Versuche gibt, sie aus der Vergessenheit zurückzuholen. Da muss man Ingeborg Längsfeld dankbar sein, die ihre Doktorarbeit über die Schwestern geschrieben hat. Und vor zwei Jahren diesen Roman von Katharina Diez neu herausgegeben hat.

Bei mir gibt es heute das Gedicht An der Leiche einer Selbstmörderin aus dem Jahre 1853:

O, Liebe, Liebe! - du gewalt'ge Fei!
Wie furchtbar grausam bist du in der Leidenschaft, -
Wer nennt die Opfer all', du Lorelei,
Die dein geheimnißvoller Strudel hingerafft?!
Ich stehe schaudernd an des Abgrunds Rand -
Gib Antwort mir! - bist du von Gott gesandt? -

Wie hab' ich treu und fest an dich geglaubt,
Dir weiht ich meines Herzens bestes Lied -
Doch tückisch zeigst du mir ein Schlangenhaupt,
Den Bassiliskenblick, der in's Verderben zieht:
Und wo ich Gottes lichten Engel sah
Steht fürchterlich nun die Gorgone da! -

Ja fürchterlich ist deines Zaubers Macht!
Du reißest wild das Kind von warmer Mutterbrust,
Den Priester schleifst du durch die dunkle Nacht;
Zerbrichst der Jungfrau Demantschild in frecher Lust;
Zerstörst der Ehe stilles Heiligthum;
Verlachest Ehre, Hoheit, Macht und Ruhm! -

Die blond gelockte Jugend mordest du!
Vor dir zerrauft das Alter sich das Silberhaar;
Den frommen Fleiß, das Wissen höhnest du,
Das Gift, den blanken Dolch reichst du dem Wahnsinn dar -
Den Fieberbrand stillt nur das kühle Grab
Und lautlos sinken Tausende hinab! -

Ha! mich erfaßt ein tiefer, bittrer Zorn -
Hier liegt vor mir ein neues Opfer deiner Wuth -
Das Tod getrunken aus dem Zauberborn;
Es goß dir heldenmüthig hin sein Lebensblut -
Vergeblich lächelt ihm des Kindes Blick -
Nicht hielt sein Schrei den Todesstoß zurück! -

O, seht euch an den Jugendschönen Leib!
Laßt rühren euch das edle, schmerzerstarrte Haupt -
Es hat auch dieses engelgleiche Weib
Im sel'gen Rausch der Liebe Ewigkeit geglaubt -
Wie mächtig klaget nun den blinden Wahn
Der stumme Mund die grimme Liebe an! -

Gott sei ihr gnädig! Sühne sei der Schmerz,
Mit dem sie vor dem bangen Todeskampfe rang,
Eh' ihr in's weiche liebekranke Herz
Von eigner Hand des Dolches scharfe Spitze drang -
Dich aber klage ich als Mörd'rin an,
Dich, Liebe! die auch dieses Leid gethan!

Von deinem Wahnsinn ist die Erde voll!
Wer rettet Menschenherzen aus dem Zauberbann? -
Verstand wird dumm - die Weisheit selbst wird toll
Wo Liebe herrscht - ein lächelnder Tyrann!
O, daß der Gottesengel, das Gebet
Nicht warnend vor dem schönen Teufel steht.

Ein hartes Wort! - die Lieb' ein Teufelskind? -
Ja, eine Höllenmacht ist Lieb' als Leidenschaft!
Sie nahet herzig schmeichelnd, lieblich lind,
Bis später sie das Opfer faßt mit Tigerkraft -
Wär' doch ein Donnerschlag mein armes Lied! -
Ein Blitz in junge Herzen! - Flieht - o, flieht! -


Ich habe dieses Gedicht gewählt, weil die Lorelei darin vorkommt. Ich habe letztens im Radio gehört, dass man gerade eine neue Lorelei Statue enthüllt hat. Musste das sein? Da sieht die Frau, die sich ihr Haar kämmt ein bisschen aus wie eine mißratene Meerjungfrau aus Kopenhagen. Auf diesem Photo steht die Künstlerin Valerie Otte neben ihrem Werk. Das Ganze hat mehr als 100.000 Euro gekostet, Statuen der Künstlerin kann man sonst billiger bekommen. Im Zeit Shop oder bei ars mundi bekommt man sowas schon für einen Tausender. Der Rheinische Verein für Denkmalpflege hat kritisiert, dass die Figur eine Allerweltsgestalt sei, der jegliche Aura fehle, aber der Innenminister hält die Bronzefigur für ein Highlight der Region. Und wozu brauchten die da überhaupt eine Statue? Genügte die von der Loreley Touristik GmbH inthronisierte blonde Katharina Blanckart nicht mehr?


In diesem Blog gibt es schon viel über die Loreley. Sie könnte jetzt auch noch lesen: die schöne Frau Lore LeyLurley, Loreley, Rheinromantik, Rheinnixen, Meerjungfrauen + Waldnixen, Drachenfels, Ruhrgebiet

Mittwoch, 19. April 2023

Sisi


Vor dreihundertzehn Jahren hat der Kaiser Karl VI die Pragmatische Sanktion unterzeichnet. Das bedeutete, dass seine Tochter Maria Theresia Kaiserin werden konnte. Ich hatte letztens auf der Suche ein Gedicht mit dem Titel Maria Teresia gefunden, aber das war von Anastasius Grün. Diesen östereichischen Grafen mag ich nun nicht besonderns. Sie können das Gedicht aber gerne anklicken. Ich habe heute etwas zu der Kaiserin Maria Theresia, das aus einer ganz anderen Quelle kommt. Das Gedicht wurde anläßlich der Enthüllung der Maria Theresia Statue in Wien geschrieben, es hat den Titel Das Fest des 13. Mai 1888

Weshalb das viele Militär
In Gruppen und Spalieren?
Wozu der Policisten Heer,
Will Wien heut' konspirieren?

O nein! Es feiert nur ein Fest,
Ein Fest der Hof, der Adel,
Zu dem man jeden nahen lässt,
Dess Stammbaum ohne Tadel.

Die Kaiserin der Zopfzeit wird
Jetzt nach hundert und acht Jahren
Als Monument jetzt hoch fêtirt,
D'rum diess abnorm Gebaren;

Desshalb die Tagesordre heut,
Den Plebs ja fern zu halten,
D'rum machen überall sich breit,
Die Sicherheitsgewalten.

Wie ist der Festplatz reich geschmückt;
Inmitten der Museen,
Mit grünem Laubgewind umstrickt
Tribünen ihn umstehen.

Stolz wehen in dem Mittagswind
Schwarzgelb, rotweisse Fahnen
Herab auf Kind und Kindeskind
Zahlloser hoher Ahnen.

Denn diese steh'n, die Häupter hoch,
Rings auf den Prachttribünen.
Welch' grosse Ehren kann man doch
Durch Ahnen sich verdienen!

Doch sind die fremden Höfe auch
Vertreten bei dem Feste
Durch Rock und Ordensband, wie's Brauch,
Und goldgestickte Weste.

In der Museen Fenster sind
Die aufgeblas'nen Zwitter,
Die weder Volk's noch Adels Kind,
Das macht ihr Dasein bitter.

An Letzter'm kriechen sie stets auf,
Um stets herabzurollen,
So geht ihr ganzer Lebenslauf:
Nie das sein, was sie wollen.

Der Prachttribünen Halbkreis hält,
Als Mittelpunkt des Festes,
Das hohe weite Kaiserzelt,
D'rein Habsburg beut sein Bestes.

Doch selbst des Guten giebt's zu viel
Manchmal auf dieser Erden,
Bei Gott! Was soll aus dem Gewühl
Aus Habsburgsprossen werden?

Aus diesem teuren Ornament, 
Das jedes Land belastet,
Welches sich Monarchie benennt,
(Ob dem das Volk dann fastet).

Das geht jetzt noch so weiter, das hört hier nicht auf. Sie können gerne hier weiter lesen. Der Schreiber dieser Zeilen geht mit dem Hause Habsburg nicht sehr freundlich um. Was etwas überraschend ist, denn hier schreibt jemand aus dem Hause Habsburg. Niemand anderer als die Kaiserin Elisabeth von Österreich. Die wir als Romy Schneider kennen, die einmal gesagt hat die Rolle klebe an ihr wie Grießbrei. Elisabeth hatte schon als Teenager begonnen, Gedichte zu schreiben. Später schrieb sie ein poetisches Tagebuch, von dem man den größten Teil beim Projekt Gutenberg lesen kann, das ist die Ausgabe von 1887. 

Das dichterische Vorbild der Kaiserin war Heinrich Heine, den sie verehrte. Dass sie in Korfu eine Heine Statue hat aufstellen lassen, können Sie schon in dem Post Harry - Heinrich - Henri lesen. Es gibt noch andere Schriften der Kaiserin, die 1951 in die Hände der schweizerischen Regierung gelangten. Sie waren ein Vermächtnis von Elisabeth, die glaubte, dass sie in der Schweiz besser als in Österreich aufgehoben seien. Liebe Zukunfts-Seele! Dir übergebe ich diese Schriften. Der Meister hat sie mir dictiert, und auch er hat ihren Zweck bestimmt, nämlich vom Jahre 1890 an in 60 Jahren sollen sie veröffentlicht werden zum besten politisch Verurteilter und deren hilfebedürftigen Angehörigen. Denn in 60 Jahren so wenig wie heute werden Glück und Friede, das heißt Freiheit auf unserem kleinen Sterne heimisch sein. Vielleicht auf einem Andern? Heute vermag ich Dir dies nicht zu sagen, vielleicht wenn Du diese Zeilen liest - Mit herzlichem Gruß, denn ich fühle Du bist mir gut,
Titania (Geschrieben im Hochsommer des Jahres 1890, und zwar im eilig dahinsausenden Extrazug)
. Der Leiter des schweizer Bundesarchivs Professor Léon Kern sagte über die Texte: D'une manière générale, ces poésies n'ont pas une grande valeur littéraire, und fügte dem hinzu: En tout cas, elles n'ajoutent rien à la gloire d'Elisabeth. Die Schweiz hat 1994 alles veröffentlicht, was in der Kassette war, die ihr als Erbe vermacht war. Die Erlöse kommen immer noch, wie Sisi es gewollt hat, mildtätigen Zwecken zu. Die seriösen. philologisch sorgfältig edierten Ausgaben der Gedichte sehen natürlich nicht so aus wie dieses Buch aus dem Jazzybee Verlag hier. Da sollte man doch eher das von der Historikerin Brigitte Hamann besorgte Poetische Tagebuch benutzen.

Dienstag, 18. April 2023

Dido

Ich bin auf seltsamem Weg zu diesem Gemälde des schottischen Malers David Martin gekommen, Ich schaute in den Tageskalender der Wikipedia und fand, dass es der Todestag von Erasmus Darwin  war. Der Vater von Charles Darwin hat hier allerdings schon den Post Erasmus Darwin. Ich schaute trotzdem in seine Dichtungen hinein. Fand etwas über die Sklaverei, ein Thema, zu dem es in diesem Blog eine Vielzahl von Posts gibt. Ich liste die unten mal auf.

Ich fragte mich: wann haben die Engländer die abgeschafft? Gut, die Antwort ist 1833, aber da gibt es vorher im Jahre 1772 ein interessantes Urteil in dem Prozess Somerset v Stewart; da spricht William Murray, der erste Earl of Mansfield, einen schwarzen Sklaven frei, den sein Besitzer nach Jamaica bringen will, um ihn dort zu verkaufen: The state of slavery is of such a nature that it is incapable of being introduced on any reasons, moral or political, but only by positive law, which preserves its force long after the reasons, occasions, and time itself from whence it was created, is erased from memory. It is so odious, that nothing can be suffered to support it, but positive law. Whatever inconveniences, therefore, may follow from the decision, I cannot say this case is allowed or approved by the law of England; and therefore the black must be discharged. Sie können hier alles zu dem denkwürdigen Prozess lesen. Das Urteil wird etwas bewirken, wenige Jahre später beginnt in England eine Bewegung gegen die Sklaverei. Der englische Dichter William Cowper schreibt 1785 in seinem langen Gedicht The Task:

We have no slaves at home.—Then why abroad?
And they themselves once ferried o'er the wave
That parts us, are emancipate and loos'd.
Slaves cannot breathe in England; if their lungs
Receive our air, that moment they are free,
They touch our country and their shackles fall.
That's noble, and bespeaks a nation proud
And jealous of the blessing. Spread it then,
And let it circulate through ev'ry vein
Of all your empire. That where Britain's power
Is felt, mankind may feel her mercy too

Als ich auf die Wikipedia Seite von Lord Mansfield ging, des berühmtesten englischen Juristen des 18. Jahrhunderts, fand ich das Bild der beiden jungen Frauen. Eine weiße Adlige mit ihrer schwarzen Dienerin könnte man denken, aber weit gefehlt. Man wusste bis in die 1990er Jahre nicht, wer die hübsche Farbige war. Das Bild im Scone Palace der Murrays zeigte Lady Elizabeth Murray, das wusste man. Wer die junge Farbige war, wusste man nicht. Man weiß das inzwischen. Es ist Dido Elizabeth Belle, die Tochter Sir John Lindsays, der in Pensacola eine farbige Sklavin geheiratet hatte. Er ist Kapitän der Royal Navy (er wird noch Admiral werden) und ständig auf See, da kann er sich nicht um die Erziehung der Tochter kümmern. 

Er übergibt die kleine Dido Elizabeth seinem Onkel, der, wie es der Zufall will, niemand anderer als Lord Manfield ist. Dort wächst sie auf, zusammen mit Mansfields Nichte Elizabeth Murray. Die beiden jungen Frauen auf dem Bild sind also Cousinen. Und Dido Elizabeth Belle ist die erste farbige Adlige Englands. Thomas Hutchinson, der unbeliebtste englische Gouverneur in Amerika, besucht Lord Mansfield in Kenwood im Jahre 1779 und schreibt darüber: A Black came in after dinner and sat with the ladies and after coffee, walked with the company in the gardens, one of the young ladies having her arm within the other. She had a very high cap and her wool was much frizzled in her neck, but not enough to answer the large curls now in fashion. She is neither handsome nor genteel — pert enough. I knew her history before, but My Lord mentioned it again. Sir John Lindsay having taken her mother prisoner in a Spanish vessel, brought her to England where she was delivered of this girl, of which she was then with child, and which was taken care of by Lord Mansfield, and has been educated by his family. He calls her Dido, which I suppose is all the name she has. He knows he has been reproached for showing fondness for her —I dare say not criminal. Für einen Mann wie Hutchinson, über den Lord North sagte, er sei Schuld am Ausbruch des Unabhänigkeitskrieges, ist das, was auf Kenwood Alttag geworden ist, degoutant. Es ist viel Gift in diesen Sätzen, Hutchinson macht seinem Ruf, der bestgehasste Mann von Massachussetts zu sein, alle Ehre. Der König wird dem ehemaligen Gouverneur keinen Adelstitel verleihen.

Die Geschichte der Dido Elizabeth ist inzwischen in einen Film gewandert, das konnte nicht ausbleiben, ich habe den Film natürlich hier für Sie.

Und ich habe zu dem Bild von John Martin ein schönes Gedicht von Honorée Fanonne Jeffers gefunden, das eigentlich nichts anderes als eine poetische Bildbeschreibung ist:

Dido moves quickly— 
as from the Latin anime.

Breath or soul.
Beside her, the generations-free kin,

a biscuit figurine in pink. 
Dido standing in irony—

the lowest are taller here— 
Elizabeth should provide

an unkind contrast: pretty, blond, 
pale in uncovered places—

but no.
The painter worships the quickened other.

Dido, his coquette of deep-dish dimples, 
his careless, bright love.

Forget history. 
She's a teenager.

We know what that means. 
Cocky, stupid about reality.

No thought of babies— 
feathers in her arms.

She might wave them, clearing 
dead mothers from the air—

and surely, she's special—
her uncle dressed her with care,

hid her from triangles and seas 
outside this walled garden.

Let her be. 
Please.

No Dying Mythical Queen 
weaving a vivid, troubled skin—

but Dido, full of girlhood, 
and Elizabeth reaching

a hand. Behave, cousin, 
she begs.

Don't run away from me.


Auf der hervorragenden Seite der Fashion History können Sie alles über das Gemälde von David Martin (und über die Damenmode des ausgehenden 18. Jahrhunderts) lesen.


Samstag, 15. April 2023

Pastoren


Ich verdanke der Jugendarbeit unserer Kirchengemeinde, die Klaus Nebelung und seine Frau Waltraud in den fünfziger und sechziger Jahren aufgebaut haben, sehr viel. Das habe ich schon in vielen Posts erwähnt, seit ich diesen Blog schreibe. Für den Pastor Nebelung habe ich 2011 zum Geburtstag den Post Vor dem Sturm geschrieben. Nebelung liebte Fontane und hat einmal einen Vortrag über die Pastoren in Fontanes Romanen gehalten. In dem Vortrag fand sich auch das schöne Zitat, das Fontane der Pastorin Schleppegrell in den Mund leht: Man muss sich untereinander helfen, das ist eigentlich das Beste.von der Ehe. Sich helfen und unterstützen und vor allem nachsichtig sein und sich in das Recht des andern einleben. Denn was ist Recht? Es schwankt eigentlich immer. Aber Nachgiebigkeit einem guten Menschen gegenüber ist immer recht. Dass wir Klaus Nebelung für elf Jahre als Diakon bekamen, verdanken wir dem Landesjugendpfarrer Werner Brölsch. Dessen Initiative die Bremer Kirche auch das Haus Meedland auf Langeoog verdankt. Wenn er nicht da war, durften wir bei den Arbeitsfreizeiten bei schlechtem Wetter seine Wohnung unter dem Dach benutzen, auch seinen Braun Schneewittchensarg Plattenspieler, das hatte er uns erlaubt.

Ich habe, beginnend mit Heinrich Keller, alle Pastoren unserer Gemeinde gekannt. Keller war mit meinem Opa befreundet, und er hat meinen Bruder getauft. Bei uns im Wohnzimmer. Ludwig Erks Deutscher Liederhort, den mein Opa sich mal von ihm ausgeliehen und nie zurückgegeben hat, liegt immer noch auf meinem Klavier. Der Pastor, der mich konfirmierte (und mir Markus 9:32 als Denkspruch mitgab), war Nazi gewesen, und die Landeskirche hatte lange gezögert, ihm wieder eine Gemeinde anzuvertrauen. Sein Nachfolger Pastor Nelle gab an meinem Gymnasium Religionsunterricht, also diesen Religionsunterricht, für den es im Grundgesetz die sogenannte Bremer Klausel gibt. Ich kam mit ihm nicht klar, aus irgendeinem Grund hatte er sich zuerst geweigert, meine Oma zu beerdigen. Und die Zwillinge eines Freundes wollte er nicht taufen, weil die in den USA geboren worden waren. Pastoren sind manchmal seltsam. 

Wir waren unserer Kirche nicht immer treu, mein Vater mochte den Pastor Hinrich Hemmelgarn, weshalb wir häufig in der Grohner Kirche waren. Wohin wir am Sonntag gingen, hing ein wenig von der Laune meiner Mutter ab. Bei dem guten alten Pastor Heinrich Keller hätte sie nicht die Kirchen von Sonntag zu Sonntag gewechselt, aber mit seinen Nachfolgern kam sie nicht so zurecht. Weil sie im Herzen, genau wie die ganze querulatorische Sippschaft aus Ostwestfalen, Lutheranerin war. Deshalb hat sie auch in Aumund und nicht in Vegesack geheiratet. Die Glaubenskämpfe in Bremen sind mit Pezelius nicht zuende. Und so sind wir häufiger in der neo-romanischen Kirche in Grohn, manchmal auch in dem neugotischen Monster in Aumund. Und einmal Weihnachten bei dem Laienprediger Manfred Hausmann in Rönnebeck, das galt in Bremen als chic. 

Mein Klassenkamerad Klaus-Dieter Mildenberger, den wir Mille nannten, hat nach dem Abitur Theologie studiert und ist Pastor geworden. Wir waren in derselben Lateinklasse unseres Gymnasiums und saßen übereck jahrelang beinahe nebeneinander. Zwischen uns saß unser Klassenkamerad Wuddel, der mir einmal in einem Brief etwas selbstironisch schrieb: Wenn ich nicht Dich als linken und Mille als rechten Nachbarn zum Abschreiben gehabt hätte, wäre ich kein rechtschaffener A-14-Beamter geworden, sondern würde mit viel Glück vielleicht bei Nehlsens Müllabfuhr untergekommen sein. Der Mille, den wir auf diesem Photo in der Mitte bei der Feier zum 150-jährigen Bestehen des Männerchores Apollonia Lesumstotel sehen, ist inzwischen als Pastor pensioniert. 

Aber ich glaube, für einen Pastor hört die Arbeit nie auf. Die Gemeinde braucht ihren Hirten. Und sei  es als Gast im Erzählcafé. Der Pastor Dietrich Kleiner, der meine Eltern beerdigt hat, war schon lange pensioniert, aber als ich ihn fragte, übernahm er die Aufgabe ohne einen Augenblick zu zögern. Und blieb immer im Kontakt. Als ich zu bloggen begann, gab er mir noch gute Ratschläge. Meine Mutter schätzte den Mille sehr und besuchte häufig seine Gottesdienste, weil sie den Vegesacker Pastor nicht mehr ausstehen konnte. Also diesen Pastor, der einen Gottesdienst für Hunde im Stadtgarten machte und die Hälfte des Jahres nicht bei seiner Gemeinde ist, weil er Bordgeistlicher auf Kreuzfahrtschiffen ist. Bei unserer goldenen Konfirmation 2009 musste er gestehen, dass er noch nie etwas von Klaus Nebelung gehört hätte. Dazu fällt mir wenig ein. Ich habe diesen Pastor schon einmal erwähnt; die Bremer Landeskirche hat schon seltsame Spinner wie Heinrich Weidemann und Georg Huntemann in ihren Reihen gehabt. Dass man einen anderen Weg als Weidemann und seine Anhänger gehen konnte, hat das Leben von Gustav Greiffenhagen gezeigt. Der strahlende Ruf des Dompredigers Günter Abramzik, der bei der kleinen Bremer 68er Revolution einer der wenigen Vernünftigen war, ist durch die Mißbrauchsvorwürfe für ewig beschädigt.

Mit alledem hat der Mille nichts zu tun, er war zweiunddreißig Jahre für seine Gemeinde da und hat keine Hundesgottesdienste oder Reisen mit dem Traumschiff gemacht. War auch selten in der Zeitung. Einmal, als er der Senior des evangelisch-lutherischen Gemeindeverbandes wurde. Er war damals der Nachfolger von Pastor Erich Viering, der einmal als Missionar in Togo gewesen war. Den Zeitungsausschnitt habe ich aufgehoben. 

Mille war immer seriös. War nie solch ein Exzentriker wie ich. Der anonyme Autor unserer Bierzeitung zum Klassenfest der 10 L1 (erstes und letztes Erscheinen am 25. März 1960) schrieb über mich: imaginärer Kopf des Unternehmens, dabei kennt er sich selbst nicht einmal, muss dauernd auffallen. Und über Klaus-Dieter Mildenberger, der unter Humanistisches Personal aufgeführt wurde, konnte man lesen: beliebt bei jung alt, denkt nicht, sondern glaubt. Standhaft in jeder Beziehung. Ich finde das nach über sechzig Jahren sehr treffend. Standhaft war er immer, auf ihn konnte man sich immer verlassen. Der pensionierte Pastor liest jetzt manchmal meinen Blog und schreibt mir nette Dinge wie: Einfach schön zu lesen oder Mach weiter so. Es ist eine Freude Deine Texte zu lesen. Der Mille hat heute Geburtstag, er wird achtzig Jahre alt. Er war hier schon einmal im Blog, war auf einem Photo vom Abtanzball zu sehen (ganz oben rechts mit dem weißen Querbinder). Mit all den anderen von uns, die in diesem Jahr achtzig werden. Die Ingrid übrigens auch. Und deshalb schreibe ich diesen Post für ihn anstelle einer Glückwunschkarte und sende meine herzlichen Glückwünsche in die alte Heimat. 

Und dazu brauche ich heute ein Gedicht, in dem Pastoren vorkommen. Fällt mir nicht schwer, so etwas zu finden. Ich nehme das Gedicht Pastors Abendspaziergang von Friedrich Theodor Vischer. Den Autor mag ich, weil er den wunderbaren Roman Auch einer geschrieben hat; er hat natürlich einen Post, und im Post Kuhreigen wird er auch erwähnt. In der Welt der Pastoren kennt sich der Pastorensohn Vischer aus, er hat Theologie studiert und seinen Doktor gemacht. Sich dann aber von der Kirche ab- und der Literatur zugewandt.

Das Abendroth brennt an des Himmels Saum,
Ich schlendre so, als wie im halben Traum,
Zum Dorf hinaus auf grünem Wiesenwege
Am Wald hinunter, wie ich täglich pflege. 

Rings auf der Wiese wimmelt es und schafft,
Vom frischen Heu kommt mit gewürz'ger Kraft
Ein süßer Duft auf kühler Lüfte Wogen,
Mein alter Liebling, zu mir hergezogen. 

Roth, Blau und Gold, ein ganzes Farbenreich,
Betrachtet sich im spiegelhellen Teich,
Wild-Enten sieht man durch die Wellen streben
Und hoch in Lüften Weih und Sperber schweben. 

Ein flüsternd Wehen geht im dunkeln Wald,
Die Vögel rufen, daß es weithin schallt,
Die Unke will sich auf der Flöte zeigen,
Die Grille zirpt und auch die Schnaken geigen. 

Studiren wollt' ich einen Predigtplan,
Nun hör' ich selbst die große Predigt an,
Voll Kraft und Mark, ein Menschenherz zu stärken,
Die große Predigt von des Meisters Werken.

 

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