Freitag, 6. Januar 2023

das kleine Fischweib

Das ist Carl Jacobsen im Jahre 1896, er ist einer der reichsten Dänen. Ihm gehört die Ny Carlsberg Brauerei. Mit seinem Vermögen tut er viele gute Werke. Er hat auch die Ny Carlsberg Glyptotek gegründet. Das ist nicht so meine Sache, ich habe mit Plastiken meine Schwierigkeiten. Das habe ich vor vielen Jahren meinem Onkel Karl gestanden, der Bildhauer war. Ich habe aber natürlich eine Plastik von ihm. Und ich war natürlich auch in der Glyptotek in Kopenhagen und besitze sogar einen Katalog. Das Haus von Jacobsens Eltern war voll mit Werken von Bertel Thorvaldsen, den mag ich auch nicht besonders, aber er hat hier schon einen Post. 

Den Post musste ich damals schreiben, weil mir die Astrid diesen fetten Katalog Bertel Thorvaldsen (1770-1844): Der dänische Bildhauer und seine Freunde geschenkt hat. Also, kurz gesagt, der Bierbrauersohn Carl Jacobsen ist mit Statuen aufgewachsen, und er hat im Anschluss an eine Italienreise mit seinem Vater die Münchener Glyptothek kennengelernt, die einen großen Eindruck auf ihn gemacht hat. Er lernt auch den Archäologen Wolfgang Helbig kennen, der für ihn in Rom einkaufen soll: Eine so schöne, vielseitige und lehrreiche Skulpturensammlung wie nur möglich. Und da es in Kopenhagen noch fast gar nichts gibt, können wir anfangen, wo wir wollen

Was es bisher in Kopenhagen an Plastiken gab, stand in der Akademie und diente den Malern zum Studium, wie wir es hier auf dem Bild von Knut Baade sehen können. Carlsberg will, dass nicht nur Künstler, sondern jeder die Kunst sehen kann. Von nun an kauft er mehr und mehr. Klassik und Moderne, seine Glyptothek wird auch eine große Rodinsammlung haben. Der Kuss, der schon in dem Post Nackt zu sehen ist, ist auch dabei. Und Jacobsen schenkt seiner Heimatstadt nach der Maxime Den levende kunst hører det levende folk til eine Statue nach der anderen. Eine davon kennen wir alle.

Am zweiten Weihnachtstag des Jahres 1909 ist Carl Jacobsen in der königlichen Oper, es gibt ein eventyrballet in drei Akten. Mit Musik. Die Musik ist von Fini Valdemar Henriques, damals einer der beliebtesten Komponisten des Landes. Vieles von seinen Kompositionen wird in Dänemark heute noch gespielt. Es ist zum Beispiel eine CD lieferbar, auf der Christina Bjørkøe Klavierstücke von ihm spielt. Christina Bjørkø kennen Sie schon aus mehreren Posts, weil sie die Goldberg Variationen so schön spielt. Wenn Sie etwas von der Musik dieses Abends hören wollen, dann klicken Sie hier und hier. Das Thema des Ballets am Weihnachtstag kennt jeder Zuschauer. Es ist Den lille havfrue, das Märchen von H.C. Andersen von der kleinen Meerjungfrau, deren Haut so rein und so fein wie ein Rosenblatt war, ihre Augen so blau wie die tiefste See. Die kleine Meerjungfrau spielt die Primaballerina Ellen Price.

Jacobsen, Bierbrauer und Kunstmäzen, ist von der Aufführung begeistert. Und da neben dem Bier und der Kunstförderung Statuen und Skulpturen sein Leben ausmachen, will er sofort eine Bronzestatue von Ellen Price als kleine Meerjungfrau haben. Die Primaballerina erklärt sich bereit, dem Bildhauer Edvard Eriksen (hier mit seiner Ehefrau Eline Vilhelmine Møller) Modell zu sitzen. Eriksen ist noch jung, aber schon sehr berühmt, im Vorjahr hatte er die Statuen für den Sarkophag von Christian IX und Königin Louise gestalten dürfen. Die Arbeit an der Statue gestaltet sich schwierig. Als Ellen Price erfährt, dass sie dem Bildhauer nackt Modell sitzen soll, lehnt sie das kategorisch ab. Eriksen könne ihr Gesicht modellieren, aber dann ist Schluss.

Für den Rest der Nixe wird Eriksen seine Ehefrau als Modell nehmen, aber es ist immer noch nicht klar, wie die Skulptur aussehen soll. Jacobsen will eine Nixe mit Fischschwanz, Eriksen eine Menschenfrau mit Beinen. Am Ende gibt es einen Kompromiß, die Figur bekommt Beine, die in einen Fischschwanz enden. Meine Erfahrung sagt mir: Wenn man Künstler machen lässt, was sie wollen, wird es am besten, wird Jacobsen sagen. Das hier ist Alice Eriksen, die Enkelin von Edvard und Eline Eriksen mit einer Kopie der Figur, die wir alle kennen. 

Alice Eriksen, die mit ihren Brüdern bis 2029 die Rechte an den verkleinerten Kopien der Skulptur hat, hat in einem Interview gesagt, dass es niemals zur Diskussion stand, dass die Primaballerina Ellen Price nackt posierte. Das hätte meine Großmutter nicht zugelassen, sie saß schließlich bei allen Frauen-Skulpturen ihres Mannes Modell. Neben den kleinen Kopien, die niemals so groß sein dürfen wie das Original (das hatte Edvard Eriksen so verfügt), gibt es an einigen Orten der Welt autorisierte Abgüsse des Originals.

Carl Jacobsen konnte noch erleben, dass vier Jahre nach dem Balletabend die lille havfrue an der Langelinie aufgestellt wurde. Er brauchte nicht mehr zu erleben, was im letzten halben Jahrhundert mit der Skulptur, die zum Wahrzeichen von Kopenhagen geworden war, geschah. Heute vor 25 Jahren haben Unbekannte der Kleinen Meerjungfrau zum zweiten Mal den Kopf abgesägt. Das erste Mal war das 1964 geschehen. Das hatte Ellen Price, die sehr alt geworden ist, noch miterlebt, in dem Jahr, in dem die Plastik zum zweiten Mal ihren Kopf verlor, ist die Primadonna gestorben. Hatte die Neunzigjährige das noch mitbekommen, dass es wieder einen Anschlag auf die Figur gegeben hatte, die auch ein Teil von ihr war? Man konnte die Plastik immer wieder originalgetreu restaurieren, denn man besaß noch das Gipsmodell des Bildhauers. Aber die Dekaptation vor einem Vierteljahrhundert war nicht das Ende der Untaten. Immer wieder wurde aus schier Schandudel das kleine Fischweib bemalt und besudelt. Wahrscheinlich klebt sich irgendwann noch ein Klimakleber an ihr fest.

Wenn Sie die Geschichte der kleinen Seejungfer von H.C. Andersen lesen wollen, dann gibt es hier einen Link zum Projekt Gutenberg. Oder zum dänischen Original. Andersens Märchenfigur war schon mehrfach in diesem Blog. Zum einen im letzten Jahr in einem kurzen Post, der nicht ganz ernst heißt. Zum anderen gab es hier 2011 schon einen längeren kulturhistorischen Post mit dem Titel Meerjungfrauen + Waldnixen. Wenn ich einen Scanner hätte, dann wäre hier das Photo zu sehen, wie ich vor sechzig Jahren an der Langelinie die kleine Dame betrachte. Und diese eleganten beigen Chinos anhabe. Man kann auf dem Photo auch sehen, was man auf jedem Photo sehen kann: die lille havfrue ist sehr klein. Aber sie hat eine große Wirkung. Die haben nackte Damen, die aus dem Wasser kommen, immer. Ob sie von Sandro Botticelli gemalt sind oder Ursula Andress heißen.


3 Kommentare:

  1. Verehrter Jay, bin gerne bereit, Ihnen einen nicht mehr gebrauchten, tadellosen Scanner zuzusenden. Was tut man nicht alles für die Kunst?!

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    1. ganz herzlichen Dank, aber ich glaube, ich kann ohne so viel Technik leben.

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