Freitag, 27. Januar 2023

sag' kein Wort!


Wenn der Pastor Dir die Geschichte von der Leica erzählt, sag’ kein Wort, flüsterte mein Bruder mir im Vorübergehen mit verschwörerischem Ton zu. Kein Wort! Er hastete weiter, dies war seine Hochzeit. Wir waren im obersten Stockwerk des Hotels Maritim, der Saal war voll. Eine halbe Stunde später hatte ich den Pastor neben mir. Mit einer kleinen Kamera. Die müsse er mir unbedingt zeigen, wo ich doch auch photographiere. Die Canon A1 mit aufgeschraubtem Motor und Blitzlichtgerät in meiner Hand verriet mich als den Festphotographen. Und dann erzählt er mir die Geschichte seiner Kamera, und da wusste ich, weshalb ich kein Wort sagen durfte. Ein Industrieller, der ein Ferienhaus in seiner Gemeinde hatte, war bei einem Reitunfall verunglückt und war danach den Verletzungen erlegen. Der Pastor hatte ihn vor seinem Tod täglich am Krankenbett besucht; und nach seinem Tod hatte die Witwe ihm aus Dankbarkeit einen großen Holzkoffer mit Photoapparaten geschenkt. Da waren zwei Leicas drin und ein halbes Dutzend Leitz Objektive. Spezialobjektive, die er für seine Arbeit brauchte, hatte ihm die Witwe gesagt. 

Ich wusste, was so was kostet. Ich hatte gerade kurz vorher einen ähnlichen Koffer im Schaufenster von Photo Doose im Knooper Weg bewundert, ohne Spezialobjektive. Es war eine Leica Ausrüstung, die Edgar Wallace einmal seiner Tochter Penelope geschenkt hatte. Überall der Name eingraviert. Kam mit der Rechnung eines Londoner Photohändlers und einem Brief von Edgar Wallace, und war preislich mit 2.500 Mark eigentlich sehr niedrig angesetzt. Ich war damals stark in Versuchung, das Konvolut zu kaufen, machte morgens auf dem Weg zur Uni einen kleinen Umweg und starrte zehn Minuten lang in das Schaufenster. Aber was sollte ich damit? Ich war kein Edgar Wallace Fan. Ich kaufte mir ein Jahr später eine alte Leica IIIg aus dem Jahre 1943. In deren Gehäuse witzigerweise auch der Name Wallace eingraviert war; das hatte allerdings nichts mit Edgar Wallace zu tun, viele Besitzer ließen sich damals ihren Namen in das Gehäuse der Leica eingravieren. 

Der Pastor konnte mit dem schönen Geschenk nichts anfangen, und so hatte es sein Küster übernommen, die Ausrüstung zu verkaufen. Stellen Sie sich vor, der ist damit nach Hamburg gefahren, nach St Pauli, und er hat den Kasten mit den Kameras gegen diese schöne kleine Kamera eingetauscht. Es ist schwer, in solchen Augenblicken ernst zu bleiben, aber ich war ja durch meinen Bruder gewarnt. Ich sagte kein Wort. Wenn ich mal von einem Wert von zehntausend Mark für den Leica Koffer ausgehe und davon die hundert Mark abziehe, die die Kamera des Pastors gekostet hat, ist für den Küster bestimmt noch eine rauschende Nacht auf der Reeperbahn oder der Herbertstraße übrig geblieben. Da hat es sicherlich auch noch eine liebe Kleine gegeben, die nicht nein sagte, und die bis morgen früh um neune seine kleine Liebste sein würde. Ich nehme an, dass er jetzt in der Hölle schmort.

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